31 Mai 2021

Ein Video-Interview mit mir

Im vergangenen Jahr erschien die Anthologie »Unknown«, zu der ich bei Gelegenheit noch einiges schreiben sollte. Das von Sonja Rüther und Hanka Leo organisierte Projekt fand ich von Anfang an spannend: eine Sammlung von phantastischen Kurzgeschichten, die ohne Nennung von Namen veröffentlicht werden sollte. Kann man anhand des Stils oder des Inhalts herausfinden, wer den Text verfasst hat?

Mittlerweile kann und darf ich es ausplaudern: Auch ich habe daran teilgenommen. Von mir stammt die Kurzgeschichte »Das verdorbene Haus«, die eine weibliche Hauptperson aufweist. Dass sie von einem Mann verfasst wurde, konnten sich nur wenige vorstellen.

Mittlerweile gibt es ein Interview, das Sonja Rüther mit mir geführt hat. Sieht man von einigen technischen Problemen ab, ist es meiner Ansicht nach sehr unterhaltsam und auch informativ: Es geht um das Schreiben an sich, um Geschlechterklischees und auch ein wenig um die Serie, für die ich als Redakteur tätig bin.

The Fume aus Göteborg

Drei junge Männer aus Göteborg in Schweden, die in den Zehner-Jahren eine Schallplatte herausbrachten, auf der sie zwölf Mal ihre Version von Rock’n’Roll spielten: Das sind The Fume, und die Platte hörte ich dieser Tage mal wieder an. »Rock’n’Roll Ain’t A Seasonal Thing« enthält insgesamt zwölf Stücke, und die sind ziemlich klasse.

Klar, jeden Tag kann ich mir nicht jedes Stück anhören. Manchmal wühlt der Sänger mit seiner gelegentlich überdrehten Stimme arg in den 70er-Jahren und beim damaligen Glam-Rock, dann wieder bolzt die Band richtig schönen Garagen-Punk heraus, und manchmal glaubt man, den skandinavischen Rock-Sound der 90er-Jahre zu hören. Die Band serviert auf jeden Fall eine abwechslungsreiche Mixtur aus verschiedenen Rock-Klängen, die ziemlich kompakt klingt. Keine unnötigen Soli, kein Gejammer, kein Metal-Gedöns.

Musikalisch ist das meist knalliger Sound, mal mehr in Richtung Hardrock, mal in Richtung Punk tendierend, immer wieder voll aufs Gaspedal und ohne Pausen durch die Ratzfatz-Stücke hindurch. Ich kann da kaum still sitzen und bedauere, diese Band nie live gesehen zu haben.

Was The Fume auf dieser Platte machen, ist wunderbar jung klingende Rock-Musik, die sich so anhört, als sei sie erst vor Kurzem erfunden worden, mit viel augenzwinkerndem Humor und ungekünstelter Spielfreude. Sehr cool!

28 Mai 2021

Zwei Vettern

Meine Schwester war am Telefon. »Der Konrad ist gestorben«, erzählte sie. Konrad galt bei uns immer als ein Cousin, als Vetter – dabei war er »nur« angeheiratet. Aber er war mit unserer Cousine schon in den 70er-Jahren zusammengekommen, quasi eine Sandkastenliebe, die irgendwann in einer Ehe gemündet hatte.

Ich war ein wenig schockiert. So alt sei er doch gar nicht gewesen. »Gerade mal siebzig«, bestätigte meine Schwester. »Das ist doch kein Alter.« Er sei nicht an Corona gestorben, so viel wisse sie, mehr aber nicht.

Wir unterhielten uns ein wenig über Konrad, den wir beide gemocht hatten. Er hatte mehr als vierzig Jahre zur Familie gehört, und bei den Familienfeiern, die ich ansonsten gehasst hatte, war ich mit seiner konservativen schwäbischen Art sehr gut klargekommen.

Ich hasste Beerdigungen, aber zu seiner wäre ich sogar in das Dorf im Schwarzwald gefahren, wo er zu Grabe getragen wurde. Wegen der Pandemie war das allerdings nicht möglich.

Es war der zweite Vetter, der während der Pandemie gestorben war; der andere im vergangenen Herbst. In beiden Familienzweigen hatten wir also einen Todesfall, den wir nicht in der gewohnten Weise »zu Ende« bringen konnten. Beide wohnten in Dörfern im Schwarzwald, beide rund zwei Dutzend Kilometer von dem Dorf entfernt.

Familienfeiern mag ich nicht. Aber beides Mal handelte es sich um Verwandte, die ich gemocht hatte und die ich beide zuletzt bei Beerdigungen anderer Verwandter gesehen hatte. Da wäre ich »gern« bei der Trauerfeier erschienen. So schickt meine Schwester eben eine Karte, in die sie Geld packt, und ich gebe ihr später die Hälfte zurück.

Das ist distanzlos und irgendwie ohne echte Anteilnahme. Das macht es doppelt traurig, finde ich.

Yana Turmanyay

Ich habe in diesen Tagen den Abschluss des Handlungsbogens um die geheimnisvolle Stadt El Dorado gehört. Dabei handelt es sich um die Folge 39 der Hörspielserie »Dorian Hunter«, die ja letztlich davon erzählt, wie der sogenannte Dämonenkiller in verschiedenen Inkarnationen über Jahrhunderte hinweg gegen die Schwarze Familie kämpft.

In der genannten Folge sind Hunter und seine Begleiter im Urwald von Südamerika unterwegs. Speyer, eine seiner Inkarnationen, trieb sich dort fünfhundert Jahre zuvor herum. Deshalb vermengen sich immer wieder Raum und Zeit: Leute tauchen im 21. Jahrhundert auf, die bereits im 16. Jahrhundert gestorben sind, und zum Ausgleich gibt es offenbar Dinge, die durch die Zeiten fallen.

Dazu kommen untote Inkakrieger, ein uralter Dämon, der seine Rache an den spanischen Konquistadoren verwirklichen möchte, eine schlafende Inkaprinzessin, die in ihren Träumen seit Jahrhunderten neue Wirklichkeiten erschaffen kann, eine fliegende Schlange und allerlei andere Dinge mehr – bei »Dorian Hunter« geht es sowieso immer ziemlich rund, und die Folge 39 liefert hierfür gute Beispiele.

Die Geschichte wird spannend erzählt, wie das üblich ist, bleibt dabei durchaus komplex und liefert vor allem phantastische Geräusche. Im Begleittext, das im Booklet zur CD abgedruckt ist, erklärt Andreas Meyer, der Musikexperte bei »Dorian Hunter«, welche Instrumente zu welchen Szenen und aus welchem Grund eingesetzt worden sind. Wenn man dann alles gehört und gelesen hat, möchte man eigentlich gleich wieder von vorne anfangen ...

27 Mai 2021

Weihnachten im Jahr 1943

In den vierziger Jahren fotografierten die Leute nicht so viel, wie das heute üblich ist. Man brauchte zudem meist einen offiziellen Fotografen, und häufig sehen die Leute eher steif und abweisend aus. Es gibt aber ein Foto, das meinen Vater zusammen mit seinen Eltern zeigt.

Es wurde vor Weihnachten 1943 aufgenommen. Es zeigt den jungen Soldaten, der zu einem kurzen Besuch zurück in die Heimat fahren durfte. (Wenn ich es richtig im Kopf habe, verbrachte mein Vater den Heiligen Abend 1943 in einem Schützengraben in Weißrussland.) 

Seine Mutter und sein Vater begrüßen ihn im Wohnzimmer – in dem ich ein Vierteljahrhundert später meine Carrera-Bahn aufbaute –, und die Freude meiner Großmutter lässt sich nicht verbergen. Der Weihnachtsbaum im Hintergrund sieht recht erbärmlich aus. Aber für einen »tollen Baum« hatte man damals sicher weder Geld noch Lust.

Teenagefrust bollern laut

Eine Band, die sich in den Zehner-Jahren den Namen Teenagefrust gibt, ist schon mal auf der richtigen Seite, finde ich. Bereits 2013 erschien die EP der Band aus Hannover, sie trägt den hübschen Namen »deutschland halt's maul« und klingt dann doch genau so, wie man es erwartet.

Sechsmal bollern die vier jungen Männer aus Hannover wütenden Deutschpunk mit fetter Hardcore-Kante auf die Welt los. Das ist alles andere als Studenten-Punkrock, sondern nach vorne gebolzter Sound, der kaum eine Pause kennt: wütend und ruppig gespielt, dazu ein Sänger mit ziemlich viel Gebrüll. Ein guter Soundtrack zum Lederjacken-Springerstiefel-Pogo.

(Skurril sind die immer wieder eingeblendeten Sprüche, bei denen ich nicht weiß, wo sie aufgenommen worden sind. Auf der Straße? Beim Punk-Konzert?)

Textlich bleibt die Band ebenfalls auf der eindeutigen Seite: Man kotzt sich gegen deutsche Verhältnisse aus, ärgert sich über Techno-Mucke bei Demos oder lobt die DIY-Qualitäten der Punk-Szene, äußert sich auch allgemein zu gesellschaftlichen Verhältnissen. Bei aller knallig-rotzigen Attitüde sind die Texte punkig und klar.

»Das Volk, heißt es dann am Stammtisch / muss sich endlich wieder wehren / und aus Worten werden Taten / aus der Mitte kommt der Tod« – so heißt es im Stück »Minus Siebzehn Grad Soziale Kälte«. Das ist zwar nicht gerade gut gereimt, inhaltlich aber ganz schön zutreffend: Wenn die Band das Stück im Mai 2013 aufgenommen hat, entspricht das einem Blick in die Jahre nach 2015/16 ...

26 Mai 2021

Eine Story im »Phantast«

Es gibt immer mehr Zeitschriften, die »nur« digital veröffentlicht werden. Eine davon ist »Phantast«, die in Karlsruhe veröffentlicht wird – was man so angesichts einer digitalen Verbreitung ja eigentlich auch nicht sagen kann. Dieser Tage erschien die Ausgabe dieser Zeitschrift, die sich mit Science Fiction und Fantasy beschäftigt.

Ich bin mit einer Fantasy-Kurzgeschichte in dieser Ausgabe vertreten. Die Story trägt den Namen »Eine Hexe in Blau« und ist eher konventionell erzählt: also keinerlei stilistischen Experimente oder inhaltlichen Wagnisse. Sie ist angenehm kurz, würde ich sagen, und zählt zu dem »Universum«, in dem auch mein Roman »Das blutende Land« spielt, der 2017 erschienen ist.

Darüber hinaus bietet »Phantast« auch Interviews mit den Gebrüdern Orgel zu ihrem neuen Roman und der Autorin Nora Bendzko; es gibt weitere Kurzgeschichten, Rezensionen und Artikel – eine sehr vielseitige Mischung also, die ich mir noch genauer anschauen muss.

(Wer mag, kann das Magazin kostenlos auf der Internet-Seite »literatopia.de« herunterladen. Ich habe mir das PDF einfach auf meinen Desktop gezogen, wo ich immer mal wieder darin lese.)

Polizeiroman mit erzählerischer Dichte

Garry Disher zählt zu den Autoren, die ich kenne und schätze, von denen ich aber bislang zu wenig gelesen habe. Also kaufte ich mir »Drachenmann«, den ersten Band seiner Reihe um Inspector Challis, die in einer schönen Ausgabe bei Metro erscheint, einem Imprint des Unionsverlags. Der Roman wurde 1999 erstmals veröffentlicht.

Mit der Geschichte wirft einen der Autor hinein in das Geschehen auf einer Halbinsel in der Nähe von Melbourne, also im südlichen Australien. Hal Challis ist Polizist, verantwortlich für Mordermittlungen, und er muss mit einer Gruppe anderer Polizisten zusammenarbeiten. In der Vorweihnachtszeit – da ist es in Australien besonders warm – verschwindet eine junge Frau, offenbar ist ein Verbrechen geschehen ...

Das Interessante an dem Roman ist, wie viele Charaktere der Autor aufbietet. Klar ist Challis die Hauptperson, und der Inspector wird einem mit seiner Manie, Flugzeuge zu reparieren, und mit seiner Ehefrau, die im Gefängnis sitzt, recht schnell sympathisch, obwohl er ganz eindeutig einen Knacks hat. Dazu werden aber gut ein Dutzend weiterer Polizisten in das Geschehen eingeführt, alte und junge, korrupte und ehrliche, uniformierte und »zivile«.

Mit »Drachenmann« präsentiert Disher ein komplettes Polizeirevier. Klar, das ist der Ausgangspunkt für eine Serie – am Anfang stellt man sich als Leser aber erst einmal auf einen Haufen von Charakteren ein, mit denen man sich peu à peu vertraut machen muss. Schnell springen die Szenen, immer wieder aus einem anderen Blickwinkel erzählt, dabei aber stets so sauber und klar, dass man als Leser kaum die Orientierung verlieren kann.

Garry Disher weiß, was er tut. Er lenkt den Verdacht des Lesers, er legt aber auch Hinweise. Man kann herausbekommen, wer der Mörder ist; zumindest hatte ich irgendwann einen Verdacht. Aber letztlich ist die Suche nach dem Mörder nur ein Aspekt des Romans.

Daneben geht es um junge Männer, die sich auf der Straße herumtreiben und sich als Einbrecher versuchen, wenn sie nicht gerade Briefkästen abfackeln. Es geht um eine Frau, die offenbar in einem Zeugenschutzprogramm untergebracht ist. Und es geht um Polizisten, die zwischen ihrem Beruf und ihrem Privatleben zerrieben werden.

»Drachenmann« ist spannend erzählt, wirkt auf mich extrem glaubhaft und machte mich neugierig auf weitere Geschichten mit Inspector Challis. Ein echt gelungener Einstieg, Respekt!

25 Mai 2021

Der vierte Teil der H.-G.-Wells-Reihe ist schwach

Ich bin ein großer Fan der Comic-Umsetzungen klassischer phantastischer Romane von H. G. Wells, die im Rahmen einer sechs Bände umfassenden Reihe im Splitter-Verlag erscheinen. Ob »Krieg der Welten« oder »Die Zeitmaschine« – alle Comics brachten den Geist der schon recht betagten Romane auf hervorragende Weise in das bebilderte Medium herüber.

Bei »Die Insel des Dr. Moreau«, die als vierter Teil der Reihe erschienen ist, habe ich meine Probleme. Vielleicht liegt es an der Geschichte an sich: Wer versucht, aus einem kompletten Roman ein Comic-Album zu machen, muss einfach drastisch raffen und kürzen. Da bleibt jegliche Psychologie womöglich auf der Strecke und macht blutiger Action Raum.

Als Comic-Autor versteht Dobbs sein Geschäft. Der Mann weiß, wie man einen Stoff so aufbaut, dass er die Leser packt. Die Geschichte des Schiffbrüchigen, der auf einer seltsamen Insel strandet, auf der ein Wissenschaftler seine unheimlichen Experimente betreibt, ist spannend erzählt – mit viel Action und Blut steuert sie auf einen drastischen Höhepunkt zu.

Zwischentöne bleiben dabei aus. Zwar sind die Zweifel des Helden klar, auch die Geschichte an sich ist klar erzählt, daran kann man nichts aussetzen. Aber von der erzählerischen Qualität anderer Wells-Umsetzungen bleibt »Die Insel des Dr. Moreau« weit entfernt.

Vielleicht liegt es an der Grafik? Fabrizio Fiorentino ist ein guter Zeichner, kein Zweifel, sein realitätsnaher Stil ist völlig in Ordnung. Von der spektakulären Optik der anderen Wells-Umsetzungen ist er allerdings weit entfernt. Sowohl Figuren als auch Hintergründe sind bei ihm gut, aber eben nicht sehr gut.

Seien wir fair: »Die Insel des Dr. Moreau« ist kein schlechter Comic. In der Reihe der Wells-Umsetzungen ist er aber der schwächste Band. Da man als braver Sammler aber alle sechs Bände im Regal stehen haben sollte, muss ich für diesen Comic trotzdem eine Empfehlung aussprechen ...

21 Mai 2021

Wolfgang Borchert wäre hundert

Er war einer der tragischen Autoren der deutschsprachigen Literaturgeschichte, und er hinterließ nur ein schmales Werk. Mich beeindruckt es heute noch. Die Rede ist von Wolfgang Borchert, der in den 80er-Jahre zur Schullektüre gehörte und heute ein wenig vergessen zu sein scheint.

Der Autor war am 20. Mai 1921 geboren worden, er starb bereits 1947. In seinem Werk beschäftigte er sich vor allem mit dem Zweiten Weltkrieg und der Nazi-Diktatur. Seine Erlebnisse an der Ostfront, im Lazarett und in der Nazi-Haft prägten sein Werk.

Seine Kurzgeschichten entwickeln, wenn man sie heute liest, einen starken Sog. Der Autor wechselt sehr kurze mit langen Sätzen ab, kombiniert nüchterne Beschreibungen mit zurückhaltenden Dialogen. Man kann davon nicht zu viel am Stück lesen, die Texte wirken nach.

Sein Drama »Draußen vor der Tür« habe ich nur einmal gelesen, das sollte ich einmal wieder tun. Es packte mich damals – die Generation der Väter sprach ja nicht über die Erlebnisse im Krieg oder nur selten, aber sie waren alle an der Front und in Gefangenschaft gewesen, und sie alle litten sicher darunter. Das Drama gab mir mehr Antworten, als ich sie von den »Alten« bekam.

Fast hätte ich den hundertsten Geburtstag dieses Schriftstellers versäumt. So komme ich nur einen Tag zu spät um die Ecke. Ich nehme mir vor, wieder einige seiner Texte zu lesen.

Wenn Marucha auf Dorian trifft

In meinem Versuch, endlich bis zu den aktuellen Hörspielen der Serie »Dorian Hunter« vorzustoßen, bin ich mittlerweile bei der Folge 38 angelangt. Diese heißt »Marucha«, spielt in Südamerika und bildet den dritten Teil des sogenannten Inka-Zyklus. Anders gesagt und gleich vorweggenommen: Es handelt sich um eine recht komplexe Geschichte, die man ohne Vorkenntnisse kaum verstehen kann.

Erzählt ist sie gut, wenngleich für meinen Geschmack etwas zu komplex. Ereignisse aus dem 16. Jahrhundert werden mit Geschichten aus dem 21. Jahrhundert vermengt, die Handlung springt durch Raum und Zeit.

Kein Wunder: Sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart sind Expeditionen im Urwald unterwegs und suchen einen Zugang zur legendären Stadt El Dorado. In beiden Zeiten spielt ein Dämon eine wichtige Rolle, werden Menschen getötet und verhalten sich tote Menschen nicht gerade so, wie man es erwartet.

Lässt man sich auf die Phantastik-Geschichte ein und lauscht ihr konzentriert, kommt man natürlich gut mit. Spannend erzählt ist das Hörspiel allemal, wie alle aus dieser Serie; die Sprecher sind sehr gut, die Dialoge sind stets pointiert. Aber das gehört bei »Dorian Hunter« ja bereits zur Grundausstattung ...

20 Mai 2021

Gesucht wurde ein Fanzine-Redakteur

Es zeugte von einem gewissen Selbstbewusstsein, eine Stellenanzeige in einem Fanzine zu schalten ... Ich fand die Anzeige in der Ausgabe 93 des »Fandom Observer« damals eindrucksvoll. Die damalige Redakteurin hatte das Handtuch geworfen, und man suchte baldmöglichst einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin.

Die Anzeige erschien im März 1997, man erkennt die grafische Handschrift von Günther Freunek (mit dem ich in den 80er-Jahren zusammen an »Sagittarius« gearbeitet hatte) schon in der Gestaltung. Ich finde sie immer noch schön, und ich stelle erneut fest, dass mit ein Fanzine dieser Art heute sehr fehlt.

Um die Geschichte zu Ende zu bringen: Es fanden sich neue Redaktionsmitglieder, und der »Fandom Observer« erschien noch einige Jahre länger. Erst im Sommer 2014 war Schluss.

Rifu von 2005

Die norwegische Band Rifu sah ich in den Nuller-Jahren zwei- oder dreimal; sie überzeugte jedesmal mit ihrem furiosen Hardcore. Dieser Tage hörte ich mir die Platte wieder an, die 2005 veröffentlicht wurde – und die finde ich immer noch gut.

»Bombs for food, mines for freedom« ist keine fröhlich und leichtverdauliche Partymusik, sondern wuchtiger und streckenweise anstrengender Hardcore. In elf Stücken plus einem Intro kotzt sich die Band aus, knallt mit unglaublicher Energie ihre Stücke hinaus; das empfand ich damals live als unglaublich intensiv, und das ist es eben auch auf Platte.

Der Sänger brüllt und kreischt und singt, die Band zelebriert dazu einen kompakten Sound mit einem manischen Schlagzeug, vielseitig eingesetzten Gitarren und einem knackigen Bassgewummer. Still auf meinem Hintern sitzen kann ich dabei nicht, wenngleich es keine pogotaugliche Musik ist.

In den englischsprachigen Texten ist die Band gesellschaftskritisch unterwegs. In »Let Them Eat Bombs« geht's um den Krieg gegen den Terror, in »Towards The End« geht's um die blutige Menschheitsgeschichte. Es lohnt sich, das Textblatt zu lesen.

2005 machten Rifu für mich einen modernen Hardcore-Sound. Wie das heute junge Leute finden, vermag ich nicht zu beurteilen. Für mich klingt es immer noch modern genug.

19 Mai 2021

Party an der Trinkhalle

Aus der Serie »Erinnern an frühere Konzerte«


(Vorbemerkung: Der folgende Text wurde am Freitag, 4. August 2000, um 2.35 Uhr auf der Internet-Seite der Chaostage veröffentlicht. Ich finde ihn immer noch interessant – und habe ihn für diese Veröffentlichung nur ein wenig an die neue Rechtschreibung angepasst.)

Gegen zwei Uhr verschwand der Berichterstatter, weil die letzte Bierbude zumachte. Aber die Party war noch im Gange, und irgendwelche HipHopper aus Mannheim und Techno-Heinis aus Hannover waren eifrig beteiligt.

Die legendäre Bierbude an der Lutherkirche hatte bereits um Mitternacht geschlossen, enttäuschend, aber wahr ... Dafür hatte bis gegen zwei Uhr um die Ecke beim ebenso legendären Penny-Markt eine Trinkhalle geöffnet, genau jene, die auch 1995 bis zum bitteren Ende Bier ausschenkte.

An dieser Ecke hingen bis gegen zwei Uhr nachts noch irgendwelche Punks herum: Punx aus Mannheim, die hervorragend als HipHopper getarnt waren, Punx aus Hannover, die ideal als Punx getarnt waren, Punx aus Heidelberg, die superkorrekt aussahen, Punx aus Stuttgart, die ihre Nietenlederjacken aus dem Rucksack packten und überzogen, alte Säcke aus Heidelberg und Karlsruhe, die zu klarer Artikulation kaum noch fähig waren, aber Party auf der Straße feierten.

Da an der Lutherkirche zu dieser Zeit maximal noch 40 Punx waren, fuhren die Bullen an dieser Ecke ihre etwa sechs Wannen nur für die fröhliche Party-Meute auf. Irgendwann kamen zwei Bulletten dazu und meinten ganz höflich: »Seid doch mal leiser. Und setzt euch bitte nicht die ganze Zeit auf die Autos.« Höfliche Polizisten – die Punx waren ganz baff und wurden ruhig.

Lustige Diskussionen mit irgendwelchen Techno-Kids schlossen sich an. Bester Spruch der Nacht: »Ich finde meinen Job ja auch scheiße. Deshalb schlucke ich Drogen und gehe auf Techno-Partys.«

Von Sex Pistol zum Fernsehstar

Er gehört sicher zu den Menschen, die mich in meiner Jugend am stärksten beeinflusst haben: Unter seinem Namen Johnny Rotten und als Sänger der Sex Pistols war John Lydon einer der wichtigsten Figuren der frühen Punkrock-Zeit. Danach sorgte er als Sänger von Public Image Ltd. für schrägere Töne, und danach verlor ich ihn aus den Augen.

Jetzt endlich las ich seine Autobiografie, die den schönen Titel »Anger Is An Energy« sowie den Untertitel »Mein Leben unzensiert« trägt. Geschrieben hat Lydon das Buch sicher nicht, er dürfte es größtenteils diktiert haben – als Koautor ist konsequenterweise auch der Journalist Andrew Perry angegeben. So liest sich das Buch auch: nicht als stringentes Sachbuch, sondern als eine Erzählung, in der vor- und zurückgesprungen wird, die bewusst Dinge weglässt und die vor allem immer wieder abschweift.

Lydon ist und war wohl ein ziemliches Großmaul, und das merkt man diesem Buch an. Glaubt man ihm, war immer alles seine Idee: die Texte und das Auftreten seiner Bands, ihre Musik und ihre Veröffentlichungen. Damit muss man bei der Lektüre klarkommen – ich fand das sehr unterhaltsam und nahm eben nicht alles für bare Münze. Dass Lydon viele Jahre nach den damaligen Ereignissen immer noch ehemalige Mitstreiter angreift, finde ich unnötig, gleichzeitig ist es aber auch wieder amüsant.

Ganz klar: Dieses Buch ist keine seriöse Quelle, wenn man wissen möchte, wie sich ab 1975 Punkrock in England entwickelte, oder wenn man sehen will, wie daraus dann so etwas wie Postpunk oder New Wave entstanden ist. Wer aber einen höchst subjektiven Blick auf eine spannende Musik-Szene haben möchte, in der John Lydon natürlich ein wichtiger Protagonist war, der findet hier eine gelungene Lektüre.

Dieses Buch ist packender als so mancher Roman, enthält auch genügend fabulierte Stoffe – mehr als so mancher Krimi – und hat mir deshalb richtig viel Spaß gemacht. Eine absolute Empfehlung für Leute, die sich für Punkrock, New Wave oder allgemein populäre Musik interessieren!

(Ich habe die Hardcover-Ausgabe des Buches gelesen, die gut in der Hand liegt und auch cool aussieht. Man kann sie nur noch Secondhand kaufen. Es gibt eine E-Book-Version, aber bislang keine preiswerte Taschenbuch-Ausgabe in deutscher Sprache.)

18 Mai 2021

Als Polizisten in der Stadt der Superschurken

Mit der Serie »Gotham Central« ist es gelungen, die Welt der Superhelden und Superschurken auf ein vernünftiges Maß herunterzubrechen. Veröffentlicht wurde die Serie in den USA in Form von einzelnen Heften, hierzulande kam sie als Paperback – oder wer mag: als Hardcover – in den Handel.

Die schön gemachten Comic-Bände erzählen große Geschichten, in denen es nicht nur um Kriminalität geht, sondern auch um das persönliche Leben von Polizisten, die vor großen Herausforderungen stehen. Wer die Welt von Gotham City aus den »Batman«-Comics und ihren Ablegern kennt – wie ich –, wird viele Namen und Örtlichkeiten wieder erkennen. Für alle anderen ist die Reihe »Gotham Central« ein Beispiel dafür, wie man spannende Comic-Krimis erzählen kann.

Klar ist es die Fernsehserie »Gotham«, die den Verlag dazu gebracht hat, die Comics in deutscher Sprache zu veröffentlichen. In den USA wurden die einzelnen Hefte bereits 2003 veröffentlicht. Es wird Zeit, dass die Serie auch hierzulande mehr Fans findet.

Als Autor ist Ed Brubaker ein Experte sowohl für Krimis als auch für Superhelden. Ich fand seine »Criminals«-Serie großartig. Der Mann versteht zu erzählen – und er zeigt die Polizisten in Gotham in Ausübung ihrer Pflicht.

Dabei geht es zwar auch immer wieder um Verbrecher, die man aus den »Batman«-Geschichten kennt; sie werden aber nicht von einem maskierten Rächer gestellt, sondern von ganz normalen Polizisten. Die wiederum haben ein Eigeninteresse daran, Fälle selbst zu lösen und nicht nur auf Superhelden zu warten.

Die spannenden Geschichten, in denen etwa auch das Coming-Out einer lesbischen Polizistin erzählt wird, unterstreichen hervorragende Bilder. Die Szenen spielen oft in der Nacht, sie sind düster und dramatisch. Ein realitätsnaher Blick auf das Verbrechen und der Kampf gegen die Täter – das macht die Serie absolut mitreißend. Polizeiarbeit in einem Universum, das ansonsten von allerlei seltsamen Wesen bevölkert wird ...

Mir gefällt das hervorragend. Das »Batman«-Universum spricht mich sowieso vor allem dann an, wenn die Superschurken und Superhelden so weit im Hintergrund sind wie möglich, wenn Fälle ohne den Einsatz von irgendwelchem Klimbim gelöst werden können.

»Gotham Central« ist eine Ergänzung, die man ohne jeglichen Hintergrund lesen kann. Wer sich – wie ich – in der Stadt Gotham durch langjährige Comic-Lektüre ein wenig zurechfindet, stolpert natürlich immer wieder über Details, die er oder sie wieder erkennt. Das erhöht den Reiz der Lektüre natürlich ...

Eine absolut lohnende Serie! Ich bin sicher, dass ich sie auch nicht nur einmal lesen werde!

17 Mai 2021

Alles Gute, Udo!

Heute wird Udo Lindenberg sage und schreibe 75 Jahre alt. Das ist respektabel, damit hätte »damals« wohl niemand gerechnet. Ich mochte den Sänger in einer gewissen Phase meines Lebens sehr, ich sah ihn zweimal live,, und auch wenn ich ihn in den vergangenen zehn, zwanzig Jahren doch eher peinlich war, gehört er zu meiner Biogafie einfach dazu.

Als ich anfing, mich für Rockmusik zu interessieren, um alles in einen Sack zu stopfen, was mit lauten Gitarren zu tun hatte, war Udo Lindenberg schon früh dabei. Stücke wie »Alles klar auf der Andrea Doria« oder über Figuren wie »Rudi Ratlos«, »Bodo Ballermann« und »Johnny Controlletti« gehörten zu meiner Sozialisation in den späten 70er-Jahren einfach dazu.

Ich kaufte mir sogar eine Udo-Lindenberg-Platte, die es damals preisgünstig gab. Ich hörte sie hoch und runter, wenngleich ich nie richtig textsicher wurde – aber das schaffte ich nicht einmal beim schlichtesten Deutschpunk-Stück. Udo Lindenberg gehörte dazu.

Zweimal sah ich ihn live, beides Mal bei einem politischen Festival. Er spielte auf dem Festival in Burglengenfeld, bei dem gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf protestiert wurde, und ich sah ihn auf einer Veranstaltung in der Pfalz, in der es gegen Atomraketen ging und gegen die Aufrüstung der Bundesrepublik. Beides Mal war das in den 80er-Jahren, und da fand ich ihn schon ziemlich alt. Punkrock und Hardcore waren halt doch dynamischer und rasanter.

Irgendwann verlor ich ihn aus den Augen. Er wohnte in einem Hotel in Hamburg, er machte seltsame Kunst, und als Musiker oder Sänger blieb er mir vor allem durch platte Texte in Erinnerung. Höre ich heute die Stücke an, die ich vor vierzig Jahren – und mehr! – echt klasse fand, gruselt es mich zeitweise ganz schön.

Udo Lindenberg war in seiner frühen Zeit echt wichtig. Dass er heute noch erfolgreich ist, gönne ich ihm. Im Prinzip ist er sich treu geblieben – und das muss man über so eine lange Zeit erst einmal hinkriegen. Deshalb: alles Gute zum Geburtstag, Udo!

Karoshi aus Köln

Schwungvoller Punkrock mit viel Druck und Melodie, dazu gelegentliche Ska-Einschübe: Mit ihrer Platte »Rabauken und Trompeten« bereitet mir die Band Karoshi aus Köln viel Freude. Veröffentlicht wurde die Platte – die vierte der Band – im Sommer 2017, und sie liefert einfachen und gutgemachten Punkrock.

Der Bass wummert, die Bläser setzen immer wieder einen drauf, ein schmissiger Punkrock-Rhythmus kommt dazu, der Sänger hat eine knatschige Stimme, die aber cool klingt – fertig ist das Gebräu, aus dem die Stücke von Karoshi bestehen. Zehn Stücke sind auf der Platte, teilweise mit starken Ska-Elementen durchsetzt, stets schmissig gespielt. Man schreckt nicht davor zurück, Mini-Zitate aus Filmen zu verarbeiten oder gar Filmmusik zum Start in ein Lied zu benutzen.

Die Kölner bezeichnen ihren Sound selbst als »Stunpunk«, was ich zumindest witzig finde; seit 2003 gibt es die Band, und irgendwie habe ich sie immer verpasst. Das ist ein Fehler: Die knallige Mixtur aus Punkrock und Ska, aus klaren Aussagen bei den Texten und schnellem Rhythmus – das hört sich nicht nur an, sondern sollte auch gut in die Beine gehen.

»Rabauken und Trompeten« ist keine Platte für die Ewigkeit. Aber der sogenannte Stuntpunk der Kölner macht Appetit auf mehr.

16 Mai 2021

Am Schmugglermeer

Das Jahr 2021 fing leider nicht so gut an wie frühere Jahre, was meine Freude am Radeln angeht. Das liegt nicht unbedingt am feuchten und kühlen Wetter, und es liegt vor allem nicht an Corona. Die Tatsache, dass ich mich derzeit mit vier Serien aus dem Roman-Universum beschäftige, mit dem ich meine Brötchen verdiene, ist sicher ausschlaggebend.

Ab und zu schaffe ich es doch aufs Rad und unternehme kurze Fahrten in die nähere Umgebung. Und manchmal ist es dann einfach schön, an einem schönen Punkt anzuhalten und ein wenig die Blicke schweifen zu lassen. Ohne Termindruck im Nacken, ohne die Hunderte von ungelesenen Mails im Gedanken, einfach nur ein Mensch mit seinem Rad und einem auch von Natur.

Das Bild zeigt das Schmugglermeer; dabei handelt es sich um einen See nördlich von Karlsruhe, der im Prinzip zum Altrhein gehört. Sieht man davon ab, dass es an diesem See von Fliegen gelegentlich nur so wimmelt, ist es ein sehr ruhiger und schöner Ort …

14 Mai 2021

Kommentar dringend erwünscht

Der Mann steuerte direkt auf mich zu, als ob er genau wüsste, wer ich sei. Er sagte kurz seinen Namen und kam direkt zu seinem Anliegen. »Ich möchte gern, dass Sie mein Manuskript lesen«, bat er.

Verwundert blickte ich zuerst auf den Schnellhefter, den er vor mich auf den Tresen legte, dann in sein Gesicht. »Hier?«, fragte ich und wies um mich.

Um uns tobte der Trubel der Buchmesse. Zwischen den Ständen der Buchverlage waren Tausende von Menschen unterwegs. Lautsprecher plärrten irgendwelche Durchsagen, ein Stimmengewirr waberte durch die Halle. An manchen Stellen herrschte Gedränge, die Menschen kamen nur langsam voran.

Ich stand an unserem Messestand, wo ich mich am Informationsschalter platziert hatte. Mein Namensschild wies mich als Verlagsangestellten aus, ich trug einen Anzug mit Krawatte, und ich war darauf eingestellt, Fachfragen zu Romanen und Inhalten zu bearbeiten. Auf Manuskripte war ich nicht unbedingt vorbereitet.

»Das ist eigentlich nicht sinnvoll«, sagte ich vorsichtig. »Ich kann Ihr Manuskript gern in mein Gepäck legen. Ich verspreche Ihnen, es anzulesen und mich rückzumelden, aber das kann dauern. Hier finde ich es ein wenig ungünstig.«

Er machte eine Geste, mit der er den gesamten Messestand umfasste. »Aber ich bin doch jetzt hier, mein Manuskript liegt vor Ihnen, und Sie haben im Augenblick nichts anderes zu tun«, argumentierte er. »Also können Sie doch hineinschauen und die erste Seite gleich hier anlesen. Dann verlieren wir keine Zeit.«

Hilflos blickte ich zu den Kollegen, die sich ebenfalls am Messestand aufhielten. Die meisten waren mit Gesprächen beschäftigt. Neben mir räumte gerade Björn etwas in die Regale, er hatte alles mitbekommen. Er grinste mich an und hob die Schultern.

»Sie wollen, dass ich das jetzt lese?«, fragte ich nach. »Auch auf die Gefahr hin, dass es mir nicht gefällt?«

»Ja selbstverständlich – sonst würde ich das doch nicht von Ihnen verlangen.«

»Es besteht aber schon die Gefahr, dass es mir nicht gefällt. Und ich würde es Ihnen dann auch sagen.«

Er wich keinen Moment von seiner optimistischen Grundhaltung ab. »Das halte ich sicher aus. Ich bin einfach sehr gespannt auf Ihr Urteil.«

Ich griff nach dem Schnellhefter, schlug ihn aber nicht auf. Hilflos sah ich zu Björn hinüber, der unserem Gespräch mit stillem Lächeln folgte. Er hatte mir schon gelegentlich seine eigenen Texte zum Lesen gegeben und wusste, dass ich nicht immer einen Preis für Diplomatie erhalten würde.

Nun grinste der Kollege breit. »Wenn er es möchte«, sagte er, »guck doch einfach rein...«

Noch einmal musterte ich den Autor, der erwartungsfroh vor mir stand, verkniff mir aber eine weitere Bemerkung. Ich schlug den Schnellhefter auf der ersten Seite auf, schob meine Brille auf die Stirn – zum Lesen benötigte ich keine Brille, sondern zur Fernsicht – und begann zu lesen. Ich musste nicht einmal besonders gründlich sein, wie mir rasch auffiel.

Nachdem ich die erste Seite zu Ende gelesen hatte, nahm ich den Schnellhefter auf. »Ich finde«, begann ich vorsichtig, »dass Sie noch einmal stilistisch an das Manuskript herantreten müssten …«

Der Autor nickte mir auffordernd zu. In Gedanken zuckte ich mit den Achseln. Er wollte es wohl so.

»Schauen Sie mal, hier …« Ich tippte bei den einzelnen Wörtern immer an die entsprechende Stelle auf der Seite. »Sie benutzen sehr häufig die gleichen Wörter, das ist nicht gerade optimal. Hier sollten Sie den Dialog straffen, man muss nicht immer dazu schreiben, wenn jemand sich ansieht. Und Sie benutzen sehr viele Partizipialkonstruktionen, die verlangsamen einen Text – die sind nicht falsch, werden aber auch nicht gerade als unterhaltsam oder elegant empfunden.«

Der Mann sah mir zu, nickte gelegentlich, widersprach mir aber nicht. Das beruhigte mich einigermaßen. »Und wie geht es weiter?«, fragte er, als ich mit der Seite fertig war.

»Das müssen Sie wissen. Ich würde dazu raten, den Text noch einmal gründlich durchzuarbeiten. Zum Inhalt kann ich nichts sagen, ich habe nur das beurteilt, was mir auf den ersten Blick aufgefallen ist. Ein Lektor in einem Publikumsverlag würde ähnliche Dinge feststellen, denke ich.« Ich verschwieg, dass ein solcher Lektor normalerweise nicht selbst in unaufgefordert eingesandte Manuskripte blicken würde.

Ich schlug den Schnellhefte zu und reichte ihn dem Mann. Björns Blicke von der Seite spürte ich geradezu. Ich war mir nicht sicher, ob ich zu grob oder zu direkt gewesen war. Empathie war nicht gerade meine wichtigste Eigenschaft.

Der Autor nahm den Schnellhefter, schlug ihn auf und sah sich die erste Seite noch einmal an. Seine Selbstsicherheit schien verschwunden zu sein. »Aber …«, sagte er und verstummte.

Dann klemmte er sich den Schnellhefter unter den Arm, drehte sich ruckartig um und verschwand im Getümmel der Buchmesse. Ich sah ihn nie wieder.

12 Mai 2021

Ein personalisiertes Magazin

Die »turi2 edition« habe ich seit der ersten Ausgabe abonniert. Regelmäßig erhalte ich das dicke Buch im A4-Format, das sich inhaltlich eher wie ein dickes Magazin zu allerlei Medienthemen anfühlt, und ich schaffe es selten, eine aktuelle Ausgabe komplett zu lesen. Aber ich finde immer wieder sehr viele lesenswerte Beiträge, die zudem schön präsentiert werden. 

Die Ausgabe 14 kam dieser Tage bei mir an. Verblüfft stellte ich fest, dass auf dem Titelbild eine Darstellung von mir zu sehen ist: Der Verlag hatte als Thema »Social Media« gewählt und von den Abonnenten ein Bild aus dem Internet gefischt, das er dann als Covermotiv benutzte. Mithilfe eines Programms wurden die jeweiligen Bilder ein wenig verfremdet. So wurde ich zum Coverboy einer Medienzeitschrift – allerdings nur in einer Auflage von exakt einem Exemplar.

Ich finde es stark, welche Möglichkeiten die moderne Drucktechnik bietet! Und ich bin mir sicher, dass ich diese Ausgabe zum Thema Social Media besonders genau lesen werde. Immerhin sind prominente Menschen wie der ehemalige BILD-Chefredakteur Kai Diekmann oder die Politikerin Dorothe Bär als Interviewpartner mit dabei.

Spannender Thriller mit nervenden Fehlern

Ich mag die Science-Fiction-Romane von Nancy Kress; unter anderem würde ich die »Bettler«-Trilogie der Autorin nach wie vor und jederzeit empfehlen. In der Edition Irle erschien vor einigen Jahren der Roman »Hundewahn« in Form einer limitierten Hardcover-Ausgabe; weil mich interessierte, was Nancy Kress schreibt, kaufte ich mir das Buch.

Um es gleich zu sagen: Das ist keine »echte« Science Fiction. »Hundewahn« ist ein immens spannender Thriller, in dem – wie der Titel schon andeutet – Hunde eine wesentliche Rolle spielen, gleichzeitig aber auch Terror im weitesten Sinne und ein wenig religiöser Fanatismus. Ich fand ihn sehr spannend, ich flog geradezu durch die Seiten.

Eine ehemalige FBI-Agentin, die mit einem Araber verheiratet war, hat nach vielem Hickhack das FBI verlassen und wohnt seitdem in einem kleinen Ort in den USA. Dort drehen auf einmal die Hunde durch. Die Tiere verändern sich, was man an ihren Augen feststellen kann, und greifen die Menschen an; es kommt zu Verletzungen und dann zu Todesfällen.

Die Agentin arbeitet mit einem Tierkontrollbeauftragten zusammen, um herauszufinden, was dahintersteckt. Offensichtlich gibt es einen Bezug zum toten Mann der ehemaligen Agentin. Die ungleichen Partner versuchen, nicht nur den Kampf gegen die wahnwitzigen Hunde zu führen, sondern auch herauszufinden, was hinter dem »Hundewahn« steckt. Letztlich geht’s wirklich um eine große Gefahr, von der noch niemand etwas ahnt …

Nancy Kress kann schreiben, und das zeigt sie auch bei diesem Thriller. Die Autorin steigt schnell in die Handlung ein. Sie zeigt die beiden Hauptfiguren, sie präsentiert das Thema – und dann folgen sehr viele sehr spannende Szenen aufeinander. Ich kannte von der Autorin bereits Science-Fiction-Romane, weshalb ich davon nicht überrascht wurde: Mit flotten Dialogen und gelegentlicher Action treibt sie die Handlung schnell voran, die Perspektiven wechseln von Kapitel zu Kapitel.

Im Prinzip ist »Hundewahn« also ein ganz klassischer Thriller mit leichtem Science-Fiction-Charakter – der Roman spielt praktisch übermorgen –, so dass man sich echt wundern muss, dass sich keiner der großen Verlage für das Thema interessiert hat. Vielleicht sind in Deutschland Hunde einfach derart beliebt, dass man lieber nicht ein Buch veröffentlicht, in dem die Tiere als gefährlich und mordlüstern beschrieben werden.

Den Roman fand ich also ziemlich klasse. Was mich nervte, war die hohe Zahl an Fehlern. Das Buch ist als limitierte Hardcover-Version – nur 250 Exemplare – in der Edition Irle erschienen und kostet schon eine ordentliche Summe. Da empfinde ich es als sehr anstrengend, wenn es haufenweise Rechtschreibfehler aller Art gibt, wirklich auf jeder Seite. Schon klar: Es handelt sich um einen kleinen Verlag, und da entschuldige ich vieles. Trotzdem schmälerten die vielen Fehler den Lesegenuss sehr.

11 Mai 2021

Die Spannung der frühen Nuller-Jahre

Die Comic-Abenteuer des Reporters und Detektivs Rick Master – der im Original bekanntlich Ric Hochet heißt – lese ich schon seit vielen Jahren. Ich bin ein großer Fan der Gesamtausgabe, die im Splitter-Verlag in Form von schön gestalteten Hardcover-Bänden erscheint, und las zuletzt die Folge 22 dieser Reihe. Enthalten sind Geschichten aus den frühen Nuller-Jahren, aus einer Zeit also, in der es die Serie schon seit Jahrzehnten gab.

Dabei erweisen sich die Geschichten als erstaunlich modern. Wie immer greifen die Kreativen aktuelle Elemente auf und verbinden sie mit den klassischen Figuren. Und wieder einmal gibt es zwei Kriminalfälle, die miteinander verbunden sind.

»Die Nummer des Teufels« bildet den Auftakt. Es geht um die Zahl »666« und einen Mörder, der es unter anderem auf dem Detektiv abgesehen hat. Die Handlung ist mit der Comic-Szene verknüpft, Rick Master kennt natürlich die beiden Künstler, die seine Abenteuer inszenieren. Die Geschichte dürfte vor allem für die Experten der frankobelgischen Szene ein echter Leckerbissen sein.

In »Gesammelte Verbrechen« gibt es die direkte Fortsetzung. Comic-Figuren werden gewissermaßen lebendig, und ein alter Gegner aus früheren »Rick Master«-Comics taucht auf. Bei »Der Eismensch«, der dritten Geschichte, geht es letztlich um Sekten und ihre Anführer – erneut ein aktuelles Thema.

Ich finde es bewundernswert, wie es André-Paul Duchateau über all die Jahre hinweg schaffte, seine Serie auf diesem Niveau zu halten. Die Geschichten des Autors sind spannend, und sie blieben es in all der Zeit. Es gab schwächere Phasen, aber die drei Geschichten in diesem Band der Gesamtausgabe zeigen, dass der Autor auch in den Nuller-Jahren packende Geschichte zu erzählen wusste.

Ähnliches gilt für Tibert, dessen klare Bilder mich ebenfalls überzeugen. Die Figuren sehen ein wenig moderner aus, die Klamotten, die Waffen und die Autos spiegeln die Nuller-Jahre wider. Bis in die Kleinigkeiten hinein ist das ein klassischer Abenteuer-Zeichenstil, der aber nicht langweilig wirkt, sondern nach wie vor aktuell.

Mir gefallen bei den Gesamtausgaben stets die redaktionellen Anmerkungen und Ergänzungen. In dieser Ausgabe sind klassische »Alphonse«-Geschichten aus den fünfziger Jahren enthalten – sehr schön! Es gibt immer noch viel zu entdecken in der Geschichte der Comics …

Kurzes Treffen am Amt

Ich war mit dem Rad in der Innenstadt, kaufte dabei einige Grundnahrungsmittel auf dem Markt am Stephansplatz. Auf der Rückfahrt kam ich an einem der vielen Ämter vorbei, die sich auf dem Weg buchstäblich aneinanderreihen. Ein Mann mit langen Haaren, schon deutlich angegraut, trug gerade eine Kiste zu einem Transporter hinaus.

Weil ich ihn erkannte, hielt ich an. Wir grüßten uns, hielten dabei brav den Abstand von über zwei Metern ein. Ich wusste von ihm nur seinen Vornamen, dabei stolperten wir uns seit über zwanzig Jahren immer wieder über den Weg: früher im besetzten Haus, aber auch bei Demos, im Radio, in der »Alten Hackerei«, früher im »Crazy Kong«, an allen möglichen subkulturellen Orten also.

»Lange nicht mehr gesehen«, sagte ich.

Er nickte. »Man sieht niemanden mehr. So ein Scheiß. Seit über einem Jahr gehe ich nur noch arbeiten, dann gehe ich heim und hänge vor der Glotze rum.«

Ich grinste. »Ich bin die meiste Zeit daheim und arbeite in der eigenen Bude. Ich sehe praktisch niemanden mehr: keine Kneipe, kein Konzert, keine Bar, nichts.«

»Ich auch. Das ist frustrierend.«

»Arbeitest du hier?« Ich zeigte auf das Gebäude hinter ihm.

»Ja, ich bin hier der Hausmeister. Und du? Immer noch Schreiberling?«

»Stimmt. Und ich wohne da vorne.« Ich zeigte in Richtung des Platzes, wo sich der Wohnblock mit meiner Wohnung erhob.

»Wir haben uns hier nie gesehen.«

»Na ja, wenn ich arbeite, bin ich normalerweise auch nicht daheim. Da sitze ich in einem Büro, und das steht nicht hier.«

Er lachte. »Aber wenn du daheim arbeitest, fährst du zwischendurch mit dem Rad durch die Gegend.«

Ich hob die Tasche an, in der frische Brötchen, ein wenig Gemüse und Salat steckten. »Einkaufen halt, muss ja auch sein.«

»Einkaufen.« Es klang, als wollte er ausspucken. »Das Highlight der Woche, mehr geht nicht mehr, und da treffen wir Leute. Das ist aus uns geworden.«

Wir sahen uns an: zwei frustrierte Männer jenseits der fünfzig, die sich lange kannten, aber so viel nicht übereinander wussten. Wir grinsten uns an, sagten gemeinsam »Scheiß-Corona«, lachten dann beide. Ich stieg wieder auf mein Rad, hob grüßend die Hand und fuhr weiter.

10 Mai 2021

Besonderheiten fürs Finanzamt

»Ich musste wieder einmal meine Steuer machen und habe alles ordentlich ausgefüllt«, erzählte mir der Mann lachend. Wir arbeiteten seit einiger Zeit zusammen, und ich fand ihn ganz sympathisch. Sein Aussehen wurde wohl mit »korpulent« nicht schlecht beschrieben, und er steckte stets voller Energie und Dynamik. »Aber es lag auch noch so ein Fragebogen dabei, den man ausfüllen musste. Die vom Finanzamt haben echt nichts zu tun! Vor allem eine Frage war seltsam: Man sollte ›Besonderheiten‹ angeben.«

»Und dann? Welche Besonderheiten waren es?« Wir saßen uns in seinem Büro gegenüber; Ende der 80er-Jahre war ich öfter als freier Mitarbeiter für ihn tätig und lieferte Texte im Akkord ab.

Er lachte wieder. »Ich füllte alles ordnungsgemäß aus. Und bei den ›Besonderheiten‹ schrieb ich rein: ›achtmal Geschlechtsverkehr pro Woche‹, mehr nicht.«

»Das fanden die doch bestimmt seltsam.«

Er schüttete sich fast aus vor Lachen. »Ich bekam nie eine Reaktion vom Finanzamt, nichts wurde offiziell dazu gesagt; die machten halt die Steuer fertig, und gut war. Aber ich hab’s später erfahren: Ich war eine Woche lang das Thema im Finanzamt, und diskutierte in allen Büros drüber diskutiert, an welchem Tag ich denn jetzt wohl zweimal Geschlechtsverkehr hätte.«

»Und Ihre Frau? Wie fand die das?«

»Die hat sich ebenfalls schlappgelacht.«

Plastic Propaganda aus Hamburg

Drei junge Männer und eine junge Frau aus Hamburg brachten Ende 2014 eine Platte heraus, die ich ungewöhnlich fand: Klar, das war Punkrock, und es war eine weitere Band, die sich an den späten 70er-Jahren orientierte. Aber man übernahm auch den Chic der damaligen Zeit – das Cover zieren vier Schaufensterpuppen in stilechter Kleidung – und griff musikalisch eine Reihe von Wave-Einflüssen auf.

Die Langspielplatte, die Plastic Propaganda veröffentlichten, empfand ich als durchaus gewöhnungsbedürftig: kein schnelles Geboller, das bewusst die Sex Pistols oder The Clash übertreffen wollte, sondern manchmal düstere und fast schon ruhige Klänge. Die Gitarre schrammelt herzzereißend, die Melodien sind treibend, die Texte voller Sarkasmus.

Das einzige deutschsprachige Stück der Platte trägt den Titel »Menschen dieser Stadt« und hätte vor vierzig Jahren das Zeug zu einem Szene-Hit gehabt. »Menschen dieser Stadt sind waschbeton-grau / gleicher Schritt und gleiches Leben / alle tragen Uniform / doch keiner sieht den Dienst / den er an der Waffe tut.«

Ähnliche Aussagen treffen auch die englischsprachigen Stücke, meist drücken die Texte eine tüchtige Frustration aus und triefen nicht gerade vor Begeisterung über die bundesrepublikanischen Zustände. Plastic Propaganda sind keine Band, die einen Hit nach dem anderen aus dem Ärmel schüttelt. Bei ihrer ersten LP fand ich sie gut, aber noch nicht eigenständig genug ...

09 Mai 2021

Nach 14 Monten Corona

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

»Herr Frick, Sie waren doch mal Punker. Machen Sie eine typische Handbewegung.« Nach 14 Monaten Corona-Pandemie mit allen medialen Begleiterscheinungen bin ich genauso frustriert wie viele andere Leute auch. Und flüchte mich in Sarkasmus und schlechte Ironie; auf Dauer kann das auch nicht gutgehen.

Bier trinke ich nur noch alkoholfrei – nachdem ich mit dem Rad an der frischen Luft war und dringend Flüssigkeit benötige. Ansonsten kommt derzeit viel Weißwein ins Glas: gern ein Riesling aus der Pfalz oder aus Baden, gern auch mal ein Custoza, ein Arneis oder ein Lugana aus Oberitalien. Man gönnt sich ja sonst nichts

07 Mai 2021

Hardcore nach vier Wochen Afrika

Aus der Serie »Erinnern an Konzerte«


Am Samstagvormittag war ich in Stuttgart gelandet, nach einem langen Flug zurück von Südafrika, und am Sonntagabend trieb es mich schon wieder auf ein Konzert. In der »Steffi« sollten an diesem Abend zwei Hardcore-Bands spielen. Ich fühlte mich nach langer Abwesenheit richtiggehend ausgehungert und wollte es unbedingt krachen lassen.

Der Keller des besetzten Hauses in der Innenstadt von Karlsruhe war gut gefüllt. Punks und Hardcore-Leute aus ganz Süddeutschland, von denen ich viele kannte, dazu die üblichen Autonomen, die ernst guckten und so aussahen, als wollten sie unbedingt jeglichen Spaß vermeiden.

Als erste Band spielten Acid Rain Dance aus Bremen. Ich kannte die Jungs schon, hatte mit ihnen schon in Freudenstadt ein Konzert veranstaltet, wusste also, was sie konnten und machten: Es war bratzig und krachig wie immer, eine heftige Mischung aus Hardcore und Metal, also nichts, was ich jeden Tag hören wollte, aber immer intensiv, vor allem auf der Bühne.

Im Publikum herrschte eher bedächtiges Zugucken. Einige Dutzend Leute standen herum, tranken Bier und wackelten mit dem Kopf. Die meisten hielten sich noch in der Haifischbar auf, standen an der Theke, tranken dort ihr Bier und warteten auf den Höhepunkt des Abends.

Der kam kurz darauf: So Much Hate aus Oslo enterten die Bühne, machten gar nicht lang herum und legten sofort los. Der Konzertraum füllte sich schlagartig mit Leuten, und ein rasanter Pogo ging los. In dem Gewölbekeller knallte der Sound noch mehr als in einem gewöhnlichen Konzertraum. Die Gitarre klang, als ob sie Eis zersplittern würde, der Sänger tobte auf der Bühne herum, als wollte er den Hexenkessel vor sich noch weiter anheizen.

Obwohl der Raum nicht hoch war, gab es einige Leute, die Stagediving betrieben. Das nervte, aber es passte dazu. Ich sprang herum, ich trank ein wenig Bier, ich war in blendender Laune. Es war ein schweißtreibender Abend mit lautem Hardcore-Punk. In der Haifischbar unterhielt ich mich noch mit einigen Leuten, bedauerte sehr, dass die weiter Bier trinken konnten – ich stieg derweil auf Mineralwasser um –, und verließ nach drei Uhr die »Steffi«.

Über die Landstraße fuhr ich nach Bischweier, wo ich zu dieser Zeit wohnte. Weil mein Kopf noch so überdreht war, hörte ich noch ein wenig Musik und trank ein Bier. Erst gegen vier Uhr lag ich in meinem Bett.

Beste Voraussetzungen für den ersten Arbeitstag nach über vier Wochen Abwesenheit, dachte ich. Wir schrieben den 3. Oktober 1993, ich war seit noch nicht einmal einem Jahr Redakteur einer Science-Fiction-Serie und sollte am nächsten Morgen zeitig im Büro erscheinen …