29 September 2018

Neurotic Arseholes in Waiblingen

Aus der Serie »Ein Bild und eine Geschichte«

Ab der Mitte der 80er-Jahre fotografierte ich oft. Nicht unbedingt gut, aber häufig. Ich hatte meine Kamera bei meiner Radtour in Westafrika dabei, und ich schleppte sie auf Punk-Konzerte mit. Viele Fotos sind verschollen, andere haben sich verändert.

Im Herbst 1989 brachen die Neurotic Arseholes noch einmal zu einer Tour durch Deutschland auf. Ich verehrte die Band geradezu für ihre Musik und ihre Texte, und natürlich war ich in Waiblingen dabei, als sie ihr allerletztes Konzert spielte. (Später gab es noch mal einzelne Auftritte in Hannover. Aber das ist eine andere Geschichte.)

Einige hundert Leute drängten sich in dem kleinen Jugendzentrum. Vor der Bühne war der Teufel los, man konnte nicht umfallen, und trotzdem wurde heftig gepogt. Im Vorraum, auf der Treppe zum Obergeschoss, im Café – überall waren Leute, die mitsangen und hüpften. Eigentlich muss man sich im Nachhinein wundern, dass das Gebäude nicht in sich zusammenbrach.

Und natürlich herrschte ein unglaublicher Nebel in dem Raum. Kein Wunder, wenn sich so viele Leute heftig bewegen. Es tropfte von der Decke, und die Mischung aus Bier und Schweiß erfüllte die Räumlichkeiten. Das Bild, das ich von der Band gemacht habe, gibt diesen Eindruck nur ansatzweise wieder ...

28 September 2018

Abwechslungsreiches Science-Fiction-Fanzine

Seit den späten 70er-Jahren ist der schwedische Science-Fiction-Fan Wolf von Witting aktiv: Er schreibt und reist, er veröffentlicht Fanzines und besucht Cons. Mit seinem Fanzine »Counter Clock« hat er es geschafft, einen Egozine-Charakter beizubehalten, obwohl er das Heft längst nicht mehr allein gestaltet. Die aktuelle Ausgabe 33 belegt das sehr schön!

Auf den 44 Seiten im A4-Format schreibt der Herausgeber selbst über Helden und ihre Rollenmodelle in der Literatur und im Comic. Einen großen Teil nehmen Berichte über Cons ein: So wird beispielsweise der EuroCon sehr ausführlich beleuchtet, der in diesem Jahr im französischen Amiens stattfand; Fotos und Texte zeugen von einer interessanten Veranstaltung.

Den Ausblick auf den EuroCon 2020 mochte ich ebenfalls: Er wird in der kroatischen Stadt Rijeka stattfinden. (Als der EuroCon 1992 in der kroatischen Stadt Zagreb veranstaltet werden sollte, sagten die Organisatoren damals mit der Bemerkung ab, sie würden den entsprechenden Brief aus einem Bombenkeller schreiben. Eine Gruppe engagierter Fans, darunter ich, veranstalteten dann den EuroCon in Freudenstadt.)

Darüber hinaus liefert Wolf von Witting eine Reihe von kürzeren Texten und Anmerkungen, die insgesamt einen bunten Reigen an Bildern und Geschichten ergeben. Gefreut habe ich mich darüber, dass ich ebenfalls erwähnt wurde – positiv immerhin!

Insgesamt ist das englischsprachige Fanzine ein wunderbares Beispiel dafür, wie die internationale Science-Fiction-Szene funktioniert. Es ist unterhaltsam und informativ, es hat einen schönen Humor und unterhält jederzeit gut. »Counter Clock« macht auch mit der Ausgabe 33 viel Spaß!

Wichtig: Das Fanzine ist kostenlos; man bekommt es über die Internet-Seite der efanzines, dort kann man es herunterladen oder digital lesen. Sehr praktisch!

27 September 2018

Der Besuch aus Istanbul

Ich bin alles andere als ein Experte für die Türkei. In dem Land machte ich zweimal Urlaub, beides Mal war es nur eine Pauschalreise. Da bekommt man nicht viel mit, auch wenn man mit dem Rad den einen oder anderen Tagesausflug in nahe gelegene Dörfer übernimmt.

Wegen der politischen Veränderungen in der Türkei, die sich in den vergangenen Jahren vollzogen haben, möchte ich keinen Urlaub mehr in diesem Land machen. Dabei wollte ich unbedingt mal eine Woche in Istanbul verbringen, wollte ich auch gerne mal quer durchs Land reisen – die Menschen dort fand ich offen und freundlich. Aber derzeit möchte ich in diesem Land ebensowenig urlauben wie beispielsweise in Russland.

Seit heute besucht nun Recep Tayyip Erdogan das Land, in dem ich lebe. Es gibt Menschen, die protestieren gegen ihn – und mit ihren Argumenten haben sie zumeist recht. Ich finde es trotzdem richtig, dass ihn die Bundesregierung mit allem Brimborium empfängt: Er ist gewählter Präsident eines Landes, mit dem unser Staat sehr eng verbunden ist.

(Wir brauchen jetzt nicht über die Umstände seiner Wahl zu diskutieren, auch nicht über die Pressefreiheit in der Türkei und dergleichen. Das weiß ich alles. Und mir ist bewusst, dass die Bundesregierung vor allem aus zynischen Gründen mit Erdogan spricht. Wegen der Flüchtlinge.)

Als Privatperson kann ich mich zurücklehnen und kann einfach »nö« sagen. »Nö« zur Türkei und ihrer Politik, »nö« ist meine Entscheidung, das Land zu besuchen. Ich habe es einfach, ich kann auch gegen die Politik protestieren, die von der Türkei betrieben wird.

Als Regierung habe ich diese Wahl nicht. Die Bundesregierung muss sich mit Erdogan und seiner Politik auseinandersetzen, sie muss mit ihm reden. Was wäre denn die ernsthafte Alternative? Alle Brücken zur Türkei abbrechen, dem türkischen Pseudo-Sultan die Einreise verweigern, gar den wirtschaftlichen Zusammenbruch des Landes anstreben? Deshalb finde ich den Ansatz richtig, mit Erdogan zu sprechen und im direkten Gespräch zu versuchen, etwas ins Positive zu ändern.

26 September 2018

Skurrile Phantastik-Mixtur

Was für eine schöne Idee: Der amerikanische Schriftsteller Philip José Farmer, dessen Romane ich in den 80er-Jahren sehr gern las, verbindet in einem Roman den Mythos um Sherlock Holmes mit den Geschichten um Tarzan. Ich mag so etwas ja, nicht jeden Tag, aber immer mal wieder.

Deshalb dauerte es auch seine Zeit, bis ich den Roman »Sherlock Holmes und die Legende von Greystoke« endlich lesen konnte. Erschienen ist er bereits vor einigen Jahren im kleinen Atlantis-Verlag. Ich habe mich bei der Lektüre des schon in den 60er-Jahren verfassten Kurzromans sehr amüsiert.

Zum Inhalt nur so viel: Sherlock Holmes und Dr. Watson sind zur Handlungszeit bereits Pensionäre und haben kein Interesse mehr daran, sich mit Mord und Todschlag zu beschäftigen. Doch weil der Erste Weltkrieg ausgebrochen ist, braucht das Empire dringend ihre Dienste. Die beiden alten Recken müssen nach Afrika aufbrechen – wo sie über dem Dschungel abstürzen. Dort treffen sie dann Tarzan ... wen sonst?

Seien wir realistisch: Viele Details dieses Romans werden einem Leser nur klar, wenn er schon einmal vom Mythos des Wold-Newton-Kometen gehört hat. Nicht bekannt? Dann wird's jetzt knifflig.

Dieser Komet ging 1795 in einem bestimmten englischen Dorf nieder und veränderte die Anwohner. Die Nachkommen der Dorfbewohner verstreuten sich in alle Welt. Von ihnen leiten sich praktisch alle Helden der Unterhaltungsindustrie her, vor allem aus der frühen Ära der Pulp-Geschichten.

Die Weltenforscher Allan Quatermain und Professor Challenger gehören ebenso dazu wie der Detektiv Philip Marlowe und der Geheimagent James Bond, der französische Kriminalist Arsène Lupin oder der Ermittler Nero Wolfe. Wer das jetzt nicht versteht, möge den entsprechenen Wikipedia-Artikel lesen, wird aber dann auch Probleme mit dem hier vorgestellten Roman haben.

Denn leider helfen das Nachwort von Win Scott Eckert und das Vorwort von Christian Endres nur bedingt weiter. Dem »normalen« Leser bleibt so eine eher abstruse Geschichte mit Sherlock Holmes und Tarzan, die sich nur mühsam in bisherige Serienkonzepte einbinden lässt. Für Fans von Genregeschichten, die »über« den eigentlichen Genres stehen, ist das ziemlich klasse; die meisten Leser dürfte das ratlos zurücklassen.

Also ... von mir nur eine eingeschränkte Empfehlung: Wer den Roman lesen mag, muss unbedingt auch das Vor- und Nachwort lesen. Sonst ist er oder sie verloren ...
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Broilers machen guten Stadion-Rock

Die Geschichte der Broilers verfolge ich schon lang, seit ich Mitte der 90er-Jahre die erste EP der Band aus Düsseldorf gekauft habe. Damals war das, was die Jungs machen, vor allem schrammeliger Oi!-Punk, allerdings ohne jeglichen Ausrutscher in politische Peinlichkeiten.

Das ist natürlich heute alles ganz anders – und die Platte »sic!« belegt das hervorragend. Ich habe die Vinylscheibe gekauft, da liegt erfreulicherweise eh eine CD fürs Auto dabei.

Klar ist das, was die Band heute macht, immer noch irgendwie Punkrock – aber halt wuchtig und kommerziell produziert und immer auf den Punkt gebracht. Die Stücke knallen, sie haben starke Refrains in deutscher Sprache, bei denen man schnell mitsingen kann, die vor allem dazu einladen, bei einem großen Konzert mit anderen Leuten zu hüpfen und zu singen. Im Prinzip macht die Band schon Stadion-Rock, und wer da mäkelt, das sei »doch alles kein richtiger Punk«, hat natürlich irgendwie recht.

Die Attitüde der Band ist immer noch recht punkig. Das sieht man an den Texten. In »Nur ein Land« oder »Keine Hymnen mehr« geht es durchaus um ernsthafte Themen, werden politisch-gesellschaftliche Themen in clevere Zeilen verpackt. Bei »Ihr da oben« wird das Thema Tod verhandelt, bei »Als alles begann« schaut man in die Vergangenheit.

Gelegentlich wird musikalisch mit dem Ska geliebäugelt, dann wieder plunkert die Gitarre fast liedermachermäßig – aber mehrheitlich herrschen Ohooo-Chöre, rhythmischer Sound und eine Mitmachmusik ersten Ranges vor. Die Platte ist irrsinnig gut produziert, mit mehrspurigen Gitarren und dergleichen; das hört sich wuchtig an und hat dadurch natürlich wenig »original Punk«.

Aber hey, was soll's? Die Broilers sind eine große Band geworden, und das haben sie sich verdient. Wer so auftritt und mit solchen Texten sowie solcher Musik die großen Hallen verdient, der muss anders spielen und texten. Das macht die Band gut, und somit ist die »sic!« eine richtig gute Rock-Punk-Scheibe mit viel Melodie und Wumms.

25 September 2018

Mitten im aktuellen Projekt

»Bis zum zehnten Oktober hast du Zeit«, sagte der strenge Verlagsmann zu mir, als wir telefonierten. Der strenge Verlagsmensch ist Klaus Farin, wir kennen uns seit einer halben Ewigkeit, und in seinem Verlag der Jugendkulturen wurden meine Bücher »Vielen Dank Peter Pank«, »Zwei Whisky mit Neumann« und »Chaos en France« veröffentlicht.

Seit einiger Zeit hat er den Hirnkost-Verlag unter seiner Ägide, die direkte Fortsetzung des vorherigen Verlages. Mit meiner Kurzgeschichtensammlung »Für immer Punk?« hat er allerdings einen Titel »eingekauft«, der nicht gerade Bestsellerchancen hat. Es gibt erfreulicherweise in dem Programm einige Bücher, die richtig gut laufen. (Und klar: Nicht alle davon gefallen mir.)

Derzeit arbeite ich an einem Buch, das im März 2019 erscheinen soll. Ich will noch nicht so viel über den Inhalt ausplaudern. Es ist kein Roman, und ich bin nicht der Autor. Geschrieben hat es ein Kumpel von mir, mit dem ich schon manches Bier an der Theke getrunken habe – er hat ein ereignisreiches Leben hinter sich, und seine Texte über seine Arbeit und dergleichen fand ich sehr spannend.

Aus den vielen Notizen und Texten entstand in Zusammenarbeit mit mir irgendwann ein Manuskript – ich kam leider nicht so rasch voran, wie er es sich vorgestellt hatte. Das schickte ich an den Hirnkost-Verlag, und dort wird es dann auch hoffentlich bald erscheinen.

Ich kämpfe in diesen Tagen mit der redigierten Version. Das Lektorat hat einiges gestrichen und geändert. Mit vielem kann ich leben – vor allem mit den Streichungen –, mit anderem nicht. Darüber muss man dann halt diskutieren, vielleicht sogar streiten.

Die aktuellen Fragen gehen sowieso in eine andere Richtung: Machen wir Illustrationen in das Buch rein? Wie vermarkten wir es? Und kann ich den Termin halten? Es bleibt spannend ...

24 September 2018

Auf Platz fünf der Liste

Kris lachte auf, als er mich sah. »Du bist auf der Liste!«, rief er mir entgegen, während ich die Räume des Autonomen Jugendzentrums in Mannheim betrat.

»Welche Liste?«, fragte ich verwirrt. Wahrscheinlich brauchte ich erst einmal ein Bier, um mich auf das Jugendzentrum einzulassen. Eigentlich wollte ich ein Punk-Konzert besuchen und vielleicht noch ein wenig Papierkram im Infoladen kaufen.

»Es gibt eine Liste, die von der Anti-Antifa zusammengestellt worden ist«, erzählte er mir. Man habe sie in dem seltsamen Humor der örtlichen Nazigruppierungen als »Werwolf-Liste« bezeichnet. Die Namen und Adressen der politischen Gegner waren darauf verzeichnet.

»Und du bist unter den ersten fünf Namen«, fügte er grinsend hin. »Der einzige aus Karlsruhe. Alle anderen sind aus Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen.« Er stieß mir den Ellbogen in die Seite. »Wenn sie ihre Terrorliste abarbeiten, bist du weit vorne.«

Ich sah diese Liste nie mit eigenen Augen, und ich erfuhr nie, warum ausgerechnet ich auf dieser Liste an so prominenter Liste auftauchte. Der »Kamerad«, der die Liste erstellt hatte, gehörte zu den aktiven Leuten der örtlichen Naziskin-Szene. Ich kannte seinen Namen, hatte ihn aber nie getroffen. Weder körperlich und auf der Straße noch bei sonst einer Gelegenheit.

Womöglich war mein Name nur auf der Liste aufgeführt, weil ich ein Fanzine herausbrachte, in dem es vor allem um Punkrock und auch ein wenig um Politik ging. In der ersten Hälfte der 90er-Jahre war es schließlich nicht so einfach, an die Daten von Menschen zu kommen wie in späteren Jahrzehnten …

Irgendwie war ich stolz darauf, dass die Nazis mich wichtig genug nahmen, um mich auf eine »Werwolf-Liste« zu setzen. Aber klammheimlich war ich froh darum, dass sie nicht meine aktuelle Adresse gelistet hatten, sondern eine, die bereits veraltet war. Lust auf glatzköpfigen Hausbesuch hatte ich nämlich keine.

22 September 2018

Weltmännischer Sound aus Bayern

Sie machen alles andere als Punk, sind eigentlich ideal für eine kommerzielle Laufbahn, kommen auf einer bayerischen Kleinstadt und gefallen mir echt gut: Das Sensational Skydrunk Heartbeat Orchestra gibt's seit 2005, die mittlerweile neun Musiker haben einen eigenen Stil zwischen Rock und Pop und Ska und Polka entwickelt, der nur gelegentlich ein wenig punkig klingt.

Seit den Nullerjahren wurden diverse Platten veröffentlicht, es gab haufenweise große Auftritte. Sehr schön ist die Ten-Inch-Platte aus dem Jahr 2012: »Tainted Love« war ein großer Hit von Soft Cell und wird hier zu einer furiosen Tanznummer; dazu kommen weitere drei Stücke, die ebenfalls gut sind, wenngleich sie nicht den Hit-Charakter aufweisen.

Das macht nichts: Ich fand die Ten-Inch sehr ansprechend, ließ mich von der Band verzaubern, mag sie auch in ihren poppigen und ruhigen Stücken sehr und bin sicher, dass sie live echt kracht.

21 September 2018

Ganz Zürich ist eine Party

An diesem Abend wollten wir uns Zürich von verschiedenen Seiten anschauen. Wir nahmen die Straßenbahn nach Zürich-West, stromerten durch das Schiffbaugelände, tranken dort ein Glas Wein, ließen uns von verschiedener Musik berieseln, sahen dann aber kein Restaurant, das uns zum Essen einlud. Also nahmen wir uns erneut die Bahn und fuhren mit der Linie 8 weiter.

An der Bäckeranlage hatten sich schon am späten Nachmittag die Leute getroffen; Bier und andere Getränke waren im Brunnen gekühlt worden. Dort sahen wir trotz der Dunkelheit schon viel Bewegung, hier ging offensichtlich bereits eine Party ab.

Wir stiegen am Paradeplatz aus und spazierten die Bahnhofstraße hinauf; überall waren gutgelaunte Leute unterwegs, war in der Fußgängerzone Musik zu hören. Wir steuerten das Haus Hiltl an, wo wir ein leckeres vegetarisches Abendessen zu uns nahmen. Als wir fertig waren, fingen die Kellner bereits an, das Restaurant in einen Club zu verwandeln.

Wir kamen hinaus auf die Füsslistraße, wo schon Dutzende junger Leute saßen. Laute Musik erklang, und die Leute sahen so aus, als wollten sie gleich zum Tanzen in den Club einfallen. Wir nahmen eine Bahn in Richtung See, die voller Jugendlicher war. Auch hier wummerte die Musik, wurde getrunken und gefeiert; es war sehr witzig.

Am Bürkliplatz stiegen wir aus und bummelten am See entlang. In der warmen Spätsommernacht waren überall Leute unterwegs. An einer Ecke Sees saßen Menschen mit Gitarre und sangen italienisch und laut dazu.

Wir spazierten weiter, erreichten den Opernplatz, der aussah wie eine Festwiese. Überall saßen junge Leute auf dem Boden oder auf vereinzelten Stühlen.

An der Haltestelle Bellevue spielte eine Jazz-Combo mitten auf dem Gehweg, Leute tanzten hinzu. In bester Laune ließen wir uns treiben, bis wir spät nachts irgendwann im Hotel ankamen.

»Ganz Zürich ist eine Party«, stellte ich abschließend fest und nahm mir vor, künftig allen Vorurteilen gegen ruhige und gelassene Schweizer massiv entgegenzutreten …

20 September 2018

Ein blondes Bier aus der schönen Weingegend

Es klingt verwirrend, aber wahr: Tours liegt an der Loire, mitten im Weinanbaugebiet der Touraine, wo ich teilweise richtig tolle Weine trinken konnte – und doch kommt von dort ein gutes Bier, das ich probierte und einkaufte und von dem ich bei Gelegenheit noch mehr kaufen werde. Es ist das Biere Loirette; ich habe unter anderem das Blonde probiert. Die Brasserie Pigeonelle scheint ein kleiner Laden zu sein, die Internet-Seite macht einen guten Eindruck.

Wer nur Pils oder Weizenbier mag und nicht nach links und rechts gucken möchte, wird vielleicht das Gesicht verziehen. Das »Loirette« schmeckt wie die Blondbiere, die ich in Belgien so gern trinke: ein wenig süß, sehr süffig, fast cremig, gut gekühlt sehr erfrischend. Wer sich nichts darunter vorstellen kann: Man nehme den süffigen Charakter von einem Guiness und vermenge ihn mit der Leichtigkeit des bayerischen Weißbiers.

So in etwa. Ich mag das »Loirette«; es war eine gute Idee, davon etwas nach Deutschland mitzubringen. Es war eine schlechte Idee, nicht mehr davon zu einem vernünftigen Preis in Tours zu kaufen, wo es herkommt.

19 September 2018

Absurde Zeiten im September

Wir leben in absurden Zeiten. Okay, das galt schon vor Jahrzehnten – die Zeiten waren schon immer bescheuert. Aber derzeit glaube ich manchmal, wenn ich das Radio anmache, ins Internet gehe oder eine Zeitung aufschlage, dass die politische Kaste in diesem Land komplett am Rad dreht.

Die Mieten steigen explosionsartig, die realen Löhne der Menschen gehen zurück, die Umweltbedingungen verschlechtern sich – und viele Menschen halten »Ausländer« im weitesten Sinne für die Verantwortlichen daran. Politiker äußern sich nicht mäßigend, sondern hetzen die Situation weiter auf. Und alle wundern sich, dass in dieser Situation ausgerechnet eine rechtsradikale Partei entsteht und immer mehr Stimmen kassiert.

Den Gipfel bildet in diesen Tagen die Diskussion um den Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen. Viele Experten finden, dass er seinem Amt nicht gewachsen ist, und viele fordern seinen Rücktritt. Stattdessen steigt er innerhalb der Regierung auf und wird künftig noch mehr Geld als vorher verdienen.

Wie will die Regierung ernsthaft den Bürgern klarmachen, dass das sinnvoll ist? Eigentlich müsste ein Sturm der Entrüstung durchs Land gehen. Aber wahrscheinlich ärgert man sich dann doch lieber über herumlungernde Jugendliche, die eine leere Bierdose über einen Platz kicken. Und die entsprechenden Medien schreiben lieber über »Sozialschmarotzer« und dergleichen ...

Ich will mich nicht aufregen, ich tu's trotzdem. Das Spiel ist so durchschaubar. Aber leider wird ja nichts besser davon, wenn ich mich aufrege. Wir leben halt in absurden Zeiten.

18 September 2018

Gegensätze, morgens um elf Uhr

Als ich das Gebäude der Post verließ, war es kurz nach elf Uhr. Die Sonne stand am Himmel, ein schöner Spätsommertag. Während ich zu meinem Fahrrad ging, rollte gerade ein recht protzig aussehendes Auto in den Hof. Der Lack in schwarz und in weiß glänzte im Licht, das Chrom hätte man als Spiegel benutzen können.

Ich schaute zu, wie das Auto einen Parkplatz ansteuerte und einparkte. Der Fahrer stieg aus, ein Mann mittleren Alters mit angegrauten Haaren, der eine Jacke im Militär-Stil und eine kunstvoll zerrissene Jeans anhatte. Irgendwie passte er nicht so recht zu dem Auto. Andererseits war eine »destroyed« Jeans ja teurer als eine normale Hose.

Als ich an der Karosse vorbeiradelte, schaute ich mir das Fahrzeug genaue ran. Es war ein Rolls-Royce. Ich überlegte kurz, ob ich so ein Auto eigentlich jemals bewusst und in »freier Wildbahn« gesehen hatte, dann fuhr ich weiter.

Außerhalb des Posthofes musste ich kurz anhalten. Ein junger Mann in T-Shirt und kurzer Hose, der ein wenig schmuddelig aussah, bückte sich gerade und hob etwas auf. In der Hand hielt er eine durchsichtige Plastiktüte. Ich sah, dass schon Dutzende von Zigarettenkippen darin lagen. Und das, was er eben dazu warf, war eine weitere Kippe.

Ich verkniff mir jeden Kommentar und steuerte die Straße in die Innenstadt an. In der Sonne von Karlsruhe war meine Laune an diesem Vormittag einfach zu gut.

17 September 2018

Der Fluch aus dem Dschungel

Wie passen ein Überfall mit Geiselnahme im London unserer Zeit zusammen mit einer Holzmaske, die aus Westafrika stammt und mit der Vergangenheit in Verbindung steckt? Das ist – ganz grob gefasst – die Frage, die sich bei dem Hörspiel »Der Fluch aus dem Dschungel« stellt.

Dabei handelt es sich um die Folge 26 der Serie »Sinclair Classics«, die auf dem gleichnamigen Gruselroman aus dem Jahr 1976 basiert. In einer – wie immer! – gut gemachten Bearbeitung durch Dennis Ehrhardt wird das Hörspiel zu einem erstaunlich spannenden Abenteuer.

Klar: Tiefschürfend ist die Geschichte nicht, das erwartet niemand. Es geht um eine Holzmaske, die in grauer Vergangenheit einem westafrikanischen Schamanen gehörte. In Amsterdam und London sorgt sie dafür, dass es Tote gibt; der Geisterjäger John Sinclair braucht alle Mittel und Wege, um die Gefahren durch die Maske in einem finalen Kampf auszuschalten.

Das ist spannend gemacht, vor allem sehr gut mit Geräuschen verarbeitet. Der Regen in London, der Überfall und die Geiselnahme mit aller Gewalt, sogar der Sprung in die Vergangenheit Westafrikas – wenn man sich auf die Story einlässt und die Logikbrüche einer Horror-Geschichte ignoriert, macht das Ganze richtig Spaß.

Faszinierend finde ich übrigens, wie es die »Sinclair Classics« schaffen, aus den einzelnen Heftromanen der 70er-Jahre einen Handlungsbogen zu schaffen, der sich über zahlreiche Hörspiele zieht. Jedes Hörspiel für sich bleibt dabei für sich verständlich; wer aber eine längere Geschichte mag, kommt hier doppelt auf seine Kosten.

Ich vermute, dass das ein Teil des Erfolges für diese Serie ist. Sie wird nicht nur wegen des klassischen Grusel-Charmes gekauft, nicht nur wegen der modern gemachten Geräuschkulisse, sondern eben auch wegen der zusätzlichen Handlungselemente, die in den 70er-Jahren so nie geplant worden sind.

Stuck In Traffic machen Uralt-Rock

Die Band nennt sich Stuck In Traffic, kommt aus Zug in der Schweiz, gründete sich 2012 und spielte mittlerweile in halb Europa. Mit einer klassischen Rock-Besetzung – vier Mann eben – ging man 2015 ins Studio und nahm eine Platte auf, die im Sommer 2016 erschien. Da ich einige Zeit brauchte, um in die CD reinzukommen, gibt es eben heute erst eine Besprechung.

Ich hatte meine Probleme mit der »Midnight Show«, so der Name der Platte. Für mich ist das altmodische Rock-Musik, die aus den 70er-Jahren stammen könnte, die irgendwie so knapp vor der Punkrock-Explosion modern war. Im Jahr 2016 fand ich das anfangs wenig vermittelbar für meine Ohren – dass so ein Sound heutzutage überhaupt noch gemacht wird, verwunderte mich. 2017 geht’s mir noch immer so.

Jeder Riff kommt mir bekannt vor, jede Liedzeile klingt wie ein Zitat. In insgesamt zehn Stücken wird im Prinzip die klassische Rockmusik nachgearbeitet. Zwischendurch gibt es mit »Mother« einen echten Blues-Heuler, mit »Perfect Circle« wird ein Neun-Minuten-Stück geliefert, während so etwas wie »Lost Summer« direkt aus der großen Zeit von Uriah Heep stammen könnte.

Ich habe keinerlei Probleme mit Musik, die sich bewusst an einem »früher« orientiert; schließlich mag ich auch alten Punkrock oder neue Bands, die bewusst nach 1977 klingen wollen. Bei Stuck In Traffic war's mir aber nach dem dritten und vierten Mal, als ich die CD durchhörte, zu lahm und zu berechenbar. Fans der Bands gibt's sicher reichlich, ich werde wohl nicht dazu gehören.

15 September 2018

Kurze Gedanken zur Rente

Ich muss der Tatsache ins Auge blicken: Ich bin über fünfzig Jahre alt. Glaube ich den Gesprächen in der Kantine und im Bekanntenkreis, muss ich mir also Gedanken darüber machen, was ich in zehn, zwölf Jahren mache. Dann werde ich nämlich Rentner sein. Reicht die Kohle dann zu einem vernünftigen Leben? Diese Fragen stellen sich viele Leute in meinem Alter.

Als ich Schüler war und auch in den gesamten 80er-Jahren hätte mich ein Gespräch über die Rente nur zum Lachen gereizt. Ich glaubte nicht, älter als dreißig zu werden, und war selbst verblüfft, als ich es dann war. Auch später glaubte ich nicht, dass das Rentensystem noch funktionieren würde, wenn ich in das entsprechende Alter kommen würde.

Eigentlich glaube ich es auch heute nicht so richtig. Das liegt nicht daran, dass ich den Lügen der Regierungen geglaubt hätte, die einem allen Ernstes weismachen wollen, man zahle in eine Kasse ein, die das Geld dann irgendwie anspare, um es mir nach Jahrzehnten auszuzahlen. Mir war immer klar, dass das Geld, das ich »einzahlte«, direkt wieder ausgegeben wurde und ich mir nur ein theoretisches Anrecht erwarb.

Ob ich in zehn, zwölf Jahren also Geld aus der Rentenkasse erhalten werde, weiß ich heute nicht. Ich fühle mich dadurch allerdings auch nicht gestresst. Wenn die Wirtschaft entsprechend läuft, wird es irgendwie Geld geben. Wenn nicht, werde ich irgendwie wohl weiter arbeiten müssen. Das sieht man dann schon irgendwie ...

An das »No Future«, der späten 70er- und frühen 80er-Jahre, das ich in gewisser Weise durchaus ernst genommen habe, glaube ich nicht mehr. Aber ich glaube auch keinen Versprechungen, die vom Staat oder aus der Rentenversicherung kommen.

Weil einfach niemand weiß, was in zehn oder zwölf Jahren los sein wird und wie sich die Lage dann darstellt, kann einfach auch niemand klare Versprechungen abgeben. Von längeren Zeiträumen ganz zu schweigen.

(Dass sich derzeit die Parteien mit dem Thema Rente beschäftigen, hat übrigens einen einfachen Grund. Irgend jemand ist offenbar aufgefallen, dass die »geburtenstarken Jahrgänge« – zu denen ich gehöre – in den nächsten Jahren einen Anspruch auf Rente haben und gleichzeitig einen großen Teil der Wähler stellen werden. Da muss man sich entsprechend darauf einstellen.)

14 September 2018

Der Elefant von Nantes

Wir erreichten Nantes am frühen Nachmittag. Die Wolkendecke über der französischen Hafenstadt war dicht, die Temperaturen waren trotzdem sehr hoch. In der Nähe der »Les Machines de l'Ile« fanden wir sogar einen Parkplatz, von dort eilten wir zu jenem Zentrum der Stadt, das sich den Maschinen und mechanischen Tieren widmete.

Wie sich rasch herausstellte, standen die Menschen in langen Schlangen an, um in die Ausstellung zu kommen. Sollten wir uns auch in die Reihe stellen oder lieber die Stadt erkunden? Lieber stromerten wir ein wenig durch das Gelände.

Dann hörten wir das Kreischen der Kinder und das Geräusch eines Motors. Wir folgten dem Strom der Menschen, die auf die freie Fläche eilten. Und dort sahen wir ihn: den riesenhaften Elefanten, der wie eine monströse Maschine über den Platz ging, langsam und würdevoll, angetrieben von einem Motor und trotzdem in einer seltsamen Vermengung von Leben und Technik.

Heerscharen von Menschen umgaben ihn. Kameras surrten ununterbrochen, Smartphones klickten. Ich war fasziniert und begeistert wie ein kleines Kind, ging zuerst vor dem Elefanten her, dann spazierte ich an seiner Seite entlang. Ab und zu hob er seinen Rüssel und spritzte eine dünne Fontäne aus Wasser über herumstehende Kinder, die kreischend davonrannten, um sofort wieder zu dem Elefanten zu eilen.

Es war ein großartiges Schauspiel, lustig und spannend zugleich. Das einzige, was ich bedauerte, war in diesem Moment, nicht mehr Zeit zu haben. Ich möchte auf jeden Fall wieder einmal nach Nantes, und dann werde ich mir die Maschineninsel genauer vornehmen. (Für einen Science-Fiction-Fan ist das echt ein Muss!)

13 September 2018

Projekt zum Tag der Menschenrechte

Es ist ein ungewöhnliches Buchprojekt, und ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, deutlich vor Erscheinen in diesem Fall: Der Verlag Hirnkost möchte zum Internationalen Tag der Menschenrechte am 10. Dezember 2018 eine Liste der Menschen herausgeben – nur belegte Fälle –, die im vergangenen Vierteljahrhundert bei dem Versuch gestorben sind, nach Europa zu fliehen. Es soll ein Buch entstehen, das man auch über den Buchhandel kaufen kann.

Ziel ist dabei: »Wir wollen die Menschen, die sie waren, dem Vergessen entreißen, um das Ausmaß dieser Tragödie besser zu fassen zu bekommen – und der Debatte um Flucht und Tod wieder ein menschliches Antlitz zu geben.« Ich finde, das ist ein spannendes Projekt.

Das Buch wird wohl 300 Seiten umfassen; teilweise enthält es kurze Porträts der Menschen, die ihr Leben lassen mussten, weil sie ein besseres Leben anstrebten. Es gibt also nicht nur Listen. Dazu kommen Artikel, die sich mit dem Thema beschäftigen.

Derzeit werden noch Unterstützer für das Projekt gesucht. Das Buch soll schließlich kostenfrei oder eben so preiswert wie möglich unter die Leute gebracht werden. Weitere Informationen gibt es auf der dafür eingerichteten Internet-Seite.

12 September 2018

Zum Totem nach Zürich

Ich gehöre zu den Leuten, die von den beeindruckenden Produktionen des Cirque du Soleil fasziniert sind. In ihnen vereinen sich meist Akrobatik mit Clowns, wuchtige Musik mit viel Show, dazu eine Prise Phantastik mit einer tüchtigen Dosis Moral. Und weil derzeit die Show »Totem« in Zürich gastierte, besorgten wir uns relativ spontan recht gute Karten und fuhren in die Metropole im Zentrum der Schweiz.

Es fällt mir schwer, die Veranstaltung in wenigen Sätzen zusammenzufassen. Es beginnt mit einem riesigen Schildkrötenpanzer, der auf der Bühne liegt – dieser verwandelt sich in ein Stangengerüst, auf dem Menschen ihre akrobatischen Übungen zeigen. Dann wird der Panzer mitsamt des Gestänges nach oben gezogen, die Bühne wird frei, und eine ununterbrochen Abfolge von Akrobatik kommt, immer wieder unterbrochen von Clowns, die allerlei Auftritte hinlegen.

Bei dem, was die Akrobaten auf der Bühne zeigten, stockte mir nicht nur einmal der Atem. Was die Leute an den Ringen oder am Trapez boten, war unfassbar; wenn sie mit einem Diabolo jonglierten oder eine Nummer mit Rollschuhen zeigten, verblüffte mich das. Zum Einsatz kamen zudem meterhohe Einräder und elastische »Balken«, auf denen gesprungen wurde.

Die Musik und die Lichteinblendungen waren exakt darauf eingestellt; die gesamte Aufführung stand unter einer Choreografie, bei der ich mir nicht einmal vorstellen kann, wieviel Arbeit sie gekostet hat. Dass das Ganze im Prinzip auch noch eine Geschichte ist, die mit den Amphibien beginnt und den Astronauten endet, die ein wenig mit der Evolution spielt – das alles passt dann gut zusammen.

Ich staunte, ich jubelte, ich starrte gespannt auf die Darbietungen, und ich lachte schallend: Der Cirque du Soleil schaffte es mit »Totem«, mich über die komplette Dauer zu fesseln und zu faszinieren. Preiswert war der Abend nicht (auch deshalb, weil ein Becher Bier unglaubliche acht Franken kostete), aber ich bereute keinen Cent, den ich hierfür ausgegeben hatte.

11 September 2018

Die Apachen-Saga als Comic

Man sagt ja oft, das Gegenteil von gut sei gut gemeint. Das trifft auch auf Comics zu. Ich freute mich sehr auf den Comic »Geronimo« und war hinterher streckenweise enttäuscht. Dabei ist der Ausgangspunkt alles andere als schlecht: Die Geschichte des großen Anführers der Apachen, der die Indianer des amerikanischen Südwestens in ihre letzten Kämpfe gegen die Weißen führte, sollte aus seiner Sicht erzählt werden.

Das gelingt streckenweise ganz gut. Geronimo wird als junger Mann gezeigt, dessen Familie um 1850 von den Mexikanern ausgelöscht wird. In der Folge schwört er Rache und beginnt einen unbarmherzigen Krieg gegen Mexikaner und später auch gegen Amerikaner. Erst 1886 kapitulieren die letzten Kämpfer unter seiner Führung; schnell brechen die Amerikaner alle Versprechungen und verbannen die Überlebenden nach Florida.

Wer die Geschichte nicht kennt, dürfte mit dem Szenario von Matz seine Probleme haben. Zwar merkt man dem Autor sein Bemühen an, die Geschichte aus Sicht der Apachen zu erzählen, gleichzeitig aber schreitet die Handlung in großen Sprüngen voran.

Wer sich auskennt und die entsprechenden Namen einzuordnen weiß – wie ich –, sollte damit gut klarkommen und wird die Geschichte auch spannend finden. Wer aber nicht weiß, wer Mangas Colorado, Cochise oder die jeweiligen Generäle waren, wird womöglich seine Schwierigkeiten haben.

Ähnliches gilt für die künstlerische Umsetzung. Zeichnet Jef Landschaften oder große Panorama-Szenen, fängt er damit die faszinierende Gegend des amerikanischen Südwestens ein. Sobald er Gesichter nimmt oder detaillierte Action zeichnet, wird er skizzenhaft, sogar grob; die Gesichter verwandeln sich in Fratzen. Mag sein, dass dies mit Absicht geschieht, mich hat es auf jeden Fall nicht angesprochen.

Was bleibt, ist ein spannender Comic, der auf 120 großformatigen Seiten die Geschichte eines unbarmherzigen Krieges erzählt. Ob man ihn sich kauft, mag jeder selbst entscheiden. Ich finde, die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlages ist hierfür ein sehr gutes Hilfsmittel.

IndiePop geht doch irgendwie immer ...

Irgendwie ging die Band The Electric Club unter; zumindest habe ich von ihr schon lange nichts mehr gehört. In den Nuller-Jahren machten die vier jungen Männer aus Würzburg ihre Art von Gitarrenpop, die eigentlich auch verdient hätte, ein größeres Publikum über längere Zeit zu erfreuen. Ich hörte dieser Tage die CD »Olmpic Ideas« mal wieder an; irgendwo habe ich noch eine Single der Band.

Die CD kam im September 2004 heraus, und sie ist zeitlos. Das heißt: Sie hätte wohl ebenso gut in den 80er-Jahren oder heute veröffentlicht werden können, und wer möchte, kann bei dieser Platte jederzeit seine Parallelen zu Klassikern wie den Beatles ziehen. Okay, ein wenig moderner sind The Electric Club dann doch.

Angenehm instrumentierte Lieder, durchaus klassisch mit zwei Gitarren, einem Bass und einem Schlagzeug arrangiert, das alles mit schönen Melodien garniert und gelegentlich mit einer – für meinen Geschmack fast zu hohen – guten Singstimme überbetont: Die Band weiß, was sie tut, und die vier Musiker wissen, wie man Stücke so anlegt, dass sie gut ins Ohr gehen, nicht nerven und auch nach zehn Jahren noch gut klingen.

Die CD lag mehrere Jahre im Schrank, bis ich sie dieser Tage wieder herausfischte und anhörte. Es ist eine Musik, die einen vielleicht einlullt, die nicht hektisch ist, sondern mit ihren gelungenen Melodien ein wenig beruhigt und in positive Laune versetzt. Aber in Tagen wie diesen, in denen einem der Hass und die Wut aus dem Internet entgegenspringen, ist das vielleicht nicht die schlechteste Medizin.

IndiePop oder GitarrenPop gehen für mich immer, zumindest dann, wenn sie gut gespielt sind und flott ins Ohr gehen. The Electric Club sind hierfür ein gelungenes Beispiel, auch nach all den Jahren ...

10 September 2018

Turbulent im Gottesdienst

Aus der Serie »Dorfgeschichten«

Ich war ein sehr kleiner Junge. Meine Schwester war ein Säugling, und ich hatte noch nicht das Alter erreicht, an dem man mich in den Kindergottesdienst stecken würde. Also ging ich dreimal in der Woche mit meinen Eltern in den Gottesdienst: sonntagmorgens, sonntagabends und mittwochabends. Man kämmte meine Haare, man zog mich »anständig« an, manchmal band man mir sogar eine Fliege um.

Für einen Jungen in meinem Alter war das nicht einfach auszuhalten. Ich tat, was meinem Bewegungsdrang entsprach, und tauchte ab: Bevor meine Eltern mich aufhalten konnten, war ich von der hölzernen Sitzbank geglitten und krabbelte zwischen den Beinen der Erwachsenen herum.

Mein Vater schnappte nach mir und zog mich zurück, setzte mich mit einer energischen Geste zwischen sich und meine Mutter. Da sollte ich bitteschön bleiben, hieß das.

Ich konnte das offenbar nicht verstehen und ergriff bei der nächsten Gelegenheit wieder die Flucht. Diesmal krabbelte ich unter eine Bank. Was ich dort suchte, weiß ich nicht mehr. Vielleicht gab es ein anderes Kind, vielleicht wollte ich einfach nur schauen, was sich auf der anderen Seite der Bank tat.

Mein Vater verlor offenbar die Geduld. Er schnappte mich ein weiteres Mal, hob mich hoch und trug mich aus dem Kirchenraum. Er zog die Tür hinter sich zu und ging mit mir in die Herren-Toilette. Damit waren zwei geschlossene Türen zwischen uns und dem Gottesdienst.

Dort gab's »den Hintern voll«: mehrere kräftige Schläge mit der flachen Hand auf den Hintern. Es tat weh, ich weinte.

Er wartete, bis ich mit dem Weinen aufgehört hatte, und ging mit mir in den Kirchenraum zurück. Der Chor sang gerade ein Lied, das Heilige Abendmahl stand bevor. Wir setzten uns in die Reihe, als sei nichts geschehen.

Jeder wusste, was geschehen war. So etwas war in den 60er-Jahren völlig normal. Und ich blieb den Rest des Gottesdienstes auf meinem Hintern sitzen, auch wenn das weh tat.

05 September 2018

Finnen mit Kratzgesang

Wann ich zum ersten Mal auf Manifesto Jukebox aufmerksam wurde, weiß ich schon gar nicht mehr. Zu Beginn der Nuller-Jahre veröffentlichte die Band aus Finnland einige Platten, die mir sehr gut gefielen. Dieser Tage hörte ich die »Remedy« wieder einmal an, erstmals veröffentlicht im Jahr 2002, und stellte fest, dass diese Platte nichts von ihrer Kraft verloren hatte.

Wer die Band nicht kennt, möge sich so etwas wie Leatherface vorstellen: ein wuchtiger Sound, eher im durchschnittlichen Tempo, durchaus melodiös und auch mal schleppend, vor allem gekennzeichnet durch einen starken Sänger, dessen raue, kratzige Stimme letztlich die einzelnen Stücke massiv prägt. Da Manifesto Jukebox englische Texte hatte, fällt die Ähnlichkeit noch stärker auf.

Das kann man kritisch finden oder als Fan begrüßen. Ich mag es. Der Sound geht gut ins Ohr, die Melodien sind dafür nicht so eingängig. Ich höre mir die Platte zwei- oder auch dreimal an, und ich kann danach nichts davon wiedergeben – einen echten Hit-Charakter hat »Remedy« für meine Ohren also ganz offensichtlich nicht.

Auffallend ist, dass die Platte sich sehr zeitlos anhört. Mittlerweile würde man die Band und dieses Werk in die Emo-Ecke packen, und vielleicht gäbe es dann ein ganz anderes Publikum dafür. In den frühen Nuller-Jahren war es zumindest eindeutig: Diese Band war Punkrock – und fertig. Das würde ich auch heute noch so sehen ...

Stuttgart, Rostock und die Vergangenheit

In meiner Kurzgeschichtensammlung »Für immer Punk?« ist eine Story enthalten, die in Stuttgart spielt und bei der sehr viel »Wahres« enthalten ist: Die Story heißt »Chaos am Schlossplatz« und erzählt von einem Punk-Treffen im Zentrum der Landeshauptstadt. Parallel dazu findet in Rostock eine Großdemonstration von Punks, Autonomen und anderen Antifaschisten statt, mit der auf die rechtsradikalen Pogrome in Rostock reagiert wird.

Das Punk-Treffen in Stuttgart wird von der Polizei abgeriegelt und massiv von Hooligans angegriffen. Es kommt zu heftigen körperlichen Auseinandersetzungen, die ich in der Geschichte mehr oder weniger ausführlich beschreibe. Und am Ende reist der Ich-Erzähler – er heißt zufälligerweise so wie ich – wieder ab, unverletzt und ohne echte Probleme.

Bei der Geschichte musste ich mir nicht viel ausdenken; die meisten Beschreibungen konnte ich meinem Gedächtnis entnehmen. Die Namen der Figuren sowie alle Dialoge sind erfunden, der Ablauf der Szenen ist deutlich gerafft.

Aber ich habe versucht, in dieser Geschichte so viel Zeitkolorit wie möglich zu verarbeiten: Es war schon vor einem Vierteljahrhundert – und davor ... – geradezu normal, auch in Westdeutschland in eine körperliche Konfrontation mit Rechtsradikalen gezogen zu werden, wenn man nicht ins optisch gefällige Raster dieser Menschen passte.

04 September 2018

Ich stöbere in der Hall Of Fame

Es hat eine Weile gedauert – aber am Wochenende kam ich endlich wieder dazu, einige der Texte im zweiten Band der wunderbaren »Hall Of Fame«-Ausgabe zu lesen, die der Golkonda-Verlag veröffentlicht hat. Bekanntlich sind in diesem Band Science-Fiction-Geschichten aus den Jahren 1948 bis 1963 veröffentlicht worden, und ich empfinde das Buch als eine echte Pflichtlektüre.

»Schöner Leben« von Jerome Bixby kannte ich tatsächlich schon. Kein Wunder: Die Geschichte erschien in den 70er-Jahren in einer der »Titan«-Anthologien des Heyne-Verlages, die ich irgendwann um 1980 herum kaufte und die mein Bild von der Science Fiction veränderten. (Vorher las ich vor allem Heftromane aus Rastatt und die dazu gehörenden Taschenbücher.)

In der Erzählung geht es um eine winzige Gemeinde namens Peaksville, deren Bewohner sich immer wieder davon überzeugen müssen, dass sie ein schönes Leben haben ... Im Prinzip handelt es sich um eine Mutantengeschichte, und ich hatte die Bilder der Geschichte über Jahrzehnte hinweg im Kopf behalten. Ein Beleg dafür, wie eindrücklich sie geschrieben worden ist – 1953 muss sie als ein absoluter Kracher empfunden worden sein. Auch 2018 ist der Text noch absolut lesbar.

Gleiches gilt für »Eiskalte Gleichungen« von Tom Godwin, die ich bislang nicht kannte. Die entsprechende Anthologie, in der diese Geschichte erstmals hierzulande veröffentlicht wurde, kam in den 90er-Jahren heraus – bei Heyne, wo sonst? –, und ich verpasste sie damals. (Das war wohl eine Phase, in der mich eine gewisse Heftromanserie als Redakteur sehr beschäftigte.) Dabei ist es eine richtig klassische Raumschiff-SF-Geschichte.

Zwei Personen spielen eigentlich mit, dazu ein bisschen Drumherum-Personal: ein Pilot und sein Blinder Passagier. Der Pilot kann seine Mission nur zu Ende bringen und selbst überleben, wenn der Blinde Passagier »aussteigt«, sprich, stirbt. Dummerweise ist der Passagier ein 18 Jahre altes Mädchen ... Die moralischen Konsequenzen der Geschichte sind klar formuliert, und sie führt auch zu einem logischen Ende. So spannend und emotional kann also Raumschiff-Science-Fiction sein ... stark!

Ich freue mich schon darauf, die nächsten Geschichten in diesem Buch zu lesen ...

03 September 2018

Ich war auf einer Latsch-Demo

Als ich in den frühen 80er-Jahren politisiert wurde, ging ich immer wieder auf Demonstrationen: für den Umweltschutz und gegen das Waldsterben, für den Frieden und gegen die Nachrüstung, für die 35-Stunden-Woche und gegen Nazis. Die Demonstrationen waren teilweise sehr groß, es gab teilweise peinliche Reden, aber man lief halt mit.

Im Verlauf der 80er-Jahre und vor allem in den 90er-Jahren wurden die Demos, auf die ich ging, deutlich »konfrontativer«. Es gab häufig Ärger mit der Polizei oder mit den Kameraden in Bomberjacken, es prasselten Steine und Knüppelschläge. »Latsch-Demos« verachtete ich.

Mittlerweile bin ich über fünfzig Jahre alt und gehe immer noch auf Demonstrationen. Ich halte es für wichtig, für meine Meinung auf der Straße einzustehen. Das mögen manche Leute verspotten, von wegen, das ändere ja doch nichts – aber ich stehe zu meinen Ansichten und äußere sie öffentlich.

Deshalb war ich am Samstag auch bei der »Seebrücke«-Demonstration in Karlsruhe dabei. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie stattfindet, reihte mich dann spontan in den Demonstrationszug ein. Es war eine eher ruhige Demonstration: einige hundert Leute halt, meist ohne Parolen, durchaus fröhlich und in der Sonne auch positiv.

Die Reden bei der Zwischen- und bei der Abschlusskundgebung fand ich gut – nicht das Gelaber, das mir früher manche Demo verdorben hat. In einer Rede wurde gefordert, keine neue Bundeswehr-Fregatte nach Karlsruhe zu benennen, sondern eines der Rettungsschiffe. Gefordert wurde auch, dass sich Karlsruhe zu einem sicheren Hafen erklären möge. Bei diesen Forderungen gab es stets großen Applaus.

Man kann solche Demonstrationen jetzt als reine Symbolpolitik schmähen. Man kann sagen, dass sie nichts ändern. In Zeiten, wo die Thesen der Rechtsradikalen in bürgerlichen Medien ernsthaft diskutiert werden und der Diskurs auch im Öffentlich-Rechtlichen Fernsehen vor allem durch die Themen der Rechtsradikalen bestimmt werden, ist es aber wichtig, klar Flagge zu zeigen: für Menschlichkeit nämlich.