30 November 2021

Am Russian Hill

Ich fand es selbst immer wieder überraschend, wie schnell ich mir ein bestimmtes Verhalten angewöhnte. Nach drei Tagen in San Francisco bewege ich mich wie selbstverständlich mit Bussen durch die Nacht und nutzte das Cable Car, wenn ich schnell von dem Viertel, in dem ich wohnte, in die eigentliche Innenstadt kommen sollte.

In der Innenstadt war ich gebummelt, einmal die Market Street hoch und wieder hinunter, und nun saß ich in einem Cable Car, das mich über den Berg in den Norden der Stadt bringen sollte. Dort hatte ich unweit der Columbus Avenue ein Zimmer in einem Hostel gemietet. Ich hielt meinen kleinen Rucksack in der Hand und betrachtete die Häuser, an denen wir vorüberfuhren.

Das Cable Car war gut gefüllt, alle Sitzplätze waren belegt, und einige Leute standen. Eine blonde Frau saß schräg vor mir und las angestrengt in einem Reiseführer; sie trug einen Poncho mit dem Aufdruck »Expo 2000 Hannover«. Typ deutsche Studienrätin, dachte ich und ärgert mich gleich wieder über mich selbst und meine Vorurteile.

Einige asiatische Touristen gaben sich Mühe, allerlei Klischees zu erfüllen: Sie fotografierten wie wild die Umgebung, an der wir vorbeifuhren. Blitzlichter flackerten über die Straße.

Auf einmal hielt das Fahrzeug an. Wir hingen an der Straße, gut zwei Drittel der Strecke waren geschafft. Wenn ich nach hinten sah, erkannte ich unter mir die Market Street und ihr geschäftiges Treiben. Irgendwo in der anderen Richtung war die Station, an der ich aussteigen musste; von dort hatte ich nur einige hundert Meter bis zu diesem Hostel. Es nieselte leicht, aber für einen Tag zu Beginn des Dezember 2005 empfand ich das Wetter als erträglich.

Der Beifahrer verankerte das Fahrzeug, mit einem hörbaren Knacken rastete etwas ein. Der Fahrer stieg aus. Er blieb auf der Straße stehen, grinste und sah die Passagiere an. »Wenn jemand von Ihnen will, kann er ja weitermachen, ich gehe jetzt heim.« Er verschwand irgendwo in der Taylor Street.

Verblüfft sah ich ihm nach. Was war denn los? Die Frau mit dem Reiseführer rief empört »Was soll das?«, um ihre Frage dann in perfektem Englisch zu wiederholen. Niemand achtete auf sie. Die anderen Touristen an Bord des Cable Cars redeten durcheinander.

Einige Leute, die ihre Zeitung lasen oder Arbeitstaschen trugen, blieben völlig gelassen; ich vermutete, dass das Einheimische waren. Also lehnte ich mich zurück und wartete ab.

Es dauerte keine zwei Minuten. Ein neuer Fahrer schwang sich elegant in das Fahrzeug, der Beifahrer entriegelte die Sperre, und das Cable Car rollte weiter. Es galt, noch einige Höhenmeter zu überwinden …

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