30 Dezember 2022

Ein Dinner für fünf

Es gibt Dinge, über die muss man nicht diskutieren: »Dinner for One« gehört dazu. Ich zähle zu jenen Leuten, die sich den Sketch jedes Jahr vor der Wende zum Neuen Jahr anschauen und immer an den gleichen Stellen lachen müssen. Mir ist klar, dass viele Leute diesen Sketch blöd finden und nicht mehr ertragen. Aber es muss ihn ja niemand anschauen.

Was mich aber wirklich verblüfft: Es wird allen Ernstes ein Prequel geplant. »Dinner for Five« soll Ende 2023 gedreht werden, eine Miniserie mit sechs Folgen, die jeweils 45 Minuten lang sind. Kompletter Titel der Serie: »Dinner for Rive – Killer vor One«. Es soll um die Figuren gehen, die im Sketch von dem Butler »übernommen« werden. Ihre Vorgeschichte also ...

Ich glaubte zuerst, es handle sich bei dieser Ankündigung um eine Veräppelung, aber es scheint einen echten Plan zu geben. Immerhin gibt es zu dem genannten Titel eine »literarische Vorlage«. Ich find's gruselig. 

Aber hier gilt ebenfalls: Es muss sich ja niemand anschauen. Das habe ich auch nicht vor.

29 Dezember 2022

Rottweil im Juli 1999

»Was soll das denn sein?«, fragte ich mich im Sommer 1999 einige Male. In Rottweil sollte ein Panzerknacker-Festival stattfinden, zumindest hatte ich mir das so notiert. Die kleine Stadt im Schwarzwald kannte ich von meiner Zeit in Freudenstadt her, aber seit ich in Karlsruhe wohnte, war ich dort nicht mehr gewesen.

Am Samstag, 10. Juli 1999, fuhr ich nach einigem Überlegen – was es überhaupt sinnvoll, soweit durch das Land zu gondeln? – nach Rottweil. Es war ein warmer, fast heißer Tag. Ich erreichte am frühen Nachmittag das Rhodia-Gelände, am Rand der Stadt gelegen. Es handelte sich um ein ehemaliges Fabrikgelände, hier war – wie in der Region nicht unüblich – einige Jahre zuvor noch Munition hergestellt worden.

Schon auf dem Weg vom Parkplatz zum eigentlichen Konzertort kam ich an zahlreichen Punkrockern vorbei; offensichtlich hatten sich viele junge Leute aus Baden-Württemberg und der nördlichen Schweiz eingefunden. Sie saßen in Gruppen auf dem Boden herum, sprachen trotz der hohen Temperaturen sehr dem Bier zu; aus den Kassettenrekordern dröhnte der übliche Deutschpunk. Ich nahm mir vor, mich beim Bier zurückzuhalten. Sinnvoll war das sowieso, wenn ich mit dem Auto unterwegs war.

Das erwies sich im weiteren Verlauf des Abends als sinnvoll. Tobi von Twisted Chords hatte im Vorraum des Konzertorts einen Verkaufsstand aufgebaut, an dem ich mich sehr oft aufhielt. Ich half ein wenig aus, was in diesem Fall hieß, dass ich die eine oder andere Beratung von mir gab (»Wenn du Deutschpunk magst und nur Geld für eine einzige Platte dabei hast, kauf dir diese hier – die ist super, und die findest du auch in zehn Jahren noch gut.«).

Später half ich vor allem aus, den Stand gegen besoffene Pöbler zu verteidigen. Aber damit greife ich ja ein wenig vor … Tatsächlich bekam ich von den meisten Bands nichts mit. Ich stand an Tobis Stand herum und redete mit Leuten, oder ich stand vor der Tür, genoss die frische Luft, wo ich entgeistert zusah, wie sich manche Leute schnellstmöglich mit Bier und Schnaps abschossen. Praktisch bekam ich nur zwei Bands mit.

Rag Tag aus Konstanz hatte ich davor nie gesehen, und nach diesem Tag bekam ich sie auch nie mehr zu Gesicht. Die Band war melodisch, der Punkrock war in Ordnung, die Sängerin fand ich überzeugend.

Was mich tatsächlich begeisterte an diesem Abend, war die Band Ladget aus dem Großraum Karlsruhe. Ich hatte sie schon einmal live gesehen und fand sie damals langweilig: wieder eine Band, die versuchte, so zu klingen, als stamme sie aus einer Stadt am Strand von Kalifornien.

Nach diesem Abend war alles anders. Ladget ließen es richtig krachen. Sie ignorierten, dass das Deutschpunk-Publikum mit ihrem rasanten Melodycore nichts anzufangen wusste. Der Sänger sprang auf der Bühne herum, die Musiker machten Faxen, das alles überzeugte mich an diesem Abend komplett.

Vom Rest bekam ich nichts mehr mit. Mich nervte das Publikum immer mehr: besoffene Punks, die sich nicht für die Bands interessierten, sondern vor allem ein beschissenes Verhalten zur Schau stellen wollten, ein Berg von Müll, der immer weiter wuchs. Vielleicht hätte ich mehr Spaß an allem gehabt, wenn ich selbst getrunken hätte.

Die meiste Zeit stand ich im Freien, wo sich immerhin einige Leute aufhielten, mit denen ich reden konnte. Oder ich lungerte am Verkaufsstand von Twisted Chords. Mein Talent als Verkaufsberater war irgendwann nicht mehr gefragt, ich wurde als Hilfspolizist gebraucht. (»Die CD, die du gerade in deinen Rucksack steckst, solltest du aber schon noch bezahlen.«) Es war echt anstrengend und machte von Viertelstunde zu Viertelstunde weniger Spaß.

Irgendwann waren alle Bands fertig, und ich war immer noch nüchtern. »Vielleicht hätte ich mich besaufen sollen«, sagte ich zu Tobi, während ich ihm half, seine Verkaufskisten in seinem Auto zu verstauen.

»Das wäre vielleicht besser gewesen«, gab er zurück und wies auf die Kappe, die ich mir aufgesetzt hatte. Es regnete leicht, und der Schirm der Mütze sorgte dafür, dass meine Brille trocken blieb. »Setz das Ding ab!«, forderte er. »Damit sieht du echt aus wie ein alter Mann.«

Ich sah ihn verblüfft an, ließ die Mütze aber auf. Er lachte mich aus, und irgendwann verabschiedeten wir uns voneinander. Noch einmal ließ ich meinen Blick über das Gelände wandern. Im Nieselregen sah es nicht mehr so interessant aus wie vor Stunden, als die Sonne geschienen hatte.

Es wurde Zeit, dass ich fuhr. Rottweil würde ich so kaum in einer guten Erinnerung behalten.

Messer Banzani von 1991

Als anfangs der 90er-Jahre immer mehr Ska-Bands aus dem Boden sprossen, fand ich das anfangs ziemlich klasse, vor allem, wenn die Bands den Ska-Sound mit viel Punk und Hardcore anreicherten. Wenn die Bands aber eher nach Studentenmucke klangen, hatte ich damit meine Probleme. Irritierenderweise galt das damals auch für Messer Banzani – obwohl die Band eine echte Punk-Vergangenheit hatte. Dieser Tage hörte ich mir ihre LP mal wieder an.

Die Musiker spielten teilweise in den 80er-Jahren in Punk-Bands – und das war in der DDR nicht ohne Probleme möglich. Die Band selbst gründete sich zu einer Zeit, als es in der DDR brodelte, und spielte ab dem Sommer 1989 regelmäßig.

Und die Langspielplatte? Sie wurde Ende 1990 aufgenommen und kam anfangs 1991 auf einem Label aus Lübeck heraus. Musikalisch wird lockerer Ska geboten, den ich mir heute wieder gut anhören kann, angenehme Sommermusik ohne jeglichen Punkrock-Bezug, die schön vor sich hinplätschert und von der leider wenig im Ohr hängen bleibt.

Das kann man sich anhören, das muss man aber nicht. Es gibt gute Gründe, warum die Band verschwunden ist, ohne viele Spuren zu hinterlassen. Wobei ... nach dem, was ich damals von Messer Banzani hörte, war das eine ziemlich angesagte Live-Band. Manchmal ist Musik von der Bühne herunter einfach besser als aus dem Lautsprecher der heimischen Anlage.

28 Dezember 2022

Erhellende Gedanken zum Schreiben

Ich habe keine Ahnung, wer Bobette Buster ist und werde auch nicht so richtig schlau aus ihr, wenn ihr mir ihren Internet-Auftritt anschaue. Sie gibt auf jeden Fall schon seit vielen Jahren Seminare darüber, wie man Geschichten erzählt, und berät offenbar seit ebenso vielen Jahren allerlei Hollywood-Leute bei der Arbeit des Erzählens.

Ich fand ihr schmales Sachbuch »Wie man eine Geschichte richtig erzählt« in der Buchhandlung eines Kunstmuseums – da stöbere ich eh immer gern – und kaufte es spontan, las es ebenso spontan und fand es streckenweise sehr erhellend. Um es gleich vorwegzunehmen: Es handelt sich dabei nicht um einen Schreibratgeber, in dem einem allerlei »Regeln« beigebracht werden, sondern um ein Buch, das dazu beitragen will, dass man quasi in sich selbst die Geschichten findet, die man braucht.

Die Autorin hat zeitweise einen Stil, der an Motivationstrainer erinnert. Man solle in sich fühlen, man solle die eigene Geschichte aus sich herausholen – und so weiter. Mag sein, dass sie das bei ihren Seminaren so sagt, in einem gedruckten Buch fand ich das streckenweise überzogen. Aber vielleicht ist das auch die amerikanische Mentalität, mit der ich in solchen Fällen immer wieder fremdle.

Schaue ich mir den Kern ihres Buches an, entdecke ich viele Dinge, die ich selbst aufgreifen kann. Die Autorin weist auf Elemente hin, aus denen sich eine Geschichte entwickeln lässt. Sie stellt dar, wie man von Sinneswahrnehmungen eine Geschichte ableitet. Und sie weist immer wieder darauf hin, dass viele Geschichten eigentlich tief in einem selbst verborgen sind und nur ans Licht geholt werden müssen.

Das ist oft hilfreich, weil es mich dazu bringt, über mein eigenes Schreiben nachzudenken, auch darüber, wie ich beispielsweise mit Autorinnen und Autoren spreche. Manches wusste ich schon, einiges war mir neu, insgesamt war die Lektüre aber trotzdem oft positiv und aufmunternd.

»Wie man eine Geschichte richtig erzählt« ersetzt nicht die Arbeit, die man beim eigenen Schreiben hat. Es entlässt einen nicht aus der Verantwortung und behauptet nicht, dass jeder einen Roman verfassen kann. Es kann eine gute ergänzende Lektüre sein – und hat mich durchaus bereichert.

27 Dezember 2022

Ein vegetarischer Western

Ich mag »Lucky Luke«, seit ich damit angefangen habe, Comics zu lesen. Und ich habe über all die Jahrzehnte hinweg schmunzelnd verfolgt, wie die Geschichten mal besser wurden, mal schwächer, mal politischer, mal harmloser. Das aktuelle Kreativteam für die Serie scheint sich auf gesellschaftliche Themen einzuschießen – das merkt man auch dem Band 101 der Reihe ab, der hierzulande unter dem schönen Titel »Rantanplans Arche« veröffentlicht worden ist.

In dieser Geschichte trifft Lucky Luke ausnahmsweise nicht auf schießwütige Banditen oder bekloppte Goldsucher, sondern auf einen überzeugten Tierschützer. Dieser möchte die Menschen dazu bewegen, mit den Tieren besser umzugehen und idealerweise auch klein Fleisch mehr zu essen. Teilweise hat er damit Erfolg: So gibt es auf einmal einen jungen Indianer, der kein Fleisch mehr möchte, oder irgendwelche Revolverhelden zwingen die Leute dazu, von Rindersteak auf Grünkohl umzusteigen.

Das klingt im ersten Moment vielleicht arg überzogen und blöd, liest sich aber sehr amüsant. Das Kreativduo aus Jul und Achdé, das seit einiger Zeit für »Lucky Luke« verantwortlich ist, greift wieder ein aktuelles Thema auf und exerziert es gewissermaßen durch. Der blöde Hund Rantanplan spielt dabei ebenso eine Rolle wie seltsam sprechende Indianer und die immer zornigen Daltons.

Die Geschichte ist turbulent, wenngleich nicht so überzeugend wie zuletzt »Fackeln im Baumwollfeld«. Wieder werden die üblichen Klischees des Wilden Westens satirisch aufgegriffen – bis hin zum Spieler, der natürlich nicht mehr geteert und gefedert wird – und neu arrangiert. Wer die Reihe schon seit langem kennt, wird viele Elemente in neuem Gewand wieder entdecken. Das ist nicht immer brillant, aber stets unterhaltsam. Der Band reiht sich damit ins Mittelfeld anderer »Lucky Luke«-Geschichten ein.

Wobei die Bilder nach wie vor überzeugen. Sie zählen zur guten alten »Lucky Luke«-Tradition, man orientiert sich bewusst an den Vorbildern der 60er- und 70er-Jahre – und das ist in diesem Fall auch gut so. Um ein Fazit zu ziehen: Wer den Cowboy und seine Geschichten mag, wird auch das Album mit der Nummer 101 mögen.

23 Dezember 2022

Weltenruder am Start

Mit dem Weltenruder-Verlag hat sich Melanie Schneider aus Stuttgart eine Reihe von engagierten Zielen gesetzt. (Sie ist mir via Twitter bekannt, wir haben uns einmal bei einem LiteraturCamp in Heidelberg unterhalten.) Ihr Ziel ist, phantastische Texte zu veröffentlichen, also Science Fiction und Fantasy im weitesten Sinn.

Ihr Statement auf der Startseite ihres Verlages ist interessant: »Die Suche nach neuartigen, progressiven und diversen Texten wird schwieriger und einfacher zugleich.« Es gebe eine größere »Tendenz zu ungewöhnlicheren Geschichten«, und der neue Verlag solle für solche Projekte ein Ort sein.

Der Verlag wolle Wert auf ein sensibles Lektorat legen, wolle auch ein Sensitivity Reading einbinden, vor allem an Stellen, »wo eigene Marginalisierungen ihre Wissensgrenzen erreichen«. Auf der Internet-Seite des Verlages findet sich bereits eine erste Ausschreibung; wer mag, kann sich am Thema »Neuropunk« beteiligen. (Wer nicht weiß, was das ist – ging mir genauso –, findet auf der Internet-Seite des Verlages weitere Informationen dazu.)

Generell mag ich alles, was dazu beiträgt, die Science Fiction zu beleben. Als Leser schaue ich mir gern neue Strömungen an. Deshalb wünsche ich der Kollegin alles Gute zu ihrem Verlagsstart und bin gespannt, was es 2023 an Lesestoff geben wird …

Schräge Senioren auf Reisen

Vor über einem Dutzend Jahren wurde die Schriftstellerin Leonie Swann mit ihrem Roman »Glennkill« berühmt, der zu Recht zu einem Bestseller wurde. Mit der Geschichte um Schafe, die gemeinsam ermitteln, um den Mörder ihres Schäfers zu finden, erreichte Swann ein großes Publikum. Seither hat sie einen festen Stamm an Leserinnen und Lesern.

Vor zwei Jahren veröffentlichte sie »Mord in Sunset Hall«, in dem sie eine Wohngemeinschaft von Senioren thematisierte, die in Mordfälle verwickelt werden. Weil sich dieses Werk offensichtlich gut verkaufte, lag es nahe, eine direkte Fortsetzung davon zu schreiben. Diese liegt unter dem Titel »Miss Sharp macht Urlaub« mittlerweile vor.

Ich habe den Roman gelesen, habe mich köstlich bei seiner Lektüre amüsiert und möchte ihn allen Leuten empfehlen, die bei einem Krimi gern einmal schmunzeln wollen. Das Schönste dabei: Man muss den ersten Band mit den schrägen Senioren nicht kennen, um gleich hier einzusteigen.

Die genannten Senioren wohnen zusammen in einer Wohngemeinschaft, weil sie keine Lust auf Altersheime und dergleichen haben. Sie alle haben ihre Probleme: Die eine sieht nicht richtig, die andere hört nicht richtig, manche haben kurzzeitige Ausfälle oder vergessen alles. Doch gemeinsam sind sie trotz all ihrer Probleme unschlagbar. Das merken sie, als sie miteinander in Urlaub fahren: In ihrer Unterkunft ist es kalt, die Heizung ist ausgefallen, also brechen sie in ein Wellness-Hotel auf.

Da aber ist auch nicht alles so einfach. Schnell bemerkt eine der alten Damen einen Mord, während eine andere alte Dame einen Mann aus ihrer Vergangenheit trifft. Es mehren sich die seltsamen Vorgänge, die sich nicht so richtig kombinieren lassen und die sonst niemand wahrnimmt.

Das Personal im Hotel ist von den Senioren sichtlich überfordert und möchte am liebsten, dass sie brav in ihren Zimmern bleiben. Doch unerschrocken und mit allen Tricks nehmen die Senioren die Ermittlung an den unterschiedlichen Fällen auf …

Leonie Swann gelingt es, die einzelnen Figuren mit all ihren schrägen Eigenheiten so darzustellen, dass man mit ihnen leidet und fiebert, auch wenn man sie im wirklichen Leben wohl eher anstrengend fände. Die Autorin vermittelt eine hohe Sympathie für die alten Menschen, die ihren Roman prägen, und macht sich nie über sie lustig. An Situationskomik mangelt es trotzdem nicht, manche Szenen kann man sich bei der Lektüre sehr gut bildlich vorstellen.

Mit »Miss Sharp macht Urlaub« schafft es Leonie Swann, an ihre früheren Erfolge anzuknüpfen und trotzdem eine sehr eigenständige Geschichte zu erzählen. Der Roman gehört zum Genre des »Cosy Crime«, ohne allerdings in triviale Beliebigkeit abzurutschen. Wunderbar schrullige Krimi-Unterhaltung!

(Diese Rezension erschien bereits im November auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. An dieser Stelle wird sie zur Dokumentation noch einmal veröffentlicht.)

22 Dezember 2022

Motras aus Chemnitz

Immer wieder entdecken Punkrock-Bands von heute den Sound von früher und interpretieren ihn neu. So hielten es beispielsweise die Motras, die anfangs der Nuller-Jahre aus Chemnitz kamen. Die vier jungen Männer orientierten sich optisch wie musikalisch an Jahr 1977, sie ließen diese Zeit wieder aufleben und machten das auch noch richtig gut. Das belegt sehr schön die Langspielplatte »sexy & retarded«, die 2003 von der Band selbst produziert wurde.

Klar klingt der schmissige Sound auf dieser Platte schwer nach den Ramones, die Chemnitzer spielen aber schneller und energischer. Zudem hat der Sänger eine Stimme, die eher quiekt als singt, die den Ton zwar trifft, manchmal aber unglaublich schräg klingt. Das ist originell, das verleiht den Stücken ihren eigenen Reiz und sorgt dafür, dass man sie so schnell nicht vergisst.

Insgesamt 15-mal wandelt die Band auf dieser Platte im Zeitgeist des Jahres 1977. Das macht sie gut, da fühle ich mich gern musikalisch in die Vergangenheit versetzt. Schade, dass sich die Band bereits in den Nuller-Jahren wieder auflöste.

21 Dezember 2022

Ein Klassiker der griechischen Literatur

Manchmal drängt es mich danach, einen klassischen Roman zu lesen. Aus diesem Grund griff ich zu »Die Mörderin«, der als einer der wichtigsten Werke der modernen griechischen Literatur gilt. Das Buch ist nicht so dick, also dachte ich, man könnte es schnell lesen – aber dann brauchte ich doch einige Zeit dafür.

»Die Mörderin« stammt von Alexandros Papadiamantis, der Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb. In diese Zeit fallen die Kämpfe der Griechen gegen die Türken sowie eine völlige Änderung der Gesellschaft. Aus einem Land, das sehr hinterwäldlerisch war – viele Ziegenhirten, viele einfache Leute –, wurde langsam eine moderne Gesellschaft.

In dieser Zeit lebt die Hauptfigur der Geschichte: eine alte Frau, wobei alt in diesem Fall heißt, dass sie 60 Jahre alt ist. Mehr aus Versehen tötet sie ein Kind – ein Mädchen, dem sie das leidvolle Leben als Mädchen und junge Frau ersparen möchte. Weitere Morde folgen. Sie tötet Mädchen, mehr aus Mitleid als aus Mordlust.

Prompt setzt sich das Gesetz auf ihre Spuren, und sie flieht über die Insel, verfolgt von den Bütteln. Sie trifft auf andere Menschen, sie will sich zu einem Einsiedler durchschlagen, sie findet ihr Ende im Meer …

Der kurze Roman ist düster und traurig, und doch entfaltet er eine Faszination. Man gewinnt Mitleid mit der Mörderin, man möchte ihr helfen, und man möchte eigentlich, dass sie aus alledem irgendwie gut herauskommt. Das ist angesichts ihrer Taten nicht möglich, und so hat der Roman nur ein glaubhaftes Ende.

Ich fand den Roman trotz des Themas spannend. Er vermittelt das Bild einer Gesellschaft im Umbruch und einer Frau voller Not und Verzweiflung. Keine leichte Lektüre, aber ein interessanter Blick auf eine griechische Insel zur Jahrhundertwende. Lohnt sich!

20 Dezember 2022

Frederick Abstraight sucht eine Katze

Im Splitter-Verlag erschien bereits im vergangenen Jahr die Reihe »7 Detektive«, in der in sieben abgeschlossenen – und teilweise doch zusammenhängenden – Geschichten jeweils ein Detektiv mit seinem Fall vorgestellt wird. Zuletzt las ich noch einmal das fünfte Hardcover-Album, in dem Frederick Abstraight und »Eine Katze im Sack« wesentliche Rollen spielen.

Abstraight ist ein abgehalfterter Polizist, der zuletzt nur noch durch allerlei Eskapaden im Suff aufgefallen ist. Seine ehemaligen Vorgesetzten wissen aber, dass er eigentlich gute Arbeit leisten kann, und schicken ihn los, um einen letzten Fall zu lösen: Er soll aufs Land fahren und dort die Katze eines reichen Mannes suchen …

Die Fahrt mit dem Zug beginnt beschaulich, dann aber bleibt der Zug im Schnee stecken. Während die Bahnmitarbeiter noch versuchen, den Weg freizuschaufeln, geschieht der erste Mord. Auf diese Weise wird Abstraight in einen Fall verwickelt, der offensichtlich ein wenig komplizierter ist als der mit der Katze.

Mit »Eine Katze im Sack« ist Herik Hanna eine in sich abgeschlossene (es gibt immerhin einen dünnen Bezug zu einer anderen Detektivin), spannende und zugleich witzige Detektiv-Geschichte gelungen. Sie erinnert natürlich an Klassiker des Genres, zitiert im Prinzip auch mal Hercule Poirot und bringt eine klar erzählte »Whodunit«-Geschichte bis zu ihrem recht glaubhaften Ende.

Julien Motteler illustriert diese Geschichte mit Bildern, die zwar realistisch wirken, aber immer eine leichte Funny-Andeutung aufweisen. Das passt zu den augenzwinkernden Wendungen des Comics – eine gelungene Ergänzung für eine ohnehin gelungene Detektiv-Geschichte!

19 Dezember 2022

Und weg ist der alte Lappen

Ich war sicher nicht der einzige Mensch in meiner Generation, der an seinem Führerschein hing und ihn als seinen »alten Lappen« bezeichnete. Seit heute ist der Führerschein nun Geschichte; ich habe so ein modernes und viel praktischeres Plastikkärtchen, wie alle anderen Leute halt auch.

Im kommenden Jahr wäre mein alter Führerschein nicht mehr gültig gewesen, also musste ich einen neuen beantragen. Das ging vergleichsweise einfach, sieht man davon ab, dass ich ein Formular als PDF ausdruckte, von Hand ausfüllte und dann mit allerlei Kopien in einen Briefkasten steckte. Das wäre sicher ein wenig moderner gegangen oder ein wenig altmodischer, die Mixtur fand ich auf jeden Fall befremdlich.

Meinen klassischen Führerschein hatte ich 1984 gemacht. Wenn ich mich recht erinnere, war ich der letzte in meiner Schulklasse, der so einen Lappen erwarb. Davor hatte ich mich mit dem Fahrrad, mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln – der letzte Bus aus der Kleinstadt ins Dorf fuhr um 19 Uhr –, schlicht zu Fuß oder per Anhalter durch die Gegend bewegt. Und es war ganz schön viel Geld, weshalb ich erst zwanzig Jahre alt werden musste, um ihn zu erwerben.

(Der Fahrlehrer hatte als Jugendlicher in Wehrmachtsuniform bei den Endkämpfen in Nürnberg mitmischen müssen, was er mir gefühlt zwanzigmal erzählte. Mein Führerschein ist also mit dem Zweiten Weltkrieg verbunden.)

In all den Jahrzehnten hatte ich keine innere Beziehung zu meinem Führerschein. Mich interessiert ja auch ein Auto nicht sonderlich. Das sind halt Dinge, die man benötigt. Aber als er nun vor meinen Augen entwertet wurde, fand ich das dann doch traurig …

Spannende Science Fiction in düsterem Comic

Was für eine Vorstellung! Riesige Raumschiffe kommen aus dem All und landen auf der Erde. Sie sehen aus wie riesige Stämme, ragen Kilometer in die Höhe und zermalmen bei ihrer Landung alles, was in ihrem Weg ist. Einer der Bäume – wie man die außerirdischen Gebilde nennt – landet in New York, wieder andere in Somalia, in China oder auf der Inselgruppe der Spitzbergen.

Das ist der Hintergrund für den Science-Fiction-Comic »Trees«, der seit einiger Zeit in deutscher Sprache veröffentlicht wird und den ich unbedingt empfehlen möchte. Bei Cross Cult liegen drei Hardcover-Bände vor, die diese Geschichte zusammenfassen und die ich während der Lektüre kaum aus der Hand legen konnte.

Die Handlung beginnt zehn Jahre nach der Landung der Bäume, als Örtlichkeiten dienen unterschiedliche Weltgegenden. So spielt ein wesentlicher Teil der Geschichte anfangs auf Spitzbergen, wo Forscher herausfinden, dass die Bäume offensichtlich eine echte Bedrohung für die Menschheit bereithalten. Andere Szenen sind in Italien angesiedelt, in China oder auch in New York.

Überall müssen die Menschen eine Meinung zu den Bäumen finden und herausbekommen, wie sie sich zu ihnen positionieren. Das machen Politiker natürlich auf andere Weise als Künstler, Wissenschaftler oder örtliche Verbrecher.

Für die Texte ist der erfahrene Autor Warren Ellis zuständig, der schon zahlreiche Comics verfasst hat. Seine kritische Weltsicht bringt er auch in diese Geschichte ein: Er zeichnet Menschen oft negativ, präsentiert aber auch positive Charaktere, zeigt vor allem aber, wie die Mächtigen versuchen, ihre Macht zu erhalten und auszubauen. Die von ihm geschaffenen Figuren wirken in diesem Comic stets glaubhaft, nicht wie Zerrbilder, wie er sie in früheren Comics zeitweise bewusst geschaffen hat. Ellis’ Szenarien zogen mich bei der Lektüre in ihren Bann, die Dialoge sind stets stimmig, und die Handlung läuft nachvollziehbar ab.

Dank der Grafik von Jason Howard ist der Stil der einzelnen Seiten ebenso realitätsnah wie die Dialoge. Howard zeigt die düsteren Bäume und die Gesichter der Menschen, seine Bilder zeigen die Einsamkeit von Spitzbergen und die Wolkenkratzer von New York. Geht es um Action, wirken seine Zeichnungen geradezu explosiv, doch er hat auch Sinn für das realistische Detail – wenn es beispielsweise um Pflanzen geht, die sich auf seltsame Weise verformen.

»Trees« ist ein Science-Fiction-Comic der Meisterklasse. Der erste Band ist ein Kracher, bei dem man mit Staunen liest, wie sich eine Geschichte entwickelt und wie sowohl der Autor als auch der Künstler ihre Figuren ins Zentrum stellen. Die Folgebände sind ebenfalls gut, aber der Einstieg überzeugte mich am stärksten. Wer Science Fiction und Comics mag, sollte die Serie testen. Ich fand das bisher Gelesene eindrucksvoll.

Erschienen sind die drei Bände als Hardcover im CrossCult-Verlag; sie sind 168 oder 128 Seiten lang, und sie kosten 25,00 oder 20,00 Euro. Man kann sie überall im Buchhandel bestellen, selbstverständlich kann man sie sich auch von Versendern wie dem PERRY RHODAN-OnlineShop liefern lassen.

(Diese Rezension habe ich bereits im November auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN veöffentlicht; hier quasi zur Dokumentation nachgereicht.}

16 Dezember 2022

Einfach mal rumgezappt

Seit Jahren kann ich das sagen, was ich früher ein wenig albern fand und auch heute zu vermeiden versuche: »Ich guck kein lineares Fernsehen mehr.« Das ist nicht ganz richtig, aber faktisch schalte ich tatsächlich zu 99 Prozent kein »direktes Fernsehen« mehr ein, sondern gucke, was in den Mediatheken zu finden ist, wenn ich nicht gleich zu dem von mir abonnierten Streaming-Anbieter wechsle.

Das könnte ein Fehler sein, wie ich gestern feststellte. Weil ich nach dem Essen noch ein wenig ausspannen wollte, saß ich vor dem Fernseher, zappte herum und landete bei ZDF Neo. Es kam »Besser geht’s nicht« mit Jack Nicholson und Helen Hunt, den ich vor über zwanzig Jahren im Kino gesehen hatte und immer noch gut fand. Ich war auch wieder gefesselt von dem Streifen und blieb dran hängen, unterbrach den Film aber irgendwann doch, weil ich ins Bett musste.

Ich hätte nie nach diesem Film gesucht. Ich hätte nicht eine Fernsehzeitschrift gelesen und ihn mir herausgeschrieben. Ich hätte mir nicht die DVD gekauft. Aber als ich ihn zufällig fand, freute ich mich darüber. Das ist der Sieg des Zufalls über das ergebnisorientierte Vorgehen.

Vielleicht sollte ich das wieder öfter machen: einfach drauflos und dort anhalten, wo es Spaß macht. Beim Radfahren im Sommer schaffe ich das auch: einfach mal geradeaus fahren, dann irgendwo rechts oder links abbiegen und gucken, wo man am Ende rauskommt. Nicht so viel nachdenken, mehr Zeit für die Überraschungen einräumen.

Noch ist es zu früh für gute Vorsätze für 2023. Aber das Prinzip der Serendipität – oder so – könnte das Leben zumindest auf eine gewisse Weise abwechslungsreicher gestalten …

15 Dezember 2022

Wenn die Bahn nicht mehr vom Wetter redet

Eigentlich hätte mich der frühe Morgen ja warnen sollen – es ging alles viel zu glatt. Ich fuhr mit meinem Fahrrad in aller Ruhe zum Bahnhof; die Straßen waren trocken, und gegen die Kälte kann man sich schließlich warm anziehen. Der Zug von Karlsruhe nach München hielt seinen Fahrplan exakt ein, wir kamen pünktlich an.

In München regnete es auf eiskalte Straßen; die Innenstadt erwies sich als eine einzige Rutschbahn. Ich absolvierte meine drei Termine, sprang irgendwann in ein Taxi und ließ mich zum Bahnhof fahren.

Mein Zug sollte um 16.58 Uhr vom Gleis zehn aus gehen. Wie es sich herausstellte, muss man da einen halben Kilometer am eigentlichen Bahnhof entlang gehen. Ich bin nicht gehbehindert, aber es waren auch ältere Leute unterwegs; da zieht sich die Strecke schon. Vor allem wenn man dann am Bahnsteig steht und eine nüchterne Information – kein Mensch weit und breit, den man hätte fragen können – darüber informiert, dass der Zug von München nach Basel ausgefallen sei. Kein weiterer Grund, nichts.

Ich eilte zurück in die Bahnhofshalle, stellte fest, dass beim Informationsschalter eine Schlange von gut hundert Leuten stand, hörte dann endlich einmal einer Durchsage zu und merkte, dass ich ein Opfer des Wetters geworden war: Der Regen hatte München offensichtlich lahmgelegt. Angeblich sollten keine Züge mehr in Richtung Augsburg fahren.

An einem Gleis stand aber ein abfahrbereiter Zug, der eine Verspätung von einer halben Stunde hatte. Der Zug sollte nach Dortmund fahren, unter anderem über Stuttgart. Kurzerhand redete ich mit einem Schaffner, der ganz optimistisch klang, stieg ein, suchte mir einen freien Platz und ließ mich nieder. Dann wartete ich.

Es dauerte recht lang, bis der Zug sich endlich in Bewegung setzte. Wie es sich herausstellte, waren viele der Leute, die um mich herum saßen, schon seit längerem unterwegs. Ein älterer Mann meinte, er versuche seit 14 Uhr, aus München herauszukommen. Eine ältere Frau erzählte, sie wolle bis nach Karlsruhe, um von dort nach Freiburg weiterzufahren.

Der Zug fuhr los, wir hatten ordentlich Verspätung. Unterwegs hielt er immer wieder an, und die Verspätung wurde schlimmer. Als wir Augsburg erreichten, war es schon echt spät. Dort hielt der Zug lang im Bahnhof. Als er sich wieder in Bewegung setzte fuhren wir nicht nach Ulm, sondern nach Norden – weil Züge zwischen Augsburg und Ulm irgendwie gestrandet waren, wurden wir über Donauwörth geleitet.

Die Informationen waren spärlich. Der Zug fuhr immer mal wieder einige Kilometer, um dann wieder stehenzubleiben. Die Zeit verstrich, die Laune sackte – bis sich irgendwann einen Lagerstimmung breitmachte. Allen war klar, dass ihre Zeitpläne erledigt waren. Schokolade wurde geteilt, dämliche Witze machten die Runde, einige – darunter ich – holten sich Bier im Bordrestaurant.

Die Laune sackte schlagartig ab, als das Bordrestaurant dicht machte. Irgendwann erreichten wir dann doch Ulm, einige Stunden, nachdem wir München verlassen hatten. Der Zugführer sagte, der Zug stoppe außerplanmäßig in Ulm, wir sollten auf einen anderen Zug umsteigen, der auch über Stuttgart fahre.

Ich wartete in der Kälte, dann kam der andere Zug irgendwann. Er fuhr in der Tat über Stuttgart, von dort aus über Frankfurt nach Erfurt. Er hatte zu diesem Zeitpunkt einen Verspätung von 173 Minuten, also gut drei Stunden, und die wurden bei der folgenden Fahrt noch länger.

Irgendwann erreichte ich Stuttgart, wo ich auf einen Intercity nach Karlsruhe wartete. Der hatte selbstverständlich Verspätung, und so war ich um 23.15 Uhr in Karlsruhe. Ich ging durch das Schneetreiben zu meine Fahrrad, das ich erst vom Schnee befreien konnte.

Dann radelte ich durch rieselnde Schneeflocken nach Hause: Auf den Straßen waren keine Autos unterwegs, also hielt ich mich auf der Fahrbahn – die war meist eisfrei, während die Radwege wie eine fiese Rutschbahn anmuteten … Und um halb zwölf Uhr war ich endlich daheim.

Knalliger Oi! aus Stuttgart

Die Produzenten der Froide waren (und sind wieder?) eine Skinhead-Band aus Stuttgart, die sich immer klar gegen Nazis verorteten. Das hört man auch sehr deutlich bei der EP »Ich scheiß auf euren Oi!«, die bereits 2011 bei dem antifaschistischen Label Mad Butcher Records veröffentlicht wurde und die drei Stücke enthält.

Das Titelstück ist ziemlich großartig: ein treibender Oi!-Punk, dazu ein Sänger, der klare Aussagen herausbrüllt. »Ihr nennt euch unpolitisch und küsst die rechte Seite«. Mit solchen Formulierungen stellt man sich klar gegen die Teile der Skinhead-Szene, die es gut findet, sich als unpolitisch zu bezeichnen und mit Nazis zu saufen.

Auch »Hey Kameramann« auf der B-Seite ist ein Oi!-Stück mit rüpeliger Melodie und Schmackes, das gut ins Ohr geht. »Golden Shower White Power« schunkelt ein wenig vor sich hin und ist ironisch zu verstehen, enthält aber auch klare Aussagen.

Eine gute EP: drei sehr gute Stücke. Und der Beleg dafür, wie Skinheads sich eindeutig positionieren können.

13 Dezember 2022

Waldläufer und Pawnees

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Frankreich verkaufte die riesigen Ländereien seiner Kolonie Louisiana – im Prinzip das Zentrum der heutigen Vereinigten Staaten – an die jungen USA. Die Bewohner dieser Region wurden nicht gefragt, diese nahm man nicht einmal ernst. Auf einen Schlag verdoppelte sich die Fläche des neuen amerikanischen Staatenbundes.

Vor dem Hintergrund dieser historischen Entwicklung erzählt Patrick Prugne seine Geschichte in »Frenchman«, einem dicken Graphic-Novel-Band. Auch wenn der Comic in der Region spielt, in der üblicherweise Western angesiedelt werden, ist er damit nicht vergleichbar. Im Prinzip handelt es sich um ein sauber recherchiertes historisches Abenteuer vor einer grandiosen Kulisse.

Kurz zusammengefasst: Ein junger Bauernsohn aus der Normandie wird in dem nun amerikanischen Gebiet als »Frenchman« zu einem Waldläufer. Er wird in Konflikte verwickelt und reist an der Seite eines erfahrenen Trappers durch die Gegend. Die beiden stoßen auf Indianer vom Volk der Pawnees und erreichen irgendwann die spätere Metropole St. Louis, zu dieser Zeit nur eine Siedlung aus Holzhäusern.

Eindrucksvoll ist die Grafik: Während die Geschichte von »Frenchman« zumeist ruhig verläuft, um dann auf einmal explosionsartig in Gewalt umzuschlagen, sind die Bilder einfach großartig. Prugne hat einen Stil, der feine Linien mit einer Farbgebung verbindet, die ich als Aquarell betrachten würde. Seine Farben sind blass, aber sie strahlen auf ihre Weise trotzdem.

Die tiefen Wälder, die Pawnee-Krieger, das Wild und die Natur, die normannische Heimat und die hohe See – das alles gestaltet Prugne in starken Bildern, von denen jedes für sich ein kleines Kunstwerk ist. Es lohnt sich in diesem Fall wirklich, das Album ein zweites Mal durchzublättern. Auch den Anhang finde ich spannend: Er zeigt Skizzen und weitere Bilder, allerlei Studien des Künstlers, mit denen er demonstriert, wie er sich die Welt der ehemals französischen Kolonie erschloss.

»Frenchman« ist ein starker Comic, obwohl er so still und ruhig daherkommt. Er ist zugleich eines der Bücher, die man gern ein zweites und drittes Mal zur Hand nimmt. (Erschienen beim Splitter-Verlag. Ich empfehle, die Leseprobe zu betrachten.)

12 Dezember 2022

Kein Sauerbraten

Auf einmal stand der junge Mann am Tresen und sprach einen der Kellner an, der gerade einen Tisch abräumte und ein Tablett mit Gläsern abstellte. »Entschuldigen Sie bitte«, sagte er sehr höflich. »Haben Sie keinen Sauerbraten mehr?« Er hatte einen Vollbart und kurzgeschnittene Haare, trug eine sehr helle Hose und weiße Schuhe, dazu einen hellen Pullover, angesichts des grauen Wetters vor der Tür eine mutige Wahl der Kleidung.

Der Kellner sah ihn an, offensichtlich einen Augenblick verwirrt. »Sauerbraten?«, fragte er dann zurück. »Warum? Der steht doch nicht auf der Karte.«

Weil wir an der Theke saßen, bekamen wir manche Dinge besser mit, als wenn wir einen Tisch in der Ecke gehabt hätten. Das fand ich spannend. Ich löffelte meine Kartoffelsuppe, ich trank mein Bier, und ich lauschte dem Gespräch über den Sauerbraten.

Im »Fränk'ness«, einem Lokal in der Innenstadt von Nürnberg, das sehr hell und großzügig wirkte und dessen Ausstattung sich als eine Mischung aus Industrie-Design und lockerem Restaurant präsentierte, hatte ich allerlei Fleischgerichte auf der Karte entdeckt und war als Vegetarier ein wenig ins Grübeln geraten. Einen Sauerbraten hatte ich nicht bemerkt, aber ich hatte auch nicht danach gesucht.

»Ich war schon einmal bei Ihnen«, erzählte der junge Mann bereitwillig. »Da hatte ich einen wunderbaren Sauerbraten. Und wir sind heute deshalb hier, weil ich meinen Freunden von Ihrem Sauerbraten vorgeschwärmt habe.«

»Wann war das?«, hakte der Kellner nach, der sich offenbar auf das Gespräch einzustellen begann.

»Vor drei Jahren.«

»Aha. Vor drei Jahren also …«

Der junge Mann wurde unsicher. »Es kann auch vier Jahre her sein.«

Ich sah mich um. Das Lokal sah nicht einmal aus, als ob es so alt sein könnte. Aber er musste es ja wissen.

»Wir haben keinen Sauerbraten auf der Karte«, sagte der Kellner. »Also können wir keinen Sauerbraten anbieten.«

»Aber vor vier Jahren …«

»Na ja, wir wechseln die Karte schon gelegentlich.«

»Also gut.« Der junge Mann war enttäuscht. Das konnte man ihm ansehen. »Ich will nicht unhöflich sein, aber dann gehen wir jetzt. Wir sind ja nur wegen des Sauerbratens hier.«

Der Kellner verzog keine Miene. »Wie Sie wünschen.«

Während ich meine Kartoffelsuppe löffelte, die sehr gut schmeckte und in Verbindung mit dem Sauerteigbrot den Magen angenehm füllte, ging der junge Mann an einen Tisch im hinteren Teil des Lokals. Mit seinen Begleitern – drei Männer mit Bart, eine junge Frau – verließ er dann das Lokal.

»Sauerbraten«, sagte der Kellner zu sich selbst. »Vor vier Jahren.« Er schüttelte den Kopf, dann räumte er weiter den Tisch ab.

08 Dezember 2022

Die erste Pretenders-Scheibe

Höre ich mir die erste Platte der Pretenders an, die den einfachen Titel »Pretenders« trug und 1980 veröffentlicht wurde, gefällt die mir nach all den Jahren immer noch. Man merkt der Sängerin nicht unbedingt an, dass sie aus der gleichen Ursuppe wie die Sex Pistols gekrochen war, irgendwann in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre, als sie in den gleichen Läden und Kneipen wie die ersten Punkrocker verkehrte. Die Musik ist aber bei allem Pop-Charakter druckvoll und mehr »punk« als einiges von dem, was zu dieser Zeit von manchen Punk-Bands veröffentlicht wurde.

Chrissie Hynde und ihre Mitstreiter hatten ein Händchen für gute Melodien. Die wirken oft locker, als ob sie von der Band aus dem Handgelenk geschüttelt würden, stecken aber auch voller Energie. Das ist kein harmloses Geplänkel, das hat genügend »Wumms«, dass es einen oft dazu bringt, zu zappeln oder gleich zu hüpfen.

Klar, so ein Stück wie »Brass in Pocket«, was ja schon ein kleiner Hit war, ist fast zu locker, das ist weit entfernt von Punkrock und könnte auch im Radio laufen. Die Melodie ist aber hübsch, und die Sängerin hat eine ausdrucksstarke, die die knappen Textzeilen klar rüberbringt. Wenn Pop, dann so!

Andere Stücke wie »Tattooed Love Boys« wirken atemlos, fast hektisch, auf jeden Fall zappelig und so, dass man sie auch in einer »Indie-Disco« der 80er-Jahre laufen lassen konnte. So bietet diese Platte einfach eine schöne Mixtur aus schnell und langsam, aus hektisch und gemütlich, immer mit einer gewissen sarkastischen Note in den Texten. Sehr cool!

Ich sah die Pretenders in den 80er-Jahren tatsächlich einmal – aber das ist eine andere Geschichte –, und das war in einer späteren Phase der Band. Ich fand sie trotzdem klasse. Die Sängerin hat in den vergangenen Jahren nicht immer durch kluge Aussagen geglänzt, wenn ich mich recht erinnere – aber diese erste Platte der Pretenders schätze ich immer noch.

07 Dezember 2022

Recht künstlerisches Kinderbuch

Wie vermittelt man heutigen Kindern, dass es nicht nur eine Art von Familie gibt? Man verpackt die Themen in ein schönes Bilderbuch, in dem die Kinder spielerisch lernen, dass ein Kind auch bei einem alleinerziehenden Vater oder bei seinen zwei Müttern oder bei den Großeltern aufwachsen kann. Das war wohl der Ausgangspunkt für die Konzeption von »Und deine Familie?«, das als Kinderbuch im Carl Auer Verlag erschienen ist.

Verantwortlich für den Inhalt ist die belgische Autorin Charlotte Bellière. Glaube ich dem Porträt auf der Verlagsseite, ist sie zudem Lehrerin – deshalb hat sie sichtlich einen Blick auf die unterschiedlichsten Kinder. Sie zeigt in diesem Buch Kinder, die sich unterhalten und die dann feststellen, dass nicht alle aus einer klassischen Familie mit Vater und Mutter stammen.

Die Kinder spielen alle möglichen Variationen durch; sie diskutieren miteinander, sie stellen Fragen, bleiben dabei aber höflich und aufgeschlossen. Sie kommunizieren offen, sie streiten sich nicht, aber es wird klar, wie »divers« sie allesamt sind. So haben sie alle möglichen Hautfarben und sind auch nicht alle gleichermaßen schlank.

Die Bilder von Ian De Haes – ebenfalls aus Belgien – sind kindgerecht, die Gesichter waren mir oft zu statisch. Insgesamt ist das sicher für Eltern gut geeignet, die ihren Kindern ein schönes Buch mit politisch-gesellschaftlichem Inhalt vorstellen wollen.

Mir waren die Bilder zu schlicht; das war sicher keines der Kinderbücher, die mir gefallen würden.

06 Dezember 2022

Packender Krimi, umgesetzt als Graphic Novel

Es beginnt mit dem Absturz eines Flugzeugs im Jura: Alle Passagiere kommen bei dem Unglück ums Leben, nur ein Säugling überlebt. Doch niemand weiß, wie das Kind heißt und wer seine Familie ist. Es melden sich zwei ältere Ehepaare, die sich als die Großeltern ausgeben: eine reiche Industriellenfamilie und ein Paar, das einen Imbisswagen betreut. Ein Rechtsanwalt wird auf die Spur des Geheimnisses angesetzt – er soll die wahre Identität des Kindes herausfinden ...

Das ist der Anfang des Comics »Das Mädchen mit den blauen Augen«. Dabei handelt es sich um die Umsetzung eines Romans des französischen Schriftstellers Michel Bussi, der auch verfilmt wurde. Ich kenne weder den Film noch den Originalroman, kann hier also keine Bezüge herstellen. Der Comic an sich ist ausdrucksstark genug und steht hervorragend für sich selbst. Mich hat er während der Lektüre sehr fasziniert.

Der Comic-Autor Fred Duval nahm sich des Romans an. Mit starken Dialogen und einer nachvollziehbaren Handlung gelingt es ihm, eine Geschichte zu entwickeln, die den Regeln eines klassischen Krimis folgt – mit allen falschen Spuren, mit den Verdächtigungen und allerlei unterschiedlichen Blickwinkeln –, aber auf die Erfordernisse eines Comics ausgerichtet ist. Man hat keinen Raum, seitenlange Beschreibungen zu liefern, sondern muss in der Lage sein, durch Bilder alle Stimmungen und Eindrücke zu vermitteln.

Das gelingt hervorragend, und das wird durch die Grafik im richtigen Maß umgesetzt. Nicolai Pinheiro hat einen realistischen Stil, der aber immer ein wenig zurückhaltend wirkt. Das passt zu der Geschichte, in der es nicht um Action geht, sondern um Gespräche und langwierige Ermittlungen. Der Zeichner setzt die Figuren so in Szene, dass man ihren Beweggründen jederzeit folgen kann und anhand des Gesichtsausdrucks die Emotionen erkennt.

Sowohl der Zeichner als auch der Autor schaffen es auf diese Weise, aus einem Kriminalroman einen Comic zu machen, der gesellschaftliche Widersprüche aufgreift – hier eine Familie von Industriellen, dort die Besitzer eines Imbisswagens – , aber stets auf einen erhobenen Zeigefinger oder moralische Hinweise verzichtet. Die Geschichte steht für sich, die Figuren verhalten sich ihren Rollen entsprechend, und als Leser wird man fast schon automatisch gezwungen, Stellung für die eine oder andere Seite zu ergreifen.

»Das Mädchen mit den blauen Augen« ist ein gelungener Krimi-Comic, meinetwegen auch eine Graphic Novel, der vor allem jene Leser packen dürfte, die ein Faible für Krimis und Thriller haben. Die vielschichtige Geschichte hat einiges an Tiefe zu bieten und unterhält auf ansprechendem Niveau. Sehr gelungen! 

Erschienen ist der Comic-Band als Hardcover im Splitter-Verlag. Er ist 176 Seiten stark und kostet 35,00 Euro. Mithilfe der ISBN 978-3-96792-299-8 kann man ihn überall im Buch- und Comicfachhandel bestellen. 

(Diese Rezension erschien vor drei Wochen auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie. Hier zur Dokumentation auch wiederholt.)

Ein Klassiker in den Nuller-Jahren

Eine Serie, die über Jahrzehnte hinweg erarbeitet und veröffentlicht wird, hat immer Bezüge zu der Zeit, in der sie entsteht. Die Comic-Serie »Rick Master« ist hierfür ein schönes Beispiel: Die Geschichten spielen stets im jeweiligen »Hier und Jetzt«, was dazu führt, dass der immer gleich junge Detektiv in den 60er-Jahren mit anderen Bedrohungen fertig werden muss als in den Nuller-Jahren.

Ich las dieser Tage den Band 23 der wunderbaren Gesamtausgabe, die der Splitter-Verlag veröffentlicht, und dabei wird das ganz besonders bewusst: Der Einfluss des Internets, das in den Nuller-Jahren immer noch recht neu war, spielt in zwei der drei Geschichten eine große Rolle.

In »Der lautlose Tod« spielt ein Buchversand eine wichtige Rolle, der als »Mississippi« firmiert. Die Anspielung auf »Amazon« kommt einem heute vielleicht blöd vor, 2005 war das amerikanische Unternehmen noch nicht so mächtig.

In »Die letzte Herrscherin« kommen Handys zum Einsatz – damals auch eine recht neue Sache –, und in »Der Schatz von Marolles« gibt es Flash-Mobs, also die Massenaufläufe nach Aufrufen im Internet, die in den Nuller-Jahren zeitweise sehr populär waren. Trotzdem handelt es sich um klassische Krimis, die von dem Detektiv aufgeklärt werden können.

Man merkt den Comics in dieser Gesamtausgabe an, wie gut das Team eingespielt war. Die Geschichten, die nach wie vor von André-Paul Duchateau stammten, waren in positiver Weise altmodisch, die Bilder des Zeichners Tibet hatten nichts von ihrer Klarheit verloren. Mitte der Nuller-Jahre war »Rick Master« alles andere als modern; die Versuche, sich in die neue Zeit einzupassen, waren völlig in Ordnung.

Schön sind wie immer die redaktionellen Ergänzungen. Gezeigt werden Frühwerke des Zeichners Tibet, darunter kurze Comics der Serie »Mouminet«, die in den fünfziger Jahren entstanden sind. Sehr nett!

05 Dezember 2022

Jugendliche und Bücher

Ich bin weder ein Experte für Jugendmedien im Allgemeinen noch Jugendforschung im Besonderen, finde aber manche Ergebnisse mancher Umfragen durchaus spannend. So gibt es eine neue JIM-Studie, wobei das »JIM« für »Jugend, Information, Medien« steht. Sie ist recht aktuell, es geht vor allem um Jugendliche von 12 bis 19 Jahren.

Unter anderem wird klar, wie wenig Jugendliche derzeit lesen. Glaubt man der Studie, nutzen 96 Prozent der Jugendliche ein Smartphone, während nur 32 Prozent der Jugendlichen gedruckte Bücher lesen. E-Books lesen übrigens nur elf Prozent, wenn man dieser Studie glaubt.

Laut Studie ist der Anteil der sogenannten Nichtleser allerdings zurückgegangen. Nur noch 15 Prozent der Jugendlichen lesen gar nichts; bei den Jungs sind es derzeit 18 Prozent.

Wer aus dieser Studie welche Schlüsse zieht, weiß ich nicht. Vor allem Leute, die gern von »der Jugend« sprechen, sollten sie sich anschauen. Und trotzdem davon ausgehen, dass eine solche Studie nicht alles und jeden erfassen kann ...

02 Dezember 2022

Kontakt zu Unpolitischen

Ein Thema, das mich in den 90er-Jahren immer wieder beschäftigte: Punks und Skins, die beteuerten, sie seien unpolitisch – was mir ja eigentlich sympathisch war –, die aber kein Problem damit hatten, mit Nazis herumzuhängen und deren Parolen zu grölen, wenn es sich anbot und genügend Bier floss.

Das Thema versuche ich in der aktuellen Folge von »Der gute Geist des Rock'n'Roll« aufzugreifen, meinem Fortsetzungsroman, der seit vielen Jahren im OX-Fanzine erscheint. Die aktuelle Folge 40 – auch schon wieder so viele ... – wurde in der Ausgabe 165 des Fanzines veröffentlicht, die dieser Tage ins Haus flatterte.

Das Heft ist wie immer sehr dick, die Baboon Show beherrscht das Titelbild, und ich weiß schon jetzt, dass ich keine Chance haben werde, das alles zu lesen. So wird es wohl den meisten Lesern gehen, das Heft ist halt sehr umfangreich. Umso mehr freue ich mich, wenn dann Leute unter anderem meinen Text zur Lektüre heranziehen ...

01 Dezember 2022

Express nach Singapur

Gegen Ende des Jahres 1998 verließ ich Malaysia und fuhr nach Süden, in diesem Fall nach Singapur. Ich wusste nicht, was mich erwartete, und ich hatte noch keine Ahnung, wo ich übernachten würde. Aber ich hatte fest vor, das Neujahrsfest in dieser Metropole zu begehen.

Ich bestieg in Malacca einen Bus, der von dort aus nach Süden fahren sollte. Die Stadt hatte mir gut gefallen: vergleichsweise viele alte Häuser in der Altstadt, wo ich in einem älteren Gebäude ein Zimmer gefunden hatte, ein beeindruckender chinesischer Friedhof, ein quirliges Leben in den Neubaugebieten in der Nähe der Küste. Aber ich hatte praktisch alles gesehen, was ich sehen wollte, und hatte keine Lust mehr, abends mit anderen »Traveller«-Leuten aus Europa und Amerika herumzusitzen und Bier zu trinken.

Die Busfahrt war sehr angenehm. Im Bus liefen Filme – ich sah zum ersten Mal bei dieser Reise »Con Air«, den ich am Ende fast schon mitsprechen konnte –, und ich sah viel von der Gegend, wenn ich nicht gerade vor mich hindöste. Es war eine weitere schöne Etappe auf dieser Reise, die viele Höhepunkte zu bieten hatte.

30 November 2022

Ein Kaffee in den Bergen

Von dem Dachbalkon aus genossen wir eine wunderbare Aussicht auf die umliegenden Berge. Es war kühl, obwohl die Sonne schien. Ein strammer Wind blies von den Bergen herunter, und ich musste meine Jacke schließen, damit ich nicht zu sehr fror. Noch schmeckte der Kaffee, aber ich sollte ihn schnell trinken, bevor er kalt wurde.

An den Tischen in meiner Nähe saßen andere Menschen, viele trugen Funktionskleidung und Wanderschuhe. Man sah ihnen an, dass sie von einer Tour zurückkamen oder zu einer Tour aufbrechen wollten. Sie wirkten frisch und unterhielten sich in unterschiedlichen Sprachen, von denen ich kein Wort verstand. Ihre Stimmen wurden zu einem unaufhörlichen Brummen und Brausen in der Nähe, das mein Ohr erfüllte.

Auf einmal schrien einige auf. Glässer klirrten, Besteck schepperte, Menschen sprangen an die Brüstung des Balkons. Ich folgte ihrem Blick und erhob mich ebenfalls.

Auf der anderen Seite des schmalen Gebirgstals geriet eine Geröllhalde ins Rutschen. Tausende von Steinen setzten sich in Bewegung, rumpelten mit einer enormen Wucht ins Tal. Bäume splitterten unter der Wucht, Staub stieg in Rauchschwaden in die Höhe.

Und das Rumpeln hörte nicht auf, immer mehr Geröll rutschte. Wo kam das alles her, und wieso hörte es nicht einfach auf?

In diesem Moment merkte ich, dass der Boden unter mir wackelte. Das Hotel schwankte, während das Dröhnen des Gerölls immer lauter wurde und mich der Staub einhüllte. Da wachte ich auf.