Es passiert einiges um mich herum, und nicht alles gefällt mir. Vieles fasziniert mich, vieles interessiert mich – und das soll Thema dieses Blogs sein.
30 Januar 2025
Unpleasant Surprise kamen aus Berlin
Wir lernten uns nie kennen, aber sein Label schätzte ich: Bei Irre Records kamen zahlreiche Kassetten zwischen Wave und Industrial, Pop und Kunst heraus, und die Auswahl verblüffte mich immer.
Kurz bevor er Mitte der 90er-Jahre mit Irre Records aufhörte, veröffentlichte Matthias Lang noch eine kleine Platte: limitiert auf 500 Exemplare, liebevoll gestaltet, garantiert nicht kommerziell verwertbar. Die Band hieß The Unpleasant Surprise und kam aus Berlin. Die Platte sieht auch heute noch schön aus: mit Textblatt, schön zum Aufklappen, alles in allem ein Kunstwerk, auf dem sich fünf Stücke finden.
Musikalisch ist es im Prinzip IndiePop, wie man es vor dreißig Jahren eben gespielt hat. Die Aufnahmequalität ist bescheiden, der Ton scheppert. Die Melodien wirken verschliffen, sie sind nicht sofort eingängig. Das ist keine Musik, die auf einen Hit schielt, die stattdessen eigenwillig ist.
Von der Band habe ich nach dieser Platte nie wieder gehört. Keine Ahnung, was aus den Leuten geworden ist. Die Platte »The Fear« ist typisch für den schrammeligen Kassetten-Sound der späten 80er-Jahre, auch wenn er hier auf Vinyl gepresst worden ist. Nett!
28 Januar 2025
Comic-Trilogie über ein besonderes Mädchen
Elles Freundinnen und Familie wundern sich immer wieder über die Auffälligkeiten des Mädchens. Mal ist Elle bestens drauf, dann ist sie abweisend und gemein. Mal sammelt sie Freundinnen um sich, mal scheint sie alle Welt zu hassen. Sie kann fröhlich und witzig sein, wirkt bei anderen Gelegenheiten aber tief traurig und verzweifelt. Es braucht einige Zeit, bis es klar wird: Elle ist eine multiple Persönlichkeit, und in ihrem Inneren bekämpfen sich die einzelnen Facetten ihres Bewusstseins.
Für Science-Fiction-Fans ist das kein neues Thema – selten habe ich es aber so jugendgerecht gesehen und gelesen. Die Handlung läuft dabei auf zwei Ebenen: Einerseits wird gezeigt, wie sich Elle verhält, wie sie ihre Mitmenschen begeistert oder abstößt. Andererseits geht’s in das Innenleben der Figur, wo sich die einzelnen Persönlichkeiten in einer eher phantastisch anmutenden Landschaft begegnen und auch bekämpfen.
Entwickelt wurde das Szenario von Kid Toussaint. Die Figuren werden sympathisch und glaubhaft gezeichnet, das Leben von Elle fasziniert, und die Konflikte in ihrem sind spannend.
Interessant finde ich die Bilder – es handelt sich um das Erstlingswerk von Aveline Stokart, die einen recht modernen Stil hat. Die Augen sind extrem groß, wie bei Mangas, die Farbgebung ist eher hell und bunt. Die Figuren wirken spielerisch, trotzdem ist immer klar, was sie denken und fühlen.
Mit »Elle(s)« ist den beiden eine Comic-Trilogie gelungen, die ich gern las, auch wenn ich sicher nicht die Zielgruppe bin. Wer einen Blick auf junge Leute mit speziellen Problemen werfen möchte, ist hier richtig – es ist sicher aber auch ein Comic, den man getrost Jugendlichen als Erstlektüre in die Hand drücken kann. (Und wer mir nicht glaubt, schaue sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags an.)
27 Januar 2025
Ein Lager, phantastisch?
Dieser Tage kam endlich seine Kurzgeschichte »Lager« dran, die im Original unter »Camps« veröffentlicht wurde. 1980 erschien sie in der Anthologie »Insekten im Bernstein«: eine sehr eindrucksvolle Lektüre, bei der ich mich hinterher allerdings fragte, ob man sie ernsthaft zur Science Fiction oder Fantasy zählen kann.
Es geht letztlich um ein Vernichtungslager der Nazis während des Zweiten Weltkriegs. Der Erzähler lebt im »Hier und Jetzt« – was zum Zeitpunkt des Schreibens dann die späten 70er-Jahre waren – in einem Pflegeheim, wo ihn die Erinnerungen an die Vergangenheit plagen. Seine Beziehung zu einer Pflegerin, die immer unklar bleibt, vermengt sich zudem mit seinen Gedanken an die Zeit im Lager und seine Freundschaft zu einem anderen Insassen.
Das Ende der Story bleibt recht offen, und sie wirkt eine Weile nach. Das ist keine oberflächliche SF- oder Fantasy-Idee, das ist mehr. Aber ist es überhaupt eine phantastische Geschichte? Ich war mir abschließend nicht sicher, auch deshalb, weil der Bezug zu »unserer« Literatur letztlich aus einem einzigen Satz besteht. Aber im Nachhinein ist es natürlich stark, dass so ein Text in einer SF-Anthologie veröffentlicht wurde ...
24 Januar 2025
Solidarität als Waffe
Ich könnte mich gemütlich zurücklehnen, mich betrifft das alles zum größten Teil nicht. Ich bin weiß und alt und hetero und cis – das ist eine ganz schön privilegierte Lage. Zu allem Überfluss übe ich einen Beruf aus, der meinen persönlichen Interessen entgegenkommt. Das ist schon sehr luxuriös.
Es gibt Millionen von Menschen allein in Deutschland, denen es nicht so gut geht. Und es sind Milliarden weltweit, bei denen ich das gleiche sagen und schreiben kann. Vor allem »queere« Menschen im weitesten Sinn werden von Ausgrenzung betroffen, leiden unter Hassattacken und scheinen zum persönlichen Ziel diverser Politiker und Milliardäre zu werden.
Was ich tun kann, ist einfach: Ich kann und muss solidarisch sein. Das klingt pathetisch und abgehobe, ist von mir aber ernstgemeint. Solidarität ist eine Waffe, die gegen Rechtsradikale und Rassisten helfen kann, gegen Schwulen- und Judenfeinde, gegen Menschenfeinde im Allgemeinen. Und solidarisch sollten sich halt auch Leute zeigen, die in einer privilegierten Lage sind …
23 Januar 2025
Toxoplasma in Karlsruhe
Mitte der 90er-Jahre machten die Punks aus Neuwied weiter. Sie spielten uter anderem in Karlsruhe, wo sie in der »Steffi« auftraten, dem besetzten Haus in der Stephanienstraße. Das Konzert wurde 1995 veranstaltet, den Monat weiß ich nicht mehr.
Zu dieser Zeit fotografierte ich noch gern bei Band-Auftritten. Wenn es ging, nahm ich sogar Schwarzweißfilme, weil ich der Ansicht war, dass sie bessere Bilder hergaben. Fairerweise muss man sagen, dass ich nie ein guter Fotograf war.
Trotzdem finde ich mein Porträt von Wally, dem Sänger der Band, immer noch gut – es zeigt ihn in Aktion, während vor der Bühne im kleinen Kellerraum ein Pogo-Mob tobte ...
22 Januar 2025
Plauderei über Literatur und Leben
Mit seinem Buch »Das kleine Haus am Sonnenhang« legt er ein leicht zu lesendes Werk vor, das kein Roman ist, aber auch keine Biografie, vielleicht eher eine literarische Bummelei durch Italien, die Vergangenheit und die Schriftstellerei. Ich habe es mit großem Vergnügen gelesen, und ich empfehle es jenen Menschen, die sich selbst fürs Schreiben interessieren, ganz besonders.
Es ist kein Roman, auch wenn viele Szenen schriftstellerisch »aufbereitet« worden sind, sondern eher eine Plauderei über das Leben, die Kunst und die Literatur. Ausgangspunkt ist ein kleines Haus, das der Autor in den 90er-Jahren in Italien kauft und dann über lange Zeit hinweg bewohnt. Er schildert, wie er an seinem ersten Roman arbeitet, wie er sich mit den Leuten im Dorf anfreundet und wie er versucht, ein geruhsames Leben zu führen.
Viele der Szenen, die Capus schildert, sind skurril. Seine Darstellung des italienischen Dorflebens ist voller Charme, enthält aber auch die Art von Italien-Klischees, die unsereins ja klammheimlich liebt. Da bricht bei Capus eindeutig der Autor durch; diese Kapitel machen allerdings trotzdem große Freude.
Das Buch plätschert ansonsten schön vor sich hin. Man langweilt sich auf keiner Seite, es ist alles unterhaltsam. Kein Wunder: Dieser Autor weiß einfach, wie man gute Roman schreibt. Man erfährt, wie die örtliche Polizei einen harmlosen Kriminalfall löst. Man erlebt mit, wie Freunde zu Besuch kommen und man viel Wein trinkt. Man erfährt, wie der Autor an seinem ersten Roman arbeitet.
Wer gemein sein möchte, merkt sicher an, dass der Capus in diesem Buch letztlich ausgiebig Nabelschau betreibt. Alles dreht sich um ihn, und man weiß eigentlich nicht, ob das nun eine Biografie oder ein Traktat über das gute Leben sein soll. Bei mir sorgte es auf jeden Fall für das Verlangen, mal wieder einen Roman von Alex Capus zu lesen.
Festzuhalten bleibt: Das Buch »Das kleine Haus am Sonnenhang« braucht niemand, höchstens große Fans des Schriftstellers. Aber es ist eine angenehme Lektüre, die mir gut gefallen hat.
21 Januar 2025
Schräger Kampf um Literatur
Das ist der Ausgangspunkt für den wunderbaren Comic »Das Buchmaultier von Cordoba«, der bereits Ende 2022 erschienen ist. Er vereint so vieles in sich, das ich ihn gleich mehrfach empfehlen müsste: Es ist eine historische Geschichte, die zugleich voller Komik ist. Man lernt, wenn man möchte, einiges über die europäische Geschichte des Islam, und man erfährt vor allem, dass die Feinde von Literatur und Wissen immer wieder antraten, Bücher zu verbrennen.
Verantwortlich für die Texte dieses gelungenen Comics ist Wilfrid Lupano, der sich hierzulande vor allem einen Namen durch seine Polit-Satire »Die alten Knacker« gemacht hat. Darüber hinaus hat er Fantasy-Comics geschrieben oder mit »Auf die Barrikaden« starke Geschichten aus der Zeit der französischen Kommune von 1871.
Auch bei diesem aktuellen Comic bekommt er es wunderbar hin, grotesken Humor mit brachialem Ernst zu verbinden. Es wird klar, dass das zehnte Jahrhundert hart war, dass Sklaverei überall eingesetzt wurde und dass Wissen als wertvoller Schatz galt, den aber nicht alle zu schätzen wussten.
In faszinierende Bilder umgesetzt wird der Text von Léonard Chemineau; ihm gelingt es ebenfalls, die skurrilen und witzigen Aspekte der Geschichte ebenso zu würdigen wie die ernsthaften. Die Bilder sind komisch, die Figuren wirken lustig – aber das Drumherum ist streckenweise bitter ernst. Trotzdem kann man die Bilder nicht anschauen, ohne immer wieder ins Grinsen zu kommen.
»Das Buchmaultier von Cordoba« ist ein gelungener Comic, meinetwegen auch eine Graphic Novel, der zeigt, dass Comics ein gutes Mittel sind – wie Literatur und Filme –, historische Themen so zu verbinden, dass sie spannend und interessant sind. Sehr lesenswert!
20 Januar 2025
Keine Meinungsfreiheit?
Weil einer meiner »Facebook-Freunde«, den ich nicht persönlich kenne, zu den Menschen gehört, die ständig über die heutige Zeit jammern, ging ich dieser Tage mal auf ihn ein. Es ging um die Meinungsfreiheit. Er war der Ansicht, so schloss ich aus seiner Aussage, dass es die bei uns nicht gäbe.
Ich schrieb: »Ich lebe in einem Land, in dem wir eine große Meinungsvielfalt haben, und zu dieser Meinungsvielfalt gehört eine vielfältige Presselandschaft, die nicht immer einer Meinung ist. Auch nicht meiner Meinung.«
Seine öffentliche Antwort war eindeutig: Er vermutete, dass ich »nunmehr nicht in der Realität« lebe, »sondern im Takatuka Land«. Man werde von ARD und ZDF belogen, und Bill Gates finanziere ja den »Spiegel«. Er verstehe nicht, wie so viel Ignoranz wie bei mir existieren könne.
Ich versuchte höflich zu bleiben, was nicht so einfach ist. Ein Auszug:
»Wir leben in einem Land, in dem die Meinungsfreiheit gilt. Du darfst ja hier auch sagen und schreiben, was Du meinst, obwohl ich anderer Meinung bin. Du wirfst mir jetzt Ignoranz vor, lieferst für Deine Behauptungen aber nicht den geringsten Beweis. Meinungsfreiheit heißt, dass Du auch meine Meinung ertragen musst, selbst wenn ich Deiner Ansicht nach in einem Takatukaland lebe – was immer das sein mag.«
Dann wurde er ein wenig ausfällig. Seine längere Tirade gipfelte in einer Aussage, die ich noch nicht verstehe: »Die nächsten Wochen werden es zeigen, wohin alles läuft.«
Ist das jetzt eine Drohung, oder verfügt er über geheimes Wissen=? Droht die Zombie-Apokalypse?
17 Januar 2025
Rottendotcom
Wann ich zum ersten Mal auf eine Seite stieß, die mich so richtig schockierte, weiß ich nicht mehr. Jemand sagte mir, ich solle mir mal »rotten.dot.com« anschauen. Das tat ich, und ich war gebührend verwirrend. Es war Ende der 90er-Jahre, und die Ansammlung schrecklicher Fotos und unfassbarer Bilder war schwer zu verdauen. Man sah Leichen und Körperteile, viel Blut und auch eine Reihe von »Fake-Fotos«, wie man unschwer erkennen konnte.
Ich war nicht so oft auf dieser Seite, vielleicht ein halbes Dutzend Mal, dann nicht mehr. Mir war klar, dass das nicht gut für mich war und dass ich das nicht anschauen sollte. Und irgendwann vergaß ich die Seite völlig; sie wurde immer mal wieder genannt, wenn es um die Anfänge des Internets ging.
Dieser Tage hörte ich eine aktuelle Folge des Podcasts »Browser History«, in der es um »rotten.com« ging, und einige Erinnerungen kamen hoch. Ich hatte auf einmal Bilder vor meinem Auge, die ich verdrängt hatte, zumindest hatte ich das geglaubt.
Schon hart, wie lange so ein negativer und fieser Eindruck bleiben kann …
16 Januar 2025
Ist das schon Art-Punk?
Ein Punkrock-Stück, das gut zehn Minuten lang ist? Geht das überhaupt? Und reden wir hier über Punkrock, oder ist das schon Postpunk oder Alternative oder Indie? Ganz ehrlich: Mir ist das ziemlich egal. Die Wipers haben in der ersten Hälfte der 80er-Jahre einige Platten veröffentlicht, die ich bis heute gern anhöre. Für mich zählen sie zu den besten Bands dieser Zeit überhaupt.
Höre ich mir heute »Youth Of America« an, verstehe ich das immer noch. Bei manch anderem Stück aus dieser Zeit frage ich mich ja schon, wie besoffen ich eigentlich gewesen sein musste, als ich das gut fand – bei den Wipers ist das nicht der Fall. Die Musik ist oft anspruchsvoller als der übliche Punkrock, weshalb ich die Platten früher ironisch gern als »Art-Punk« bezeichnet habe; so wie es Art-Rock gibt, müsste es ja auch Art-Punk geben.
Die Gitarre sägt unaufhörlich, der Sound ist insgesamt schneidend, fast metallisch, die Stimme wechselt ihr Tempo und wird am Ende wütend, nachdem sie am Anfang geklungen hat, als ginge es um eine harmlose Bestandsaufnahme. Ich habe die Band nie live gesehen, kann mir aber aufgrund dieser Aufnahme schon vorstellen, wie das live abgegangen sein muss – eine Spannung in den Stücken, die sich langsam aufbaut, die dann aber auch zu Pogo einlädt, nicht ganz so einfach wie die englischen Bands dieser Zeit und deshalb vielleicht etwas zu verkopft.
Für mich ist das Punkrock, und ich halte die Band immer noch für Punk, selbst wenn sie im Verlauf der Zeit immer mehr aus dieser Szene verschwand. »Youth Of America« ist vielleicht nicht das beste Wipers-Stück, aber sicher das Stück der Band, das ich am stärksten schätze. Ein echter Punk-Klassiker für mich!
15 Januar 2025
Poes Meisterwerk, künstlerisch umgesetzt
Mit »The Raven« schrieb Poe darüber hinaus ein Gedicht, das seit seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1845 unzählige Male interpretiert und neu in den Handel gebracht wurde. Eine künstlerische Annäherung an das Gedicht unternahmen Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer; ihre Graphic Novel – oder muss man da eher »ihren Kunstband« sagen? – publizierte der Splitter-Verlag. Dort gibt man mit der beeindruckenden Graphic Novel »Im Westen nichts Neues« und anderen künstlerischen Bänden das bisherige Werk der beiden Künstler heraus.
Das Gedicht wird sowohl in englischer Sprache als auch in deutscher Übersetzung präsentiert. Pro Seite kommen nur wenige Zeilen von »Der Rabe« zur Geltung; so erhalten die Bilder viel Raum. Die künstlerische Darstellung ist wuchtig und eindrucksvoll; das sollte man gesehen haben. Ich empfehle, unbedingt die Leseprobe zu betrachten.
Mit der künstlerischen Umsetzung von »The Raven« ist ein echtes Gesamtkunstwerk entstanden. Man nimmt es gern zur Hand, man blättert und liest es nicht nur einmal. Stark!
14 Januar 2025
Elementare Erde
Verblüffend fand ich den Rotwein. Bei Dornfelder aus der Pfalz hat man ja eine gewisse Erwartung, die in diesem Fall aber nicht erfüllt wurde. Der Wein erinnerte eher an einen sehr kräftigen Merlot aus Südfrankreich als an einen Dornfelder – klar, das macht der Barrique-Ausbau. Interessant war es trotzdem.
Auffallend war, wie viele Leute wir »vom Sehen her« kannten. Mit einigen Leuten war ich auf Demonstrationen gewesen, andere hatte ich schon im Pogo umgeschubst. Mehrheitlich herrschten mittlerweile graue Haare vor; »wir sind halt gemeinsam alt geworden«, wie nüchtern formuliert wurde.
10 Januar 2025
Familienbesuch der besonderen Art
Erst dann nahm ich den Rucksack ab, trank einen Schluck Wasser und suchte mir einen großen, flachen Stein am Straßenrand, auf dem ich mich niederlassen konnte. Die Sonne knallte vom Himmel, wir hatten sicher schon elf Uhr, und es wurde immer wärmer. Das Radfahren strengte an, mein T-Shirt war vom Schweiß getränkt, vor allem der Rücken klebte. Aber das konnte ich ignorieren.
Langsam aß ich eine Mohrrübe, die ich mir auf einem Markt gekauft hatte. In der Ferne erkannte ich einen Lastwagen, der langsam näher kam; die Straße in diesem Bereich des Nationalparks verlief streckenweise fast gerade. Der Fahrer schien mich zu sehen, er bremste ab und wurde langsamer. Grüßend hob ich die Hand, er grüßte und rollte vorbei, dann fuhr er schneller. Eine Wolke aus feinem Staub und Abgasen blieb in der Luft hängen.
Was der Fahrer wohl gedacht hatte? Ich war mir sicher, dass nicht viele weiße Radfahrer im Kandé-Nationalpark im Norden Togos unterwegs waren. In diesem Januar 1987 war ich womöglich der einzige. Die Straßensperre am Eingang des Nationalparks, an der sich alle Auto- und Lastwagenfahrer ausweisen musste, hatte ich einfach umgangen; seither war ich praktisch allein unterwegs.
Rechts und links von mir erstreckte sich Savanne, meist niedriges Buschland, ab und zu mal Bäume. Ich hatte Giraffen gesehen, die sich nicht um mich scherten, und einige Antilopen, sonst nichts. Gefährliche Tiere gab es nicht, wie man mir gesagt hatte; ich brauchte weder vor Löwen noch Leoparden irgendwie Angst haben.
Während ich kaute, sah ich mich ständig um. Warme Luft trieb nun den Geruch des Buschlands an meine Nase, Pflanzen und Tiere und Staub; ich konnte nicht alles richtig zuordnen, fand es aber faszinierend. Insekten krabbelten über den Boden, in einem Strauch in meiner Nähe raschelte es, wohl ein Kleintier. Alles wirkte harmlos, und ich genoss meine Pause.
Bis auf einmal die Affen auftauchten. Es waren vielleicht zwanzig Tiere, junge wie alte und sicher beiderlei Geschlechts. Ich kannte mich nicht aus, wusste also nicht, welche Art es war. Aber ich erkannte, dass ich keine Schimpansen vor mir hatte, dass sie eher Mandrills oder etwas in der Art waren. Die großen Angehörigen der Familie wirkten durchaus wehrhaft, und ich wusste aus Berichten, dass man Affen nicht unterschätzen sollte.
Sie sahen mir zu, wie ich in meine Mohrrübe biss und kaute. Immerhin blieben sie brav auf der anderen Straßenseite; vielleicht hatten sie vor der Straße Respekt, oder sie empfanden Scheu vor mir.
Mir aber war auf einmal unwohl.
Langsam aß ich zu Ende, dann packte ich meinen kleinen Rucksack zusammen und hievte ihn mir auf den Rücken. Vorsichtig schob ich mein Fahrrad auf die Straße, ließ die Affen dabei nicht aus den Augen. Auch sie betrachteten mich unaufhörlich; ich kam mir vor, als sei ich im Zoo und werde von den Tieren bestaunt.
Als ich auf meinem Rad saß und in die Pedale trat, blickte ich mich irgendwann um. Die Affen hatten sich mittlerweile über die Straße verteilt. Zwei große Tiere saßen an der Stelle, wo ich gerastet hatte, und schienen sie zu betrachten.
»Puh«, sagte ich, und ich wusste nicht, ob ich überhaupt einen Grund hatte, erleichtert zu sein. Aber ich wusste, dass ich noch einige Dutzend Kilometer vor mir hatte, die quer durch den Nationalpark führten …
09 Januar 2025
Mal wieder Blues Brothers
In der Schule wurden Sprüche aus dem Film ständig in Unterhaltungen eingebaut. »Hey, dein Zigarettenanzünder ist kaputt!« fanden wir nicht nur einmal komisch, und »Wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs« wurde sogar in Science-Fiction- und Fantasy-Kreisen zu einem geflügelten Wort. Den Film sah ich in den späten 80er-Jahren noch einmal, als er im Kino quasi wiederholt wurde, und da mochte ihn immer noch.
Das ist alles sehr lange her. Dieser Tage sah ich den Film erneut, mehr als vierzig Jahre danach also. Meine Bilanz fällt heute durchwachsen aus – seither hat sich aber der Humor ebenso verändert wie meine Sicht auf die Welt. Alles andere wäre allerdings sehr verwunderlich ...
Die Musik mochte ich immer noch. Der schmissige Sound von Aretha Franklin oder Ray Charles funktioniert ebenso gut wie die Tanzeinlagen; das ist schmissig und macht gute Laune. Die Dialoge wirken heute teilweise falsch; das ist der Humor der späten 70er-Jahre in deutscher Übersetzung. Und manchmal fragte ich mich, wie das wohl im Original geklungen hätte.
Was ich mittlerweile blöd finde: die Karambolagen, die irrsinnigen Verfolgungsjagden, die Unmenge an zerstörten Fahrzeugen. Heute lache ich nicht mehr darüber, sondern frage mich ganz nüchtern: »Wenn sich so ein Auto überschlägt, was passiert denn mit den Fahrern?« Oder: »Sind die Leute nicht traumatisiert, wenn da einer mit voller Beschleunigung durch ein Einkaufszentrum fährt?«
Vielleicht bin ich humorlos geworden, vielleicht hat man heute andere Bilder im Kopf. Fakt ist: Der alte Film unterhält noch sehr gut, aber manche Albernheiten gehen heute nicht mehr.
08 Januar 2025
Hörenswerter Machtwechsel
Von der »Welt«-Redaktion kommt allerdings ein Podcast, den ich dieser Tage zum ersten Mal gehört habe und den ich wohl abonnieren werde. Der »Welt«-Redakteur Robin Alexander und die Journalistin Dagmar Rosenfeld sprechen darin über aktuelle Politik, vor allem aus einer gewissen Innensicht des Politik-Betriebs. Die beiden sind gut vernetzt, sie kennen viele Leute persönlich, und sie verfügen offensichtlich über Handynummern, mit denen sie einen Politiker oder eine Politikerin auch »einfach mal so« anrufen können.
Klar ist das, was die beiden erzählen, nicht »links«. Aber es ist angenehm kritisch, und zwar in alle Richtungen. In der aktuellen Ausgabe, die vom Dezember ist, werden die aktuellen Wahlprogramme analysiert, wobei CDU, CSU und FDP ebenso ihren Spott abbekommen wie Grüne oder SPD. Ebenso werden die aktuellen Entwicklungen rings um die Vertrauensfrage des Kanzlers nachgezeichnet.
Ganz ehrlich: Das ist großes Kino, das macht richtig Spaß. Die beiden werfen sich die Bälle zu, und beim Zuhören kann man schon mal mitlachen. Man muss »Die Welt« echt nicht mögen, aber diesen Podcast finde ich gut.
07 Januar 2025
Hirnkost im Frühjahr
Das sieht man auch bei dem Prospekt, in dem der Verlag das Programm fürs Frühjahr 2025 vorstellt. Auf zwanzig Seiten im A4-Format werden – wie in einem solchen Prospekt üblich – die Titel präsentiert, die man veröffentlichen möchte. Es gibt klassische Science Fiction – etwa von Bertha von Suttner –, aber auch Sachbücher über Science Fiction und neue Science-Fiction-Bücher. Gespannt bin ich beispielsweise sehr auf die Anthologie »Klimazukünfte«,
Darüber hinaus gibt es Sachbücher, die man in dieser Zusammenstellung selten findet. Ein Buch über Winnetou, eines über Jules Verne und eines zum 85. Geburtstag des Künstlers Helmut Wenske gehören zum Programm. Dass sich der Hirnkost-Verlag selbst den Untertitel »Engagierte Literatur« gibt, finde ich nachvollziehbar und richtig. Und glaubhaft.
Ich freue mich schon sehr auf das Frühjahrsprogramm 2025. Auch wenn ich wieder einmal die Qual der Wahl habe: Alles lesen? Das kann ich nicht.
03 Januar 2025
Zur Schaumweinsteuer
Bekanntlich gibt es diese Steuer seit dem frühen 20. Jahrhundert. Weil Kaiser Wilhelm II. dringend Geld für seine Flotte brauchte, weil er ja bald in den Krieg ziehen wollte, sollte die Steuer dazu beitragen, dass neue Kriegsschiffe gebaut werden konnten. Die Folgen sind bekannt. Wer will, kann also den Sekt als Treiber für den Ersten Weltkrieg betrachten.
Und nun? Glaubt man einschlägigen Medienberichten, kommen immer noch pro Jahr mehr als eine Viertelmilliarde Euro zusammen. Das ist ein stolzes Geld, finde ich. Was man damit wohl alles machen könnte?
Ich werde trotzdem nicht damit anfangen, Sekt zu trinken. Soviel patriotische Energie steckt dann doch nicht in mir ...
02 Januar 2025
Weitsichtiger Punkrocker
Der Schluss meines Textes war prophetisch, finde ich heute: »Wenn’s weiterhin solche Bands gibt«, schrieb ich, »werde ich auch in zehn Jahren noch auf Punk-Konzerte gehen.« Das klingt gut, immer noch.
Wobei man fairerweise hinzufügen muss, dass 1992 der klassische Punkrock doch sehr verloren hatte. Unsereins hörte eher Hardcore und sprang auf Hardcore-Konzerten durch die Gegend. Das klassische Punkrock-Konzert war auf dem Rückzug. Aber mehr als dreißig Jahre später sieht manches eben anders aus …