30 April 2021

Die Zeitung und das Blut

Aus der Serie »Dorfgeschichten« (spielt 1978)

Mittagspause auf der Baustelle: Die Sonne knallte auf uns herunter, wir aßen und tranken etwas. Ich war als Handlanger dabei und fand mich sehr erwachsen, wie ich da zwischen den Arbeitern saß, die schon dem Bier zusprachen, und mein Mineralwasser trank.

Eigentlich hatte ich ein aktuelles Romanheft dabei, auf dem ein kugelförmiges Raumschiff abgebildet war, und wollte in diesem einige Seiten lesen. Aber dann sah ich, dass eine BILD-Zeitung frei war, griff nach dem Blatt und schlug es auf. Bei meinen Eltern gab es diese Zeitung nicht, für meinen Vater war die BILD »einfach nur Dreck«. Deshalb war ich neugierig darauf, mehr über sie und ihren Inhalt zu erfahren.

Einer der Arbeiter in meiner Nähe sah mich mit der Zeitung und lachte. »Du musst die Zeitung gerade halten«, sagte er, »nicht so schräg.«

Ich war verwundert und kapierte zuerst nicht, was er meinte. War es einer der Späße, die Arbeiter gern mit jungen Leuten trieben, indem sie beispielsweise einen Lehrling in die Apotheke schickten, wo er eine Flasche »Ibeedomm« (Schwäbisch für »Ich bin dumm«) kaufen sollte?

Der Arbeiter lachte erneut und wies auf die Zeitung. »Du hast eine BILD vor dir. Die musst du immer so lesen, dass das Blut nicht rausläuft.«

Ich fiel in sein Lachen ein, ohne so recht zu verstehen, was er meinte. Nachdem ich einige Texte gelesen hatte, wusste ich Bescheid: Es ging um Mord und Vergewaltigung, die Sprache war reißerisch, die Bilder knallig. Danach war mir klar, was mein Vater gemeint hatte, als er die Zeitung so ablehnte …

Cancel Culture und Phantastik

Den Ansatz für die Zeitschrift »Queer Welten« finde ich immer noch sehr gut: Das Heft beschäftigt sich mit Science Fiction und Fantasy, wobei es sich als queerfeministisch versteht. Dadurch ergeben sich andere Ansätze, die phantastische Literatur zu betrachten. Dieser Tage las ich endlich die vierte Ausgabe zu Ende, die zum Jahresanfang erschienen war – das passt ja, weil in wenigen Tagen die fünfte Ausgabe erscheinen dürfte.

Der beste Beitrag im Heft ist ausgerechnet ein Artikel: Elea Brandt betrachtet »Die Angst vor der Cancel Culture«, wobei ich diese Angst ja meist eher albern finde. Die Autorin zeigt, woher der Begriff kommt und was er bedeutet und vor allem, was eigentlich dahinter steht. Das ist pointiert geschrieben, unterhaltsam und informativ – solche Artikel mag ich.

Bei den drei Kurzgeschichten wurde ich unterschiedlich »abgeholt«. Gut geschrieben waren sie alle, inhaltlich sprachen sie mich nicht alle an.

»Ritterchen Vulva« von Jasper Nicolaisen beispielsweise ist humoristisch – aber der Humor ist nichts für meinen Geschmack. Ich erkenne bei der Lektüre schon, dass das alles irgendwie witzig sein soll, kann aber nicht einmal müde lächeln. Humor ist eben doch sehr vom persönlichen Geschmack abhängig …

»Im Raum steht die Wut« von Teresa Teske ist eine Science-Fiction-Geschichte in Du-Form, in der es um eine ungewöhnliche Begegnung geht; in den Stoff kommt man nicht so schnell rein, sie ist aber gut geschrieben und hat eine originelle Sichtweise. »Angesicht zu Angesicht« von Tristan Lánstad hat mir von den drei Geschichten am besten gefallen: Fantasy mit Spiegeln und Magie, sehr schön erzählt!

Insgesamt ist das vierte Heft der Reihe wieder gelungen. Das Heft sieht eigentlich aus wie ein dünnes Taschenbuch, Layout und Druck sind professionell und meilenweit von der Optik eines Fanzines entfernt. Das kostet dann natürlich auch ein wenig mehr. Weitere Informationen zu den Bestellmöglichkeiten gibt’s auf der Internet-Seite des Achje-Verlags …

29 April 2021

Das kleine Haus im Rosenweg

Es war ein bescheidenes Haus, das mein Großvater in der »schlechte Zeit« der frühen zwanziger Jahre kaufte. Es war auch ein bescheidenes Haus, in dem mein Vater geboren wurde und achtzig Jahre später starb. Es war immer noch ein bescheidenes Haus, als ich darin aufwuchs.

Das Bild zeigt mein Elternhaus und das Elternhaus meines Vaters, wie es – so schätze ich – in den frühen fünfziger Jahren aussah. Es könnten auch die ganz frühen sechziger Jahre sein; so genau lässt sich das nicht mehr feststellen. Die Außenwände waren – wie es üblich war – mit Schindeln bedeckt, ein »Schendeldäfer«, wie man das bei uns am Dorf nannte.

Links und rechts des Hauses sieht man jeweils die Anfänge des Zauns: schlichte Holzlatten, mit Querlatten zusammengenagelt, alles sehr einfach. Im Hintergrund ist die alte Ziegelei zu erkennen, zu der ich zahlreiche Geschichten zu erzählen hätte.

Nachdem mein Großvater das Haus gekauft hatte, begann er mit der Renovierung. Mein Vater setzte den permanenten Umbau fort. Meine früheste Kindheitserinnerung ist, dass wir renovieren.

Es ist ein bescheidenes Haus, auch heute noch. Es sieht längst ein wenig anders aus. Und das Zimmer unterm Dach wird für mich immer der Raum sein, durch dessen Fenster ich als Junge hinaus in die Ferne und in den Himmel schaute, um von Reisen in die Ferne und Abenteuern in der Zukunft zu träumen.

Attrition mit poppigem Wave-Gedöns

Wer sich für die Geschichte der Musikrichtung New Wave mit all ihren Abweichungen und Verästelungen interessiert, kennt sicher auch die Band Attrition. Ich vermute aber mal, dass sie heutzutage nur noch Spezialisten ein Begriff ist. Ich hatte mir irgendwann die Maxi-EP mit dem schönen Titel »Turn To Gold« gekauft und hörte sie mir dieser Tage zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder an.

Sie war 1989 auf einem belgischen Label herausgekommen, die Band selbst war und ist eher britisch. Attrition veröffentlichte die ersten Platten schon 1982, hat seitdem zahlreiche Tonträger in die Welt geschossen und gilt als stilprägend für verschiedene Gothic- und Wave-Richtungen.

Die vier Stücke auf »Turn To Gold» sind typisch für die späten 80er-Jahre. In schleppendem Tempo wummert der Synthesizer, klingen die Stimmen der zwei Sänger mal dunkel, mal hell und leuchtend, wirkt das Ganze immer wieder ein wenig verzweifelt und alles andere als positiv. Die Melodien sind gut, wenn man sich auf die Stücke einlässt, sie gehen auch ins Ohr, wenngleich ich mir bis heute nicht vorstellen kann, wie man dazu tanzen soll ... (Ich weiß, die »Waffler« konnten das, aber ich fand das rein optisch immer albern.)

Klar, das ist keine Musik, die ich mir täglich anhören kann. Aber die Platte setzt einen echten Farbtupfer ins Plattenregal ...

28 April 2021

Am Alten Flugplatz

»Guck mal da, der kleine Hase – ist er nicht goldig?«

»Au ja, so ein schöner kleiner Mümmelmann. Der sieht wirklich goldig aus.«

Feierabend in Zeiten der Pandemie. Großstädter spazieren ins nächste Erholungsgebiet: der Alte Flugplatz. Von meiner Wohnung ist er nur einige hundert Meter entfernt, eine riesige Grünfläche zwischen Nord- und Nordweststaddt, zwischen Neureut-Heide und Weststadt, ehemals ein Flughafen, nun ein Naturschutzgebiet.

Und da sitzen wir dann in der Sonne, den Hintern auf einem Geländer aus Rundholz, und gucken den Tieren zu. Kaninchen in Hülle und Fülle in allen Größen – wir sagen »Hasen« dazu, aber es sind Kaninchen, würde ich sagen –, dazu zahlreiche Vögel; weiter oben sogar Wildesel, die dort in aller Gemütsruhe grasen.

»Au, das ist lustig: Die Hasen jagen sich gegenseitig. Sieht aus, als hätten sie Streit miteinander.«

»Sei doch nicht so negativ. Die spielen miteinander. Wie kleine Kinder.«

Der Boden des Alten Flugplatzes sieht über Hunderte Meter hinweg, als sei er komplett durchwühlt und von Gängen unterzogen. Eine eigene Stadt für Hunderte von Tieren. In der Dämmerung spaziert auch mal ein Igel durch die Gegend. Und wenn die Sonne tief steht, sehen die Vögel aus wie Wesen auf einer fremden Welt.

»So. Wir haben den Tieren lange genug zugesehen. Wir gehen jetzt noch in eine Bar oder in ein schickes Restaurant oder in einen Club. Mal wieder unter die Leute gehen.«

»Träumer.« Wildes Gerangel. Fröhlichkeit in Zeiten der Pandemie.

40 Jahre Punkrock und ein dickes Buch

Ich sah Bad Religion zweimal: einmal im Sommer 1989 in eine unfassbar überfüllten Konzertraum in Leonberg (die legendäre »Beat Baracke«) und einmal im Sommer 1990 in der Tonhalle in Villingen-Schwenningen. Beides Mal überzeugte mich die Band mit ihrem schwungvollen Hardcore-Punk und ihren guten Texten; das war großartig!

Danach spielte die Band nur noch in großen Hallen oder auf Festivals, und ich sah sie nicht mehr. Aus den Augen verlor ich sie nie, dazu war die Band im Punkrock-Kontext zu wichtig. Für mich war sie aber auf den Status »alter Herren« abgerutscht und nicht mehr so wichtig. Aber als 2020 das Buch »Die Bad Religion Story« erschien, interessierte es mich doch, was man über die vierzig Jahre, die es die Band schon gibt, alles erzählen kann.

Jim Ruland ist ein Journalist, der auch für Punkrock-Hefte schreibt und die Band sehr genau unter die Lupe nimmt. Er zeigt, aus welchen familiären Verhältnissen die Bandmitglieder kommen, welche Herkunft sie hatten und auf welcher Grundlage sie um 1980 anfingen, Punkrock zu spielen. Dabei kann er sich auf Interviews und Begegnungen mit den Bandmitglieder berufen; er kennt sich sichtlich aus und scheint auch sehr viel über das Umfeld der Band zu wissen.

Das führt dazu, dass vor allem die Anfänge der Band spannend sind: die ersten zwei Jahre. Er verschweigt nicht die peinliche zweite Platte der Band, aber er zeigt, wie sie mit »Suffer« in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre ein Meisterwerk veröffentlichte und danach auf einer Woge des Erfolgs durch die Punkrock- und Hardcore-Szene surfte.

Irgendwann kam bei der Band eine gewisse Normalität ins Spiel: Man ging auf Tour, dann machte man eine neue Platte, dann verließ jemand die Band, jemand neues kam. So verstreichen eben doch unglaubliche vierzig Jahre, die in der zweiten Hälfte dieser langen Zeit tatsächlich nicht mehr so spannend sind.

Schwierig finde ich bei dem Buch, dass Ruland so viel voraussetzt. Wer etwa noch nie von den Circle Jerks gehört hat, kann kaum einschätzen, warum die Band damals so wichtig war. Manchmal scheinen die einzelnen Kapitel aus einem Musikmagazin zu stammen – das ist für jemanden, der sich nicht so gut auskennt, dann sicher nicht so einfach zu beurteilen.

Unterhaltsam ist das Buch allemal. Aber klar: Es ist ein Buch für Fans.

Wer Bad Religion nicht kennt, wird so ein Buch eh nicht kaufen. Mir brachte es ein Wiedersehen mit meiner eigenen Vergangenheit – und während ich das Buch las, hörte ich mir viele der Platten noch einmal an, um am Ende zu beschließen, mir weitere Platten der Band zu kaufen. Sie war ja auch in ihrer späten Phase besser, als ich in meinem Irrglauben annahm.

Ernsthaft: Wer die Band mag, für den ist das Buch sicher spannend. Das Paperback ist 352 Seiten stark, es lässt sich gut lesen. Es gibt einige Fotos, die das Ganze auflockern. Mit 25 Tacken ist das Buch für ein Paperback allerdings nicht gerade preiswert – ob sich das lohnt, muss dann jede Person einfach selbst entscheiden. Fans müssen es wohl haben …

27 April 2021

Wie sich die 60er-Jahre im Comic-Krimi spiegelten

Zu den großen Comic-Klassikern der frankobelgischen Geschichte zählt »Rick Master«. Die Krimi-Serie erscheint seit 1955, hierzulande wird sie seit 2017 in einer wunderbaren Gesamtausgabe vom Splitter-Verlag veröffentlicht. Ich habe den zweiten Band dieser Ausgabe gelesen, der Alben aus den 60er-Jahren zusammenfasst.

Dabei ist es immer spannend, einen Blick auf die Art und Weise zu werfen, wie man zu dieser Zeit einen Comic erzählte. Die damaligen Comics richteten sich an junge Leute, man wollte Abenteuer vermitteln, sie aber nicht zu sehr verwirren. »Graue Charaktere« waren ebenso unerwünscht wie Sex oder zu viel Gewalt.

Ein schönes Beispiel dafür ist »Im Schatten des Chamäleon«. In der eigentlich spannenden Geschichte steht die Begegnung mit einem Bösewicht im Zentrum, den der heldenhafte Reporter schon vorher kennenlernte: ein ehemaliger Polizist, der zum Gangster geworden ist und der einen persönlichen Hass auf Rick Master hat. Der Comic erschien erstmals 1966, wirkt aber, als sei er aus der Zeit gefallen – von den gesellschaftlichen Umständen dieser Zeit lässt sich kaum etwas spüren, die Geschichte beschränkt sich schlicht auf Action und Ermittlungen.

Ein seltsamer Verkehrsunfall und seine Folgen machen den Anfang von »Ein teuflisches Netz« aus. Die Geschichte, ebenfalls 1966 veröffentlicht, greift mit dem Fernsehen immerhin aktuelle Themen auf. Rick Master nimmt an einer Talkshow teil, was damals unglaublich neu und modern war. Aber natürlich geht es vor allem um eine verwickelte Geschichte, in der ein schießwütiger Landbesitzer ebenso eine Rolle spielt wie ein geheimnisvolles Auto.

Komplett zeitgeistig ist die Geschichte »Entführung auf der ›France‹«, die ebenfalls 1966 veröffentlicht wurde. Hauptsächlicher Schauplatz des Comics ist ein riesiges Schiff, die »France«, das von den Schöpfern der »Rick Master«-Bände gründlich recherchiert wurde. Bei der Überfahrt in die USA kommt es zu Mordanschlägen auf einen Wissenschaftler, der eine geheimnisvolle Erfindung gemacht hat.

Der Krimi ist – wie die Science Fiction – immer ein Spiegelbild seiner Zeit. Das gilt für den Comic-Krimi ebenso wie für andere mediale Ausdrucksformen. Und »Rick Master« ist dafür ein hervorragendes Beispiel. Bei der Gesamtausgabe gibt es ergänzende Informationen in den redaktionellen Seiten, die zeigen, zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen welche Geschichte entstanden ist.

Die Lektüre dieser Seiten finde ich manchmal interessanter als manch klassischen Comic. Der zweite Band der »Rick Master«-Gesamtausgabe hat mir auf jeden Fall viel Freude bereitet – er macht sich zudem hervorragend im Comic-Regal.

26 April 2021

Unaufgefordert eingesandt

»Ich garantiere Ihnen, Sie werden sich schlapplachen.« Das stand in der Mail, die mir ein unbekannter Mann schickte. Ich wusste nicht, wer er war, stellte sich mir aber als jemand vor, der mit mir gemeinsame Bekannte hatte. Er wisse, dass ich mich mit Science Fiction beschäftige, aber er wolle mir trotzdem sein Manuskript zur Kenntnis geben. Vielleicht hätte ich eine Idee, wie man einen solchen »Erfolgsstoff« gut vermarkten könne.

Es war nicht das erste Manuskript, das mir jemand schickte. Und normalerweise hätte ich es per Formschreiben ablehnen können. Der Spruch mit »passt nicht in unser Programm« stimmte ja schließlich auf jeden Fall: Es hatte nichts mit Science Fiction zu tun, nicht einmal andeutungsweise; es spielte im »Hier und Jetzt« und sollte vor allem humoristisch sein. Bei Science-Fiction-Manuskripten warf ich immer einen Blick auf die einzelnen Seiten, um mir einen eigenen Eindruck zu verschaffen.

Aber weil die Person, die es mir schickte, glaubhaft unsere gemeinsamen Bekannten anführte, reagierte ich darauf. Ich schrieb eine positive Mail zurück und versprach, mit das Manuskript anzusehen. Das hatte ich auch vor. Ich druckte mir die ersten zwanzig Manuskriptseiten in einer platzsparenden Art aus, um mir einen Einblick zu verschaffen.

Das dauerte allerdings einige Zeit, und der Autor fragte bei mir nach. In mir erwachte die Scham: Ich hatte den Ausdruck in einem Stapel Papier versacken lassen, und dort lag er seit Wochen und Monaten.

Ich fischte den Ausdruck hervor, las ihn und fand den Text sehr schlapp. Ich hatte bei der Lektüre nicht einmal lächeln können, für mich war das nichts gewesen.

Auf Basis meines Notizen, die ich während der Lektüre angefertigt hatte, schrieb ich eine Mail an den Autor. Dabei bemühte ich mich, meinen Eindruck so subjektiv wie möglich zu schildern. Humor sei Geschmackssache, argumentierte ich, und das Manuskript sei bestimmt sehr witzig; bei mir habe der Humor keinen Anklang gefunden.

Das alles versuchte ich so klar und so höflich wie möglich zu formulieren. Meine Mail war – so dachte ich – sehr zurückhaltend. Ich wollte dem Autor schließlich keinen Schlag ins Gesicht verpassen, wünschte ihm weiterhin viel Erfolg mit seiner Schriftstellerei und schickte die Mail ab.

Der Autor reagierte überhaupt nicht auf meine Mail. Ich bekam kein »Dankeschön«, auch keine bitterböse Beschwerde, sondern einfach nichts. Es war, als hätte ich in den Wald gebrüllt.

Da verstand ich wieder einmal, warum die Lektoren der großen Verlage sich meist nicht einmal die Zeit nahmen, in unaufgefordert eingeschickte Manuskripte hineinzublicken, und schon gar nicht, den Autorinnen und Autoren eine persönliche Antwort zu schicken ...

25 April 2021

Anthologie in einer Gratisaktion

Vor einigen Monaten erschien die Anthologie »Wie künstlich ist Intelligenz?«, in der Geschichten von Andreas Eschbach, Judith Vogt, Carsten Schmitt und anderen Menschen zu finden sind. Auch von mir ist eine Kurzgeschichte enthalten, ich fungiere auch offiziell als Herausgeber.

Derzeit gibt es die Anthologie bei den E-Book-Shops im Rahmen einer Gratisaktion »für umme«. Ich kann da nur raten, schnell zuzugreifen – leider steht bei solchen Aktionen ja selten dabei, wie lange sie wirklich laufen.

Die Anthologie enthält Science-Fiction-Geschichten der unterschiedlichsten Richtungen: mal witzig, mal ernsthaft, mal träumerisch, mal dystopisch. Lohnenswert!

Carlos Rasch ist tot

Eine Nachricht, die mich dann doch traf: Der Schriftsteller Carlos Rasch ist bereits am 7. Januar 2021 gestorben, die Information dazu erhielt ich erst im April. Die Wikipedia verzeichnet auch nicht sonderlich viel über ihn und sein Werk.

Auf den Autor wurde ich in den frühen 80er-Jahren aufmerksam, als ich mit Science-Fiction-Fans in der DDR viele Briefe wechselte und wir auch Science-Fiction-Romane tauschte. Ich las unter anderem den Roman »Der blaue Planet« von Carlos Rasch, den ich nicht einmal so überzeugend fand.

In der DDR war der Autor aber seit den 60er-Jahren populär. Seine Romane wurden von den Science-Fiction-Fans sehr nachgefragt, sie erlebten mehrere Nachdrucke. Zwischendurch fiel der Autor aber in Ungnade.

Als ich ihn 1987 in Berlin besuchte, war er wieder gut im Geschäft. Wir fuhren in seinem alten Barkas durch die Stadt, wir gingen im Schriftstellerhaus in Pankow miteinander essen, ich führte ein Interview mit ihm. Ich fand ihn sympathisch, ein verschmitzt lächelnder älterer Herr.

Danach traf ich ihn nie wieder, wir wechselten immerhin einige Briefe. Es ist traurig, dass er bei den Science-Fiction-Fans offensichtlich mehrheitlich in Vergessenheit geraten ist …

24 April 2021

Eine halbe Milliarde Dollar

Die Summen, die von der Filmindustrie ausgegeben werden, um neue Blockbuster zu schaffen, sind im Verlauf der Jahrzehnte immer höher und absurder geworden. Da können die Streaming-Anbieter mittlerweile locker nachziehen; sie sitzen auf einem »Berg« von Abonnenten, denen man ständig neues Material präsentieren muss.

Ganz aktuell: Amazon setzt bekanntlich den »Herrn der Ringe« in eine Fernsehserie um. Allein schon für die erste Staffel kalkuliert man nun Produktionskosten von einer halben Milliarde US-Dollar. Das Geld muss dann auch erst wieder verdient werden, schon klar – aber bei den vielen Fans des »Herrn der Ringe« ist damit zu rechnen. Ich bin ja ebenfalls ein potenzieller Kunde …

Spannend ist, dass Amazon das Geld nicht allein aufbringen muss. Die erste Staffel der Serie wird ja bereits gedreht; man nimmt die bekannten Örtlichkeiten in Neuseeland. Und dort unterstützt eben auch die Regierung ein solches Projekt mit starken Zuschüssen.

Schon bisher waren Serien im Phantastik-Bereich ganz schön teuer. Bei »Game Of Thrones« mussten die Produzenten wohl immer um die hundert Millionen US-Dollar pro Staffel auf den Tisch legen, bei »The Mandalorian« wohl ebenfalls. Die Steigerung bei der Ring-Saga ist trotzdem sehr auffällig.

Ich bin schon sehr gespannt auf die Verfilmung, das muss ich ehrlich bekennen. Ob ich sie mir dann ansehe, entscheide ich spontan. Eigentlich reichen mir die drei »Herrr der Ringe«-Kinofilme völlig; die fand ich nämlich sehr gut, und die kann ich mir alle zwei, drei Jahre erneut ansehen.

23 April 2021

Eine Steuermarke aus Antigua

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«


Dass ich im November 2002 einige Tage auf Antigua verbrachte, war mehr einem Zufall geschuldet als die Folge einer ernsthaften Planung. Ich genoss die Zeit in dem kleinen karibischen Inselstaat. Ich fuhr mit dem Bus durch die Gegend, ich stieg auf einen Berg, ich fuhr mit dem Fahrrad, und ich sah mir so viel wie möglich an.

Aus den vielen Notizen, die ich auf Antigua machte, wollte ich einige Geschichten machen. Aber wie das leider so oft ist: Die Notizen lagen danach in einem Stapel Papier und wurden nicht mehr beachtet, und später wusste ich nicht einmal mehr, was ich mit mancher Notiz eigentlich gemeint hatte. Was letztlich blieb, waren viele positive Erinnerungen an interessante Leute und einige Bilder.

Unter anderem erhielt ich bei meiner Ausreise einen schönen Beleg von der örtlichen Steuerbehörde. Ich hatte eine Art Ausreisesteuer zu bezahlen, was ja kein ernsthaftes Problem darstellte, und dafür hatte ich hinterher ein abgerissenes Stück Papier in der Hand. Das fand ich dann doch ein wenig schlapp.

Aber wenn ich diesen Steuerzettel heute anschaue, denke ich an den Aufenthalt auf der Insel und fühle mich schon wieder ein wenig sommerlich und habe bessere Laune …

Ungewöhnliche chinesische Bildergeschichte

Ich finde es gut, dass der Verlag Chinabooks versucht, auch den deutschsprachigen Lesern die Comic-Welt Chinas nahezubringen. Ich selbst kann mit den Geschichten bislang eher wenig anfangen, freue mich aber immer, diese Einblicke in eine fremde Kultur mitzubekommen.

Im vergangenen Jahr erschien im Rahmen des Gratis-Comic-Tages beispielsweise »Mein Weg« von Jidi. Dabei handelt sich um eine junge Künstlerin, die eine ungewöhnliche Art hat, ihre Geschichten zu erzählen. »Mein Weg« ist ein längerer Zyklus aus Geschichten, die wohl teilweise autobiografisch sind.

Das Gratis-Heft präsentiert zwei Kurzgeschichten aus diesem Zyklus. Beides Mal sind ein mysteriöser alter Mann und ein junges Mädchen miteinander unterwegs; er zeigt ihr diverse Dinge und erläutert sie ihr. Beispielsweise geht es um eine Sängerin, die in einer unbedeutenden Seitengasse zu singen anfing, dann richtig berühmt wurde, nach einem Jahr aber freiwillig wieder in einem kleinen Lokal singen möchte.

Die Geschichten sind ein wenig traurig, und sie werden ohne jegliche Action und Spannung erzählt. Es gibt keine schnellen Bewegungen, keine Sprechblasen, nichts von dem, was man von den üblichen Comics her kennt. Das ist originell, packte mich aber nicht – da merkt man meine kulturelle Prägung sehr deutlich.

Die Zeichnungen sind hübsch: sehr aquarellig, sehr pastellig, auch sie ohne Action und Geschwindigkeit. Dabei ergibt sich ein spezieller Reiz; ich finde sie hübsch, aber ein wenig langweilig.

Alles in allem ist »Mein Weg« ein interessantes Heft, wenngleich sooooo so interessant für mich, dass ich mehr drüber wissen will. Ich wiederhole das, was ich am Einstieg dieses Textes schrieb: Es eröffnet einen Blick in eine fremde Kultur – und danach sehe ich selbst, ob es mir gefällt oder nicht.

22 April 2021

Eine Geschichte des Berliner Fandoms

Im Jahr 1966 war es soweit: »Die Geschichte des Berliner Fandoms« – also der Szene von Science-Fiction-Fans in der damaligen Mauerstadt – wurde aufgeschrieben und in einem Fanzine veröffentlicht. Die Veröffentlichung geschah im Sonderdruck 6 des Fanzines »Anabis«, das in den 60er-Jahren eine der besten deutschsprachigen Science-Fiction-Publikationen war.

Es ist auch heute noch erhellend, das Fanzine mit seinem Dutzend Seiten zu lesen. Immerhin begann die Szene in Berlin im Februar 1956; damals gründete sich der Science Fiction Club Berlin, der sich als Untertitel noch als »Freunde der Raumschiffahrt« – natürlich nur mit zwei »f« firmierte – bezeichnete. In den zehn Jahren zwischen 1956 und 1966 war die Geschichte dieses Clubs und der engagierten Fans durchaus abwechslungsreich.

Lese ich das heute, schüttle ich unweigerlich den Kopf. Viele der Namen sagen mir etwas, weil ich sie in anderen Publikationen gelesen oder die betreffenden Personen teilweise auch kennengelernt habe. Man stritt sich um Dinge, die kaum noch nachvollziehbar sind, häufig scheint es aber letztlich um die Profilneurosen junger Männer gegangen zu sein. (Die Chronik verzeichnet praktisch nur männliche Namen. Ein Charakteristikum für die frühe Fan-Szene.)

Ich habe das kleine Fanzine sehr gern gelesen. All diese Ereignisse spielten sich Jahrzehnte vor meiner Fan-Zeit ab; sie sind teilweise nur erklärbar, weil Berlin aufgrund seines Vier-Mächte-Status unter besonderen Regelungen stand. Erhellend ist, dass es immer wieder die gleichen Konflikte gibt ...

Polternde Melodien aus Kalifornien

In den 90er-Jahren zählte die kalifornische Band Swingin' Utters zu denen, die oft bei mir daheim liefen – oder auch bei Freunden. Die Band orientierte sich am klassischen englischen Punkrock, mischte ihn aber viel frischer und wuchtiger auf, und das Ganze wurde mit dem modernen Begriff »Street-Punk« belegt.

Dieser Tage hörte ich mir mal wieder die Platte »A Juvenile Product of the Working Class« an und war einigermaßen verblüfft. Es war die dritte Langspielplatte der kalifornischen Band, sie wurde 1996 veröffentlicht. Meine Begeisterung früherer Tage ist tatsächlich verschwunden – auch wenn ich die Platte nicht schlecht finde und sie mehrfach hintereinander anhören kann, packt sie mich nicht mehr so. Woran liegt's?

Es ist kein Hochgeschwindigkeits-Punkrock, die Stücke sind meist in einer mittleren Geschwindigkeit. Das kommt mir heute dann durchaus ruhig vor, fast schon lahm. Immerhin gibt es kein Metal-Gewichse und keine elenden Gitarrensoli, die meisten Stücke zünden trotzdem nicht.

Seien wir ehrlich: Anhören kann ich mir das immer noch, die Melodien poltern eifrig vor sich hin und gehen auch ins Ohr; es sind aber vergleichsweise wenig Hits dabei. Sogar die schnellen Stücke vergesse ich recht schnell, und auch nach dem dritten Durchhören der Platte bleibt wenig hängen.

Vielleicht muss ich sie einige Jahre im Plattenschrank lassen, vielleicht gefällt sie mir dann wieder. Im eigenen Kopf verschiebt sich im Verlauf der Jahre doch immer wieder einiges, und 1996 ist halt doch schon eine Weile her. Ob ich's 2026 noch mal probiere?

21 April 2021

Ein Bayern-Krimi mit besonderer Note

Fatou Fall wächst in Bayern auf, wohnt aber in Hamburg, wo sie als Kaufhausdetektivin arbeitet. Als sie beschließt, ihrer Tochter ihre Heimat in Oberbayern zu zeigen, weiß sie nicht, dass sie damit in einen Kriminalfall verwickelt wird. Das ist die Ausgangslage für »Die schwarze Madonna«, einen Krimi, der sich selbst als »Afrodeutscher Heimatkrimi« darstellt.

Die Geschichte klingt erst mal nach einem ganz normalen Krimi mit Heimatbezug, bekommt aber ab der ersten Seite einen ganz eigenständigen Charakter: Fatou Fall ist nämlich schwarz. Und sie wird ständig mit rassistischen Klischees und Vorurteilen konfrontiert, ebenso ihre Tochter. Für mich, der ich zur weißen »Mehrheitsgesellschaft« gehöre, war das immer wieder höchst interessant zu lesen, nicht unbedingt immer positiv, aber oft so, dass ich zum Nachdenken angeregt wurde.

Ansonsten läuft die Geschichte auf den ersten Blick recht konventionell ab. Die Detektivin bekommt einen Farbanschlag auf eine Kirche mit, den die Polizei als islamistisch einstuft – obwohl es eindeutig sind, dass sich hier weiße Männer maskiert und als südländisch aussehende Menschen geschminkt haben –, dann wird ein Mädchen entführt, und irgendwann ist klar, dass es im Ort auch um ein großes Bauprojekt geht, für das offenbar manche Leute bereit sind, über Leichen zu gehen …

Es dauert eine Weile, bis sich der Krimi entwickelt. Das ist auch die hauptsächliche Schwäche des Romans: Als Krimi überzeugte er mich nicht. Zu spät wird klar, dass hinter alledem »mehr« steckt, und die Auflösung fand ich nicht hundertprozentig überzeugend.

Der Roman überzeugt in seiner antirassistischen Botschaft, und er überzeugt dank seiner gelungenen Charaktere. Die Dialoge sind gut, die Figuren mit ihrer widerborstigen Art meist gut geschildert. Manchmal hätte ich mir gewünscht, die Autorin würde manche Szene stärker zuspitzen – aber das ist schon wieder ein Detail.

(Und ein weiterer Durchgang im Lektorat hätte nicht geschadet. Manchmal ist beispielsweise die Dialogführung ein wenig verwirrend.)

»Die schwarze Madonna« ist ein sehr unterhaltsamer Roman, der einem viel über Oberbayern, Rassismus und kulturelle Konflikte vermittelt. Wer einen »echten« Krimi erwartet – so wie ich –, ist womöglich enttäuscht. Wer sich auf die gelungene Geschichte einlässt, die im übrigen nach einer Verfilmung schreit, kommt auf seine Kosten.

Paul Scheerbart und die SF-Werkstatt

Der Schriftsteller Paul Scheerbart zählt zu den Wegbereitern der deutschsprachigen Science Fiction, ist aber hierzulande so gut wie vergessen. Das liegt sicher daran, dass seine Werke entweder nirgends zu haben oder eben nur in teuren Sammlerauflagen etwa in der Edition Phantasia veröffentlicht worden sind. Da freut es mich doch, wenn ich eine frühe Scheerbart-Geschichte digital und »für umme« lesen kann.

Gemeint ist »Die neue Oberwelt«, und angeboten wird sie auf der Internet-Seite Wikisource. Auf dieser Seite werden urheberrechtsfreie Texte aus der analogen Welt in die digitale Welt überführt, sprich, man kann sie dann im Internet lesen. Wichtig ist den Leuten, die sich dafür engagieren, unter anderem, dass eine möglichst fehlerfreie Transkription hinbekommen wird.

Bei diesem Text handelt es sich um eine sogenannte Novellette. Veröffentlicht wurde sie in der Zeitschrift »Die Aktion«, die sich zu dieser Zeit auch als »Wochenschrift für freiheitliche Politik und Literatur« verstand. Ich finde es spannend, solche altenTexte zu lesen, die so alt sind. Die genannte Scheerbart-Geschichte stammt aus dem Jahr 1911.

Auf der Seite der Wikisource wurde mittlerweile eine »SF-Werkstatt« gegründet. Gesucht werden Leute, die gern mitarbeiten. Es geht um die Transkription historischer SF-Texte – da ist noch viel zu tun. Und machen wir uns nichts vor: In Buchform gibt es praktisch keinen »Markt« für solche Texte. Das ist etwas für Studierende oder Leute, die halt gern Klassiker lesen wollen …

Ein lohnenswertes Projekt, das unbedingt weitere Unterstützende bekommen sollte!

20 April 2021

Er ist ein Vertriebs-Champion

Es lohnt sich, immer mal wieder in die Zeitschrift »DNV« zu blicken, auch wenn ich als Redakteur nicht die Zielgruppe sind. Das Heft spricht ja eher Vertriebsleute und Geschäftsführer bei Zeitschriftenverlagen an, nicht unbedingt das Fußvolk wie mich. Aber die Ausgabe 2/2021 von »Der neue Vertrieb« brachte dann doch sehr viele Wiedersehen für mich mit alten Bekannten.

Gleich auf dem Titelbild ist Christian Hellmann zu sehen. Ich glaube, ich habe ihn in all den Jahrzehten nicht getroffen, und er wird nicht einmal wissen, wer ich bin: In den späten 70er-Jahren veröffentlichte er das Fanzine »Solaris«. das er 1980 einstellte und das es auf 15 Ausgaben brachte. Ich hatte es damals noch bei ihm bestellt.

Damals wusste er schon sehr gut, wie man interessante Inhalte gut verpackt: »Solaris« war eines der besten Science-Fiction-Fanzines, auf die ich damals stieß, und beeinflusste mich wohl ziemlich stark. Seit vielen Jahren ist er als Chefredakteur im weiten Feld der Programmzeitschriften unterwegs.

Christian Hellmann ist ein Beleg dafür, dass man im Fandom sehr wohl Dinge lernen kann, von denen man noch Jahrzehnte danach profitiert. Respekt!

Dämonen, Christen, Amerikaner

Ich weiß noch, wie stark ich den ersten Band der Comic-Serie »Outcast« fand: spannend erzählt, realistisch gezeichnet, eine packende Mixtur aus Horror und religiösem Wahn. Mittlerweile wurde aus diesem Comic eine Fernsehserie, von der ich bislang keine Minute gesehen habe. Umso interessanter war es für mich, den zweiten Band der Serie zu lesen, der den schönen Titel »Unermesslicher und endloser Zerfall« trägt und schon seit längerem im Handel zu haben ist.

Worum geht's? Kyle Barnes hat eine seltsame Gabe: Der junge Mann ist in der Lage, Dämonen zu erspüren und sie aus dem Körper von Menschen zu vertreiben, die sie besessen haben. Er kämpft also gegen die Höllenmächte, und das macht er immer besser. Unterstützung findet er bei einem streng religiösen Pfarrer, dessen Weltsicht ziemlich reaktionär anmutet.

Soviel verriet bereits der erste Band von »Outcast«; im zweiten setzt sich der Kampf gegen die Dämonen fort. Parallel dazu versucht Kyle herauszufinden, wie sein aktueller Konflikt mit seiner Vergangenheit zusammenhängt. Warum ist er so wichtig für die Mächte der Finsternis? Wodurch unterscheiden sich die einzelnen Opfer, wie kann man den Menschen helfen?

Kyles Weg zu mehr Erkenntnis ist auch ein Weg zu mehr Tragik: Noch einmal trifft er auf seine kleine Tochter, noch einmal spricht er mit seiner Frau, die er verlassen musste – diese Szenen sind bedrückender als die Begegnungen mit Menschen, die von Dämonen besessen sind. Dabei wird klar, dass Menschen oftmals die schlimmeren Dämonen sind.

Anders gesagt: Es geht um katholisch-christliche Mythen und Exorzismus, nicht unbedingt eine leichte Kost. Robert Kirkman hat mit seinem Zombie-Comic »The Walking Dead« gezeigt, dass er es versteht, ein klassisches Horror-Thema so aufzubereiten, dass es zu einem massenkompatiblen Erfolg wird. Bei »Outcast« geht er ähnlich vor.

Die Geschichte wird mystisch erzählt, sie entwickelt sich schnell und spannend. Der Blick auf die Vergangenheit lässt ahnen, dass noch die eine oder andere Überraschung auf die Leser zukommt. Das macht der Autor richtig gut!

Mit Paul Azaceta kommt ein Künstler zur Geltung, der es darüber hinaus versteht, vor allem Szenen in der Dunkelheit oder in der Dämmerung zu gestalten. Oftmals zeigt er nur Schattenrisse, dann wieder Einzelheiten von Gesichtern oder von amerikanischen Durchschnittswohnungen. Damit liefert er eine filmische Darstellung, die mich faszinierte.

Mir hat der zweite Band von »Outcast« sehr gut gefallen, auch wenn ich extrem spät dran war mit meiner Lektüre. Beim Verlag Cross-Cult sind ja weitere Teile erschienen – allesamt als sehr schöne und handliche Hardcover-Ausgaben –, bei denen ich sehen werde, ob und wie ich sie mir noch beschaffen kann ...

19 April 2021

Österreichische Superheldinnen

Seit fünf Jahren erscheinen nun die Abenteuer der »Austrian Superheroes«, die meist als »ASH« abgekürzt werden. Ihre Abenteuer werden in Form von Heften veröffentlicht, aber auch in dickeren Paperback-Ausgaben. Zum Gratis-Comic-Tag 2020 gab man ein Sonderheft unter dem Titel »Heldinnen« heraus, das ich dieser Tage erst lesen konnte.

Ich mag Kurzgeschichten, die – wie in diesem Fall – einen leichten Einstieg in einen Kosmos ermöglichen. Im vorliegenden Heft gibt es Geschichten, die stets nur wenige Seiten umfassen und Figuren wie das Donauweibchen – sehr hübsch – und Lady Heumarkt – sehr kräftig – vorstellen. auch das Team Berlin kann sich in einem kurzen Auftritt präsentieren. Stets stehen die weiblichen Helden der Superheldenserie im Zentrum.

Im »ASH«-Kosmos kenne ich mich kaum aus. Deshalb habe ich mich sehr über die Geschichten gefreut. Sie sind in unterschiedlichem Stil erzählt und gezeichnet: mal im Stil amerikanischer Superhelden-Geschichten, mal eher »undergroundig«, insgesamt aber stets professionell und sehr ansprechend.

Das Heft gibt Menschen wie mir einen sehr guten Einstieg in ein buntes und abwechslungsreiches Comic-Universum, das sich selbst kaum ernst nimmt. Da überlege ich mir doch glatt, mir endlich mal einige »ASH«-Ausgaben zuzulegen … sehr schönes Heft!

Ich mag Kurzgeschichten, die – wie in diesem Fall – einen leichten Einstieg in einen Kosmos ermöglichen. Im vorliegenden Heft gibt es Geschichten, die stets nur wenige Seiten umfassen und Figuren wie das Donauweibchen – sehr hübsch – und Lady Heumarkt – sehr kräftig – vorstellen. auch das Team Berlin kann sich in einem kurzen Auftritt präsentieren. Stets stehen die weiblichen Helden der Superheldenserie im Zentrum.

Im »ASH«-Kosmos kenne ich mich kaum aus. Deshalb habe ich mich sehr über die Geschichten gefreut. Sie sind in unterschiedlichem Stil erzählt und gezeichnet: mal im Stil amerikanischer Superhelden-Geschichten, mal eher »undergroundig«, insgesamt aber stets professionell und sehr ansprechend.

Das Heft gibt Menschen wie mir einen sehr guten Einstieg in ein buntes und abwechslungsreiches Comic-Universum, das sich selbst kaum ernst nimmt. Da überlege ich mir doch glatt, mir endlich mal einige »ASH«-Ausgaben zuzulegen … sehr schönes Heft!

18 April 2021

Die Glaswand

Ohne jegliche Ankündigung flogen die Steine. Sie prasselten von der Seite in die Demonstration herein. Ich bekam es erst mit, als Leute in meiner Nähe in Panik gerieten und auf einmal viele Menschen zu rennen begannen.

»Was ist los, verdammt?«, schrie ich.

»Die Scheiß-Nazitürken!«, brüllte ein Vermummter in meiner Nähe. »Da – aus der Seitenstraße.«

Es war der Samstag, 5. Juni 1993. Ich stand in einem Demonstrationszug, der vor allem aus Autonomen, Punks und linken Türken bestand. Insgesamt fünf Demonstrationszüge bewegten sich durch Solingen auf einen zentralen Kundgebungsort zu. Eine Woche zuvor waren bei einem Brandanschlag auf ein Haus fünf türkischstämmige Menschen ums Leben gekommen. Und nun waren wir in der Stadt, um auf einer Kundgebung zu zeigen, was wir davon hielten.

Ich lief los, wie viele andere um mich herum, ohne ein klares Ziel zu haben. Dann erkannte ich es: Aus der genannten Seitenstraße rannten Leute auf uns zu. Es waren mehrere Dutzend, vielleicht sogar einige hundert. Die Straße war voller Menschen, sie trugen Knüppel und Dachlatten in der Hand und brüllten in türkischer Sprache irgendwelche Parolen, die ich nicht verstand.

Vereinzelt flogen Flaschen und Steine, auch von unserer Seite. Doch mit mir stürmten auf einmal einige hundert Leute den Angreifern entgegen. Ich war nicht an der Spitze des Sturms, sondern eher im hinteren Mittelfeld. So bekam ich gar nicht direkt mit, wie vor mir die Gruppen zusammenstießen.

Ich sah das Handgemenge. Dachlatten wurden geschwungen, Leute gingen zu Boden, irgendwo prasselten Steine zwischen die Menschen. »Die Bullen!«, schrie jemand.

Der Kampf vor uns war vorüber, bevor ich nahe genug gekommen war. Die Angreifer wandten sich zur Flucht, die Polizei stürmte mit Wucht in die Seitenstraße. Hubschraubern dröhnten über den Straßen von Solingen. Wir zogen uns zu unserer Demonstration zurück, während die Polizei die Seitenstraße absperrte. Einige letzte Steine wurden geschleudert, dann waren wir wieder bei den anderen.

Ich kochte vor Wut und reihte mich wieder in die Demonstration ein. Die Slogans, die durch die Straßen hallten, wurden aggressiver. »Aufruhr Widerstand – es gibt kein ruhiges Hinterland!« ertönte. Dann wieder »Wir haben euch etwas mitgebracht – Hass Hass Hass!« Die meisten um mich waren vermummt.

Wir kamen nicht weit. Die Demonstration hielt vor der Glasfront einer »McDonald’s«-Filiale. Schätzungsweise eine Hundertschaft Polizisten stand davor, komplett in Straßenkampf-Montur, Schilder und Knüppel in der Hand, von hinten kamen weitere Polizisten. Wir drängten mit Tausenden von Leuten auf sie zu.

Die Stimmung war aufgeheizt, ein Geruch nach Bürgerkrieg hing in der Luft. Steine flogen auf die Polizisten und auf die Glasfront des Restaurants. Was sich als Wurfgeschoss benutzen ließ, wurde nach vorne geschleppt und auf die Beamten geworfen.

Und dann kamen der Slogan, der in diesen Tagen oft benutzt wurde und an diesem Tag zum ersten Mal zu einer direkten Wirkung führte: »Wo – wo – wo – wo wart ihr in Rostock?«, brüllten wir. Es war eine Erinnerung an Rostock-Lichtenhagen, wo die Polizei tagelang einen rechtsradikalen Mob hatte gewähren lassen, auch dann, als dieser ein Haus anzündete, in dem sich Menschen aufhielten, und wo die Polizei erst aktiv wurde und prügelte, als sich Antifaschisten aus Hamburg und Berlin den Nazis in den Weg stellten.

»Wo – wo – wo – wo wart ihr in Rostock?«, hörte ich nicht zum ersten Mal. Aber es wurde an diesem Tag wütend und entschlossen gebrüllt, von Tausenden von Leuten, die sich zu einem größten Teil in Ketten formierten, die vermummt und entschlossen waren.

Und es geschah, was ich nicht erwartet hatte: Die Polizisten zogen sich zurück, in genau dem Rhythmus, mit dem der Slogan gebrüllt wurde. »Wo – wo – wo – wo wart ihr in Rostock?«, gellte es durch die Straßen, und Schritt um Schritt um Schritt wichen die Polizisten nach hinten.

Dann zerprasselte die Glasfront des »McDonald’s« in einem Hagel aus Steinen. Die Filiale wurde auch noch gestürmt und verwüstet, das war mir aber egal. Die Demo lief mittlerweile schneller, kämpferisch und zornig. Die Polizisten flüchteten geradezu, und wir eilten durch die Straßen von Solingen auf den zentralen Kundgebungsplatz zu.

Ich zog mein Halstuch weiter hoch und klopfte die schmutzigen Hände an der Hose ab. Ich war verschwitzt und angespannt, die Sonne knallte auf uns herunter. Es war noch früh am Tag, und mir war bewusst, dass das noch nicht die letzte Auseinandersetzung gewesen sein konnte …

16 April 2021

Hausbesetzung geplant

»Wir sollten auch einmal ein Haus besetzen«, schlug Udo vor. Wir saßen auf dem Vordach des Jugendzentrums und blickten auf die Nachbarhäuser. Aus der Küche hinter uns drang mal wieder Bob Marley, das passte zu diesem Sommer 1981. Wir tranken Tee, futterten Kekse und redeten über Politik.

Die Themen lagen buchstäblich auf der Straße. Atomkraftwerke wurden gebaut, und wir Jugendlichen waren dagegen. Neue Atomraketen sollten stationiert werden, und wir waren dagegen. Die Republik wurde von alten verknöcherten Männern regiert, und wir waren dagegen. Wir hörten rebellische Musik, zogen uns rebellisch an – meist Parkas und zerschlissene Jeans – und wollten die Welt verändern.

»Wo willst du denn bei uns ein Haus besetzen?«, fragte Stöff. »Wir sind doch hier nicht in Berlin.«

In Kreuzburg waren Dutzende von Häusern besetzt worden, jeden Tag wurden es mehr. In den Zeitungen und Zeitschriften, die wir lasen, ging es immer wieder um Hausbesetzungen und den Kampf gegen den Mietwucher. Ich war ein großer Fan der anarchistischen Zeitung »Graswurzel-Revolution«, die den gewaltlosen Widerstand predigte und von einer sozialen Revolution schwärmte.

Udo redete sich in Begeisterung. »Die alte Bacher-Villa am Stadtrand steht seit Jahren her«, erinnerte er uns. »In die kommt man bestimmt schnell rein, von hinten quasi. Und bis die verschnarchte Polizei etwas merkt, haben wir das Haus auch schon gesichert.«

Das fanden wir dann alle gut. Die Bacher-Villa kannte ich. Jeden Morgen fuhr ich an ihr vorüber, wenn ich mit dem Rad zu dem Supermarkt fuhr, wo ich die Schicht an der Tankstelle übernehmen würde. Mittags und abends passierte ich sie ebenfalls oft. Das Haus sah toll aus, und es stand seit Jahren leer.

»Eigentlich optimal«, sagte ich andächtig.

Wir schmiedeten Pläne. Wie kamen wir in das Haus rein, wie sicherte man es eigentlich ab? Was sollten wir tun, wenn die Polizei versuchen würde, das Gebäude zu stürmen? Welche Transparente wollten wir beschriften und aushängen? Ab wann sollten wir die Presse oder politische Partner einbinden?

Bis mir irgendwann die logische Frage einfiel: »Meint ihr nicht, dass es blöd wirkt, wenn ausgerechnet wir ein Haus besetzen?« Ich sah mich in der Runde um: fünf Jugendliche, alle männlich, alle in der Kleinstadt im Schwarzwald und den umliegenden Dörfern aufgewachsen. »Wir wohnen doch alle noch bei unseren Eltern. Da können wir kaum auf die Wohnungsnot aufmerksam machen.«

Ich fürchte, ich bin schuld, dass es 1981 zwar in Weltstädten wie Memmingen und Tübingen zu Hausbesetzungen kam, nicht aber im beschaulichen Freudenstadt im Schwarzwald.

15 April 2021

Rinks und lechts im frühen Fandom

Es ist immer wieder interessant, in alten Fanzines zu blättern. In der Ausgabe 10 von »Müllers Sadistische Blätter«, die ich in meiner frühesten Fan-Phase sehr gern las, wird unter anderem über die Jahreshauptversammlung der AGSF berichtet. AGSF ist die Abkürzung für Aktivgruppe Science Fiction, die eher als »rechts« galt.

In der AGSF sammelten Leute wie Christian Worch ihre wichtigen Fan-Erfahrungen. An der Veranstaltung in Duisburg nahmen Leute teil, die damals klar als Mitglieder der NPD oder organisierte Neonazis galten, auch Worch selbst war dabei. Die meisten Besucher – es waren insgesamt elf Personen – dürften als unpolitisch gegolten haben.

Skurril aber: Zwei Personen nahmen als Gäste teil, die dem eher als »linksradikal« geltenden Science-Fiction-Korrespondenz-Ring (SFKR) angehörten. In diesem wurde ich ab Ende 1979 ebenfalls Mitglied. Spannend ist nun: Die beiden Besucher galten als stramm links; einer war sogar – wenn ich mich recht erinnere – Mitglied in der Deutschen Kommunistischen Partei, der DKP also.

Seltsame Begegnungen … Man mochte sich über alle Parteigrenzen hinweg. Science-Fiction-Fans eben.

Das Fanzine wurde am 16. August 1979 veröffentlicht. Es bestand aus vier Seiten im A4-Format, »abgezogen« mittels eines Umdruckers. Wie hoch die Auflage war, ist leider nicht mehr festzustellen. Sicher nicht sehr hoch.

(Aus hoffentlich nachvollziehbaren Gründen habe ich die Namen der Personen weggelassen, die damals teilnahmen. Sie haben sich längst weiterentwickelt, leben vielleicht schon gar nicht mehr oder wollen damit nichts mehr zu tun haben. Christian Worch ist erwähnt, weil man ihn als Person der Zeitgeschichte einstufen kann.)

Der Sound aus New York, als hätten wir 1988

Irgendwann in den frühen 90er-Jahren hatte ich keine Lust mehr auf den Sound aus New York, vor allem nervte mich die großkotzige Szene, die ich damit verband. Das aber ist schon wieder so lange her, dass ich mich neuerdings wieder des bratzigen Sounds erfreuen kann, der Ende der 80er-Jahre aus dem »Big Apple« herüberkam.

Da kommt mir Brain Slug gerade recht. Die Band veröffentlichte im Dezember 2011 eine EP, die auf 410 Exemplare limitiert war – zumindest sagte es das Label – und fünf knackige Hardcore-Stücke enthielt. Dabei ließen es die Burschen, die nicht aus einem der angesagten Szeneviertel, sondern aus Long Island kamen, ordentlich krachen.

Gleich zu Beginn gibt es eine Rückkopplung, dann poltert die Band los, zuerst ein wenig behutsam und rockig. Das ist nicht unbedingt Hochgeschwindigkeits-Sound, sondern manchmal ein zäher Rhythmus, der sich langsam steigert, durchaus rüpelig und so doch nach New York klingend.

Was ich bei den Texten nicht vermisse, ist die Großspurigkeit der ollen New Yorker, und ich vermisse ebensowenig das dauernde »Unity« und »Brotherhood«. (Das hatte Ende der 80er-Jahre sicher seine Bedeutung, wurde dann aber viel zu schnell zu einer Mode.)

Statt dessen gibt es wütenden Auf-die-Fresse-Hardcore, der beispielsweise beim Titelstück »Distort New York« zu einem Wutausbruch von 52 Sekunden führt. Hat was!

14 April 2021

Der verschobene Con

Ich weiß nicht mehr genau, wann ich auf meinem ersten ColoniaCon war: Irgendwann in den frühen 80er-Jahren reiste ich per Anhalter nach Köln, und dort traf ich im Jugendpark auf viele andere Science-Fiction-Fans. Das ist jetzt gut vierzig Jahre her, und ich habe meine »fannische« Prägung in dieser Zeit nie verdrängt oder vergessen.

Und deshalb ist der ColoniaCon immer einer der Cons, die meine fannische Heimat sind. Ich habe es in den vergangenen Jahren nicht immer geschafft, den Con zu besuchen – das hat schlicht den Grund, dass ich bei einem Con eben nicht privat bin, sondern immer beruflich, und da möchte ich doch ab und zu mal an einem Samstag im Sommer lieber privat daheim als beruflich in Köln sein.

Die dauernden Verschiebungen des Con-Termins liegen in der aktuellen Pandemie-Situation begründet. Das ist bedauerlich, in der jetzigen Situation aber nicht zu ändern. Da finde ich es konsequent, den Con gleich ins Frühjahr 2022 zu schieben.

Dann werden die Veranstalter in Köln vierzig Jahre ColoniaCon feiern: in dem Jugendpark, in dem unsereins als Jugendlicher damals herumlief und viele Leute traf. Vielleicht schaffen es die Veranstalter sogar, den Sozialarbeiter auszugraben, der in all den Jahren für die Fans als Ansprechpartner zur Verfügung stand – ich erinnere mich daran, dass ich ihm vor vielen Jahren bei einem Con einmal ein offizielles Geschenk überreichte. Das wäre doch konsequent …

Ich hoffe, dass wir bald wieder eine Saison mit Cons haben werden. Auch wenn es durchaus Gründe gibt, über das »alte Fandom« zu spotten, ist es doch mein Anfang in der Science Fiction gewesen. Und Köln gehört für mich seit den frühen 80erJahren dazu …

Ein Meisterwerk zwischen Fantasy, Thriller und Familienroman

Bereits 2017 erschien die Hardcover-Version von »Die erstaunliche Familie Telemachus« in deutscher Übersetzung im Eichborn-Verlag, auch die Version als Taschenbuch liegt seit einigen Jahren vor. Ich habe den Roman erst dieser Tage gelesen und möchte ihn – da man ihn ja überall noch kaufen kann – unbedingt empfehlen. Es ist ein wunderbarer Phantastik-Roman, voller herrlicher Charaktere, die alle zusammen eine Familie bilden und miteinander in den unterschiedlichsten Problemen festsitzen.

Doch erst einmal der Reihe nach: Bei der Familie Telemachus handelt es sich um Menschen, die von Außenstehenden meist als eine Bande von Trickbetrügern angesehen werden. Angeführt von Teddy, dem Patriarchen der Familie, tingelten die Familienmitglieder vor vielen Jahren noch durch Fernsehsendungen oder traten öffentlich auf, um ihre angeblichen Wunderkräfte vorzuführen. Doch dann wurden sie »entlarvt«, es kam heraus, dass die Wunderkräfte allesamt auf Tricks beruhten, und sie mussten sich zurückziehen.

Doch alles ist in Wirklichkeit ganz anderes. Wer zur Familie Telemachus gehört, verfügt sehr wohl über seltsame Fähigkeiten. Teddys Sohn Frankie kann in seltenen Gelegenheiten mit seiner Gedankenkraft allerlei Dinge bewegen. Seine Tochter Irene spürt genau, wann jemand lügt. Teddys Enkel Matty wiederum ist in der Lage, geistig seinen Körper zu verlassen und durch die Gegend zu reisen.

Doch all das bewahrt die Familie Telemachus nicht davor, in viele Schwierigkeiten zu rutschten. Unter anderem hat man Ärger mit dem örtlichen Ableger der Mafia, wozu finanzielle Schwierigkeiten und ein teilweise erhebliches Gefühlsdurcheinander kommen. Wie sollen Großvater Teddy, seine Kinder und Enkelkinder aus diesem Chaos herauskommen?

Daryl Gregory war mir vorher als Science-Fiction-Autor bekannt, seinen Roman »Afterparty« fand ich sehr spannend. Mit diesem rasanten Zukunfts-Thriller hat »Die erstaunliche Familie Telemachus« allerdings nichts zu tun. Höchstens das Erzähltempo: Der Autor erzählt so mitreißend, dass man kaum aufhören mag; die Szenen folgen sehr schnell und sehr spannend aufeinander.

Wer sich mit Genre-Diskussionen gern beschäftigt, kann sich Gedanken darüber machen, ob das nun ein phantastischer Roman oder ein Thriller ist. Der Autor paart seinen Genre-Mix auch noch mit einem augenzwinkernden Humor, der mir sehr gut gefallen hat.

Die Handlung verläuft einerseits linear, springt aber andererseits immer wieder in die Vergangenheit. Dazu kommt ein Familienmitglied, das offensichtlich in die Zukunft schauen kann, damit aber seine Probleme hat – das alles ist großartig erzählt. Anfangs braucht man vielleicht ein wenig, um die unterschiedlichen Blickwinkel sortieren zu können, dann aber entwickelt der Roman einen starken Sucht-Charakter.

Ohne Schmarrn: ein großartiger Roman, ein Meisterwerk – unbedingt zu empfehlen!