31 März 2021

Erfolgstour für Martin

Es gibt ja nichts, was man in heutiger Zeit nicht mehrfach ausschlachten könnte. Im Dezember 2020 teilte der Sender HBO mit, dass eine Vorgeschichte von »Game of Thrones« in Vorbereitung sei; die Dreharbeiten sollten im Jahr 2021 beginnen. Der Name der Sender ist und war ein wenig vorhersehbar: »House oft he Dragon«.

Mittlerweile werden weitere Details bekannt. Im April sollen schon die Dreharbeiten für »House oft he Dragon« beginnen, und pünktlich zu dieser Ankündigung wurde ausgesagt, dass George R. R. Martin einen Fünf-Jahres-Vertrag mit dem Sender geschlossen habe. Der Autor ist der Schöpfer der Buchreihe »A Song of Ice and Fire«, was bekanntlich die Grundlage für die Fernsehserie ist. (Beim einen oder anderen WorldCon habe ich ihn kennengelernt – über Werner Fuchs, der seit Jahrzehnten als sein Agent tätig ist.)

Martin soll nun weitere Serien für den Sender entwickeln. Ob und wie das klappt, weiß ich natürlich nicht – das weiß noch niemand. Ich finde es spannend. Man kann mit Fantasy im Format einer Fernsehserie offensichtlich Geld verdienen, und dann wird das natürlich getan. Am Ende profitieren andere Autorinnen und Autoren sowie andere Verlage ebenfalls von diesem Erfolg.

Und dem Autor gönne ich das viele Geld, das er mit seinen Serien hoffentlich verdient, sowieso. Möge er noch viele Romane schreiben … und vielleicht mal wieder einen, der mit Rockmusik aus den 60er- und 70er-Jahren zu tun hat. Träumen darf man ja.

Als die Käfer kamen

Ich weiß noch, wie die Katastrophe anfing. Und ich bin sicher, dass wir diesen Anfang als erste sahen. Vielleicht sind wir auch diejenigen, die keine Chance haben werden, dieser Katastrophe zu entkommen. Es kann nicht mehr lange gut gehen.

Dabei sah alles so harmlos aus.

Meine Tochter bemerkte die Veränderung als erste. »Die Marienkäfer sind so seltsam«, behauptete sie, als sie vom Spiel im Garten zurück kam. Ich saß auf der Veranda, ein Buch in der Hand und ein kühles Bier vor mir. Sie baute sich vor mir auf. »Du musst kommen und es dir ansehen.«

Hinter mir drang klassische Musik in dezenter Lautstärke ins Freie. Ich hatte wieder einmal Lust darauf gehabt, mir Debussys Etüden anzuhören. Sie passten, so fand ich, wunderbar zum angenehmen Wetter. Auf meine Tochter und ihre häufig sehr kindlichen Spielwünsche hatte ich eigentlich keine Lust.

Aber ich wollte in den »Papa ist toll«-Charts auf einem der vorderen Plätze landen und nicht in der Hitliste unbrauchbarer Väter verzeichnet werden. Also unterstückte ich den lautstarken Seufzer, der mir über die Lippen kommen wollte, legte mein Buch zur Seite und folgte meiner Tochter.

Sandra war ein aufgewecktes Kind. In ihren Gummistiefeln und mit den Zöpfen, die bei der jeder Bewegung wippten, wirkte sie jünger als sie war. Im nächsten Sommer sollte sie in die Schule kommen. Mir graute schon vor langweiligen Pädagogen, die es sicher bald schaffen würden, Sandra das auszutreiben, was mir manchmal auf die Nerven ging: ihre überschäumende Phantasie, ihre Freude an seltsamen Geschichten und irrwitzigen Bildern.

Als ich um die Ecke bog, zwei Schritte hinter meiner Tochter, blieb ich wie erstarrt stehen. Das war keine Phantasie, das waren keine Kleinmädchenträume: Vor mir sah ich einen Marienkäfer, aber nicht in der üblichen Größe, sondern gut einen Meter durchmessend. Eine schimmernde halbrunde Fläche in Rot, darauf die bekannten Punkte – ganz eindeutig ein Marienkäfer.

Ich reagierte schnell. Bevor Sandra auf das Tier zugehen und es vielleicht sogar streicheln konnte, sprang ich zu ihr, riss sie hoch, behielt sie im Arm und ging drei, vier Meter zurück. Dann holte ich tief Luft und betrachtete den Käfer.

Er wirkte völlig normal, sah man von der irrsinnigen Größe ab. Er fraß gerade in aller Gemütsruhe die Rosenstöcke ab, die in einem schönen Beet standen. Die einzelnen Blätter genügten ihm nicht, er vertilgte auch die dicken alten Strünke. Die Dornen machten ihm nichts aus. Das Geräusch des zersplitternden Holzes und das lautstarke Kauen klangen, als drohe sich der Weltuntergang an.

Ich bin mir heute nicht mehr sicher, ob wir die ersten waren, die auf die Marienkäfer aufmerksam wurden. Wir riefen die Polizei, dann die Presse an. Und noch während die ersten Polizisten mit wichtiger Miene unseren Garten zertrampelten, hörten wir die entsetzten Schreie unserer Nachbarn. Wie es sich herausstellte, war unsere gesamte Vorstadtsiedlung von den Marienkäfern betroffen.

Das alles war nur der Anfang. Die Polizei versuchte alles, um der Tiere Herr zu werden, und setzte irgendwann sogar Pistolen und noch später Gewehre ein. Mobile Einsatzkommandos gingen in unseren Gärten auf Käferjagd, Wasserwerfer rollten durch die Straßen, die Tanks mit leichter Säure gefüllt.

Doch es kamen immer mehr Marienkäfer. Und sie schienen größer zu werden. Während die Tiere nacheinander alle Büsche und Zierbäume in unserer Siedlung vertilgten, schwärmten die Wissenschaftler aus. Biologen und Chemiker, Physiker und Anatomen – sie alle bewiesen eindrucksvoll und durch zahlreiche Grafiken, dass die Käfer nicht so groß sein konnten. Sie würden an ihrem eigenen Gewicht ersticken, die Panzer und die Ernährung konnten nicht funktionieren.

Nach allen Regeln der Wissenschaft gab es die Tiere also nicht. Dummerweise hielten sich die Käfer nicht an die Erkenntnisse der Forscher. Sie durchmaßen mittlerweile im Schnitt eineinhalb Meter und spazierten nicht nur in den Gärten und auf den Straßen unserer Siedlung herum, sondern auch im nahegelegenen Wald. Baumstämme mochten sie nicht sonderlich, aber sie fraßen so lange an ihnen herum, bis die Stämme umkippten und die Käfer sich über das Laub und die feinen Zweige hermachen konnten.

Sie wurden größer, und sie wurden mehr. Die Polizei kapitulierte, das Militär rückte an. Salven aus Maschinengewehren zersiebten Hunderte von Käfern, Granaten zerrissen sie in unappetitlich aussehende Fetzen. Doch das hielt die Tiere nicht davon ab, zu wachsen und sich zu vermehren. So ging es weiter und weiter …

Hinter den Mauern unserer Häuser, die von den Käfern nicht gefressen wurden, sitzen meine Tochter Sandra und ich sowie Tausende anderer Menschen. Wir wissen nicht, ob die Marienkäfer auch Menschen fressen würden, aber ich will es nicht herausfinden. Wir sind organische Materialien, und bisher fraßen sich die Tiere durch so ziemlich alles hindurch. Ich möchte Sandra nicht einem Marienkäfer zum Fraß vorwerfen.

Ich schaffe es wahrscheinlich, bis zur Garage zu kommen, das Auto zu starten und zum Einkaufen zu fahren. Aber ob ich jemals wieder zurückkomme, weiß ich nicht. Wie es aussieht, sind wir dazu verurteilt, im Wohnzimmer zu sitzen und auf unser Ende zu warten.

Für Sandra ist das alles ein riesiger Spaß. Vorher kam sie aufgeregt zu mir gelaufen. »Papa!«, rief sie aufgeregt. »Die Käfer werden noch viel viel größer.«

Zuerst glaubte ich ihr nicht, doch seit einer Minute sehe ich die rote Rundung, die sich am Ende der Straße über die Häuser erhebt. Ich sehe einen dunklen Punkt, der sich auf der Rundung befindet.

»Sie werden immer größer«, murmle ich. Und dabei weiß ich nicht, ob das wirklich das Ende sein wird …

30 März 2021

Eine große und umfassende Science-Fiction-Geschichte, aber ...

Dass etwas zum »Kult« erklärt wird, das – wenn man es genauer betrachtet – doch ganz schön angestaubt wirkt, ist keine neue Entwicklung. Mir fällt das immer wieder bei Themen auf, die bei ihrer Entstehung als modern und aktuell galten.

Zu den großen Klassikern der Comic-Kunst zählt beispielsweise die Science-Fiction-Serie »Die Schiffbrüchigen der Zeit«. Sie entstand in den 70er-Jahren und gilt bis heute als einer der besten Science-Fiction-Serien überhaupt.

In früheren Zeiten erschien sie hierzulande bei Carlsen, in den vergangenen Jahren wurden die zehn Bände in einer sehr schönen Ausgabe bei Splitter veröffentlicht. Ich habe sie nun endlich komplett gelesen und muss gestehen: Die Bilder sind toll, die Geschichten sind abenteuerlich, über Sinnhaftigkeit darf man aber nicht einmal nachdenken. Das macht's dann echt schwierig.

Die Geschichte beginnt in unserer Zeit: Weil die Welt vor ihrem Untergang steht, werden ein Mann und eine Frau mit einer Raumkapsel ins All geschossen. Tausend Jahre später wird der Mann geborgen, er muss sich dann in einer Zeit durchschlagen, die sich völlig von unserer heutigen Gegenwart unterscheidet. Die Menschheit hat sich ins All ausgebreitet, Mutanten und seltsame Mächte spielen eine wesentliche Rolle.

Recht schnell hat unser Held die Sachlage kapiert und kann sich dann seiner wichtigsten Aufgabe widmen: Er sucht die Frau, die damals seine Begleiterin war. Doch längst gibt es eine andere Frau, die sich unsterblich in ihn verliebt hat. Und so beginnt eine Odyssee durch die unterschiedlichsten Schauplätze einer fernen Zukunft.

Das Problem ist – und hier mutiere ich zum spießigen Fanboy –, dass die Handlung zeitweise absolut haarsträubend ist. Warum sich alle Frauen in den heldenhaften Raumfahrer verlieben, wird nicht klar; sie tun's nun mal und verhalten sich in seiner Nähe zänkisch und blöd. Auch alle möglichen Aliens zanken und balgen sich um den Raumfahrer von der Erde, ordnen sich ihm unter oder richten ihre Aktionen an ihm aus.

Wie das ganze Universum funktioniert, ist völlig gleichgültig. Entfernungen spielen keine Rolle. Ob man mit einem Raumschiff zu den Saturnringen fliegt oder in ein anderes Sonnensystem, interessiert ebensowenig wie Grundlagen der Physik und der Biologie. Dinge passieren halt einfach.

Seien wir ehrlich: Die Geschichten, die Jean Claude Forest erzählt, sind herrlich altmodisch. Wer Lust darauf hat, ein großes Science-Fiction-Abenteuer zu erleben, ist hier nicht schlecht bedient. Die Grafik ist sogar richtig überzeugend, Paul Gillon schuf beeindruckende Welten und Aliens. In den 70er-Jahren begeisterte das bildgewaltige Abenteuer sicher zu Recht.

Heute sitze ich ein wenig verwirrt vor den schönen Comic-Büchern und bin ratlos. Die Geschichte ist so haarsträubend, dass letztlich einfach nur tolle Bilder übrig bleiben. Das ist mir im Jahr 2021 dann doch zu wenig. Und ich lerne daraus: Es genügt einfach nicht mehr, nur ein »Kult« zu sein ...

Wenn die Natur so langsam erwacht

Am gestrigen Montag nutzte ich das schöne Wetter, um mein Rad endlich mal für eine längere Strecke aus dem Keller zu holen. Ich radelte in den Norden von Karlsruhe, ein wenig an Neureut vorbei, an den Rhein hinüber, entlang der Seen bei Eggenstein und Leopoldshafen, am Alten Hafen und durch das Naturschutzgebiet zurück.

Weil es recht frisch war, radelte ich mit langer Hose und Pullover los. Den Pullover zog ich rasch aus, weil mir sehr warm wurde; die Hose ließ ich an. Mir begegneten die unterschiedlichsten Menschen: Es gab Leute, die mit Mantel und Schal, Mütze und Handschuhen unterwegs waren. In einem der Dörfer kamen mir zwei Jungmänner mit nacktem Oberkörper entgegen; der eine zeigte stolz seine neue »Patriot«-Tätowierung (vielleicht sah ich das »s« nicht, und es war irgendeine Baseball-Mannschaft aus den USA).

Aber dann war es eben doch die Natur, die mich dazu brachte, ab und zu anzuhalten und einfach nur zu gucken. Der Winter war vorüber, die Pflanzen erwachten sichtlich an allen möglichen Stellen. Es roch nach Frühling, die Insekten schwirrten. Das fand ich schön. 

Und ich freue mich darauf, in diesem Jahr noch öfter mit dem Rad an die frische Luft zu können. Es gibt im Umkreis von vierzig Kilometern schließlich genügend zu sehen und zu tun. (Das Bild stammt aus der Umgebung der Belle.)

29 März 2021

Fußball, Schlager, Punkrock

Kann man eine Nummer 30 als Jubiläum bezeichnen? Eigentlich nicht so richtig. Trotzdem habe ich mich sehr gefreut, als ich in der aktuellen Ausgabe 155 des OX-Fanzines die Folge 30 meines Fortsetzungsromans »Der gute Geist des Rock'n'Roll« gesehen habe. Das heißt, dass ich auch schon mehrere Jahre an diesem Roman schreibe und alle zwei Monate meine eineinhalb Seiten im OX fülle.

In der aktuellen Folge, die wieder im Jahr 1996 spielt, greife ich zwei Themenpaaren auf, die in dieser Zeit durchaus relevant waren: Schlager und Punks sind das eine Thema, Fußball und Punks das andere. Beides passt eigentlich nie so richtig zusammen, und doch waren sie in den 90er-Jahren immer wieder mit dabei.

Ich erinnere mich an manche Party, bei der wir lauthals dämliche deutsche Schlager mitgesungen haben; ich war auf Schlager-Partys im besetzten Haus in Karlsruhe oder in den Autonomen Zentren in Mannheim und Heidelberg. Und Fußball guckte ich bei jeder Gelegenheit; mangels eigenem Fernseher saß ich bei Freunden in der Studentenwohnung herum oder zeckte mich in Kneipen ein, wo ich auf manchen Deutschlandbegeisterten stieß.

Heute stelle ich fest, dass ich Schlager nicht einmal mehr mit ironischer Distanz lustig oder gar gut finde. Und mein Interesse an Fußball ist im Jahr 2021 sehr geschwunden. So ändern sich die Dinge ... und so erweist sich eben eine Fortsetzungsgeschichte auch als ein Blick in die eigene Vergangenheit.

27 März 2021

Der Totengräber bei Audible

»Totengräbers Tagebuch« von Volker Langenbein erschien im Juni 2019, und ich weiß noch sehr gut, wie froh ich damals über die Veröffentlichung war. Seit dem November 2020 gibt es auch die Hörbuchversion dazu, die ich bislang nicht angehört habe. Angesichts der Tatsache, dass ich alle Geschichten aus dem Buch irgendwann an der Theke im »fünf« gehört hatte und meine Beschäftigung mit den Texten sehr intensiv war, leuchtet das hoffentlich ein.

Heute sah ich mir mal an, wie das Hörbuch auf der Audible-Seite bewertet wird. Das ist teilweise sehr positiv. Der Sprecher Alex Bolte gebe »jeder Person ein individuelles Gesicht«, heißt es beispielsweise. »Er überträgt alle Facetten der Emotionen und Stimmungen!« Das ist ein schönes Kompliment, das freut mich.

Klar findet nicht jeder Hörer alles gut, deshalb gibt es auch negative Bewertungen. Unterm Strich kommt das Hörbuch aber sehr gut weg. Vielleicht sollte ich es mir doch einmal anhören ..,

26 März 2021

Kurzer Blick aufs Schloss

In meinen ersten Jahren, die ich in Karlsruhe wohnte, ignorierte ich das Schloss – dabei bildet es nicht nur das eigentliche Zentrum der Stadt, sondern stand auch am Anfang. Alle Geschichten über den Gründungsmythos der Stadt lasse ich an dieser Stelle weg ... Mittlerweile mag ich das Gebäude, wenngleich ich so gut wie nie in sein Inneres gehe.

In den vergangenen Jahren bildete es die Kulisse für die wunderbaren Schlosslichtspiele. Diese fielen 2020 wegen der Pandemie aus. Und auch 2021 sehe ich mich noch nicht mit Tausenden von Menschen zum Schloss zu pilgern, um dort auf dem Boden zu sitzen, Bier oder Wein zu trinken und beeindruckende Shows zu sehen, die auf das Schloss projiziert werden.

Immerhin treibt das schöne Wetter dieser Tage die Menschen wieder zum Schloss. Erste kleine Gruppen bevölkern die Grünflächen und die angewärmten Steine. Die meisten Leute achten auf die Abstandsregeln, alles in allem ergibt das ein Bild, das ich positiv finde.

Mit Blick auf das Hotel

Ich saß ein wenig unbequem, fühlte mich aber richtig gut. Meinen Rücken drückte ich gegen die Lehne einer hölzernen Bank, meine Beine streckte ich aus. Der Wind war kühl, aber die Sonne strahlte so grell, dass ich meine Mütze immer in die Stirn drückte, um genügend Schatten zu haben. Wollte ich mit meinem Notebook schreiben, musste ich mich entsprechend setzen, um direktes Licht auf den Bildschirm zu vermeiden.

Vor mir erstreckte sich die Hafenrundung von Cala Rajada, dahinter kam die Uferpromenade, die sich nach Süden erstreckte. Wie weit es bis zu dem Hotel war, in das ich mich einquartiert hatte, wusste ich nicht, zwei Kilometer, vielleicht auch drei. Die Küste verschwamm vor meinen Augen, irgendwo vor mir musste sich aber das Hotel erheben.

Das fand ich ansprechend. Ich schrieb, ließ die gelassene Stimmung der fast menschenleeren Kleinstadt auf mich wirken und notierte die Dinge, die mir beim Spaziergang eingefallen waren. Körperliche Bewegung setzte zuverlässig mein Hirn in Bewegung, das hatte ich im Verlauf der Jahre herausgefunden. Wenn ich zwei Kilometer spaziert war, musste ich die Ideen, die ich im Kopf gewälzt hatte, unbedingt aufschreiben, damit ich sie nicht gleich vergaß.

Dass sich ein Mann neben mich stellte, registrierte ich nicht gleich. Er stand auf einmal neben der Bank, die ich allein belegte, und sah auf den Hafen hinunter. Warum setzte er sich nicht einfach auf die Mauer, die aus unbehauenen Steinen errichtet worden war und dem Hafen einen »urigen« Eindruck verlieh? Dort hätte er mich nicht verwirrt.

»Guten Tag«, sagt der Mann zu mir auf deutsch.

Ich sah zu ihm auf. »Guten Tag«, gab ich zurück. Wieso wusste er, dass ich ein Deutscher war? Zwar galt Mallorca als die »Insel der Deutschen«, aber wir schrieben Februar, und die Touristenorte waren noch weitgehend menschenleer.

»Das Buch«, sagte er. Offenbar bemerkte er meinen verwirrten Blick, und er fügte hinzu. »Ich sah das Buch hier, und daraus schloss ich, dass Sie aus Deutschland sind.«

Tatsächlich lag neben mir ein Buch: ein amerikanischer Krimi in deutscher Übersetzung. Ich hatte mich mit Rucksack, Notebook und Buch so auf der Bank ausgebreitet, dass jedem Passanten klar wurde, dass ich allein gelassen werden wollte. Anscheinend klappte das nicht immer.

Ich grinste hilflos. »Na ja, Urlaubslektüre«, gab ich zurück.

Der Mann machte einen freundlichen Eindruck. Ich schätzte ihn auf Ende fünfzig: ziemlich gebräunt, sportlich-kurze Hosen, schneeweiße Turnschuhe, ein Marken-T-Shirt, kurze graue Haare, eine Baseballkappe auf dem Kopf, einer von der Sorte, die im Urlaub viel joggten, um garantiert nicht zuzunehmen.

»Und was schreiben Sie da?«, fragte er und wies auf meinen Bildschirm. Offensichtlich hatte er Redebedarf.

»Eine Mail an meine Frau«, log ich.

»Haben Sie hier WLAN?«

»Sicher nicht. Aber hier kann ich mich sortieren und alles schön aufschreiben. Vom Hotel aus schicke ich die Mail dann ab.«

Er nickte. Meine Antwort schien ihn zu überzeugen und gleichzeitig zu befriedigen. Wir wechselten noch zwei, drei Floskeln, wünschten uns gegenseitig einen »schönen Urlaub«, und er zog ab. Mit energischem Schritt ging er in eine Seitenstraße hinein, die vom Hafen weg und zur Uferpromenade auf der anderen Seite des Ortes führte.

In Gedanken seufzte ich. Lügen mochte ich nicht. Aber ich hätte dem Mann nicht die Wahrheit sagen können. Was hätte ich denn erzählen sollen?

»Ich schreibe gerade über einen Jugendlichen, der von einem Zauberer mit dem Geist eines Wolfes belegt wird und der sich dadurch zu einer Waffe für eine verbrecherische Besatzungstruppe entwickelt.«

Es wäre die Wahrheit gewesen, aber er hätte mich entweder für verblödet oder für gefährlich gehalten.

»Manchmal wird die Welt durch eine Lüge einfach ein bisschen besser«, sagte ich zu mir selbst. Niemand war mehr in meiner Nähe, niemand würde den Satz hören.

Ich blickte in die Ferne. Die Küstenlinie verschwand im Dunst, Möwen flogen kreischend über den Hafen hinweg, es roch nach Salz und Bratenfett. Aus weiter Ferne hörte ich Straßenlärm, jemand hupte.

Dann beugte ich mich wieder über meine Tastatur. Ich musste mich ernsthaft um meinen jugendlichen Helden und seine Probleme kümmern.

25 März 2021

Frisch bei der Wehrmacht

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Es gibt von meiner Familie nur wenige fotografische Dokumente. Einen privaten Apparat besaßen einfache Handwerker und Kleinbauern vor dem Krieg nicht, also gingen sie zu einem Fachgeschäft. So auch meine Vater mit meinen Großeltern: Irgendwann in der ersten Hälfte des Jahres 1943 wurde er von einem professionellen Fotografen abgelichtet – in einer einfachen Wehrmachts-Uniform.

Sonderlich glücklich sieht mein Vater auf diesem Bild nicht aus. Ob er schon ahnte, in welches Gemetzel er ziehen würde? Er hatte sich nicht freiwillig zur Wehrmacht gemeldet, sondern war verpflichtet worden. Als Angehöriger des Jahrgangs 1925 war er 1943 noch beim bewaffneten Reichsarbeitsdienst in Frankreich. Er erzählte mir, er sei in Besancon eingesetzt gewesen.

Er musste nach Russland, kam an die Rollbahn und zur 78. Sturmdivision. Weihnachten 1943 verbrachte er in einem Schützenloch irgendwo zwischen Smolensk und Orscha. Davon kann dieses Foto natürlich nicht erzählen.

Split zwischen Straßburg und Köln

Zwei Bands, die in den Zehner-Jahren mit ihrem modernen Hardcore auf sich aufmerksam machten, auf einer EP mit insgesamt drei Stücken: Ich habe mir dieser Tage mal wieder die Platte angehört, die Geraniüm und Finisterre im Jahr 2013 gemeinsam veröffentlicht haben. Es ist immer ein dynamischer Hardcore-Sound, bei dem es sich lohnt, auch mal genauer hinzuhören – nicht nur schnelles Geknüppel.

Die Band Finisterre aus Köln kannte ich schon. Ihr Sound ist wuchtig; die Band hat eine metallische Kante und einen ausdrucksstarken Sänger. Die Texte sind mal in deutsch, mal in englisch, und man braucht natürlich ein Textblatt, um sie zu verstehen. Die Stücke sind weit vom Uffta-Uffte-auf-die-Fresse-Sound vieler Hardcore-Bands entfernt, sondern abwechslungsreich: von ruhigem Geklimper am Anfang bis hin zu Passagen, bei denen ich durch mein Zimmer hüpfen möchte.

Auffallend ist dann noch, wie die Band Geraniüm aus Straßburg ihren Hardcore spielt. Das Stück auf der »G«-Seite der Platte ist sechseinhalb Minuten lang, das geht nicht nur von der Länge her fast in die Richtung von Prog-Rock. Die Stimmung baut sich langsam auf, die Gitarren singen und steigern die Spannung, es dauert echt eine Weile, und dann setzt der prügelnde Hardcore-Sound ein, unter dem sich eine Melodie quasi hervorschält. Vergleiche zu alten Neurosis-Stücken drängen sich da bei mir auf.

Das ist nicht unbedingt der Hardcore, den ich ständig und gern anhören kann – aber ein intensiver Sound, stark gemacht. Die Kollegen aus Köln sind dagegen ein wenig eingängiger. Insgesamt aber eine gelungene EP mit schöner Gestaltung.

24 März 2021

Nicken und Blicken

Eine Geschichte, die ich immer wieder gern erzähle, aber bisher nie verschriftlicht habe: In den 80er-Jahren arbeitete ich als freiberuflicher Lektor für Western und Krimis, die als Heftromane veröffentlicht wurden. Jede Woche redigierte ich einen Heftroman. Das war zeitweise sehr anstrengend, weil ich flott sein musste.

Ein Autor liebte es, bei seinen Western den Figuren lange Namen zu geben. Damit konnte man gut Zeilen schinden und ohne viel Arbeit einen Roman länger machen. Vor allem auch deshalb, weil man so schnell einen Absatz füllen konnte.

Er nahm Figuren, die Jonathan Waterman oder Joseph O’Mohannan hießen. Und die ließ er gern nicken und blicken, nachdenklich schauen durften sie auch ständig.

»Jonathan Waterman nickte bedächtig und blickte Joseph O’Mohannan an.« Mit so einem Satz füllte man zwei bis drei Zeilen, damit war ein Absatz gefüllt.

Klammheimlich bewunderte ich die effektive Arbeitsweise des Schriftstellers. Gleichzeitig ging er mir damit auf die Nerven: Engagiert wie ich war, versuchte ich solche Formulierungen wegzuredigieren – ohne dass der Roman dadurch zu kurz wurde … Es war eine harte Schule, und ich denke erstaunlich oft und gern an sie zurück.

Social Fiction in der nahen Zukunft

Ich halte Robert Charles Wilson für einen der besten Science-Fiction-Autoren der neueren Zeit. Seite Weltentwürfe – wie in »Spin« – sind cool, seine Art, Menschen zu beschreiben, ist für mich stets nachvollziehbar. Zuletzt las ich von ihm den Roman »Netzwerk«, der in einer nicht näher beschriebenen und zugleich sehr nahen Zukunft spielt.

Wilson nimmt einen Studenten als Hauptfigur, aus dessen Sicht er die gesamte Geschichte erzählt. Dieser meldet sich bei einem neuen Persönlichkeitstest einer bislang unbekannten Firma an. Nachdem er den Test absolviert hat, wird er einer sogenannten Affinität zugeordnet, eine Gruppierung also, in die man die Menschen einteilt. Die Idee der Firma ist, Menschen in sogenannte Zweige einzuordnen, damit sie in die Gesellschaft anderer Menschen kommen, mit denen sie kompatibel sind.

Das klingt im ersten Moment sehr abstrakt, hat aber eine starke innere Logik. Die Filterblasen, die Facebook beispielsweise erstellt und in denen man sich innerhalb dieses Social-Media-Universums bewegt, sind nichts anderes als ein direkter Vorläufer für das, was Wilson in »Netzwerk« beschreibt: Menschen gliedern sich mehr oder weniger freiwillig in digitale Netze ein, in denen sie sich künftig bewegen.

Aber natürlich ist das hier kein Sachbuch, sondern ein Roman. Und Wilson ist ein Autor, der bewusst Dinge weglässt, wenn er einen Roman verfasst. »Netzwerk« ist ein sehr gutes Beispiel dafür.

Der Autor interessiert sich beispielsweise nicht für die technische Weiterentwicklung der Menschheit – wer darauf hofft, wird sicher enttäuscht sein –, und er schreibt nur wenig darüber, wie sich die Welt der Zukunft politisch präsentiert. Es gibt eben einen Konflikt in Südasien, der sich auf die gesamte Welt auswirkt. Mehr erfährt man beim besten Willen nicht.

Wilsons Darstellung eines Netzwerkes finde ich allerdings spannend. So könnte sich ein Gebilde wie Facebook weiter entwickeln, so wäre es glaubhaft zu Ende gedacht. Wenn sich innerhalb von Netzwerken gewisse Gruppierungen ausbilden, die dann versuchen, auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen, wären die bisherigen Diskussionen um Fake-News und Filterblasen eher albern.

So ist der Roman tatsächlich spannend, wenngleich er ohne weitergehende Action auskommt. Wilson erzählt, wie seine Hauptfigur immer tiefer in das Netzwerk einsteigt, wie sie immer mehr davon erfährt, wie es funktioniert, und wie irgendwann mal weitgehende Konflikte beginnen, in denen es um Mord und Verfolgung geht.

»Netzwerk« ist ein Science-Fiction-Roman aus der nahen Zukunft, den man übrigens jederzeit auch Leuten in die Finger drücken kann, die sonst keine Science Fiction lesen. Er beginnt zwar verhalten, wird aber immer spannender. Der Autor kann schreiben, und er schafft es stets, für seine Charaktere das entsprechende Interesse aufzubringen. Man folgt ihnen gern durch die Handlung und bleibt so stets auf ihrer Augenhöhe.

Der Autor hat sicher wichtigere Werke veröffentlicht, vor allem ist »Spin« ein absolutes Meisterwerk. Mit »Netzwerk« liegt aber ein sehr gelungener Science-Fiction-Roman vor, der zudem prächtig zu unterhalten weiß.

(Im Heyne-Verlag erschienen, als Taschenbuch und E-Book. Gibt's bei allen relevanten Shops und klassischen Buchläden.)

23 März 2021

Neuer Weg für Twentysix

Der Markt für Selfpublisher konsolidiert sich; offensichtlich kann man damit Geld verdienen, muss sich aber spezialisieren. Da sieht man an der Firma Twentysix. Die wurde 2015 bereits gegründet: als ein Portal, dass BOD und Random House gemeinsam betrieben. BOD sollte die technische Arbeit übernehmen, sprich, die Bücher drucken und vertreiben, und Random House wollte sich bei den erfolgreichen Autorinnen und Autoren bedienen.

Ob und wie das funktioniert hat, weiß ich natürlich nicht. In meiner Wahrnehmung wurden zwar immer wieder Selfpublisher von den großen Verlagen übernommen, aber es war nie so richtig klar, welche Gründe dafür vorlagen. Ob die Verlage wirklich bei den Selfpublishern und ihren Werken nachgucken, oder ob sie sich da auf Scouts verlassen?

Random House hat sich neuerdings bei Twentysix zurückgezogen. Das Portal macht allein weiter. Wie die Internet-Seite sagt, spielt der Makenname »auf die 26 Buchstaben des Alphabets an, aus denen Autorinnen und Autoren ihre Erfolgsgeschichten entstehen lassen«. Eine wunderbare Formulierung.

Man hat das Programm auf jeden Fall klarer strukturiert. Mit Love, Epic und Crime hat man sich auf die wichtigsten Genres konzentriert, zumindest sieht das so aus: Bei Love geht's um Liebesgeschichten – der Titel lässt hier wenig Raum für Spekulationen –, während Crime sich ebenso logisch mit Krimis und Thriller beschäftigt.

Epic ist dann das, was für Menschen wie mich interessant ist oder sein könnte. Spannend finde ich die genannten Genres: Fantasy, Science-Fiction und Dystopien werden genannt – eine Dystopie gilt neuerdings als eigenständiges Genre. Das ist ein diskutabler Standpunkt, aber gut ...

Ob und wie Twentysix erfolgreich sein wird, kann ich nicht beurteilen. Ich finde es wieder einmal spannend, quasi live zu verfolgen, wie der Markt für Selfpublisher immer weiter entwickelt wird.

In den 80er-Jahren wurde ein Krimi-Klassiker härter

Ich mag die Geschichten des Detektivs Rick Master, darüber schrieb ich schon einige Male. Und ich mag vor allem die Gesamtausgabe, die im Splitter-Verlag veröffentlicht wird. Der Band 13 dieser Ausgabe fasst drei Geschichten zusammen, die erstmals in den 80er-Jahren herauskamen – ich kannte sie bisher allesamt nicht.

Recht verwundert war ich darüber, wie »hart« sie eigentlich sind. Es gibt in jeder Geschichte gleich mehrere Morde, das Drumherum ist häufig sehr mysteriös angelegt, und die unheimlichen Ereignisse, die von den Machern erzählt werden, haben einen leichten Hauch von Grusel. Das ist spannend und wirkt wesentlich erwachsener als in den Anfängen der Serie. Oder hätte man sich in der Frühzeit der Serie vorstellen können, dass der brave Detektiv im Kampf einen Gegner ersticht?

»Vermisst in der Hölle« ist hochpolitisch; der Fall spielt in einem südamerikanischen Staat, der von einer Diktatur beherrscht wird. Die Armen kämpfen verzweifelt gegen die Armee, es gibt brutale Polizisten und tapfere Widerständler. Wahrscheinlich spielt die Geschichte auf die Militärherrschaft in Ländern wie Argentinien an. »Rick Master« als Comic ergreift erstaunlich offen Partei, obwohl es natürlich keinerlei Hinweise auf ernsthafte politische Inhalte gibt.

»Der tödliche Doppelgänger« hat die Landschaft Südfrankreichs als Kulisse. Reiche Menschen in einem Yachthafen, entspannte Stimmung am Mittelmeer – und dann gibt es den ersten Mord.. Die Geschichte um einen angeblichen Doppelgänger und die unheimliche Mordserie ist spannend erzählt, bleibt immer ein wenig altmodisch.

Mit Horror-Motiven beschäftigt sich »Das Haus der Rache«. In einem Haus, das angeblich verflucht worden ist, geschehen merkwürdige Dinge. Feuer schlägt aus einem Kamin, ein Loch öffnet sich im Boden, Türen zerbrechen. Ist es ein Poltergeist, steckt vielleicht wirklich ein alter Fluch dahinter? Der tapfere Detektiv glaubt das nicht und kommt hinter ein Komplott

Witzig ist in dieser Geschichte die Versammlung, zu der Rick Master reist. Es ist ein Treffen französischer Krimi-Autoren – und der größte Teil der Anwesenden sind echte Personen, die hier karikiert werden. Für den deutschen Leser von heute sind sie schwer auszudeuten, weil unsereins sich nicht gerade mit der französischen Krimischreiber-Szene der 80er-Jahre auskennt – die Leser in jener Zeit hatten sicher ihren Spaß.

Der dreizehnte Band der »Rick Master«-Gesamtausgabe hat mich erneut gefesselt: Die Storys entfalten ihren Charme nach wie vor, und die redaktionellen Seiten ergänzen das Ganze durch Skizzen, Fotos und allerlei Hintergründe. Klasse!

22 März 2021

Shame aus London

Fünf junge Männer aus London, die auf ihrer ersten Platte richtig lieb in die Kamera gucken, lustige Tiere in der Hand, mit adretten Frisuren und recht normalen Klamotten: Das ist die Band mit dem hübschen Namen Shame, deren Platte »Songs of Praise« bereits 2018 erschienen ist und die mir richtig gut gefällt.

Ob das nun Punkrock ist oder »nur« IndieRock, ist mir völlig egal. Die Platte enthält zehn Stücke, und die sind ganz schön abwechslungsreich. Die fünf Typen, die sich angeblich seit ihrer Schulzeit kennen und The Fall als wichtigen musikalischen Eindruck nennen, bringen einige recht knallige Stücke wie »Tasteless«, bei denen ich automatisch zu wackeln anfange, aber auch textstarke Stücke wie »The Lick«, in denen es weniger Melodie als Sprechgesang gibt.

Vergleiche fallen mir derzeit schwer; mit den meisten Punk-Bands kann ich Shame kaum in eine Schublade stecken. Ihre Stücke sind meist melodiös und rockig, sie laden nicht unbedingt zum Pogo ein, vor allem nicht zu dessen verschärfter Variante, und klingen halt eher so, als seien sie für ein studentisches Publikum gedacht.

Das würde auch zu den Texten passen, die weit entfernt sind von knappen Punkrock-Zitaten und sich eher auf alltägliche Konflikte und Szenen konzentrieren. Das aber macht die Band so gut und so interessant, dass ich mir die Platte seither mehrfach anhören konnte. Man kann sicher sehr gespannt darauf sein, wie die weitere musikalische Entwicklung von Shame sein wird …

Wochenausklang

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Es wird zwar langsam Frühling, was ich stets und sehr zuverlässig an meiner Nase merke. Sie juckt immer häufiger, auch wenn es nicht so aussieht, als ob meine »Feindbäume« gerade ihre Pollen verstreuten. Leider ändert das Frühjahr nichts an der generellen Arbeitsüberlastung.

Kein Gejammer jetzt, ich hab's mir selbst ausgesucht. Wenn der Samstag und der Sonntag allerdings nur noch aus Arbeit zu bestehen scheinen, gibt es am Sonntagabend eben nur eine sinnvolle Möglichkeit: nach dem Abendessen einen Grappa ... Damit zumindest das Glas mit seinem Inhalt das Ende der Woche markiert.


21 März 2021

Ich bin in einem Podcast

Ein Fan meiner eigenen Stimme bin ich nicht – und trotzdem habe ich mir über eine Stunde lang ein Interview mit mir angehört. Der Grund: Die Folge 58 des OX-Podcasts beschäftigt sich mit mir. Joachim Hiller, der Herausgeber der Zeitschrift, führte ein umfangreiches Interview mit mir – wir unterhielten uns via Zoom, nicht »live« –, und das kann man sich jetzt anhören.

Wir springen thematisch ganz schön durch den Gemüsegarten, und ich kann nur hoffen, dass es für Außenstehende trotzdem unterhaltsam und auch ein wenig informativ ist. Unter anderem geht es um meine Jugend im Schwarzwald, mein Fanzine, meine Reisen nach Afrika, meine Punk-Erfahrungen, meinen Fortsetzungsroman und natürlich auch um meine Arbeit als Redakteur einer Science-Fiction-Serie.

Man kann den Podcast jetzt überall dort hören, wo es Podcasts gibt. Angegeben sind unter anderem Spotify, iTunes, Amazon und Deezer. Ich empfehle natürlich den direkten Zugang über die Internet-Seite des OX.

20 März 2021

Pogo zu einem Bumerang

Es gibt immer wieder Musikstücke, die in mir wahre Erinnerungsschübe auslösen. Das muss nicht unbedingt positiv sein. Dieser Tage fuhr ich mit dem Auto zum Getränkemarkt, als ein Lied im Radio kam, das ich zuerst ausschalten wollte, weil es mit einem stumpfen Beat losging. Dann aber erkannte ich es, und ich musste lachen.

Ich hörte es bis zum Ende an. Es war »Boomerang« von Blümchen – und wie habe ich diese Sängerin und ihr Gesinge vor 25 Jahren gehasst! Der Sommer 1996 war mit vielen spannenden Ereignissen angefüllt. Zum Soundtrack dieses Sommers zählt aber auch Blümchen. Man nannte das im Allgemeinen ja eher Deppen-Techno, und die Zeitschrift »Frontpage« schrieb gern von »Deppen-Techno für Techno-Deppen«.

Aber das ist alles lange her, die Zeit heilt viele Wunden, sogar solche, die eher musikhistorisch zu verstehen sind. Ich lächelte, während das Stück im Radio lief. Ich erinnerte mich daran, wie Leute zu diesem Stück begeistert getanzt hatten und gehüpft waren.

Ich konnte Blümchen und dieser unfassbar blöden Musik nach einem Vierteljahrhundert einfach nicht mehr böse sein. Theoretisch kann man dazu ja sogar Pogo tanzen.

Ein besseres Zeichen dafür, dass ich langsam alt und gemütlich werde, lässt sich wohl kaum finden. Und deshalb alle zusammen: »Wie ein boom boom boom boom Boomerang / komm ich immer wieder bei dir an …«

19 März 2021

Am Rio Negro

Der zweite Teil des sogenannten Inka-Zyklus spielt wieder auf mehreren Handlungsebenen: Wenn ich mir ansehe, wie das Team von Zaubermond-Audio in »Am Rio Negro« mit Zeiten und Räumen jongliert, wird mir fast schwindlig. Allerdings: Die spannende Handlung im »Dorian Hunter«-Hörspiel 37 läuft in sich stimmig ab, auch wenn es unterschiedliche Personen gibt, aus deren Perspektive erzählt wird.

Als Vorlage für dieses Hörspiel dienten Romane von Ernst Vlcek, in denen der Schriftsteller einige südamerikanische Mythen und historische Ereignisse genommen hatte, um sie mit seinem eigenen Kosmos zu verbinden. Konquistadoren und Inkas spielen mit, ein Gott des Todes taucht auf, dazu ein Kapitän, der von einem Dämon besessen ist – und das ist nur die Handlung in der Vergangenheit.

In der Gegenwart erweist sich der titelgebende Held, eben Dorian Hunter, nicht gerade als sympathischer Mensch. Er schnauzt seine Begleiter an, er ist schnell mit der Hand am Revolver, er weiß alles besser – eine Mission treibt ihn an, und er ahnt, dass sein Freund Jeff Parker mit seiner Expedition in Schwierigkeiten steckt.

Jeff und seine Leute sind nämlich unterwegs, weil sie El Dorado suchen – so wie die Konquistadoren in der Vergangenheit. Das alles ist geschickt erzählt und macht durchaus Spaß. Mich packen die Hörspiele des Inka-Zyklus bislang noch nicht so sehr wie die Geschichten, die in Europa spielen. Aber das ist angesichts der Gesamtqualität der Serie ja wirklich »Jammern auf höchstem Niveau«.

Ein Vogelkonzert

Ein Dorf in der Nähe von Rastatt, ein Industriebetrieb, vor dem ich aus Gründen halte, die beruflicher Natur sind, ein sehr früher Abend im März 2021, die Dämmerung bricht langsam herein. Ich werfe den Briefumschlag ein, der mich an diesen Ort geführt hat, und bleibe auf einmal auf der Straße stehen.

Der Lärm ist seltsam, und ich kann ihn nicht gleich einordnen. Es klingt nicht nach einem Vogel, sondern es klingt nach einer Million Vögeln, doch ihr Zwitschern hat einen Beiklang von Metall.

Ich wende mich um und blicke in alle Richtungen. Dann sehe ich den Baukran, keine 200 Meter von mir weg. Schwärme von Vögeln steuern ihn an, sitzen überall auf seinem Ausleger oder in den Verstrebungen. Sie alle zwitschern, und in der Gesamtheit erzeugt es einen wahren Orkan aus Vogelgesang.

Ich bin beeindruckt. Kleine Vögel, großer Lärm. Es sind die kleinen Dinge im Leben, die einen Eindruck hinterlassen.

18 März 2021

Ein Gedicht im Sonnenwind

Die zweite Ausgabe des Fanzines »Sonnenwind« erschien im Jahr 1984. Das war das Jahr, in dem ich mein Abitur baute, immer mehr für die Zeitung schrieb, ständig per Anhalter unterwegs war und am Ende sogar zur Bundeswehr ging. Und offensichtlich hatte ich einen Drang zur Lyrik, der in dieser Zeit zum Ausbruch kam.

»Sonnenwind« hatte eine Auflage von 500 Exemplaren, zumindest gibt das Impressum diese Aussage. Einer der Herausgeber war Andreas Wittmer aus Göppingen; ihn lernte ich bei einem Con in Stuttgart kennen, wenn ich mich recht erinnere. Sein Fanzine gab er mit anderen Leuten aus der Gegend von »hinter Stuttgart« heraus. Leider hatte es nicht lange genug Bestand.

Mein Text nannte sich »Suchen nach dem Tanz« und galt wohl als Science-Fiction-Lyrik. Die Seite aus dem Fanzine präsentiere ich jetzt an dieser Stelle. So war das 1984.

OHL auf CD gehört

Irgendwann ertappte ich mich dabei, dass ich mitbrüllte: »Nieder – nieder – nieder – nieder mit dem Warschauer Pakt!« Ich fuhr durch die Nacht, im Auto lief die OHL-Platte, die vor über zehn Jahren bei Teenage Rebel Records erschienen war, und ich stellte fest, dass ich mich in einen Teenager verwandelte. Mit kindlicher Freude schrie ich die Textzeilen hinaus, die schon anfangs der 80er-Jahre eher peinlich waren, damals aber schwerstens provozierten.

OHL, schön ausgeschrieben Oberste Heeresleitung – das empfand ich in den Nuller-Jahren eher als Lachnummer, heutzutage ist die Band von meinem Radar verschwunden. Die Platte von Teenage Rebel Records landete aus Interesse in meinem CD-Player und hielt sich dort überraschend lang.

In der ersten Hälfte der 80er Jahre war die Band aus Leverkusen und Köln eine echte Nummer, auch wenn ich sie nie sonderlich beeindruckend fand. Die vierte Platte mit dem Titel »Jenseits von gut und böse« fiel 1986 bei der damaligen Punk-Presse ziemlich durch.

Kein Wunder, die Mischung aus Punk und Gothic gefiel damals nur den wenigsten. Das war weit entfernt von Hardcore oder ruppigem Deutschpunk, eher melodiös und ruhig, fast schon pathetisch. Ich kaufte mir die Platte damals, und ich fand sie gut; zwischen Negazione und Kafka Proses passten damals eben auch Lords Of The New Church und eben diese OHL-Platte.

Die wurde 2006/2007 bei Teenage Rebel neu aufgelegt. Rüdiger Thomas kombinierte die Original-Platte mit sieben Live-Stücken von 1986 sowie zwei Proberaum-Aufnahmen von 1985. Für Sammler, die das Original nicht haben, ist das essentiell; für Leute, die heute OHL allen Ernstes gut finden, sowieso, und für alle anderen sollte die CD zumindest einen Blick wert sein: Diese Band hatte früher wirklich ihre Qualitäten.

17 März 2021

Meine letzte Nacht von 1983

»Wir gingen langsam spazieren, sahen uns die Galerien an, amüsierten uns über auffallende Passanten und spielten Versteck und Fangen auf der Fahrbahn, alberten rum, als seien wir Kinder. In einem kleinen Bistro lud sie mich zu einem Bier ein, und in einem billigen Restaurant opferte ich einige meiner wenigen Francs für zwei weitere Bier, und am Eingang einer Metro-Station hielt ich sie in den Armen und wollte sie nicht mehr loslassen. Passanten gingen gleichgültig vorbei; in Paris achtet niemand darauf, wenn sich zwei junge Menschen auf offener Straße umarmen und küssen.«

Das ist ein Auszug aus der Kurzgeschichte »Die letzte Nacht«, mit der ich mich dieser Tage beschäftigte. Wann sie genau von mir geschrieben wurde, lässt sich nicht mehr genau herausfinden. 1983 war ich in Paris, also dürfte die Geschichte im Sommer oder Herbst 1983 entstanden sein, auf jeden Fall noch während meiner Schulzeit. Warum ich in einer Zeit, in der ich mich vor allem für Science-Fiction-Romane aller Couleur begeisterte, ausgerechnet eine traurige Liebesgeschichte schreiben wollte, weiß ich nicht mehr.

Ich versuchte damals offensichtlich, den Stil von Charles Bukowski zu imitieren. Von ihm hatte ich zuvor alle Kurzgeschichtenbände gelesen, die als Taschenbücher bei Fischer erschienen waren, dazu die Gedichte, die Maro veröffentlichte. Das merkt man an gewissen Formulierungen immer noch deutlich, die bemüht »lakonisch« sind oder die am Anfang darauf anspielen, dass der Ich-Erzähler offensichtlich darüber zumindest nachdenkt, Prostituierte anzusprechen. Heute kommt mir das extrem peinlich vor.

Das »Pop-Inn«, in dem die Geschichte ihren Anfang nimmt, gab es wirklich, alles andere war natürlich frei erfunden. Was auch stimmt, ist der damals bei mir übliche Mangel an Geld. Da musste man sich an einem Bier dann schon mal einen Abend lang festklammern …

Die Geschichte zeigte ich damals meinem Deutschlehrer, der nicht so viel mit ihr anfangen konnte. 1984 wurde sie in dem Fanzine »Sonnenwind 1« veröffentlicht, das von Science-Fiction-Fans aus dem Raum Göppingen herausgegeben wurde. Es war der einzige Text in dem Heft, der in der Realität spielte. Wobei diese Realität allerdings genauso erfunden war wie jede Science-Fiction-Geschichte im redaktionellen Umfeld …

Als ich sie dieser Tage endlich mal auf neue Rechtschreibung umstellte, fand ich sie noch weitestgehend lesbar. Das kann man nicht über jeden meiner Texte aus dieser Zeit sagen.

16 März 2021

Moderne Technik, klassischer Detektiv

Bei einer Comic-Reihe, in der alle Geschichten im »Hier und Jetzt« spielen, ist es spannend, wie sich Gegebenheiten ändern. Bei der französischen Reihe »Rick Master«, in der über fünfzig Jahre hinweg neue Krimis erschienen sind, lässt sich das wunderbar beobachten: Auch wenn die Figuren nie älter wurden, änderten sich Frisuren, Geschlechterrollen und inhaltliche Ideen.

Schön zeigt das Band 21 der Gesamtausgabe, die jeweils in Form dicker Hardcover-Bände im Splitter-Verlag erscheint. Die einzelnen Geschichten, die dieses Buch zusammenfasst, wurden zu Beginn der Nuller-Jahre geschrieben und gezeichnet, und das »Rick Master«-Team griff die damals aktuellen Themen auf. Das wirkt aus heutiger Sicht manchmal sehr antiquiert.

In »Der Vertrag des Jahrhunderts« geht es um den Versuch eines reichen Mannes, die Zeitung zu übernehmen, bei der Rick Master tätig ist. Die Übernahme verläuft mit unsauberen Mitteln, ständig wird das Internet bemüht, und am ziemlich offenen Ende gibt es einige Tote.

Die direkte Fortsetzung ist dann »Panik im Netz« – es handelt sich also um eine Doppelfolge –, in der es erneut um das Internet geht. Ein Virus verbreitet sich in den Computern (technisch wird das alles höchst unklar geschildert; man merkt, dass die Macher keinerlei Ahnung von Hackern hatten), dahinter steckt ein alter Feind, und irgendwelche Geheimdienste scheinen sogar mitzumischen.

Und in »Penthouse Story« spielt eine Fernseh-Show in der Art von »Big Brother« eine wesentliche Rolle. Die modernen Medien sind in dieser Geschichte allgegenwärtig: Der Detektiv benutzt ein Navigationsgerät beim Autofahren, Handy, Computer und DVD-Player werden ständig eingesetzt – man versuchte offenbar, auf dem Stand der Technik zu sein.

André-Paul Duchâteau erzählt seine Geschichten auch in diesem Band mit der gewohnten Klarheit. »Rick Master« sind klassische Detektivgeschichten, in denen eben ein Journalist der Polizei unter die Arme greift. Der Autor war zur Zeit, als er diese Geschichten schrieb, schon seit bald fünfzig Jahren im Comic-Geschäft, und mit den neuen Medien kam er sichtlich nicht klar.

Aber er tat, was er als Autor für richtig hielt, und arbeitete sie in seine Geschichten ein. Das klang damals sicher nicht völlig absurd, sondern eben neu und spannend – und heute liest man es mit einem leichten Schmunzeln.

Klar und sauber sind wie immer die Zeichnungen, die Tibet beisteuerte. Die Wohnungen wirken moderner, die Autos und Häuser auch; ganz nebenbei vermittelt das stets die Zeit, in der die Geschichten entstanden sind.

Ganz ehrlich: Diese Gesamtausgabe ist als Gesamtwerk schon klasse. Ausgabe 21 enthält drei gelungene Krimi-Geschichten im klassischen Stil. Nicht mehr und nicht weniger wollten die beiden Urheber erreichen.

15 März 2021

An der Kante

Das Auto stand schräg am Abhang, zwei Räder noch auf der Straße, zwei bereits über die Kante. Neben dem Fahrzeug – irgendein dunkles Mittelklasseemobil – stand ein verschwitzter Mann in Latzhose, der schnaufend seine Baskenmütze nach hinten schob. Verzweifelt blickte er auf sein Fahrzeug.

»Was ist passiert?«, fragte ich, während ich näher trat.

»Ich versteh’s nicht«, gab er zurück. »Ich fuhr hier eigentlich ganz flott durch die Kurven, nicht zu schnell, aber flott, und auf einmal war die Straße weg.«

»Wie? Die Straße war weg?«

»Sehen Sie doch selbst.« Er schnaubte und zeigte auf sein Auto.

Ich trat näher. Es war ein sonniger Tag, es war heiß, und im Auto lief das Gebläse noch auf Hochtouren. Ich stellte mich an die Kante und betrachtete die Räder. Sie standen im Leeren, und der Rand, der von der Straße nach unten lief, sah aus, als sei er mit einem scharfen Messer abgeschnitten.

Unter mir gähnte ein nicht definiertes Nichts. Wenn ich gerade aus blickte, sah ich die sanften Hügel der Pfalz, bewachsen mit Strauchwerk, das seine Äste in den Himmel reckte.

»Was ist das?«, fragte ich und nickte zu der Tiefe hinunter.

»Keine Ahnung.« Er schnaubte erneut. »Aber Sie haben’s ja auch.«

Er wies auf meine Füße, ich folgte seinem Blick, und dann sah ich es: Mein rechter Schuh hatte ein Loch. An der Seite fehlte ein Stück, gut sechs auf acht Zentimeter groß. Darunter war der nackte Fuß zu sehen. Aber ich spürte nichts.

»Das ist seltsam«, sagte ich langsam.

Da wurde es um mich schwarz. Es war eine Schwärze, wie ich sie noch nie erlebt hatte, dunkler als die dunkelste Nacht. Alle Sinneswahrnehmungen waren wie ausgeknipst. Die Angst packte mich.

In dem Augenblick verstand ich, dass ich träumte. »Ich habe noch nie einen komplett schwarzen Traum gehabt«, dachte ich erstaunt und wachte auf, verwirrt und verschwitzt zugleich.

Baretta Love zwischen Punk und Indie

Wie genau man die aus Berlin stammenden Baretta Love eigentlich einordnen sollte, ist mir relativ egal. Die dreiköpfige Band existiert seit einigen Jahren, im Sommer 2018 kam der zweite Tonträger heraus, der nur »Baretta Love« und die Musik schwankt irgendwie zwischen melodisch-kraftvollem Punkrock und einem Indie-Rock, den man auch als »Pop mit krachiger Gitarre« bezeichnen könnte, ohne dass es wehtäte.

Manchmal kracht es bei der Band richtig, dann klingt die Stimme so, als wollte man in Hardcore-Gebretter wechseln. Üblicherweise herrschen Melodien vor, die durch die Bank geglückt sind. Mir fiel auf, dass der Anfang der CD – auf der Vinylscheibe wäre es wohl die A-Seite – eher punkig klingt, später setzt sich dann der ruhigere Sound durch. In balladeskes Geplänkel verfällt die Band allerdings nicht.

Die beiden Sänger hören sich ausdrucksstark an, die zehn Stücke sind sehr unterschiedlich. Die Produktion klingt altmodisch im positiven Sinn, hier wurde nicht zu viel Energie in die Nachbearbeitung gesteckt. Bei den englischsprachigen Texten hinterlässt die Band ebenfalls einen überzeugenden Eindruck, das hört sich nicht falsch oder pathetisch an.

Insgesamt liefert die Band eine gelungene Mixtur aus diversen Stilrichtungen angesagter Rock-Musik. Das kann man stillos finden oder überzeugend; unterhaltsam ist es allemal.

Spannend wäre für mich, mal herauszufinden, wie die drei Musiker das auf der Bühne hinbekommen: Wird da mehr der Punkrock-Gehalt der Stücke betont, oder lässt man sich auf die ruhigere Ebene ein? Beides ist schließlich möglich ...

14 März 2021

Empfehlenswerter Sechsteiler

Die Schauspielerin Aylin Tezel wurde durch ihre Rolle im »Tatort« bekannt; da fand ich sie stets überzeugend. Viel mehr kenne ich von ihr nicht, was offensichtlich eine Bildungslücke ist. Zuletzt sah ich den Sechsteile »Unbroken« in der Mediathek des ZDF an und war davon sehr angetan. Trotz einiger Schwächen bei der Auflösung handelt es sich bei diese Miniserie um einen packenden Krimi mit ungewöhnlichen Wendungen.

Der Anfang ist recht grob – und wird dann als Vorspann in den folgenden Teilen der Miniserie wiederholt. Tenzeln spielt eine junge Kommissarin, die hochschwanger ist und entführt wird. Nach einiger Zeit kommt sie im Wald zu sich, findet nur langsam ihre Orientierung wieder und schlägt sich blutverschmiert zu einigen Häusern durch. Wie es sich herausstellt, hat sie ihr Baby bekommen – doch das Kind ist spurlos verschwunden.

Die junge Polizistin versucht in der Folge natürlich alles, um herauszufinden, was mit ihr passiert ist. Vor allem will sie wissen, wo ihr Kind steckt. Sie ist überzeugt, dass es noch lebt. Sie vermengt immer mehr die Fälle, mit denen sie es zu tun hat, mit ihrem Privatleben. In der Folge isoliert sie sich, gerät in Konflikt mit ihrem Vorgesetzten und mit ihrem Lebenspartner und beginnt einen privaten Feldzug …

Ob das nun immer ein realistischer Blick auf die Arbeit und den Alltag der Kriminalpolizei wirft, bezweifle ich. Aber darum geht es bei den entsprechenden Filmen und Serien nicht. Die Schauspielerin bringt ihre Rolle recht knallig: Ihre Polizistin ist engagiert und irgendwann nur noch zornig, sie marschiert als die personifizierte Wut durch die einzelnen Folgen.

Ich habe die sechs Teile dieser Serie als sehr spannend und fesselnd empfunden. Die Miniserie entfaltet echt einen gewissen Sog, und mir gefiel beim Anschauen auch, dass ich wusste, dass es nur sechs Teile sind. Empfehlenswert!