29 Mai 2024

Von halsbrecherisch zu schnarchzapfig

Meine Jazz-Kenntnisse sind sehr bescheiden, ich kenne mich nicht aus. Aber aus unterschiedlichen Gründen höre ich in diesen Tagen im Auto über Spotify ständig irgendwelche Bebop-Klassiker an, was mir sehr gut gefällt. Die Musik ist teilweise rasend schnell und sehr abwechslungsreich; da stört es mich überhaupt nicht, wenn so ein Stück zehn Minuten lang ist oder noch länger.

Tatsächlich sind manche dieser Klassiker – die Namen der Musiker sagten mir teilweise sogar etwas – geradezu halsbrecherisch, was das Tempo angeht. Ich frage mich bei manchen Aufnahmen, wie es der Bass und das Schlagzeug schaffen, hinter den rasenden Bläser überhaupt hinterherzukommen. Oder ist es andersrum?

Ich bin zeitweise völlig baff. Und dann frage ich mich, wie aus dieser treibenden Musik der fünfziger und sechziger Jahre dieses schnarchzapfige Zeugs geworden ist, das einem heute teilweise als Jazz im Radio präsentiert wird. Die Sprecher wirken schon, als ob sie einschlafen würden, man sieht alte Männer in schlecht sitzenden Cordanzügen vor sich. Wie passt das denn zusammen?

Aber gut, ich muss nicht alles verstehen. Es gibt heute sicher ebenfalls großartigen Jazz. Aber mein Bild von Jazz wurde offensichtlich zu sehr von einer sehr braven und bürgerlichen Attitüde geprägt, bei der das Bildungsbürgertum zu sehr den Ton angab. Höre ich die alten Bebop-Klassiker, bin ich positiv überrascht.

28 Mai 2024

Kurzgeschichten der Comic-Großmeister aus den 60er-Jahren

Man muss sicher nicht viel über René Goscinny sagen: Auch wer sich nicht intensiv mit Comics beschäftigt, kennt die wesentlichen Werke dieses klassischen Szenaristen, hat einmal »Asterix« oder »Lucky Luke« gelesen, vielleicht sogar »Isnogud« oder »Umpa-Pah«. Dass er zusammen mit dem Künstler Marcel Gotlib zudem die »Dingodossiers« veröffentlichte, war bisher Spezialwissen für echte Experten – schön, dass es diese Comics nun in einem gelungenen Gesamtwerk gibt!

Wer nicht weiß, was das ist, möge sich nicht grämen: Hierzulande waren die »Dingodossiers« nie ein Thema. Es handelt sich um Comics, meist eine Seite lang, manchmal auch zwei Seiten umfassend, die allerlei Themen satirisch aufgriffen. Sie wurden in Zeitschriften veröffentlicht, wurden also zwischen längeren Comics oder gar Artikeln präsentiert, sollten die Umgebung gewissermaßen auflockern. Das durfte und konnte nicht sonderlich intellektuell werden, das wollten weder der Autor noch der Zeichner.

Die Schwarzweiß-Comics sind oft auf puren Klamauk gebürstet; sie sind nicht immer genial, aber sie sind toll gezeichnet und sie steuern immer wieder auf eine gelungene Pointe zu. Viele der Gags würde man heute als »politisch nicht korrekt« deuten, sie sind politisch-gesellschaftlich aber sauber genug. Klar, die Darstellung von Männern und Frauen entspricht dem Bild der 60er-Jahre, wird aber immer wieder karikiert und satirisch auf die Spitze genommen.

Wer mag, kann den Humor als »anarchistisch« bezeichnen, weil er sich nicht um die Regeln schert. Wer mag, kann ihn auch als altmodisch beschimpfen. Wer sich aber darauf einlässt, wird mit einem schönen Blick auf die 60er- und 70er-Jahre belohnt, den man so nicht noch einmal finden dürfte …

Erschienen ist das dickleibige Werk bei Splitter. Es enthält neben den vielen Kurz-Comics auch redaktionelle Ergänzungen, die dabei helfen, das Werk einzuschätzen. Sehr gelungen!

27 Mai 2024

Zaubersprüche und Bier

Ich hatte schon leicht einen im Tee, als ich mit Harro wieder in meine Wohnung kam. Wir hatten im »Euphrat« um die Ecke je einen vegetarischen Döner gefuttert und zwei Bier getrunken; das war eigentlich nicht viel, reichte an diesem Tag aber.

»Ich krieg‘ heute nicht mehr viel gebacken«, gestand Harro. »Meinetwegen brauchen wir uns nicht mehr auf der Straße herumzutreiben.«

»Geht mir genauso.« Ich seufzte abgrundtief. »Ich werde halt alt, und Punk ist nicht mehr das, was es einmal war.«

In diesem Frühsommer 1995 war ich wieder einmal mit mir und dem Leben reichlich unzufrieden: Stress in der Firma, kein Glück mit den Frauen, wenig Erfolg mit der eigenen Schreiberei und für Punkrock so langsam ein bisschen alt. Da kam mir Harro gerade recht: Er war gut zehn Jahre jünger als ich, ein sportlicher Skatepunk, und als er mich gefragt hatte, ob er in dieser Woche – er war beruflich in der Stadt – einige Zeit bei mir unterkommen konnte, hatte ich bereitwillig zugestimmt.

Und dann saßen wir da, ich stellte neue Biere auf den Tisch, und wir waren beide müde. »Na super«, sagte ich. »Und was machen wir jetzt? Fernsehgucken geht nicht, ich hab‘ keine Glotze.«

Harro strahlte vor Begeisterung. »Ich hab‘ was ganz Neues. Hast du schon mal von ›Magid‹ gehört?«

»Ist der Papst katholisch?« Natürlich wusste ich, was »Magic« war. Die eine Hälfte meines Freundes- und Bekanntenkreises stammte aus dem Science-Fiction- und Fantasy-Umfeld, und viele von diesen Leuten mochten Rollenspiele und dergleichen.

Er stöberte in seiner Tasche und legte einen Packen mit Karten auf den Tisch. Während ich mein Bier trank, blätterte ich sie durch. Ich fand die Fantasy-Illustrationen gut, lästerte über einige seltsame Bilder, fand das Spiel aber optisch sehr schön.

»Willst du’s lernen?«, fragte Harro.

Zuerst wollte ich nicht. Aber nachdem ich noch einmal zwei Bier getrunken hatte, war ich reif. Er versuchte, mir die Regeln beizubringen, und er gab sich redlich Mühe. Im Hintergrund bollerten Bands wie die Wipers oder Big Black aus den Boxen, kein stressig-moderner Hardcore, sondern eher rockig-rotzig Töne. Und wir tranken ein Bier nach dem anderen.

»Du musst hier einen Zauberspruch setzen«, erläuterte Harro und legte eine Karte. Er legte eine andere auf den Tisch. »Dann kann ich mit diesem Dämon darauf reagieren.« Ich starrte auf die Karten und versuchte, alles zu kapieren.

Leider setzte die Wirkung von Bier und Musik bei mir um diese ein. Ich verstand nichts von den Regeln. Als Harro und ich ein Probespiel anfingen, stellte sich heraus, dass ich alles vergessen hatte, was er mir gut eine Stunde lang erklärt hatte.

Verzweifelt warf er die Hände in die Luft. »Das ist doch nicht schwer!«, rief er entsetzt.

Mein Argument, ich sei mittlerweile vielleicht zu besoffen für ein so intellektuelles Spiel, ließ er nicht gelten. »Ich hab‘ genausoviel getrunken wie du«, behauptete er.

»Du bist auch noch jung und sportlich«, konterte ich.

Wir entschieden uns ein Bier später, die »Magic«-Karten wegzupacken und uns auf Krachmusik und Biertrinken zu konzentrieren. Da waren wir zumindest einer Meinung.

Und das ist der Grund, warum die große »Magic«-Welle der 90er-Jahre spurlos an mir vorüberging …

25 Mai 2024

Nürnberg, damals

Der Mann kam auf mich zu, groß und kräftig und mit einer Glatze, in der sich das Licht der Bürolampe spiegelte. Er humpelte, anscheinend war sein rechtes Bein beeinträchtig.

Lächelnd streckte er die Hand aus. »Willkommen, Herr Frick. Schön, dass Sie da sind.« Es klang nett, auch wenn es wahrscheinlich sein üblicher Spruch war.

Wir schüttelten uns die Hände, dann bat er mich, Platz zu nehmen. Ächzend ließ er sich hinter einem Schreibtisch nieder, ich davor. Ich reichte ihm meinen Personalausweis.

»Sie heißen Frick, und Sie kommen aus Dietersweiler«, sagte er, nachdem er meinen Ausweis angesehen und mir zurückgegeben hatte. »Sind Sie mit dem Emil Frick verwandt?«

Ich nickte. »Er ist mein Vater, und er hat mich auch hierher empfohlen. Er hat seinen Schein bei Ihrem Vater gemacht, hat er mir erzählt, und er kenne Sie.«

»Ja ja, der Emil. Familiäre Beziehungen. Was wären wir ohne sie?« Er lächelte erneut, bevor er wieder ernst wurde. »Wir waren beide bei dem großen Scheiß dabei, und er hatte unterm Strich ein bisschen mehr Glück als ich.«

Was er mit dem großen Scheiß meinte, war mir klar. Wenn die alten Männer über den Zweiten Weltkrieg redeten, was selten genug vorkam, benutzt sie gelegentlich solche Begriffe und vermieden Wörter wie »Krieg« oder »Front«.

»Na ja«, wandte ich ein, »er wurde ja auch zweimal schwerverwundet.«

»Weiß ich, weiß ich.« Er winkte ab. »Ich wollte das nicht abwerten. Er kann aber gehen, den haben sie wieder zusammengeflickt; ich humple halt durchs Leben.« Er klopfte sich gegen sein Bein. »Das hier wurde mir noch Ende April zusammengeschossen. In Nürnberg, weil wir meinten, wir müssten die Stadt gegen die Amis verteidigen. Da war ich noch jünger als Sie jetzt.« Er starrte zur Decke. »Nürnberg«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.

Ich sagte nichts, auch das hatte ich gelernt. Wenn die alten Männer vom Krieg redeten – und nicht am Stammtisch mit ihren Heldentaten prahlten, was ich gelegentlich mitbekommen hatte –, war es gut, einfach die Klappe zu halten. Sie hörten von selbst auf. Der Krieg war in diesem Sommer 1984 noch keine vierzig Jahre vorüber.

Mein Gegenüber lächelte mich an, als hätte er sein Profi-Gesicht wieder aufgesetzt. »Aber ich kann noch Auto fahren, und deshalb sind Sie ja hier. Herzlich willkommen in meiner Fahrschule.«

24 Mai 2024

Kompakte und faszinierende Science Fiction

Mit dem gemeinsam verfassten Roman »This Is How You Lose the Time War« sorgten Amar El-Mohtar und Max Gladstone 2019/2020 für Aufsehen; das Werk erhielt alle möglichen Genre-Preise und wurde von der englischsprachigen Kritik sehr gelobt. Seit vergangenem Jahr liegt der Roman unter dem Titel »Verlorene der Zeiten« auch in deutscher Sprache vor, und ich habe ihn endlich gelesen.

Die Handlung lässt sich gar nicht so leicht zusammenfassen: In ferner Zukunft tobt ein Krieg zwischen zwei Mächten. Während die eine Macht auf biologische Mittel zu setzen scheint, ist die andere eher technisch orientiert. Treffen ihre Truppen aufeinander, gibt es fürchterliche Schlachten mit zahlreichen Toten. Dieser Krieg wird vor allem in der Zeit ausgetragen: Die Armeen und Einzelkämpfer begegnen sich in diversen Strängen der Wirklichkeit, wo sie sich gegenseitig umbringen oder versuchen, die jeweilige Geschichtsschreibung zu verändern.

Vor diesem Hintergrund spielt der Roman, der sich auf zwei Figuren konzentriert, die sich offenbar als weiblich verstehen. Sie nennen sich Rot und Blau, und sie sind am Anfang erbitterte Gegnerinnen. Es ist klar, dass jede von ihnen vor der Gegenseite einen großen Respekt hat – und sie beginnen einen Briefkontakt. Aus diesen Kontakten erwächst, während sich die beiden auf verschiedenen Seiten des Krieges durch die Zeiten kämpfen, eine große Liebe, die nichts erschüttern kann. Bis zum bitteren Ende nicht ...

»Verlorene der Zeiten« ist ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Roman, der mit vielen Konventionen des Genres bricht. Die Handlung ist nicht immer hundertprozentig nachvollziehbar, zumindest für mich nicht. Und dass die Geschichte in Form von Briefen erzählt wird, zwischen die immer wieder kurze Szenen eingestreut sind, macht sie nicht leichter zu verstehen, aber umso faszinierender.

Die Szenen zeigen faszinierend-phantastische Bilder, die Briefe stecken voller positiver Emotionen. Und ohne dass man als Leser weiß, wie Rot oder Blau aussehen, gewinnt man ein großes Interesse an ihnen und will mehr über sie und ihr Schicksal wissen.

Amar El-Mohtar und Max Gladstone schufen damit einen Roman, der zu Recht viele Genre-Preise gewonnen hat. Keine Ahnung, wie er im englischen Original ist, die deutsche Übersetzung gefällt mir aber sehr gut: sowohl manchmal poetische, aber immer stilistisch auf hohem Niveau befindliche Sprache des Romans als auch die ungewöhnlichen Bilder, die von dem Autorenduo gewählt werden.

Denn ungewöhnlich ist die Kommunikation, die Rot und Blau betreiben. Weil ständig Krieg herrscht und dieser sich durch die Zeiten frisst, können sie sich keine normalen Briefe schicken. Sie benutzen Tricks und Hilfsmittel. So wird ein Brief buchstäblich in die Jahresringe eines Baumes geschrieben und kann so erst Jahrhunderte später gelesen werden. Andere Möglichkeiten der Kommunikation sind dann technischer Natur.

Ob das alles so funktionieren würde, spielt keine Rolle. Wenn Lebewesen in der Lage sind, ständig mit der Zeit zu jonglieren, wie es dieser Science-Fiction-Roman darstellt, werden sie wohl auch solche Tricks hinbekommen.

Man braucht für »Verlorene der Zeiten« ein wenig Geduld und muss sich auf die Sprache und die ruhige Handlung einstellen. Action gibt es praktisch keine, Dialoge ebensowenig. Man kann miträtseln und sollte sich ansonsten auf die Geschichte einlassen. Ein ungewöhnlicher Science-Fiction-Roman, eine empfehlenswerte Lektüre!

Das Buch liegt als Hardcover mit Schutzumschlag vor, umfasst 192 Seiten und kostet 18,00 Euro. (Die E-Book-Version gibt es für 14,99 Euro.)

Der Besuch der Internet-Seite des Piper-Verlags lohnt sich übrigens, wenn man mehr über das Buch wissen möchte: Es steht nicht nur eine Leseprobe zur Verfügung, sondern ebenso ein ausführliches und sehr lesenswertes Interview mit der Autorin und dem Autor.

(Diese Rezension erschien bereits vor Monaten – seufz – auf der Internet-Seite der Science-Fiction-Serie, für die ich arbeite. Hier wiederhole ich sie aus dokumentarischen rünen.)

23 Mai 2024

Ein Gang unter dem Fluss

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Dass man einen Fluss untertunnelt, ist nicht so besonders. Autobahnen oder Eisenbahnen werden unter dem Meer oder unter Flüssen hindurchgeführt, was vor allem die Innenstädte entlastet. Auch in Antwerpen gibt es einen Tunnel, den Sankt-Anna-Tunnel, der die Schelde unterquert und durch den man zu Fuß oder per Fahrrad bequem auf die andere Seite der Stadt kommt.

Selbstverständlich musste ich durch diesen Tunnel gehen. Das Spannende dabei: Die Rolltreppe ist aus Holz, sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite. Das sieht nicht nur interessant aus, sondern es einen anderen Klang. Wo eine Rolltreppe sonst eher summt oder rauscht, knirscht und knackt es bei dem steilen Ab- oder Aufstieg.

Ich fand den Spaziergang unter der Schelde eindrucksvoll. Für mich ist es immer ein seltsames Gefühl, mir vorzustellen, welche Wassermassen in diesem Moment oberhalb meines Kopfes existieren. Man glaubt, die Luft sei dicker, und alle Geräusche werden in dem über einen halben Kilometer langen Tunnel zu mehrfachen Echos gebrochen.

Da der Tunnel auch von Radfahrern genutzt wird, flitzen immer wieder Menschen auf Drahteseln an einem vorüber. Das kann durchaus verwirrend sein.

Alles in allem ist es aber ein Spaziergang, der sich lohnt – allein schon wegen der Eindrücke im eigenen Kopf und dann später wegen des Blicks auf die Altstadt von Antwerpen. Die andere Seite der Schelde hingegen ist meist eher schlapp, wie mir bei diesem Besuch schien ...

22 Mai 2024

Völkermord im Sudan?

Nach allem, was ich über den Sudan mitbekomme – es ist ja beklagenswert wenig in der deutschen Presselandschaft –, tobt dort seit über einem Jahr ein Krieg zwischen zwei verfeindeten Armeen. Die Bezeichnung »Bürgerkrieg« halte ich angesichts der Tatsache, dass die hochgerüsteten Soldaten mitten in Wohngebieten mit schwerer Artillerie aufeinander schießen, nicht für angebracht.

Menschen starben seitdem zu Zehntausenden, Millionen sind auf der Flucht, das halbe Land wird von einer fürchterlichen Hungerkatastrophe bedroht. Vor allem in den westlichen Teilen des Landes gehen Experten mittlerweile von Verbrechen aus, die man als Völkermord bezeichnen müsste. Die versprochene Hilfe der sogenannten westlichen Welt kommt kaum und trifft nur in geringen Dosen ein. (Von den teilweise stinkreichen arabischen Ländern reden wir lieber nicht. Die liefern keine Nahrungsmittel, sondern Waffen an die unterschiedlichen Fraktionen, wie es aussieht.)

Das Thema findet hierzulande praktisch nicht statt. Es gibt keine Demonstrationen, in denen gegen den drohenden oder schon geschehenden Völkermord protestiert wird. Keine aufgeregten Studenten besetzen Hörsäle und machen wichtige Veranstaltungen, in denen sie lauthals Parolen rufen. Es gibt keine Sondersendungen in Talkshows, zumindest bekomme ich davon nichts mit.

Warum eigentlich? Mir fallen nur zwei Lösungen ein, und beide finde ich unangenehm.

Die eine: Im Sudan sterben Menschen mit schwarzer Hautfarbe. Das interessiert im mehrheitlich weißen und vergleichsweise wohlhabenden Deutschland einfach nicht so.

Die andere: Die Täter sind keine jüdischen Menschen. Dann sind die Opfer auch nicht mehr so interessant.

Kurzgeschichten voller Menschlichkeit

Der Autor Tim Krohn war mir bis vor einiger Zeit überhaupt nicht bekannt. Der Schweizer veröffentlichte bereits mehrere Bücher, von denen ich vorher nichts mitbekommen hatte. Und so wurde ich erst durch seine Kurzgeschichtensammlung »Nachts in Vals« auf ihn aufmerksam. Das Buch erschien bereits 2015, es ist ein großzügig gesetzter Hardcover-Band mit rund 150 Seiten.

Enthalten sind Kurzgeschichten, die allesamt in Vals spielen, einem Dorf in den Schweizer Alpen. Vals ist vor allem durch seine Therme bekannt geworden, und es wundert nicht, dass die Therme in allen Geschichten eine Rolle spielt. Zu ihr fahren die Menschen, in ihr halten sie sich auf, und hier entwickeln sich Schicksale.

In seinen Geschichten, die man flott lesen kann, die aber stets eine Weile nachwirken, zeigt Tim Krohn ganz normale Menschen: Ein alter Mann feiert seinen Geburtstag in Vals und geht auf einen letzten großen Spaziergang. Ein Börsenmakler fährt mit einer Kollegin nach Vals, möchte eigentlich nur Sex mit ihr haben und verändert sich durch diese Begegnung. Eine Frau reist mit ihrer Mutter nach Vals, und das komplizierte Verhältnis der beiden Frauen wird in der Therme nicht unbedingt einfacher.

Die Geschichten sind nicht lustig, sie haben keinerlei Genre-Aspekte – sie sind einfach nur menschlich. Sie erzählen von Menschen und ihren Problemen, sie bleiben in einer ruhigen Tonlage, die fast schon gelassen ist, sie sind letztlich Kurzgeschichten, wie ich sie mir wünsche: unspektakulär und von Stil und Machart her sehr klar. Da ist kein Wort zuviel, da wird jede Mikro-Szene wichtig.

Ein richtig schönes Buch, das mich auf den Autor aufmerksam gemacht hat! Ich denke, von Tim Krohn werde ich noch mehr lesen.

21 Mai 2024

Lektoren im Kampf gegen das Böse

Was für eine Story, was für eine tolle Idee! In seiner Comic-Serie »Plot Holes« schickt der Autor und Zeichner Sean Murphy eine Gruppe von schrägen Helden in den Kampf gegen Monster und andere schreckliche Dinge. Ihre hauptsächliche Mission: Sie müssen Bücher und Comics retten, sie sind im Prinzip also moderne Lektoren – doch sie arbeiten nicht mit Stift und Computer, sondern mit Schusswaffen und allerlei Action.

»Plot Holes« erschien als Miniserie in den USA und liegt nun als Hardcover-Band im Splitter-Verlag vor; im kleinen Format, also dem Format eines amerikanischen Heftes, aber in der stets gelungenen Optik und Haptik eines Buchs aus diesem Verlag. Die Lektüre lässt mich ein wenig gespalten zurück.

Klar, Sean Murphy kann zeichnen und erzählen. Die Geschichte steckt voller Details, die Comics sind schön gemacht. Ich finde die Handlung in sich aber nicht so klar; zwischen den einzelnen Heften bestehen große Sprünge. So wird am Anfang ein unterdurchschnittlicher Comic-Zeichner eingeführt, der sich der Heldengruppe anschließen muss und sich zuerst ziemlich blöd anstellt. Recht schnell wird er aber zu einem Anführer und weiß die anderen Figuren durch seine Taten zu begeistern und hinter sich zu versammeln.

Die Idee an sich finde ich super, auf so etwas muss man erst mal etwas kommen: Eine Gruppe von Figuren, die aus den unterschiedlichsten fiktiven Universen stammen, muss versuchen, andere fiktive Universen zu retten. Und so ist eben nicht nur ein Comic-Zeichner in der Truppe, sondern auch ein Kind, das aus einem alten Zeitungs-Comic stammt oder eine Vampirin, die eigentlich zu den »Bösen« gehört, nun aber für die »Guten« arbeiten muss.

Ich bin sicher, dass ich viele Anspielungen nicht verstanden habe. Das mag manchen Leuten anders gehen – aber mir war manchmal nicht klar, was die Figuren in welcher Szene eigentlich genau tun. Klar, sie dringen in andere Geschichten ein, lösen dort ein Problem und sorgen so dafür, dass die Geschichte rund wird. Aber …

Seien wir fair: »Plot Holes« ist eine originelle Geschichte, die unterhaltsam abläuft und gut gezeichnet ist. Die Schwächen, die ich empfunden habe, mögen andere Leute nicht so sehen. Man schaue sich einfach die Leseprobe an …

20 Mai 2024

Am Gare von Straßburg

Als ich zum letzten Mal am Bahnhof von Straßburg war, schrieben wir den August 1983. Der Bahnhof prunkte mit einer beeindruckenden alten Fassade, überall kam man problemlos mit süddeutschem Dialekt durch – Elsässisch und Schwäbisch sind recht verwandt –, und die Stadt wirkte friedlich und ausgesprochen nett, ein bisschen beschaulich fast.

Über Pfingsten war ich mal wieder in Strasbourg, wie man die Stadt in Frankreich ja bezeichnet, und kam zum ersten Mal seit vierzig Jahren zum Bahnhof. Strasbourg selbst hatte ich auch in den Nuller-Jahren immer mal wieder besucht. Die Fassade des »Gare« ist nicht mehr zu sehen; eine riesige Glasfront wurde praktisch über den gesamten Vorplatz gezogen. Das sieht hypermodern aus und gleichzeitig irgendwie falsch; aber ich bin kein Architekturkritiker, und es wird sicher einen Grund für dieses seltsame Bauwerk geben.

Elsäsissch hört man in der Stadt nicht mehr, nirgends, nicht mal mehr von alten Leuten, nicht einmal in einer Winstub. Touristen aus Deutschland werden auf Englisch angesprochen (wenn man Glück hat). Die Stadt ist ohnehin voller Touristen.

Und sowohl am Münster als auch am Bahnhof und sicher auch an anderen Stellen von Strasbourg patrouillierten Soldaten: immer in Gruppen von drei oder sechs Mann, mit Sturmgewehren bewaffnet und mit kritischem Blick. Mir ist klar, dass das heutzutage nötig ist, aber schön finde ich den Anblick von Soldaten in einer Fußgängerzone trotzdem nicht.

Seit ich als Kind in den 70er-Jahre zum ersten Mal mit meinen Eltern bewusst in »Schdroosburg« war, wie man das bei uns nannte, hat sich viel getan. Vieles davon ist echt gelungen, manches finde ich schade. Aber ich nahm mir vor, wieder öfter nach Straßburg zu fahren – per Bahn oder Auto ist es von Karlsruhe aus nicht weit.

17 Mai 2024

Blick aufs zweite Seminar-Halbjahr

Dieser Tage erhielt ich von der Bundesakademie für kulturelle Bildung in Wolfenbüttel die neue Programmbroschüre. Sie trug wieder den Titel »182,5« und informierte über aktuelle und kommende Themen rings um die Akademie.

Worüber ich mich besonders freute: Der Autor und Redakteur Olaf Brill wird in der Broschüre vorgestellt. Mit ihm hatte ich unlängst mein erstes gemeinsames Seminar. Ich freue mich schon darauf, dass wir auch im kommenden Jahr gemeinsam als Dozenten in Wolfenbüttel aufschlagen werden ...

(Falls jemand nach Details fragen möchte: Die kommen noch. Aber die Termine für 2025 wurden fixiert, das war wichtig. Zunächst stehen ja die weiteren Seminare in diesem Jahr an!)

Neue Western-Comics

Seit Jahren wird der Western totgesagt. Das Genre habe nichts Neues zu bieten, heißt es. Es spreche nur alte Männer an, wird behauptet. Fakt ist, dass im Comic-Bereich gerade viele neue Western erscheinen. Allein der Splitter-Verlag hat mehrere Reihen mit diesem Gene im Programm.

Heute stelle ich zwei neue Alben aus diesem Programm vor …

Chris Regnault / Dobbs: Jesse James

Wenn eine Reihe schon mit »Die wahre Geschichte des Wilden Westens« betitelt wird, macht das neugierig. Ist das nun Effekthascherei, oder steckt ernsthafte Absicht dahinter? Bei der genannten Reihe wirkt der Historiker Farid Ameur als Berater im Hintergrund mit – im Vordergrund ist es ein spannender Comic. Ich las mit »Jesse James« den ersten Band.

Das Buch ist toll gestaltet: Vor- und Nachsatz wirken bewusst altmodisch; es gibt historische Fotos und allerlei erklärende Texte. Auch der Comic selbst hat durch die Verwendung von Zeitungsseiten einen realitätsnahen Anspruch. Die Geschichte selbst entstammt schließlich ebenfalls der wirklichen Welt.

Jesse James wird im Bürgerkrieg zu einem fanatischen Kämpfer für die Sache des Südens. Nachdem der Krieg verloren gegangen ist, führt er diesen als Bandit weiter. Mit seiner Bande überfällt er Banken und Postkutschen oder Züge. Er wird zu einer Legende: Schreiber von Heftromanen entdecken ihn, und als er am Ende erschossen wird, entwickelt sich die Geschichten um ihn weiter.

Die Autoren Chris Regnault und Dobbs verfassten das packende Szenario, das sich auf historische Tatsachen stützt; für die Zeichnungen und Farben steht Chris Regnault allein. Die Bilder sind stets realistisch; sie zeigen die brutalen Auseinandersetzungen ebenso wie Dialoge oder Szenen in der freien Natur. Die eingestreuten Darstellungen historischer Zeugnisse empfinde ich als Bereicherung.

Mit »Jesse James« ist der neuen Reihe ein sehr guter Start gelungen. Wer realistische Western mag, sollte einen Blick wagen.

Anlor / Olivier Bocquet: Ladies With Guns

Ein junge schwarze Frau sitzt in einem Käfig, aus dem sie sich befreien will, irgendwo in der amerikanischen Wildnis. Eine junge weiße Frau taucht mit einem Gewehr auf, eine junge indianische Frau mit Pfeil und Bogen. Wie geht die Konfrontation aus?

So beginnt der erste Band einer Comic-Trilogie, die im Wilden Westen spielt und die den schönen Titel »Ladies With Guns« trägt. Mittlerweile sind zwei Teile erschienen, ich kenne bislang nur den ersten Teil.

Und wer mag, kann das Ganze als ein »feministischen Western« verstehen. Die Heldinnen des Comics sind nämlich – nach einiger Zeit – genau fünf Frauen, die aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen stammen, sich aber zusammentun müssen.

Für die Texte ist Olivier Bocquet zuständig, der bisher vor allem durch amüsante Comics aufgefallen ist. Auch sein Western enthält viel Humor, allerdings manchmal von der groben Sorte. Da geht’s zur Sache, es werden Menschen getötet, und es fließt Blut – für Kinder ist der Comic nicht unbedingt geeignet.

Die Illustration durch Anlor, die mir bisher nicht bekannt war, ist dem Thema angemessen. Sie hält die Waage zwischen amüsant und ernsthaft, ihre Figuren wirken manchmal wie Karikaturen, dafür sind die Hintergründe – etwa eine Stadt oder die Wildnis – sehr realitätsnah gezeichnet.

Dadurch entsteht eine gelungene Mixtur, die auf weitere Bände von »Ladies With Guns« neugierig macht. Ich bin sehr gespannt, wie sich die fünf Frauen weiterhin durch Amerika schlagen werden …

(Diese Rezension wurde bereits im Oktober auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Hier wiederhole ich sie vor allem aus dokumentarischen Gründen.)

16 Mai 2024

Angewandtes Spießertum

Als ich im August 1997 die Ausgabe 29 meines Fanzines ENPUNKT veröffentlichte, sorgte Matthias Langer für das wunderbare Titelbild. Und ich dachte mir die Unterzeile »Zeitschrift für angewandtes Spießertum« aus, die ich in den folgenden Jahren immer mal wieder variieren sollte. Blättere ich das Heft heute durch, finde ich es immer noch stark – obwohl ich viele Formulierungen heute so nicht mehr verwenden würde.

Was den Inhalt anging, veröffentlichte ich in diesem Heft praktisch keine Science-Fiction-Inhalte mehr, höchstens in Andeutungen. Auf den 56 Seiten, die in bewusst schrottigem Layout zusammengepackt wurden, fanden sich Berichte über Bands und Schallplatten, Erzählungen und sogenannte Erlebnisberichte. Ich erzählte von Wochenenden, die von Alkoholkonsum und Krachmusik geprägt waren, und ich schimpfte über die Polizei, die Autonomen oder sonstige Dinge, die mich störten. Wer wollte, konnte sich über Toiletten in London informieren oder eine meiner Afrika-Geschichten lesen.

Man muss klar sagen: Das Heft war pickepackevoll mit Text, die Seiten waren von A4 auf A5 verkleinert worden, wie man das damals machte. Der Preis von zwei Mark deckte nicht einmal die Kosten, aber das war mir ja egal. Der Preis und das Layout gehörten ebenso zum Ziel des Fanzines, bei dem ich die Texte auch nicht redigierte, sondern sie nach erfolgtem Ausdruck gleich ins Layout klebte. Alles sollte spontan und unfertig aussehen, direkt und ohne eigene Scheuklappen.

Ob und wie mir das gelang, kann ich kaum sagen – mir gefiel mein eigenes Heft auf jeden Fall sehr gut. Und einige hundert Leute kauften es ja auch …

15 Mai 2024

Autorinnen in Interviews

Die Autorin und Journalistin Usch Kiausch ist mir seit vielen Jahren durch ihre Arbeit bekannt; persönlich unterhielten wir uns in all der Zeit höchst selten. Mit »Andere Welten« veröffentlicht der Memoranda-Verlag eine Sammlung von Interviews, die Usch Kiausch geführt hat. Ich las dieser Tage den ersten Band, der den Untertitel »Die weibliche Perspektive« prägt. Erschienen ist er bereits im Herbst 2023.

Die Interviews entstanden im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte. Veröffentlicht wurden sie zu einem großen Teil in verschiedenen Ausgaben des »Science-Fiction-Jahrs«, also der Jahresbände des Heyne-Verlags. Wer diese Bücher kennt, hat die Kiausch-Interviews zu einem großen Teil also schon einmal gelesen – das ist aber lange her, und die Zusammenstellung des Memoranda-Verlags ist empfehlenswert.

Doris Lessing und Ursula K. Le Guin sind sicher die wichtigsten Autorinnen, die in diesem Buch zu Wort kommen. Ihnen sowie Margaret Atwood widmet sich Kiausch auch in Essays. Ob man allerdings eine kurze Plauderei mit einer Autorin während einer Veranstaltung, die gerade mal eineinhalb Druckseiten umfasst, als Interview adeln muss, bezweifle ich.

Das Buch ist dann lesenswert, wenn Kiausch ihre Fachkenntnis unter Beweis stellt. Sie kennt sich hervorragend in der Science Fiction aus, sie stellt kritische Fragen, und sie behält einen feministisch-kritischen Blick bei. An manchen Stellen hätte man kürzen können: So finden sich manche Aussagen in verschiedenen Texten fast wortgleich wieder. Klar – das Buch entstand nicht »in einem Guss«, sondern jeder Text stand einmal für sich. Erst in der Zusammenstellung ergeben sich diese Parallelen.

Enthalten ist zudem eine Erzählung von Usch Kiausch, die mir gut gefallen hat. Sie beginnt mit phantastischem Charakter, erweist sich aber als ein Text, der fest im »Hier und Jetzt« verankert ist. Schön erzählt!

Alles in allem ist der erste Teil von »Andere Welten« ein lesenswertes Buch für Menschen, die – wie ich – in besonderem Maß an Science Fiction interessiert sind und mehr über das Genre wissen möchten. Wer sich bislang nicht gut auskannte, wird nicht alles verstehen; man muss viele Anspielungen einordnen können und beispielsweise einigermaßen wissen, welche Kontroversen es um die Cyberpunk-Autoren gab.

Erschienen ist das Buch als Paperback im Memoranda-Verlag, in einer schicken Klappenbroschur-Ausgabe, die 250 Seiten stark ist. Auf der Internet-Seite des Verlags gibt es eine Leseprobe.

14 Mai 2024

Problem-Wikinger

Aus der Serie »Gratis-Comic-Tag 2024«

Was passiert, wenn es einen gefräßigen und unglaublich kräftigen Wikinger aus tiefster Vergangenheit in die heutige Zeit versetzt? Wie wird er sich verhalten, wenn er mit Autos oder Smartphones konfrontiert wird? Und wie kommt er mit seinen Mitmenschen klar? Anders gefragt: Wie schafft es ein kleiner Junge, sich mit dem riesigen Wikinger anzufreunden?

Das alles sind Prämissen des komischen Comics »Gorm Grimm«. Der erscheint eigentlich im Kibitz-Verlag und stammt von dem Duo Patrick Wirbeleit und Kim Schmidt. Wirbeleit ist mir aus früheren Jahren ein Begriff; ich hatte ihn bislang in die Schublade der Kunst-Comics geschoben und bin von seinem Ausflug in den Bereich der Kinder-Comics sehr angetan. Kim Schmidt kenne ich noch aus »ganz alten Zeiten«, als er noch für Punk-Fanzines zeichnete; seine Arbeiten für die »drei ???« finde ich immer sehr ansprechend. Und hier passt sein Zeichenstil ebenfalls.

Zum Gratis-Comic-Tag 2024 erschienen Auszüge aus »Gorm Grimm« in Form eines schönen Heftes. Seine Helden sind ein Junger aus unserer Zeit, der eigentlich viel zu viel Zeit vor dem Computer verbringt und von seinem Vater auf die Straße geschickt wird, damit er endlich einmal an der frischen Luft etwas tut, und der Wikinger Gorm Grimm, der aus der Vergangenheit kommt.

Das klingt ein wenig wie eine Neuauflage von »Catweazle« und anderen Fernsehserien, ist also wirklich nicht schreiend originell. Trotzdem gefällt mir die Machart sehr gut: Die kurzen Geschichten sind einfach erzählt und gezeichnet, sie kommen auf den Punkt, und sie sind lustig – vor allem das kindliche Publikum dürfte daran seine Freude haben.

»Gorm Grimm« ist ein Kinder-Comic, bei dem seriöse Pädagogen vielleicht die Nase rümpfen, der für mich aber funktioniert. Schön!

13 Mai 2024

Eine Fahrt hin, eine zurück

Ich fühle mich noch nicht in der Lage, einen seriösen Bericht über den ColoniaCon zu schreiben. Zu viele Eindrücke, zu viele Menschen, zu viele Gespräche – das muss ich alles erst noch in meinem kleinen Kopf sortieren. Deshalb erst mal der Versuch, in alter Tradition über die Fahr zur Veranstaltung zu schreiben. (Früher bestanden Con-Berichte in Fanzines zu gefühlt einem Drittel aus der Beschreibung der Fahrt.)

Zwischen Karlsruhe und Köln liegen drei Stunden Autofahrt, wenn alles glatt geht. Man kann die Strecke schneller schaffen – das geht auch unter Einhaltung aller Regeln, aber nicht, wenn viele Baustellen sind, in denen man halt langsam vorankommt. Ich kalkulierte jeweils drei Stunden Fahrt ein, und das klappte im Großen und Ganzen auch.

Bis Köln hörte ich vor allem Maschinenmusik, anders kann man das nicht nennen. Ich hatte Cassandra Complex am Ohr, die ich in den 80er-Jahren zeitweise sehr gern gehört hatte: eine furiose Mischung aus Wave, Punk und auch ein wenig Industrial, mit einem pochenden Rhythmus, zu dem man gut vorankommt. Zudem klingt das alles immer wieder nach Science Fiction, nicht nur bei der Platte »Cyberpunx«. Und weil mir das nicht genügte, bollerten mir noch die Young Gods ihren düsteren Sound in die Ohren.

Bei der Rückfahrt setzte ich auf schnelle Musik von Männern, die so alt sind wie ich – oder vielleicht ein bisschen jünger – und die letztlich die gleichen Bands mögen wie ich: Es liefen Steakknife und Spermbirds, schön abwechselnd. Da kann man nichts falsch machen, das knallt immer, und man wird garantiert auch dann nicht müde, wenn es dunkel wird.

Und der Con dazwischen? Der fand nicht ohne Musik statt – aber das ist ein anderes Thema.

09 Mai 2024

Alt und neu in Johor Bahru

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«


Meinen ersten Besuch in Johor Bahru absolvierte ich Ende der 90er-Jahre, als ich durch Malaysia reiste. Die Industriestadt nutzte ich nur als Durchgangsstation nach Singapur und zurück; ich hielt mich dort nicht länger als eine Stunde jeweils auf. Dabei hätte ich in »JB« eine interessante Punkrock- und Oi!-Szene kennenlernen können, wie mir erst später bewusst wurde.

Als ich 2007 einige Zeit in Singapur verweilte, steuerte ich Johor Bahru erneut an. Die Stadt befand sich in diesem Herbst in einem rasanten Umbruch; nicht einmal die Busstationen erkannte ich wieder. Überall errichtete man Hochhäuser und moderne Einkaufszentren. Schicke Autos rollten durch die Straßen, viele Leute trugen europäisch aussehende Klamotten und Kostüme.

Ich schoss einige Fotos, vielleicht ein Dutzend oder etwas mehr. Dabei interessierten mich nicht die touristischen Elemente, sondern Punkte, die für meinen – damals noch geplanten – Thriller sinnvoll waren. Aber ich fotografierte darüber hinaus Dinge, die mich »halt so« faszinierten.

Dazu zählte auch ein schon etwas älteres Haus, das mitten in der geschäftigen Innenstadt stand. Rechts und links und dahinter erhoben sich bereits moderne Bauten aus Glasfronten und Beton; das alte Haus wirkte wie ein Fremdkörper. Ich gehe davon aus, dass es längst nicht mehr steht. An diesem Tag fand ich es tapfer ...

08 Mai 2024

Einige Gedanken zu Axel

Als ich in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren meine ersten Gehversuche in der Science-Fiction-Szene unternahm, war Axel Melhardt bereits eine Legende. Er hatte sich von der Science Fiction weitestgehend zurückgezogen, seine Kontakte beschränkten sich auf Freund- und Bekanntschaften, und sein Herz schlug zu dieser Zeit vor allem für den Jazz. Der umtriebige Musikfreund hatte in Wien das »Jazzland« aufgebaut und zu einer Institution entwickelt.

Für mich war er einer der »großen Alten«. Axel Melhardt war in den 50er- und 60er-Jahren aktiv gewesen. Er veröffentlichte Kurzgeschichten, die zwar Science Fiction waren, aber auf gesellschaftskritische Inhalte nicht verzichteten. In Fanzines schrieb er pointierte Kritiken, beteiligte sich an mancher Auseinandersetzung zwischen den einzelnen Strömungen der damals jungen Science-Fiction-Szene. Ich fand ihn faszinierend.

Als ich in den 80er-Jahre zum ersten Mal das »Jazzland« besuchte, kannten wir uns nicht, und ich hätte nicht gewagt, ihn anzusprechen. Das Kellerlokal ist meiner Erinnerung ein verrauchtes Loch, in dem eine Band spielte, mit deren Musik ich damals nicht viel anfangen konnte. Aber ich mochte die spezielle Atmosphäre im »Jazzland«.

Erst später lernten wir uns kennen. An Axels Seite durchstreifte ich sehr ausgiebig einige Kneipen und Ladengeschäfte in Wien, die ich sonst nie aufgesucht hätte. Ich lernte seine Familie kennen, und einmal besuchten er und seine Frau mich auch in Rastatt, wo ich arbeitete. Bei diesen Besuchen ging es nicht nur um geschäftliche Themen – die waren tatsächlich ein Grund –, sondern wir redeten über Politik und Musik, über Science Fiction. Und weil ich mich so für seine Geschichten interessierte, schenkte er mir ein Buch, das er über die Jazz-Legenden geschrieben hatte, die in seinem »Jazzland« aufgetreten waren.

Axel Melhardt war ein belesener Mensch, voller hintergründigem Humor und vielen Ideen. Gespräche mit ihm waren stets unterhaltsam und erweiterten die eigene Gedankenwelt. Am 6. Mai 2024 ist er – geboren wurde er am 14. Mai 1943 – gestorben. Das stimmt mich traurig.

07 Mai 2024

Jesus und Tony

Ich mag es, wenn Leute sich im öffentlichen Raum austauschen und es dabei eher höflich zugeht. Und so amüsiere ich mich seit längerer Zeit über einen Laternenpfahl in meiner direkten Nachbarschaft. Das Foto ist neu, die Textzeilen kann man aber schon länger sehen.

Mir ist unbekannt, wer »Jesus lebt« hingeschmiert hat. Ich vermute mal, es ist ein engagierter Christ, der seine Meinung mithilfe eines Eddings äußerte.

Ich weiß auch nicht, wer »Tony« ist. Und ich weiß noch weniger, ob »Tony« sich selbst verewigt hat. Aber jemand hat auf ihn hingewiesen.

Sehr hübsche Kommunikation!

06 Mai 2024

Gruselvergnügen für Junge und Junggebliebene

Aus der Serie »Gratis Comic Tag 2024«


Bei Toonfish erschien vor einiger Zeit die aus zwei Teilen bestehende Comic-Serie »Sam und die Geister«, die ich mit großem Vergnügen las. Der Verlag beteiligt sich am Gratis-Comic-Tag unter anderem mit einem kostenlosen Heft dieser Serie; in diesem Fall handelt es sich mit »Luise« um den ersten Band des Zweiteilers.

Die Geschichte ist schnell erklärt: Sam ist ein Mädchen, das bei seinem älteren Bruder wohnt, was vom Jugendamt argwöhnisch beäugt wird. Sam ist aber vor allem ein Mädchen, das Geister sehe kann. Und weil Sam mit diesen Geistern kommuniziert, fängt sie damit an, sich um eine alte Dame zu kümmern, die versehentlich auf dem falschen Friedhof bestattet worden ist.

Das klingt im ersten Moment vielleicht verwirrend – kann man so etwas einer kindlichen Leserschaft präsentieren? –, liest sich aber sehr gut. Das Szenario stammt von Carbone, während die kindgerechten, aber auch für Erwachsene gut konsumierbaren Zeichnungen von Julien Monier angefertigt worden sind. Beide zusammen haben ein Werk geschaffen, das für alle Altersgruppen gut geeignet ist.

Die Zeichnungen sind durchwegs gelungen, eine Mixtur aus »Funny« im klassischen Stil und modernen Einflüssen. Und die Texte sind eher humoristisch als gruselig, die Gespenster wirken eben wie freundliche alte Leute von nebenan. Ein schönes Gratis-Heft, empfehlenswert!

03 Mai 2024

ColoniaCon in einer Woche

In den vergangenen Monaten überlegte ich mir nicht nur einmal, den wievielten ColoniaCon ich am kommenden Wochenende wohl besuchen würde. Ich könnte es herausfinden, wenn ich gründlich recherchieren würde – aber so wichtig ist es nun auch nicht. Fakt ist: Am zweiten Wochenende im Mai 2024 treffen sich in Köln wieder einmal die Science-Fiction-Fans, und ich fahre dorthin. Es wird wohl eine Mischung aus privater Fahrt – weil ich mich darauf freue, so viele Bekannte zu treffen – und beruflichem Tun werden.

In den vergangenen Jahren nahm ich stets an PERRY RHODAN-Programmpunkten teil. Ich setzte mich also auf ein Podium und beantwortete Fragen zu unserer Serie, diskutierte mit den anwesenden Fans und suchte das Gespräch mit Autorinnen und Autoren. Das wird auch am 11. Mai so sein, denke ich.

Darüber hinaus hoffe ich selbst auf Gespräche, die ich als »bereichernd« empfinden werde. Ich freue mich auf den Gedankenaustausch mit Autorinnen und Autoren, mit Fans aller Art, mit Menschen eben die sich für Science Fiction im weitesten Sinn interessieren. Immerhin tu‘ ich das ja auch seit vielen Jahren …

Akissi von der Elfenbeinküste

Aus der Serie »Gratis Comic Tag 2024«

Comics, die das Leben in Afrika zeigen, sind sehr selten. Umso begrüßenswerter ist es, dass im Programm des Reprodukt-Verlags die Kinderserie »Akissi« veröffentlicht wird. Zum Gratis-Comic-Tag 2024 gab’s zu dieser Reihe ein kostenloses Heft, das mir sehr gut gefallen hat. 

Die Hauptfigur ist Akissi, ein kleines Mädchen, das in der Elfenbeinküste wohnt. Es sieht so aus, als lebe Akissi in einem städtischen Umfeld: Es fahren Autos, es gibt einen Fernseher, man sieht ein Hochhaus im Hintergrund. Das Kind hält sich aber viel im Freien auf, wo es mit seinen Freundinnen allerlei Schabernack treibt. 

Beispielsweise nehmen die Kinder ein Kleinkind mit, weil sie unbedingt »Mama« spielen wollen. Natürlich tun sie das, ohne sich vorher bei den Eltern zu erkundigen; die wiederum glauben, ihr Baby sei entführt worden … Die kurzen Episoden in diesem Heft erzählen immer typische Kindergeschichten, die teilweise auch in Mitteleuropa spielen könnten, aber vor allem hervorragend in die afrikanische Umgebung passen.

Verantwortlich für die Geschichten sind Marguerite Abouet und Matthieu Sapin. Die Autorin stellt das Leben in einer westafrikanischen Gesellschaft sehr realistisch dar, ohne dass es »von oben herab« wirkt. Das Zusammenleben der Familien wird ebenso glaubhaft geschildert wie der Aufenthalt in auf den Straßen oder das Leben in einer recht bürgerlichen Familie – Akissis Vater trägt Anzug und Krawatte.

Bei den Zeichnungen bleibt Sapin realistisch, trotz aller witzigen Blicke auf Akissi und ihre Streiche. Die Bilder sind schlicht gehalten und sollten so bei den Kindern als potenzieller Zielgruppe sehr gut ankommen. 

»Akissi« ist ein empfehlenswerter Comic, der schöne Geschichten aus einem anderen Kulturkreis erzählt, aber in einer Art und Weise, die bei Kindern in Mitteleuropa »funktionieren« sollten. Sehr lesenswert!

02 Mai 2024

Sagittarius 31, mal wieder

Als ich dieser Tage aufräumte, fiel mir die Ausgabe 31 meines eigenen Fanzines SAGITTARIUS in die Hände. Ich hatte diese dritte Inkarnation meines eigenen Fanzines tatsächlich fast vergessen. Andächtig blätterte ich das 60 Seiten umfassende Heft durch, das mir immer noch erstaunlich gut gefiel – es verkaufte sich übrigens sehr schlecht.

Ich hatte ein fast prophetisches Vorwort, in dem ich über die »elektronische Revolution« schrieb, und ich veröffentlichte eine Reihe hervorragender Beiträge. Es gab Kurzgeschichten, es gab Artikel – nicht nur von mir –, und es gab einen sehr guten Comic. Natürlich veröffentlichte ich darüber hinaus eine Reihe von Rezensionen, wie man das damals in Fanzines eben so machte.

Alles in allem entstand so ein Heft, das ich als schöne Mixtur ansah und auch heute noch so sehe. Der Februar 2000 ist schon einige Tage her. Vielleicht schaffe ich es, den einen oder anderen Beitrag von damals für heutige Leserinnen und Leser auszuschlachten …