Als vor einigen Jahren der französische Künstler Jacques Tardi seinen Comic »Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag II B« veröffentlichte, erregte er damit großes Aufsehen. Der Autor und Zeichner erzählte von seinem Vater, der in der französischen Armee war, von der Wehrmacht bereits 1940 gefangen genommen wurde und bis 1945 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager verbringen musste.
Mit »Der lange Marsch durch Deutschland« liegt seit einiger Zeit der zweite Teil vor, den ich allerdings dieser Tage erst gelesen habe. Ich finde ihn eindrucksvoll, weil er so düster und realistisch ist, manchmal so traurige Eindrücke vermittelt und gelegentlich sogar Galgenhumor zeigt. Er erzählt von endlosen Märschen und allerlei Greueln, vor allem von der Sinnlosigkeit eines Krieges.
René Tardi sitzt in Hammerstein in einem Kriegsgefangenenlager; damals ein Teil von Westpreußen. Als sich die russische Front nähert, beschließen die Deutschen, viele Lager zu evakuieren. Nicht nur die Häftlinge der Konzentrationslager, sondern auch die Soldaten aus den Kriegsgefangenenlagern werden in endlosen Kolonnen nach Westen geschickt.
René Tardi ist dabei. Mit blutigen Füßen und hungrigen Mägen marschieren die französischen Gefangenen kreuz und quer durch Westpreußen und Brandenburg, Mecklenburg und Niedersachsen. Sie durchqueren Waldstücke und ausgebombte Städte, sie kehren um und laufen im Kreis. Sie werden von den Wachleuten geschunden, hoffen nur auf das Kriegsende und freuen sich über ein Stück Brot.
»Der lange Marsch durch Deutschland« ist ein eindrucksvoller Comic. Die Zeichnungen sind in klassischem Schwarzweiß, keine Grautöne, keine Farbe. Das passt zur Geschichte, die lakonisch erzählt wird, mit trockenen Dialogen und immer wieder ergänzt durch historische Details – diese helfen dann, die Ereignisse einzuordnen.
Der Autor lässt nichts aus ... Die Rache der Kriegsgefangenen entlädt sich an ihren Peinigern, aber auch an Zivilisten. Er berichtet von Bombenkrieg und Vergewaltigungen, erzählt von den mörderischen Taten der Deutschen.
Illustriert wird die Geschichte vor allem von den Bildern endloser Marschkolonnen. Anfangs sind es die französischen Kriegsgefangenen, später treffen sie auf KZ-Häftlinge, noch später sieht man immer mehr Scharen von ausgebombten und flüchtenden Deutschen. Das Grauen des Kriegs wird durch die teilweise streng subjektive, dann aber auch durch die manchmal distanzierte Erzählweise eindrucksvoll vermittelt.
»Der lange Marsch durch Deutschland« ist alles andere als leichte Kost, aber ein eindrucksvolles Werk. Tardi hat das Ende des Zweiten Weltkriegs auf seine Weise in einen Comic verwandelt, der keine Heldengeschichten erzählt, sondern die Realität in Bilder fasst. Starkes Werk!
(Erschienen ist der Hardcover-Band in der Edition Moderne: eine schöne Ausgabe, die man auch aus künstlerischen Aspekten wegen der Zeichnungen immer mal wieder in die Hand nehmen kann.)
1 Kommentar:
Auf der Internet-Seite der Edition Moderne gibt es diverse Informationen zu »Ich, René Tardi«, vor allem auch eine Leserobe.
Hier:
https://www.editionmoderne.ch/buch/ich-rene-tardi-band-2/
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