26 Juli 2024

Er kann Waschmaschine

Warum ich mit der Frau ins Gespräch kam, spielt keine Rolle. Es ergab sich eines Abends in einem Biergarten. Ich blieb nüchtern, weil ich mit dem Auto unterwegs war; sie gönnte sich den einen oder anderen Rosé. Das half ihrem Redefluss eindeutig.

Sie erzählte von ihrem Leben. Sie habe drei Söhne und eine Tochter. Und während die Tochter eigentlich ganz gut geraten sei, habe sie mit den Söhnen echte Probleme.

»Das ist klar bei dem Vorbild!«, sagte sie lachend und wies auf ihren Mann, der ebenfalls am Tisch saß. »Von dem lernen sie ja alles. Drei Jungs und ein Mann, die im Stehen pinkeln und das mit dem Klodeckel auch nicht hinbekomme.«

Ich hielt den Mund, obwohl mir einiges auf der Zunge lag. Ich war ebenfalls in einem Haushalt großgeworden, in dem der Vater und der Sohn im Stehen pinkelten und die Mutter das Klo zu putzen hatte. Seit Jahren war ich stubenrein und schaffte es – sogar im Verlag – mich im Klo ganz gemütlich hinzusetzen. Es hatte mich nicht »verweiblichen« lassen, vermutete ich, blieb aber still.

Die Frau redete ohnehin weiter. Die Wäsche sei auch so eine Sache. Vier Kinder und ein Mann, da sei viel zu tun. Dabei seien die Kinder teilweise schon volljährig; das ändere aber nichts.

»Wenn sie die Klamotten wenigstens zur Waschmaschine bringen würden«, klagte sie, immer wieder lachend, als sei alles ein großer Spaß für sie. »Aber sie lassen sie überall liegen, wo sie gehen und stehen, und ich kann’s aufräumen. Die Männer vor allem!«

»Na ja«, sagt ich vorsichtig, »ich bin auch ein Mann, aber ich kann eine Waschmaschine bedienen und mache das regelmäßig.«

Sie starrte mich an. »Er kann Waschmaschine!«, rief sie. »Ein Mann, der eine Waschmaschine bedienen kann.« Sie rückte näher an mich heran und packte mich am Arm. »Sollen wir heiraten? Bist du noch zu haben?«

In diesem Augenblick war ich wieder klug genug, die Klappe zu halten. Und so machte ich es dann den größten Teil des Abends …

25 Juli 2024

Ein »FREAKextrablatt«

An Selbstbewusstsein mangelte es mir nicht im Sommer 1981. Zumindest vermittelte ich glaubhaft den Eindruck, selbstbewusst zu sein. Davon zeugt das »FREAKextrablatt«, das ich im September dieses Jahres in Umlauf brachte. Es wurde mithilfe eines Umdruckers hergestellt – also auf Matrizen getippt und dann vervielfältigt – und von mir per Post verteilt.

Ich wollte damit auf den zweiten Con hinweisen, den ich im Jugendzentrum »Murgtäler Hof« in Freudenstadt veranstalten wollte. Den ersten Con im Frühjahr 1981 hatten vielleicht 15 Personen besucht, mehr nicht, aber nun hatte ich größere Ziele. Ich wollte beweisen, dass man auch in einer kleinen Kurstadt eine Science-Fiction-Veranstaltung etablieren konnte.

Auf zwei Seiten erzählte ich all das, was ich plante und was ich mir vorstellte. Dabei bemühte ich mich, halbwegs seriös zu wirken. Der Titel »FREAKextrablatt« leitete sich von meinem Egozine »Der Freak« ab, das ich zu jener Zeit ebenfalls veröffentlichte.

Völlig falsch war meine Werbung übrigens nicht: Gut sechzig Leute besuchten den zweiten FreuCon. Das war noch steigerungsfähig, fand ich. Aber das ist dann eine andere Geschichte …

Mitreißender Fantasy-Roman mit grimmigem Humor

In einer Welt, die nicht mit einem Namen bezeichnet wird, in einem Universum, in dem Schwert und Magie vorherrschen, in einem sozialen Umfeld, das von roher Gewalt beherrscht wird: »Die Prinzessinnen« ist ein Roman, der die Leserschaft in eine Handlung wirft, in der es viel Action, bissige Dialoge und explizite Darstellungen von Kämpfen gibt.

Um es vorwegzunehmen: Darauf muss man sich bei der Lektüre einstellen, das ist nichts für sanfte Gemüter. Aber mich hat der Roman von Christian Endres prächtig unterhalten.

Erschienen ist »Die Prinzessinnen – Fünf gegen die Finsternis« bereits im Frühjahr des Jahres. Mittlerweile liegt auch ein zweiter Band vor; die Geschichte ist also auf Fortsetzungen angelegt. Angesichts des Sogs, den die Handlung bereits im ersten Band entwickelt, kann ich das nachvollziehen.

Der Reihe nach: Narvila ist eine Prinzessin, die am Hof eines eher unbedeutenden Königs aufwächst, aber vom wirklichen Leben außerhalb des Schlosses nicht viel mitbekommt. Doch dann wird sie entführt. Ihr Vater setzt eine Gruppe von Söldnerinnen ein, die Narvila auf blutige Weise aus der Gefangenschaft befreit. Und nach einigem Hin und Her beschließt die junge Prinzessin, sich den Söldnerinnen anzuschließen.

Bei ihnen handelt es sich nämlich um vier Königstöchter, die allesamt keine Lust mehr auf das Leben im Schloss hatten. Narvila muss an der Seite dieser Truppe eine Probezeit durchlaufen, die es in sich hat: Die fünf Frauen treten gegen menschliche Gegner, gegen Satyrn und Dämonen an, gegen monströse Wesen und Drachen aller Größen. Sie werden verletzt und gefangengenommen, sie kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung und allen schäbigen Tricks, die ihnen einfallen. Und ihre Aufgaben scheinen immer größer und gefährlicher zu werden ...

Mit dem ersten Band von »Die Prinzessinnen« ist Christian Endres etwas gelungen, das mir sehr gut gefallen hat. Er schuf einen Fantasy-Roman, der voll grimmiger Energie ist, sich nicht hundertprozentig ernst nimmt, aber auf Albernheiten verzichtet. Man kann seine fünf Heldinnen weder mit klassischen Schlagetots in der Art von Conan, dem Barbaren, vergleichen, sie aber auch nicht in die Schublade packen, in die heutzutage die Fantasy-Literatur die meist hübschen und heiratswilligen Frauen steckt.

Der Autor spart nicht an heftigen Details. Wenn die Prinzessinnen in den Kampf fliegen, spritzen Blut und Innereien, geht es zeitweise richtig grob zu. Trotzdem bleibt Raum für knackige Dialoge, die zu den Figuren passen und nicht übertrieben wirken, und zwischenmenschliche Szenen, die eine Nähe zu den Figuren zulassen. »Die Prinzessinnen« ist zwar meilenweit von jeglicher Romantasy entfernt, hat aber dennoch Szenen, in denen starke Emotionen glaubhaft geschildert werden.

Mit »Fünf gegen die Finsternis« habe ich den ersten »Prinzessinnen«-Band gelesen, und ich gehe davon aus, dass es nicht der letzte war. Christian Endres hat mit diesem Buch ein knalliges und dicht erzähltes Fantasy-Lesefutter verfasst, das seinesgleichen sucht. Respekt!

Veröffentlicht wurde das Buch als Paperback im Cross-Cult-Verlag. Wer sich ein wenig einlesen will, schaue sich unbedingt die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlags an.

(Diese Rezension habe ich im Dezember auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Es wird Zeit, dass ich sie hier auch präsentiere ...)

24 Juli 2024

Beeindruckende Utopie, neu aufgelegt

Als der Roman »Ökotopia« im Jahr 1975 erstmals veröffentlicht wurde, erregte er in den damals neuen »Sozialen Bewegungen« großes Aufsehen. Viele schreiben ihm eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Öko-Gedankens und den damals aufkommenden Parteien wie den Grünen zu. Seit dem vergangenen Jahr gibt es diesen Roman in einer schönen Neuauflage im Hardcover-Format, die im Reclam-Verlag erschienen ist – die Lektüre lohnt sich immer noch.

Der Roman erzählt von einem amerikanischen Journalisten, der in die unabhängige Republik Ökotopie reist. Diese hat sich Ende des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Nordwestens der USA gebildet: San Francisco und die Umgebung sowie wesentliche Teile der Bundesstaaten Oregon und Washington.

Man erfährt nicht so viel über die Grenzen der neuen Republik, dafür umso mehr über die Spannungen, die zwischen ihr und den Vereinigten Staaten herrschen. Der Journalist ist auch der erste, der die Erlaubnis für eine solche Reise ins Nachbarland erhält.

Was er sieht und was er erlebt, verblüfft ihn auf Schritt und Tritt. Ökotopia ist ein Staat, in dem vieles anders ist als in den Vereinigten Staaten, und das wirkt auf ihn am Anfang befremdlich. Frauen sind gleichberechtigt, die Organisation in Betrieben ist partnerschaftlich, man nimmt Nahrung zu sich, die ohne Chemie auskommt, und man fährt mit Elektromobilen durch die Gegend.

Aus der Sicht des Jahres 1975, als das Buch geschrieben wurde, klang das sicher sehr utopisch. Heute mutet einem vieles davon wie ein Blick in die nahe Zukunft oder auch Gegenwart an.

Ernest Callenbach war ein Visionär. Ihm ging es darum, eine Utopie zu schreiben, die von einer lebenswerten Zukunft kündet. In den 70er-Jahren veröffentlichte der Club of Rome seine Schrift »Die Grenzen des Wachstums«, was damals eine neuartige Diskussion anstieß. Die Umweltbewegung wurde aktiv, und der Roman »Ökotopia« lieferte hierfür wertvolle Impulse. Callenbach schrieb also Literatur, die aus der aktuellen Zeit heraus eine Vision ableiten sollte.

Sein Roman besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, die sich kapitelweise abwechseln. Die eine Handlungsebene besteht aus journalistischen Beiträgen. Die Hauptperson informiert über Ökotopia und seine Besonderheiten. Sie zeigt die gesellschaftliche Entwicklung, sie erzählt von der Nutzung der Windenergie und von den modernen demokratischen Einrichtungen – das ist im Prinzip auch die Utopie, die der Autor schildern möchte.

Die andere Handlungsebene erzählt von den Begegnungen des Journalisten mit den Einwohnern von Ökotopia: wie er Freunde trifft, wie er eine Frau kennenlernt, wie er sich in seinen Gefühlen verliert und wie er am Ende nicht mehr weiß, ob er zu seiner Frau in die USA zurückkehren oder in Ökotopia bleiben möchte.

Man muss klar sagen: Die Berichte sind nicht spannend; es sind eher nüchterne Darstellungen einer möglichen Zukunft, die von einer echten Vision künden. Lesenswert sind vor allem die Teile, in denen die Innensicht der Hauptfigur und ihre Entwicklung gezeigt werden. Das packt den Leser dann auch – weil sie einen persönlichen Blick auf eine fremde Welt werfen.

So entsteht ein interessanter Gesamteindruck einer Utopie, die man sich richtig gut vorstellen kann. Als Action-Werk war das damals nicht gedacht, und so wird auch heute niemand diesen Roman verstehen.

»Ökotopia« ist einer der relevanten Science-Fiction-Romane des 20. Jahrhunderts. Man sollte ihn gelesen haben, wenn man sich für die utopisch-phantastische Literatur interessiert. Und man kann ihn sicher Menschen in die Hand drücken, die sonst keine Science Fiction mögen, sich aber für politische Gedankengänge und Visionen interessieren – für solche Leser wurde das Buch ja letztlich geschrieben. Empfehlenswert!

Informationen zu »Ökotopia« und den Hintergründen vermittelt übrigens in einem übersichtlichen Artikel die Wikipedia. Der Besuch der Seite lohnt sich. Und wer sich ein wenig einlesen möchte, schaue sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Reclam-Verlags an.

(Die Rezension habe ich im vergangenen Jahr auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. An dieser Stelle wiederhole ich sie aus rein subjektiven Gründen.)

Wenn sich zwei Autorinnen schreiben ...

Es ist ein ungewöhnliches Buch, doch seine Lektüre lohnt sich: Zwei Autorinnen, die sich anfangs nicht kennen, beginnen damit, sich Briefe zu schreiben. Was sie bei den ersten Briefen nicht ahnen können: Die Corona-Pandemie bringt nicht nur ihre Welt ziemlich durcheinander, und später bricht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine aus.

Yirgalem Fisseha Mebrahtu stammt aus Eritrea und schreibt Gedichte, war in ihrer Heimat aber auch als Journalistin tätig. Als politischer Flüchtling lebt sie heute in München. Einige ihrer Texte sind mittlerweile in deutscher Sprache erhältlich.

Ihre Briefpartnerin ist hierzulande bekannter: Tanja Kinkel veröffentlichte zahlreiche Romane und Sachbeiträge, ihre Werke wurden auf der Bestsellerliste verzeichnet und mit Preisen bedacht. Sie und ich haben auch schon zusammengearbeitet.

In ihren Briefen beschäftigen sich die beiden Autorinnen mit unterschiedlichen Themen. Ihre Briefe beschäftigen sich selbstverständlich mit den aktuellen Problemen und Themen unserer Zeit. Sie äußern sich zu Corona und zum Krieg, immer wieder aber geht es auch um die Unterschiede ihrer Herkunft, die direkten Einfluss auf ihre schriftstellerische Arbeit haben: Während Tanja Kinkel im friedlichen Bayern aufwuchs, wurde Yirgalem Fisseha Mebrahtu von Kind an mit einer Diktatur konfrontiert.

Der Briefwechsel ist lesenswert, man erfährt über beide Autorinnen mehr. Man liest so ein Buch allerdings nicht am Stück, sondern immer mal wieder den einen oder anderen Brief.

»Freiheit in Briefen« ist als 180 Seiten umfassendes Paperback erschienen, hat die ISBN 978-3-949554-14-8 und kostet 18,00 Euro. Ich find's vor allem für Menschen interessant, die »hinter die Kulissen« bei Autorinnen und Autoren blicken wollen.

23 Juli 2024

Am Strand von Brighton

Ich breitete meine Jacke auf dem feuchten Kies aus und ließ mich vorsichtig darauf nieder. Es war erstaunlich bequem. Ich legte mich auf den Rücken, nahm meine Tasche als Kopfkissen und genoss die Tatsache, dass ich am Strand von Brighton lag. Das Meer brandete zu meinen Füßen gegen die Steine, über mir jagte der Wind graue Wolken, die aussahen, als würde es bald wieder regnen. Kreischende Möwen flogen hin und her, als seien sie ziellos und wüssten nicht, wie sie den Tag zu Ende bringen sollten.

In den vergangenen Stunden hatte ich mir Brighton erlaufen. Die Stadt war mir aus Filmen bekannt, und »Quadrophenia« war mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Doch wie immer hatte die Realität dieses September 2000 nur wenig mit den Straßenschlachten der 60er-Jahre zu tun. Brighton war einerseits modern und schick, auf der anderen Seite wirkte es heruntergekommen und brüchig.

Rechts von mir schob sich der alte West Pier ins Meer. Die Gebäude auf ihm waren grau und zerfallen, durch die Wände und die offenen Fenster konnte man blicken. Alles sah aus, als ob es bald endgültig in sich zusammenbrechen würde. Sperrgitter sorgten dafür, dass niemand auf den Pier konnte; Möwen saßen auf den Trümmern, als ob sie sich über die vergangene Pracht amüsierten.

Sah ich nach links, erkannte ich den pompösen Brighton Pier. Musik dröhnte zu mir herüber, es wimmelte von Menschen. Lichter blinkten, ich hörte Gelächter und Rufe, die fröhlich klangen.

Die zwei Gesichter von Brighton, dachte ich und richtete mich auf. Es gab Straßen und Lanes, die unglaublich schick waren, neue Gebäude, in denen teuer gekleidete Menschen verkehrten. Eine Straße weiter sah es aus, als ob gleich ein Haus in sich zusammenbrechen würde.

Ich musterte die Hotels hinter mir. Die prächtige Fassade des Grand Hotel strahlte in edlem Weiß, daneben schimmerte das Hilton in einem prachtvollen Rot. Beide Hotels hatten zahlreiche Fenster mit Balkonen, die zur Beach Front zeigten, abgesichert durch Metallgitter. Sie wirkten trutzig und mondän gleichermaßen.

Aber ich war eine Stunde zuvor durch die Straße spaziert, die direkt hinter dem Hotel verlief. Da war es weniger schick. Müllsäcke türmten sich, es stank. Von dieser Seite aus wirkten die mondänen Hotels auf einmal nicht mehr so teuer.

Seufzend legte ich mich wieder auf den Rücken und ließ den Anblick des Meers auf mich wirken. Brighton hatte zwei Seiten, das war klar. Aber ich war im Urlaub, und ich wollte mich auf das Meer und den Strand konzentrieren. Das schien mir sinnvoller zu sein.

22 Juli 2024

Seltsamer Messestand

Bei dieser Buchmesse war einiges anders als sonst. Ich bemerkte es erst, als ich die Notizen genauer betrachtete, die ich in meiner Hand hielt. Ich hatte von einer Messehalle 3 B noch nie gehört. Und dort sollte unser Stand sein? Wie kamen wir denn dahin?

Ich spazierte durch das Messegelände in Frankfurt. Seit den 80er-Jahren besuchte ich die Frankfurter Buchmesse, früher privat oder als Fanzine-Herausgeber, später als Verlagsangestellter, mal mit Messestand und mal ohne. Von einem Gebäude namens 3 B hatte ich noch nie gehört.

Dann aber sah ich es: Man hatte es zwischen den Hallen 3 und 4 errichtet; dahinter kam ein Parkplatz, auf dem ich in früheren Jahren auch schon mal mein Auto abgestellt hatte. Auf diesem Platz durften nur Aussteller parken, und das hieß in den Nuller-Jahren, dass der Platz vollgestellt war mit dunkelblauen BMW-, Audi- und Mercedes-Limousinen.

Diesmal stand dort ein Haus, mit Giebeldach sogar, verbunden durch einen überdachten Gang mit den Hallen 3 und 4. Verwundert ging ich näher heran, betrat das Haus. Es war keine Halle, sondern es reihten sich Räume aneinander, keiner größer mein Wohnzimmer. In diesen Räumen waren Verlagsstände untergebracht.

Nach einigem Suchen erreichte ich den Raum, in dem unser Stand sein sollte. Ich erkannte drei Drehständer, in denen Taschenbücher aus den 80er-Jahren zu sehen waren, dazu Heftromane. Es war kein Mensch anständig, weder ein Besucher noch jemand vom Verlag. Auch an den anderen Ständen war nichts los.

Ich war völlig verunsichert. War ich richtig? Was war geschehen? Als ich schon zu rufen anfangen wollte, wachte ich auf.

19 Juli 2024

Spätfolgen und so

»Ein paar Zentimeter weiter oben, und wir hätten Sie nicht mehr heimfahren lassen.« Die Ärztin hatte bei mir eine Thrombose im linken Bein festgestellt und prüfte gerade noch, wie groß sie war. »Hatten Sie zuletzt eine größere Autofahrt, sind Sie mit dem Flugzeug verreist?«

Ich verneinte beides. Ich war selbst ratlos. Zwar saß ich zu lang am Computer herum, das war eindeutig, aber ich bewegte mich trotzdem.

Die nächste Frage der Ärztin kam direkt: »Hatten Sie zuletzt Corona?«

Und das war’s wohl. Im Juni hatte ich mir eine Corona-Infektion zugezogen, die glimpflich verlaufen war. Ich war auch nach dem Abklingen der Symptome daheim geblieben, um niemanden anzustecken. Und eine Woche, nachdem ich wieder zur Arbeit gegangen war, lag ich auf dem Tisch bei der Ärztin und hörte mir ihre Aussagen über Corona und Thrombose an.

Das Gespräch ist jetzt eine Woche her. Ich habe immer noch die Thrombose und trage einen tollen Thrombosestrumpf, futtere Blutverdünner und liege viel herum; immerhin tut nichts weh. Die Gefahr einer Embolie besteht immer noch, wenngleich sie nicht groß ist.

Ich habe mir eine Woche lang überlegt, ob ich diesen Text hier überhaupt veröffentlichen soll. Aber dann denke ich mir: Es ist sinnvoll, dass auch andere Leute wissen, wie eng so ein Zusammenhang ist. Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, nach einer auch harmlosen Corona-Infektion eine Thrombose zu erhalten …

17 Juli 2024

Zwischen Science Fiction, Krimi und Groteske

Ein Roman, der in der Zukunft spielt, gilt im Allgemeinen als Science Fiction. Einen Roman, in dem ein Mord aufgeklärt wird, steckt man in die Krimi-Schublade. Ein Roman, der die Zeit Napoleons darstellt, gilt als historischer Roman. Doch was ist, wenn all diese Elemente in einem Werk vorkommen und das Ganze durch allerlei schräge oder gar groteske Szenen ergänzt wird? Dann hat man »Bumm! – Kriminalgeschichten« von Horst Evers …

Der Schriftsteller und Kabarettist ist mir seit vielen Jahren bekannt – nicht persönlich allerdings. Ich sah ihn »live«, als er auf der Bühne auftrat, und ich las seine Kurzgeschichtenbände und Romane. Während er sich früher vor allem auf kürzere Texte konzentrierte, die er als eine Mischung aus skurrilen Alltagsgeschichten und schnellen Dialogen gestaltete, kamen in jüngster Zeit einige Werke hinzu.

Bei »Bumm!« handelt es sich um einen Roman, der mit den unterschiedlichen Genres spielt. Wenn man ihn oberflächlich betrachtet, erkennt man Kriminalgeschichten, die jede für sich stehen können, aber jeweils ein Ende aufweisen, das man nicht gerade als befriedigend bezeichnen könnte. Erst im Zusammenhang erhalten die Geschichten einen erzählerischen Bogen, weshalb ich das Buch als Roman betrachten würde und nicht als eine Sammlung von Erzählungen.

Die erste Geschichte spielt im Hier und Jetzt. Ihre Hauptfigur ist ein Schriftsteller, der einigermaßen erfolglos ist und immer wieder aktuelle Ereignisse aus seinem wirklichen Leben in seine Romane einbaut. Die zweite Erzählebene ist dann auch prompt ein Auszug aus dem Roman dieses Schriftstellers – und beide Ebenen hängen eng zusammen.

Das gilt ebenso für die anderen Teile des Romans. Da es unter anderem um eine Mordwaffe geht, führt ein Teil der Handlung in die Vergangenheit, in die Zeit, als die französischen Truppen und Napoleon einen großen Teil Europas unter Kontrolle gebracht hatten. Wie das alles wiederum mit der Zukunft zusammenhängt, schildert der Autor in unterhaltsamer und gelegentlich witziger Weise – »Bumm!« ist allerdings nicht durchgängig lustig und kann auch nicht als Satire gelesen oder verstanden werden.

Horst Evers ist ein erfahrener Autor, was Kurzgeschichten angeht. Damit erreichte er auch seine Erfolge. Bei den Romanen fand ich ihn nicht immer überzeugend.

»Bumm!« spricht in seiner Mixtur vielleicht unterschiedliche Geschmäcker an: den Horst-Evers-Fan, der über skurrile Situationen schmunzeln kann, den Krimileser, der eine verwickelte Geschichte bekommt, vielleicht sogar den Phantastik-Freund, dem Evers eine ungewöhnliche Kombination präsentiert.

»Bumm!« macht auf jeden Fall eine Menge Spaß, spricht aufgrund seiner Rätselstruktur sicher Leute an, die es gern ein wenig »vertrackt« haben, und kann somit empfohlen werden. Es ist kein »Schenkelklopfer«, aber gut gemachte Phantastik-Unterhaltung.

Erschienen ist der Roman als Hardcover mit Schutzumschlag im Rowohlt-Verlag. Die Hörbuchfassung hat der Argon-Verlag veröffentlicht; hier liest Horst Evers seine eigenen Texte vor. 

(Die Rezension kam bereits im Dezember auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Redaktion. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)

15 Juli 2024

Die Nase und der Finger

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«


Beim Stöbern in alten Bilddateien stolperte ich gewissermaßen auf ein Bild von mir, das Martin Steiner im Jahr 2006 in München aufgenommen hatte. Es zeigt mich in einer Pose, die man nur mit Mühe als intellektuell bezeichnen kann. Erkennbar ist übrigens, dass ich schon 2006 erste graue Fäden im Haar hatte.

Das Schöne daran: Wenn ich nachdenke oder in einem Gespräch nicht gleich weiß, was ich sagen soll, habe ich immer noch den Finger an der Nase. Warum das so ist und ob es wirklich etwas verbessert, müssen wohl die Gelehrten entscheiden …

12 Juli 2024

Das beste war die Bar-Geschichte

Seit Sylvana Freyberg die Redaktion der »Andromeda Nachrichten« übernommen hat, ist das Heft durchaus besser geworden. Sie hat die Arbeit ihres Vorgängers fortgesetzt, auch in weiten Teilen das Layout beibehalten, dann aber eigene Schwerpunkte gesetzt. Die aktuelle Ausgabe 285 fand ich allerdings schwach.

Klar: Die üblichen Informationen sind enthalten. Es gibt Informationen und Rezensionen zu allen möglichen Bereichen der Science Fiction. Bücher werden vorgestellt, Computerspiele und Fanzines. Sogar ein Zukunftsforscher wird in einem Interview präsentiert.

Das präsentiert die Chefredakteurin in gelungener Weise; da möchte ich nicht meckern. Unterm Strich bleibt alles ein wenig langweilig, das kann mich kaum fesseln.

Am besten im ganzen Heft, das immerhin 100 Seiten im A4-Format umfasst, fand ich den letzten Beitrag. In seiner Reihe »Neues aus der Asimov-Kellerbar« schreibt Klaus Marion über Science-Fiction-Fans, die in den 80er-Jahren als Wehrpflichtige bei der Bundeswehr waren und neuerdings für ihre militärischen Kenntnisse geschätzt werden. Wahrscheinlich finde ich den Beitrag deshalb witzig, weil ich selbst meine 15 Monate bei der Bundeswehr abgeleistet hatte.

Hin wie her: Die neue Ausgabe der »Andromeda Nachrichten« ist in Ordnung, man kann nicht über sie meckern. Aber sie hat mich nicht so überzeugt wie vorherige Ausgaben des klassischen Fanzines.

11 Juli 2024

Werbung mit Atze

Im Jahr 1981 fühlte ich mich schon sehr »reif« und erwachsen. Mein Fanzine SAGITTARIUS, von dem ich ein Jahr zuvor die erste Ausgabe veröffentlicht hatte, erhielt gute Kritiken. Viele Bestellungen trafen ein, die Auflage stieg, und es meldeten sich immer mehr Leute bei mir, die ihre Geschichten oder Bilder in meinem Heft veröffentlichen wollten.

Weil ich für die kommende Ausgabe ein bisschen Werbung machen wollte, bat ich Anton Atzenhofer darum, eine Grafik zu entwerfen. Ich gab ihm einige werbliche Aussagen vor. Aus alledem machte er eine gelungene Fantasy-Grafik, die seinem damals üblichen Stil entsprach, und er arrangierte die von mir gelieferten Werbetexte sehr sinnvoll.

Warum ich auf die Idee kam, die optisch ansprehende Grafik und die schöne Atze-Schrift mit meiner Schreibmaschine zu ergänzen, weiß ich nach all den Jahren nicht mehr. Ich tippte mit der schlichten Maschine ein – leicht großkotziges – »Magazin für SF, Fantasy und Comics in die obere Ecke rechts. Unten rechts klebte ich ebenfalls recht dilettantisch etwas ein, das ich vorher mit der Maschine geschrieben hatte.

Wie »Atze« es fand, dass ich sein Bild so verhunzte, weiß ich nicht mehr. Er äußerte sich nicht dazu; vielleicht war er ein solches Vorgehen von den damaligen Fanzine-Herausgebern auch gewohnt. Mir gefiel die Zusammenstellung damals – aber ich war nie ein sonderlich geschickter Grafiker.

Die Werbung wurde als Flugblatt verteilt, sie wurde auch im einen oder anderen Fanzine abgedruckt. Das schadete nicht; die Zahl der Bestellungen wuchs. Und ich war mächtig stolz auf mein Fanzine – der Stolz eines 17 Jahre alten Jugendlichen, der glaubte, er wisse, wie die Welt funktioniert …

10 Juli 2024

Der erste Almanach des neuen Verlags

Seit dem Jahr 2023 macht der Carcosa-Verlag mit seinem originellen Programm von sich reden. Der kleine Verlag veröffentlicht Science Fiction, wobei er sowohl Klassiker als auch neue Titel herausbringt, und er ergänzt sein Programm durch Sachbücher. Mit »Vor der Revolution – ein phantastischer Almanach« liegt nun eine Textsammlung vor, die Sachtexte, Kurzgeschichten und einen Kurzroman verbindet.

Klar soll dieses Buch vor allem auf das Programm des regen Verlags aufmerksam machen. Deshalb werden die Autorinnen und Autoren vorgestellt, deren Werke der Verlag veröffentlicht. Dagegen ist nichts einzuwenden.

So hat mich der Artikel, den Helmut W. Pesch über Leigh Brackett geschrieben hat, sehr auf die weiteren Romane und Erzählungen dieser Autorin neugierig gemacht. Nachdem ich aber Christopher Eckers Artikel über Gene Wolfe gelesen habe, ist mir klargeworden, dass ich dessen hochgelobtes Werk sicher nicht zu lesen brauche – das klingt alles so, als hätte ich daran keinen Spaß, also müsste man viel Arbeit in die Lektüre stecken. Aber gut: Damit weiß ich auch Bescheid. Weitere Artikel beschäftigen sich mit Samuel R. Delany und Alan Moore; das war dann wieder interessant.

Lesenswert ist der Kurzroman »Imperiumsstern« von Samuel R. Delany; der wurde in deutscher Sprache zwar bereits in den 80er-Jahren veröffentlicht, aber damals verpasste ich ihn. Es ist eine Abenteuergeschichte, wenn man’s genau nimmt, eine Space Opera mit intellektuellem Anspruch und ein wenig komplizierter erzählt, als es nötig wäre. Aber gut zu lesen, keine Frage!

Ähnliches gilt für die drei kurze Texte von Ursula K. Le Guin. Ich schätze die Autorin vor allem für ihre Romane, mochte aber die drei Kurzgeschichten allesamt: klare Science Fiction mit einem gesellschaftlichen Anstrich – schön! Und hübsch ist die Kurzgeschichte von Ambrose Bierce, in der gewissermaßen der Verlagsname erklärt wird.

Alles in allem ist so ein Lesebuch für Science-Fiction-Fans entstanden, das in erster Linie das Verlagsprogramm abfeiert. Das wiederum weiß man ja im Voraus, also kann man es nicht kritisieren.

Nicht alles hat mir gefallen, unterm Strich ist es aber eine gelungene Sammlung von Sachtexten und Geschichten. Eine lohnenswerte Anschaffung, denke ich, die auf die Titel des Carcosa-Verlags aufmerksam macht …

04 Juli 2024

Klamydia in der Mitte der 90er-Jahre

Die finnische Punkrock-Band Klamydia veröffentlichte seit den frühen 90er-Jahren eine Vielzahl an Tonträgern. Ich besitze kleine und große Schallplatten der Band, hörte sie aber über viele Jahre nicht mehr an. Das änderte ich dieser Tage, als ich endlich mal wieder die »Siittiöt Sotapolulla« auflegte.

Die Platte kam 1995 heraus, ich besitze die deutsche Pressung von Teenage Rebel Records. Die kleine Plattenfirma von Rüdiger Thomas veröffentlichte auch die Lokalmatadore, und man schickte die beiden Bands gemeinsam auf Tour.

Bei einem dieser Konzerte – es war in Darmstadt in der Öttinger Villa – sah ich in den 90er-Jahren einmal Klamydia, als die Finnen zusammen mit den Lokalmatadoren aufspielten. Ich erinnere mich an schweißtreibende Temperaturen, weil die Heizung lief, und eine großartige Stimmung.

Zurück zur Platte: Die vermittelt ebendiese Stimmung sehr gut. Der Punkrock, den die Band spielt, ist melodisch und rotzig zugleich. Der Sänger klingt schnoddrig, die Stücke wirken auf einen deutschen Zuhörer aufgrund der Sprache witzig, die Band spielt einen flotten Stil, der weder in Hochgeschwindigkeit abrutscht noch versucht, Metal-Elemente einzubauen. Sogar an den Stellen, an denen der Gitarrist zeigt, dass er gut spielen kann, werden die Soli nicht zu Metal-Einlagen, sondern ordnen sich dem rotzigen Gehalt des Punkrock-Lieds unter.

Was die Band macht, ist klassischer Pogo-Sound, der mir ja immer noch sehr gut gefällt. Die Stücke sind meist angenehm kurz, werden auf den Punkt gebracht und verzichten auf allerlei Firlefanz.

Es blieb mir kein »Hit« im Ohr, was sicher auch an der Sprache liegen dürfte – die Band ist aber wirklich gut, und ich stellte fest, dass ich mir dringend die anderen Tonträger mal wieder anhören sollte.

03 Juli 2024

Klassisches Kinderbuch, gelungen umgesetzt

Bereits 1911 erschien das Kinderbuch »Der geheime Garten« der Schriftstellerin Frances H. Burnett, das seitdem immer wieder neu aufgelegt wurde und auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt. Ich kenne den Roman nicht, habe aber die aktuelle Verfilmung von 2020 gesehen, die mir gut gefallen hat. Umso interessanter finde ich die Comic-Version, die unlängst im Splitter-Verlag erschienen ist.

Maud Begon setzte das klassische Werk in einen Comic um, als dessen Zielgruppe ganz eindeutig Kinder gelten, der aber auch von Erwachsenen gut gelesen werden kann. Die Geschichte von dem Mädchen, das die Cholera-Epidemie in Indien überlebt – im Gegensatz zu seinen Eltern – und nach England zurückgebracht wird, um bei seinem seltsamen Onkel zu leben, rafft die Künstlerin so, dass man dem Geschehen schnell folgen kann. Das Mädchen findet Freunde in Tieren und in Menschen, und es findet vor allem einen geheimen Garten, den es mit neuem Leben erfüllt.

Das Kinderbuch wurde vor dem Ersten Weltkrieg verfasst, die englische Gesellschaft war damals noch stärker in Schichten gegliedert, als sie das heute wohl ist. Dass die Kinder der »Herrschaft« und die der »Dienstboten« miteinander befreundet sind und Abenteuer »auf Augenhöhe« erleben, war sicher nicht üblich. Die gesellschaftlichen Klüfte werden allerdings nicht thematisiert, sie spielen nur im Hintergrund ständig eine Rolle.

Bei »Der geheime Garten« geht es um die Sehnsucht nach Leben, aber auch um die Trauer um Menschen, die bereits gestorben sind. Der angeblich so tote Garten, der zu neuem Leben erblüht und voller wunderschöner Rosen ist, kann als ein Sinnbild betrachtet werden. Damit bildet die Künstlerin das Original sehr gut ab.

Grafisch schafft sie eine Verbindung aus der Vergangenheit in die heutige Zeit: Manche Bilder erinnern mit ihren blassen Farben und ihren skizzierten Linien an frühe Illustrationen; gleichzeitig aber ist die Geschichte sehr flott illustriert. Die Bilder sind somit kindgerecht, in einer Mixtur aus altmodisch und modern, die zur Geschichte passt.

Ich empfehle dringend, die Leseprobe anzuschauen. Und empfehle diesen ungewöhnlichen Comic, den es in einer schicken Hardcover-Ausgabe bei Toonfish gibt ...

02 Juli 2024

Hirnkost ist gerettet

Zu den wenigen guten Nachrichten, die ich in diesen Tagen mitbekommen habe, zählt eine, die fast ein wenig untergegangen ist: Dem Hirnkost-Verlag ist es mit einer großen Kraftanstrengung gelungen, die Insolvenzu abzuwenden. Das Unternehmen rutscht jetzt nicht in die Pleite, sondern es kann weitermachen.

Möglich gemacht hat das eine Mixtur aus Spenden und Bücherkäufen. Ich hoffe, dass das vor allem mit den Bücherkäufen so weitergeht und die Leute nicht spontan damit aufhören, Titel aus dem Programm des quirligen Verlags zu kaufen.

Klar bringt Hirnkost auch Bücher heraus, die ich langweilig, doof oder zu vernachlässigen finde. Aber es wäre unglaubwürdig, wenn mir alles gefallen würde, was dort veröffentlicht wird. Es genügt mir ja schon, die vielen Perlen im Programm zu finden.

Groß ist das Angebot an Literatur und Bildbänden über Punk und artverwandte Musik. Angefangen von meinen eigenen Büchern bis hin zu der beeindruckenden »Rock O Rama«-Geschichte – die Bandbreite ist enorm, und man kann selbst als alter Hase immer noch neue Dinge entdecken.

Ebenso groß ist das Angebot bei meinem zweiten Lieblingsthema: Der Verlag veröffentlicht Science-Fiction-Anthologien und -Romane, ebenso eine Reihe von schön gestalteten Klassikern. Die Bücher sehen toll aus, die stellt man sich gern ins Regal, und das beweist, dass Science Fiction sich nicht unbedingt hinter grellbunten Umschlägen verbergen muss.

Alles in allem ist Hirnkost ein Verlag, den ich liebe – nicht alle Bücher, nicht alle Autoren, aber das Gesamtkonzept. Möge er noch lange existieren!

01 Juli 2024

Krawall und Erinnerung

»Wie war das denn in deiner Kindheit?« wurde ich gefragt. »Wurde in der Schule gemobbt, gab es Bandenkriege, also all die Dinge, die man in amerikanischen Serien ständig sieht?«

Ich überlegte lang, und mir fiel keine vernünftige Antwort ein. Klar hatten wir Konflikte: In der dritten Klasse hatten wir einen »Klassenkrieg« mit den Viertklässlern, in der vierten Klasse dann mit den Drittklässlern. Da wurde halt mal geschubst oder jemand mit Schnee »eingeseift«. Sicher nicht nett, wenn man sich's im Nachhinein überlegt, aber in einem Rahmen, der keine Eltern aufschreckte.

Und im Gymnasium? Ich bekam auf einem Schulfest einmal völlig grundlos eine »zentriert« und lag mit blutender Nase auf dem Boden. Der Angreifer war besoffen. Niemand kam auf die Idee, deshalb die Polizei zu rufen, und die Lehrer informierte auch niemand. Das war alles.

Körperliche Auseinandersetzungen gab es, als ich Jugendlicher war, eigentlich nur außerhalb der Schule. Mit »Halbstarken« aller Art, mit sogenannten Mofarockern, mit türkischen Jugendlichen oder später eben auch Dorfnazis. Aber schulintern? Ich erinnerte mich an Nichts. Keine Schlachten, kein fieses Mobbing, nichts. (Okay, kann sein, dass ich der fiese Mobber war und mich deshalb nicht mehr erinnere ...)

»Wir waren wohl alle brav«, behauptete ich dann. Was sicher nicht stimmt. Vielleicht kann man ja von »harmlos« sprechen ...

28 Juni 2024

Comic, Satire und ein Krimi

Ich habe weiter im »Klausbuch« gelesen, also in dem Buch, das man mir zum sechzigsten Geburtstag geschenkt hat, und ich bin davon immer noch sehr angetan. Die Vielfalt der Beiträge ist überraschend, die Inhalte finde ich toll.

Von meinem ehemaligen Kollegen Klaus Bollhöfener – er macht heute immer noch das Magazin »phantastisch!« – und dem Zeichner Michael Vogt, der zuletzt durch »Der kleine Perry« sehr bekannt geworden ist, erhielt ich einen kompletten Comic: schön gezeichnet, toll gemacht!

Hermann Ritter ist in der Riege der Mitarbeitenden an diesem Buch derjenige, der mich am längsten kennt; wir trafen uns 1982 zum ersten Mal und hatten zuvor Briefkontakt. Wie es sich gehört, schrieb Hermann eine Satire, die von einigen wunderbaren Übertreibungen und augenzwinkerndem Humor lebt.

Großartig ist der Krimi, den Norbert Fiks beigesteuert hat. In »Der Heftromanmord« geht's nicht unbedingt um mich – auch mal gut so! –, sondern halt um mein berufliches Umfeld und die gelegentlich starke Begeisterung mancher Fans. Ebenfalls augenzwinkernd, handwerklich sehr gut geschrieben – Norbert Fiks zeigt damit, dass er auch als Pensionär noch weiß, wie man einen starken Text verfasst.

26 Juni 2024

Zwischen Aktien und Action

Ich mag die Comic-Serie »Largo Winch« schon seit vielen Jahren und verstehe nicht, warum sie im deutschsprachigen Raum nicht den Stellenwert hat, der ihr gebührt. Dieser Tage las ich den vierten Band der Gesamtausgabe wieder einmal, und dieser zeigt hervorragend, was diese Serie ausmacht: Geschickt verbinden der Autor und der Zeichner die Welt der Aktien und Wirtschaftsgeschäfte mit viel Action und einer Reihe von emotionalen Szenen.

Das zeigt sich auch an diesem Band: Die ersten zwei Geschichten erzählen von den Kämpfen der Hochfinanz und ihren direkten Auswirkungen auf Arbeiter in den Vereinigten Staaten. In den zwei anderen Geschichten geht es um Transaktionen mit dem chinesischen Markt, aber auch ein wenig um Tibet und vor allem um viel Action. Ich will an dieser Stelle gar nicht zu sehr ins inhaltliche Detail gehen.

Die Geschichten sind allesamt sehr spannend erzählt. Den Texten merkt man an, dass Jean van Hamme in der »wirklichen Wirtschaft« gearbeitet hat. Er weiß, was Aktien-Optionen sind, und er kann die Vorgänge bei Firmen-Transaktionen auch so vermitteln, dass sie für die Leser verständlich sind. Zudem garniert er die ganzen Wirtschaftsthemen mit sehr viel Action, flotten Dialogen und einer Prise Erotik, so dass auch jene Leser auf ihre Kosten kommen, die sich nicht für Wirtschaft interessieren.

Die Bilder wirken in ihrem Realismus teilweise atemberaubend. In den redaktionellen Anhängen wird erwähnt, wie sehr Philippe Francq als Zeichner recherchiert hat, damit beispielsweise ein Flug über Hongkong realistisch aussieht. Ich glaube das sofort. Die Action-Szenen sind dynamisch, seine Stadtansichten finde ich atemberaubend, die Figuren sehen teilweise richtig toll aus. Das ist alles auf einem sehr hohen Niveau.

Spannend ist bei allem übrigens der weltanschauliche Blick. »Largo Winch« ist keine politische Serie, zumindest vordergründig nicht. Der Held ist letztlich ein Multimilliardär, der aber allerlei Abenteuer erlebt. Das kann man getrost diskutieren und kritisieren, muss man aber nicht. Weil der Held halt auch immer wieder so agiert, dass er sich für die Armen und Unterdrückten einsetzt ...

Das kapitalistische System wird nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sondern es bleibt in sich erhalten. Trotzdem ist klar, wie stark ausgeprägt seine Schattenseiten sind – wobei sich die Serie immer wieder auf einzelne Ausbeuter konzentriert. Band vier der Gesamtausgabe zeigt das: Am Ende sitzen die Manager wieder an ihrem Tisch, es hat sich grundlegend nichts geändert, auch wenn sich das Leben einiger Menschen verbessert hat.

Darüber könnte ja, wer mag, am Ende des Comics nachdenken. Immerhin hat man auf dem Weg zum Nachdenken eine Reihe von spannenden Geschichten zu lesen …

24 Juni 2024

Wenn alte Herren grandios überzeugen

Als die Upright Citizens in den 80er-Jahren ihre erste Karriere starteten, sah ich die Band nie. Ich hatte zwar zwei ihrer Platten, aber irgendwie kam ich nie in den Genuss eines ihrer Konzerte. Spielte die Band damals nicht bei uns im Süden? Keine Ahnung. In den 90er-Jahren schrieb ich die Band gedanklich ab, weil sie seltsamen Hardrock spielte – so klangen die Platten für meine Ohren.

Und so war ich am Freitagabend, 21. Juni 2024, durchaus skeptisch, als ich durch die Stadt zur »Alten Hackerei« in Karlsruhe radelte. Weil ich früh genug eintraf, hatte ich ausreichend Zeit, viele Bekannte aus anderen Städten zu treffen und Zeit damit zu verbringen, Bier zu trinken und mit Leuten zu reden. Die erste Band wollte ich mir eigentlich anschauen, aber sie überzeugte nicht, und so stand ich bald wieder an der frischen Luft und hielt ein Bier in der Hand; ich merkte mir nicht einmal den Namen dieser Band aus der Schweiz.

Dafür überraschten die alten Herren aus dem Ruhrgebiet. Vom ersten Ton an packten mich die Upright Citizens. Vor allem die alten Stücke zündeten; »Now Or Never«, »Holocaust« oder »Neonazis in der BRD« klangen wie in den 80er-Jahren, die wütende Haltung wurde aber mit besserer Fertigkeit an den Instrumenten verbunden. Das war druckvoll, das war schnell, das klang vor allem überhaupt nicht alt, sondern richtig rotzig und frisch.

Die Band spielte auch Stücke aus ihrer Hardrock-Phase, was mich allerdings positiv überraschte: Die waren zwar immer noch elend lang, wurden aber knackig und in rasendem Tempo präsentiert – so fand ich die dann ebenfalls klasse.

Anfangs stand ich brav im vorderen Bereich des Konzertraums, vielleicht einen Meter von der Bühne entfernt. Nach einiger Zeit zappelte ich auf dem Platz, und gegen Ende machte ich sogar ein bisschen Senioren-Pogo. Damit war ich am Ende des Konzerts dann ordentlich nassgeschwitzt.

Rings um mich waren nach den Zugaben nur strahlende Gesichter zu sehen. Dem Publikum hatte das Konzert gefallen, die Band wirkte auch euphorisiert. So soll es sein!

21 Juni 2024

Der Einstieg in das Klausbuch

Weil in dieser Woche sehr viel zu tun war, kam ich nicht so richtig dazu, in dem Buch »Das wüsste ich aber!« weiterzulesen. Ich finde die Gestaltung des Titelbildes und der Rückseite sehr eindrucksvoll und auch ein bisschen schmeichelhaft. Und über die Beiträge freue ich mich sehr.

»Klaus ist ein Phänomen!« ist der erste Satz des Buches, und damit beginnt ein Vorwort von Christina Hacker, die das Werk ja hauptsächlich zusammengestellt hat. Es ist ein Text, bei dessen Lektüre ich ein bisschen erröte – weil ich so gelobt werde –, aber er leitet gut in das Buch ein.

Kritischer geht's bei Arndt Ellmer zu, den ich als Autor seit den frühesten 80er-Jahren kenne, mit dem ich seit über dreißig Jahren zusammenarbeite. Wir hatten im Verlauf dieser Zeit manchen Konflikt – und ich finde es gut, dass er diese andeutet. Es wäre gelogen, so zu tun, als könnte man jahrzehntelang konfliktfrei miteinander klarkommen; die Interessen von Autor und Redakteur sind ja häufig nicht identisch.

Einen großartigen Beitrag schrieb Wim Vandemaan, den ich ebenfalls seit dreißig Jahren kenne. »über Klaus Frick, seine Herkunft und die Wechselfälle des Verlagsgeschäftes« ist ja eher eine Satire; ich musste bei der Lektüre mehrfach schmunzeln.

Ich stelle fest: Der Start in das »Klausbuch« ist gelungen. Ich werde mit Interesse weiterlesen!

20 Juni 2024

Punkrock-Sarkasmus aus LA

Ein Blick auf Punkrock-Klassiker – Teil sechs

Als die ersten Punkrock-Bands anfingen, kümmerten sich die Leute auf der Bühne nicht unbedingt um intellektuelle Höhenflüge und politische Korrektheit. Manchmal ging es darum, schlichtweg zu provozieren oder eine steile Aussage rauszuschreien. The Dickies aus Kalifornien, die sich 1977 gründeten, waren auf jeden Fall nie Blödköpfe, aber sie brachten es fertig, sarkastische und zynische Aussagen mit poppigem Punkrock zu verbinden.

Ich sah sie drei- oder viermal, mehr nicht, zuletzt in der »Alten Hackerei« in Karlsruhe, als die alten Herren den Saal zum Kochen brachten. Live spielten sie die Stücke oftmals schneller, als man sie auf den Platten hören konnte; dazu kamen die knödelige Stimme des Sängers und eine Reihe echt schräger Ansagen von der Bühne herunter. Daran änderte sich über Jahrzehnte hinweg nichts.

Mein Lieblingslied der Band blieb in all der Zeit »Stukas Over Disneyland«: Die Melodie ist sehr simpel, die Musik wirkt poppig, der Text grenzt an Zynismus. Als ich in den 80er- und frühen 90er-Jahre im Jugendzentrum »Murgtäler Hof« in Freudenstadt den DJ machte, legte ich die Platte oft auf. Das war dann Pogo, bei dem sich auch die Jüngeren und Dünneren auf die Tanzfläche wagten …

Und höre ich mir das Stück heute an, finde ich es immer noch gut. Die Melodie ist schmissig, die Stimme des Sängers immer noch irgendwie daneben. Aber als Gesamtkonzept überzeugt es ja seit vielen Jahren.

19 Juni 2024

Hilfreiche Brille

Am gestrigen Tag unternahm ich die erste kleine Radtour dieses Jahres. Schweigen wir ansonsten bitte über die Schmach, so spät in die Saison gestartet zu sein. Ich radelte nach Norden, dort in die Rheinauenwälder; der Himmel war voller Wolken, die Luft schwül und heiß.

Es war absolut hilfreich, eine Brille zu tragen, und es war notwendig, durch die Nase zu atmen. Ich fuhr zeitweise durch riesige Mückenschwärme, die über den Feldern und am Rand der Wälder schwirrten. Die Tiere klebten auf meiner Kleidung und in meinem Gesicht, es war schon ein wenig unangenehm.

Der Grund war optisch immer wieder klar festzustellen: Überall schimmerte die Wasseroberfläche von Tümpeln, die mitten in Wiesen oder Äckern in der Hitze dampften. Der Regen der vergangenen Tage und Woche hatte seine Spuren hinterlassen. Da überraschte es mich dann auch nicht, dass manche Wege in die Rheinauen noch völlig verschlammt waren oder das Gras so hoch wuchs, dass rechts und links das Dickicht in die Wege wucherte.

Augenzwinkernde Science-Fiction-Spielereien

Commander Cork ist ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Held, der seit vielen Jahren durch ein Abenteuer nach dem anderen stolpert. Eigentlich ist er Verwaltungsangestellter auf einem fernen Planeten, doch seine Arbeit bringt Cork immer wieder in Kontakt mit fremden Welten und unbekannten Aliens. Ihm zur Seite steht Reena, seine menschliche Assistentin, die sich ungern unterordnet, immer allerlei Schabernack ausheckt und gern auch mal eigene Abenteuer erlebt.

Der Commander und seine Abenteuer sind mir seit langem bekannt. Sie entstammen dem Umfeld des Comic-Magazins »Zebra« und zählen zu den originellsten Bildgeschichten des deutschsprachigen Raums. Seit einiger Zeit erscheinen sie auch als Paperback bei Gringo Comics. Zuletzt kam der fünfte Band heraus.

Wie meine Einleitung hoffentlich klargemacht hat: Bei »Commander Cork« handelt es sich nicht um eine »ernsthafte« Science-Fiction-Geschichte, sondern um ein ironisches Spiel mit allerlei phantastischen Ideen. Das aktuelle Paperback ist ein gelungenes Beispiel dafür.

Band fünf trägt den schönen Titel »Die Ferien des Commanders« und erzählt – wie der Name schon andeutet – von Corks Urlaubsreisen. Er ist eigentlich gar nicht unterwegs, sondern er bucht nur virtuelle Trips. Dabei geht einiges schief. Cork schlägt sich mit unsauberen Computerprogrammen herum, die ihm den virtuellen Urlaub verderben, und mit der lästigen Bürokratie, die seine gesamte Reise begleitet. Zwischendurch trifft er auf sein eigenes Ich, wird in allerlei kosmische Fallen gelockt und kommuniziert mit seinem Büro, wo man ihn verwirrenderweise gar nicht vermisst.

Präsentiert wird keine durchgehende Geschichte, sondern eine Abfolge von Cartoons oder kurzen Comics, die nur selten die Länge von einer Seite überschreiten. Es empfiehlt sich also, das Paperback in Etappen zu lesen; man kann es immer wieder zur Hand nehmen und sich über eine Seite amüsieren. Nicht alle Gags sind gut, finde ich – aber das ist Geschmackssache.

Rudolph Perez ist Autor und Zeichner der Comics. Man merkt seinen Geschichten an, dass er in der Science Fiction fast schon zu Hause ist, weshalb er sich dem Genre in ironischer und manchmal auch blödelnder Weise nähert. Es mangelt nicht an Anspielungen auf phantastische Welten – wer mag, erkennt unter anderem Hinweise auf den berühmten Comic-Künstler Moebius.

Zeichnerisch bleibt Perez dem fast schon klassischen »Zebra«-Stil treu: Die Zeichnungen sind in klassischem Schwarzweiß, manchmal ein wenig schroff, aber immer so, dass man sie als »Funnys« betrachten kann. Nur die menschliche Assistentin Reena wird ein wenig genauer dargestellt, ansonsten bleiben Hintergründe bewusst einfach, während die Figuren wie Cartoons gestaltet werden. Das ist eigenständig und gefällt mir gut.

Ganz klar: Man sollte seine Freude an diesem Stil haben, der immer ein wenig nach »Underground« aussieht und weit entfernt ist von der Perfektion frankobelgischer Knollennasen oder amerikanischer Superhelden. Aber die Geschichten sind witzig und abwechslungsreich – eine echte Empfehlung für Leute, die auch mal Comics abseits des Mainstreams lesen wollen.

Erschienen ist der fünfte Band der »Commander Cork«-Reihe als Paperback bei Gringo Comics. Das Buch umfasst 68 Seiten und kostet 12,90 Euro. Man kann es mithilfe der ISBN 978-3-946649-46-5 in jedem Comic-Laden und auch im Buchhandel bestellen; Versender wie der PERRY RHODAN-OnlineShop liefern es ebenfalls aus.

(Diese Rezension erschien bereits im November 2023 auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN. Ich teile sie hier aus dokumentarischen Gründen.)

18 Juni 2024

Lechts oder rinks?

»Als Linker darfst du so etwas nicht sagen«, wies mich Maja zurecht.

»Mir doch egal.« Ich winkte ab. Ich hatte einen Spruch von mir gegeben, der ein wenig grob geklungen hatte. »Ich bin ja auch kein Linker.«

»Wie, du bist kein Linker?« Sie klang entsetzt.

In der Mitte der 90er-Jahre beteiligte ich am neuen Radioprojekt in Karlsruhe. Meine Punkrock-Sendung wurde angeblich gern gehört, und ich nahm regelmäßig an den Besprechungen des Radiokollektivs teil. An manchen Diskussionen beteiligte ich mich, bei anderen hatte ich – für den Notfall – etwas zum Lesen dabei.

Maja war in Ordnung, fand ich. Sie war gut zehn Jahre jünger als ich und engagierte sich in mehreren politischen Gruppen. Wir kamen gut miteinander aus. Während wir uns unterhielten, brandete um uns der Lärm einer Party im Keller neben unserem Studio.

»Na ja«, sagte ich. »Mit den meisten Linken kann ich nichts anfangen. Sie sind mir auf ihre Art zu spießig und zu festgefahren, und wir sprechen oft nicht die gleiche Sprache.«

»Aber du gehst doch auf Demos gegen Nazis und so.«

»Klar. Gegen Nazis bin ich auf jeden Fall. Die bedrohen mich und andere Leute, denen muss man entschieden entgegentreten. Aber das heißt doch nicht, dass ich jeden linken Quatsch gut finden muss. Verbote hier, Regeln da und bitte nie aus der Reihe tanzen.«

Sie schüttelte den Kopf. »So ist das doch gar nicht.« Sie klang fast verzweifelt. »Wo ordnest du dich dann ein?«

»Vielleicht eher rinks. Oder lechts? Keine Ahnung.«

»Was?«

»Nirgends, ich ordne mich nirgends ein. Ich bin Punk. Oder eigentlich Punkrocker, aber das erkläre ich lieber nicht.«

»Du siehst doch überhaupt nicht punkig aus.« Sie wies auf die raspelkurzen Haupthaare. »Das ist fast ...« Sie brach ab, das Wort »Skinhead« wollte sie mir wohl nicht entgegenschleudern.

»Nur weil ich meine Haare nicht mehr färbe?«, fragte ich zurück. »Ganz schön viel Klischee, oder?«

Der Abend endete nicht in einem Streit, wir wechselten die Themen, und keine drei Minuten später stand jeder von uns mit anderen Leuten zusammen. Es war nie einfacher, sich sauber zu positionieren, als wenn man mit Lederjacke und Stachelkopf unterwegs war. Und mir wurde erneut bewusst, dass die meisten Leute ihre sauberen Schablonen brauchten ...

17 Juni 2024

Schön war's in der Wagenburg

Das Wetter spielte mit, auch wenn ich anfangs immer mal wieder sorgenvoll zum Himmel blickte. Am frühen Abend des Samstags, 15. Juni 2024, radelte ich in den Osten von Karlsruhe, eigentlich schon außerhalb der eigentlichen Stadt. Dort existiert seit über dreißig Jahren ein selbstverwalteter Bauwagenplatz, und in der dortigen Wagenburg wurde das alljährliche Sommerfest gefeiert.

Zwischen Wohnwagen, Traktoren und viel Grün – der Bauwagenplatz ist von großen Büschen umgeben, überall wächst und gedeiht etwas – tummelten sich im Verlag des Abends wohl bis zu 200 Leute. Weil man sich zwischen Lagerfeuer, Essensbereich, Biertischen und Konzer verteilte, war die Zahl schwer zu schätzen. Ich kannte vielleicht ein Dutzend von ihnen, und mit einigen unterhielt ich mich beim einen oder anderen Bier sehr ausgiebig.

Die Mischung war angenehm: einige jüngere Bunthaarige waren da, ältere Crust-Punks, grauhaarige Alt- und Ex-Punks, ehemalige Autonome, ein bisschen Skinhead, ein wenig alternde Hippies, dazu viele Kinder aus der Wagenburg und Jugendliche, die allesamt ihren Spaß hatte. Es gab Bier und Flammkuchen, bezahlt wurde auf Spendenbasis, und an einem speziellen Stand wurden Olchi-Cocktails gemischt.

Nachdem zuerst ein sehr junger Wagenburg-Bewohner – gerade mal 15 Jahre alt – allein mit seiner Gitarre auf der Bühne gestanden hatte, um einige Stücke zum Besten zu geben, kamen später sein kleiner Bruder sowie sein Vater, den ich seit über dreißig Jahren kenne, hinzu, und die drei musizierten gemeinsam. Alte Quetschenpaua-Stücke kommen auch 2024 noch gut, fand ich.

Danach traten die Neurutics auf, eine in Deutschland lebende Band aus Russen. Musikalisch wurde eine Mischung als Polka und Rockmusik geboten, manchmal durchaus punkig, unterm Strich stets sehr tanzbar. Die Musik ging gut in den Kopf und in die Beine. Ich überließ das Tanzen den jüngeren Leuten, wackelte aber mit dem Kopf, applaudierte eifrig und freute mich über klare politische Äußerungen.

Ein »FCKPTN«-Aufkleber an der Monitor-Box sagte klar, wo sich die Band politisch verortete. Der Sänger sagte zudem zwischendurch, dass er russischer Staatsbürger sei, den Krieg gegen die Ukraine aber ablehne. Es wurde »Freiheit für die Ukraine« gefordert und kostenloser Schnaps gegen Putin ausgeschenkt. Das war alles sehr eindeutig.

Ich grinste irgendwann nur noch selig vor mich hin, trank viel Bier und packte zu später Stunde meinen Kram, bevor ich mein Fahrrad nicht mehr finden würde. Dann eierte ich durch den Wald und die Stadt nach Hause – es war ein wunderbares Fest!

Starke deutschsprachige Literatur mit Phantastik-Einschlag

Im Lauf der Jahre habe ich von dem Schriftsteller Kai Meyer viele Romane gelesen: fast schon klassisch anmutende Jugend-Fantasy, historische Romane, ein wenig Horror und natürlich Science Fiction. Aber keiner seiner Romane hat mich so gepackt wie »Die Bücher, der Junge und die Nacht«: Mit diesem Werk zeigt der Autor, dass er auch allgemeine deutschsprachige Literatur schreiben kann, wobei er nicht auf einen leicht phantastischen Einschlag verzichtet.

Seine Geschichte spielt zu verschiedenen Zeiten. Sie beginnt im Jahr 1943, als im Bombenkrieg das Graphische Viertel in Leipzig in Flammen untergeht, als Buchhandlungen, Druckereien und Verlage am Ende nur noch Schutt und Asche sind. Sie spielt ebenso im Jahr 1971, in dem ein junger Händler im Auftrag eines reichen Mannes auf der Suche nach seltenen Büchern ist. Und sie zeigt das Jahr 1933, während in Leipzig die Nationalsozialisten nach der Macht greifen ... Das alles hängt inhaltlich zusammen und ist über verschiedene Figuren eng miteinander verwoben.

Kai Meyer greift in diesem Roman die zentralen deutschen Themen auf: die Zeit des Dritten Reiches, der Zweite Weltkrieg und der Massenmord an der jüdischen Bevölkerung in Europa. Der Autor beschreibt nicht das Grauen der Vernichtungslager, aber er zeigt, wie Juden ausgegrenzt werden, wie sich einzelne Menschen schuldig machen, wie sich Täter und Opfer gegenüberstehen und was nach dem Krieg aus ihnen geworden ist.

Persönliche Konflikte, die im Jahr 1933 angefangen wurden, sind im Jahr 1971 noch nicht beendet. Die Trennung des ehemaligen Deutschen Reiches in zwei deutsche Staaten spielt ebenfalls eine Rolle. Meyers Figuren müssen moralische Entscheidungen treffen, und das ist für sie nicht immer einfach.

Dem Autor geht es aber auch um Literatur: Bücher sind wichtig, Romane laden ein, in eine fremde Welt aufzubrechen, und es ist wichtig, Literatur zu bewahren und gegen ihre Widersacher zu verteidigen.

Der Roman ist spannend und vielschichtig zugleich. Er stellt die Charaktere in den Vordergrund, spart nicht an persönlichen Dramen und emotionalen Konflikten – es geht auch um Geld und Liebe –, und er schafft es immer wieder, die Faszination für schöne Bücher ins Zentrum zu stellen. Dabei hält Kai Meyer die Balance: »Die Bücher, der Junge und die Nacht« ist sicher kein Roman über die Naziherrschaft und die Shoah, spart dieses Thema aber nie aus. Der Autor ist gesellschaftspolitisch, ohne auch nur einmal mahnend den Zeigefinger zu erheben.

Ich bin mir sicher, dass das »phantastische Element« in diesem Roman nicht jedem Leser auffallen wird. Wer gerne Fantasy oder Horror liest, wird die Hinweise entsprechend einordnen. Wer solche Genres eher meidet, liest eben einen spannenden Gegenwartsroman mit vielen aktuellen Bezügen. Mich konnte das Werk über die gesamte Länge fesseln, und ich empfehle es gern weiter – ein großartiger Roman!

Erschienen ist er als Hardcover mit Schutzumschlag; er ist 496 Seiten stark und kostet 22,00 Euro. (Die E-Book-Version gibt's für 8,99 Euro.) Man kann das Werk in allen Buchhandlungen bestellen, die ISBN 978-3-426-22784-8 kann dabei behilflich sein. Versender wie der PERRY RHODAN-OnlineShop bieten das Buch ebenfalls an.

Es gibt auch eine Hörbuch-Version, die im Argon-Verlag veröffentlicht wurde. Die zwei MP3-CDs haben eine Laufzeit von fast 16 Stunden und werden von Simon Jäger – er wirkte auch bei den PERRY RHODAN-Hörspielen des »Sternenozean«-Zyklus mit –, Maria Koschny und Johann von Bülow eingelesen. Als Verkaufspreis werden 22,00 Euro empfohlen; zur Qualität kann ich allerdings nichts sagen.