31 August 2022

Sarrazin auf dem ersten Platz

Was sagt es über ein Land aus, in dem ein Buch von Thilo Sarrazin – das auch noch als »Sachbuch« vermarktet wird – praktisch aus dem Stand auf den ersten Platz der Bestsellerliste springt? Aus den aktuellen Buchhandels-Informationen geht hervor, dass es dem ehemaligen SPD-Politiker in dieser Woche gelungen ist: Sein Buch »Die Vernunft und ihre Feinde« (Verlag Langen-Müller) liegt seit dem 22. August vor und steht jetzt auf dem ersten Platz der Sachbuch-Liste.

Das ist ein enormer Sprung, den man sich mit rein sachlichen Argumenten nicht erklären kann. Es gibt genügend spannende Sachbücher, es gibt auch kontroverse politische Bücher, und es gibt genügend Zeugs, das man lesen kann. Warum also entscheiden sich die Menschen also in großer Zahl für Thilo Sarrazin?

Dass wir uns klar verstehen: Ich habe das Buch nicht gelesen, und ich habe das auch nicht vor. Es ist sicher kein Thema, das mich sonderlich interessiert, und der Autor ist mir herzlich unsympathisch. (Zwei Drittel der Bestsellerliste interessiert mich nicht, und die Autorinnen und Autoren sind mir oft unsympathisch. Aber darum geht es ja nicht.)

Sarrazin hat in meinen Augen stets dafür gesorgt, dass Rechtskonservative und Rechtsradikale ein gemeinsames Gesprächsthema mit allerlei »Argumenten« fanden. Er sorgte dafür, dass manche Thesen anschlussfähig wurden und sich auch in der »Mitte der Gesellschaft« verbreiteten. Das ist allgemein bekannt, und ich gebe hier nur das wieder, was eh jede Person weiß, die es wissen möchte.

Ich frage mich nur, warum so viele Menschen so schnell auf ein neues Sarrazin-Buch einsteigen. Nimmt man den Mann ernsthaft ernst? Gibt es so viele Menschen im braunen Koordinatenkreuz unserer Republik, die an seinen Thesen ein echtes Interesse haben? Oder verkauft sich so ein Buch deshalb so gut, weil die Medien so eifrig über das neue Werk berichtet haben?

(Um es klar zu sagen: Thilo Sarrazin soll seine Thesen schreiben. Es herrscht Meinungsfreiheit. Es soll auch Verlage geben, die das veröffentlichen, und Buchhandlungen, die so ein Werk verkaufen. Das will ich nie und nimmer einschränken. Ich wundere mich bloß.)

Klassiker des phantastischen Jugendbuchs

Seit der Roman im Jahr 1973 zum ersten Mal veröffentlicht wurde, hat »Die Türme des Februar« der niederländischen Autorin Tonke Dragt mehrere Auflagen erlebt. Auch im deutschsprachigen Raum wurde das Buch mehrfach publiziert. Es gibt sogar eine deutschsprachige Musical-Version. Ganz aktuell liegt das Buch seit Ende 2021 als schöne Hardcover-Ausgabe im Verlag Freies Geistesleben vor, und diese habe ich gelesen.

Aktuell boomt die phantastische Literatur im Jugendbuchsektor; in manchen Buchhandlungen findet Fantasy nur noch im Jugendbuch statt. Allerdings beklage ich seit längerem, wie langweilig schon die Inhaltsangaben vieler phantastischer Jugendromane klingen: Gestaltwandler und Tier-Fantasy, magische Internate und verlorene Prinzen – alles war schon hundertfach da. (Für die jugendlichen Leser sind das sicher trotzdem tolle Romane; sie kennen nicht die literarischen Vorbilder, von denen abgekupfert wird.)

Ein Roman wie »Die Türme des Februar« ist auf jeden Fall originell und passt kaum in die heutige Zeit. Er ist geheimnisvoll und phantastisch. Allein schon die Form fällt auf: Der Roman tut so, als sei er ein Tagebuch, das durch Kommentare und Erläuterungen der Autorin ergänzt wird. Verschiedene Menschen haben in dieses Tagebuch geschrieben, manche Seiten sind in Spiegelschrift verfasst, es gibt unvollständige Sätze oder auch Seiten, die nicht verständlich sind.

Und wer das Buch dann liest, muss sich einen Teil der Handlung selbst erschließen: Man bekommt nicht alle Informationen sofort vor die Nase gehalten, sondern muss mitdenken und seine eigene Phantasie die eine oder andere Verbindung selbst herstellen lassen.

Die Hauptfigur ist ein Junge, der sein Gedächtnis verloren hat. Er läuft durch die Dünen an einem Strand, er sieht seine Fußspuren, er nimmt die großen Türme wahr, die sich in der Nähe erheben, und er trifft Menschen, die mehr über ihn zu wissen scheinen als er selbst. Erst nach einiger Zeit erkennt er die Zusammenhänge.

Tonke Dragt ist in den Niederlanden eine bekannte Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Mit »Die Türme des Februar« legt sie einen Roman vor, der mit dem Thema der parallelen Welten spielt – ohne dass dieser Begriff jemals fällt. Offensichtlich ist es manchen Menschen möglich, von einem Universum in das andere zu wechseln.

Die Autorin verzichtet auf technische Details oder weitere Erklärungen. Da sie alles strikt aus der Sicht ihres jugendlichen Helden erzählt, der immer wieder neue Beobachtungen in sein Tagebuch schreibt, wäre das auch falsch. Als Leser ist man immer eng an ihrer Hauptperson dran, man fühlt mit ihr, man erlebt die verwirrenden Szenen ebenso mit wie die zaghaft keimende Verliebtheit mit einem Mädchen am Strand.

Der Verlag spricht in seiner Werbung unter anderem davon, dass der Roman »philosophisch« sei. Das halte ich für übertrieben. Es handelt sich bei »Die Türme des Februar« um einen zeitlosen Roman, der sich unabhängig von allen modischen Strömungen der phantastischen Literatur immer noch sehr gut lesen lässt. Ich fand ihn faszinierend und mochte es sehr, den Gedanken der Hauptfigur zu folgen, und ich denke, das wird vielen Leser ähnlich gehen.

Empfehlenswert ist dieses phantastische Jugendbuch – so ab zwölf Jahren – nicht nur für Jugendliche, die gerne mal »andere« Phantastik lesen wollen, sondern ebenso für Erwachsene. Eine schöne Lektüre! Erschienen ist »Die Türme des Februar« als Hardcover mit Schutzumschlag im Verlag Freies Geistesleben. Das Buch ist 238 Seiten stark und kostet 19,00 Euro.

(Die Rezension erschien bereits auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Redaktion und wird hier nur aus Dokumentationszwecken wiederholt.)

30 August 2022

Fünf-Mark-Stücke erwünscht

Yvonne stand im Büro und hielt eine Schachtel aus Pappe in der Hand. Sie blickte kämpferisch in die Runde. »Wir müssen reden, Leute«, sagte sie. Ich hatte das Gefühl, ihr Blick ruhe besonders lang auf mir.

Ich mochte Yvonne: Sie war die Person, die unsere Firma organisierte. Es nutzte schließlich nichts, wenn ich mir als Redakteur allerlei Texte aus den Fingen zog und ständig neue Kundenzeitschriften produzierte, wenn danach die Produkte nicht an die Kunden gingen und diese vor allem nicht die Rechnungen bezahlten. In Yvonnes Arbeitsvertrag stand »Sekretärin«, man hätte sie wohl auch als »eierlegende Wollmilchsau« bezeichnen können.

»Um was geht’s denn?«, fragte Hugo. Der Redakteur saß am Schreibtisch, der dem meinen schräg gegenüber lag. Drei Arbeitsplätze in einem großen Raum, dazu Regale und einige Zimmerpflanzen – wir hatten es vergleichsweise gemütlich. »Ich habe gerade keine Zeit für lange Gespräche, ich muss die Reportage fertigschreiben.«

»Du hörst jetzt bitte zu.« Yvonne wurde nicht laut, das wurde sie eigentlich nie. Sie behielt den ruhigen Tonfall bei, aber ihre Stimme hatte auf einmal eine Schärfe, die ich gut kannte.

Auch Hugo nahm die Finger von der Tastatur. Er fixierte Yvonne, als befürchtete er einen körperlichen Angriff. Er sagte nichts, auch ich hielt die Klappe.

»Mir ist aufgefallen«, sagte sie langsam, »dass sich bei uns langsam eine Sprache breitmacht, die ich als chauvinistisch bezeichnen muss. Es fallen Bemerkungen, in denen Frauen herabgewürdigt und schlecht dargestellt werden. Dem möchte ich ein Ende bereiten.«

»Mit einer Pappschachtel?«, fragte ich.

»Mit einer Pappschachtel. Genau.« Sie drehte die Schachtel. Oben hatte sie einen Schlitz angebracht und dick mit schwarzer Farbe ummalt, damit ihn niemand übersehen konnte. Vor stand das Wort »Chauvi«, mehr nicht. »Wir führen eine Chauvi-Kasse ein«, kündigte sie an. »Das gilt ab heute.«

»Und das heißt«?, fragte Hugo.

»Wer über Frauen pauschal irgendwelchen Mist sagt, zahlt fünf Mark in die Kasse.« Sie wedelte mit dem Karton. »Wenn entsprechend viel Geld drin ist, machen wir uns damit einen schönen Abend.«

»Und das heißt«?, wiederholte Hugo.

»Persönliche Angriffe kosten nichts. Wenn du sagst, ›Yvonne ist eine blöde Nuss‹, ist das nicht chauvinistisch, sondern eine persönliche Beleidigung. Das betrifft dann nur uns beide. Wenn du aber sagst, ›alle Frauen sind zu blöd zum Autofahren‹, ist das ein Chauvi-Spruch und kostet künftig fünf Mark. Haben das alle verstanden?«

Hugo und ich nickten, außer uns und Yvonne war niemand im Raum.

»Kapiert«, sagte ich. »Ist das mit unseren Chefs abgesprochen?« Die zwei Geschäftsführer hatten ihr Büro seit einiger Zeit im Stockwerk direkt unter uns.

Yvonne grinste. »Die erfahren es gleich direkt von mir. Ich gehe auch davon aus, dass sie viele Fünf-Mark-Stücke in diese Kasse stecken werden.«

Es war der Beginn des Jahres 1990, und die Einführung der Chauvi-Kasse sollte sich als ein echter Segen erweisen. Sie füllte sich anfangs schnell, aber wir achteten stärker auf die Wortwahl. Und an einem lauschigen Abend im Frühsommer des Jahres saßen wir zusammen und tranken Wein und Bier in Erinnerung an eine Unmenge von Fünf-Mark-Stücken …

29 August 2022

Hedonistische Autonome in den 90er-Jahren

Die aktuelle Ausgabef 163 des OX-Fanzines ist schon zu Beginn des August 2022 erschienen. Weil ich im Urlaub war, kam ich erst dieser Tage dazu, in ihr zu blättern. Und jetzt wird es Zeit, auf das Heft hinzuweise, in dem immerhin schon die Folge 38 meines Fortsetzungsromans »Der gute Geist des Rock'n'Roll« veröffentlicht wird.

Bei dieser aktuellen Folge griff ich wieder einmal auf wahre Ereignisse in der Mitte der 90er-Jahre zurück. Während sich viele in der linken Szene, vor allem humorbefreite Leute aus Autonomen Zusammenhängen, immer ernsthafter darstellten und davon träumten, die Revolution stünde direkt bevor, flüchteten sich andere in allerlei Party-Wellen. Dass Techno- und Jungle-Partys in den Kellern besetzter Häuser liefen, gehört ebenso dazu wie Schlager-Partys und dergleichen. Nicht alle fanden das gut, um es vorsichtig zu sagen.

Wer sich damals aber in den Nächten auf der Straße und in allerlei Kellerläden herumtrieb, wurde immer wieder mit hedonistischen Linken konfrontiert. Das war meist witzig, weil diese Leute zu feiern verstanden. (Nicht alle. Aber das ist ein anderes Thema.) Und darum geht's in dieser Folge meines Fortsetzungsromans; auch die nächste Folge wird sich – Spoiler! – noch einmal damit beschäftigen ...

26 August 2022

Ohnmacht, Wut und Hass

In diesen Tagen jährt sich zum dreißigsten Mal, was heute von Politikern und Medien verharmlosend als »Ausschreitungen« dargestellt wird: die Angriffe von Neonazis auf Asylbewerber und »Ausländer« in Rostock-Lichtenhagen, der Beifall der Schaulustigen, die widerwärtige Kumpanei der anwesenden Polizisten und die willfährigen Politiker, die damals nur darauf zu warten schienen, dass die Lage weiter eskalierte.

Der rassistische Mob bestand nicht nur aus einem Haufen randalierender Neonazis – Skinheads waren in dieser Menge so gut wie nicht auszumachen –, sondern auch aus Männern in Uniform, die erst eingriffen, als die Antifa aufkreuzte und die Häuser mit den Flüchtlingen gegen die Nazis schützen wollten, und aus den Politikern, die in diesen Tagen die Schuld nicht bei den Angreifern, sondern bei den Angegriffenen suchten.

Ich war nicht in Rostock, ich war noch nie in dieser Stadt. Aber die Ereignisse jener Tage vor dreißig Jahren festigten meine damalige Ansicht zu Staat und Gesellschaft. Ich kochte vor Hass und Wut, ich fühlte meine Ohnmacht. Ich reagierte auch auf die Ereignisse, aber das gehört nicht an diese Stelle.

Wenn heute gesagt wird, man habe damals »weggesehen«, ist das meiner Ansicht nach nicht richtig: Man hat damals zugesehen. Jeder, der wollte, bekam mit, was geschah. Und ich war fassungslos.

Rostock-Lichtenhagen war kein Wendepunkt, kein Fanal – es war ein zentrales Element jener Tage. Den rassistischen Mordbrennern wurde vermittelt, dass sie straffrei machen konnten, was sie wollten. Wer sich für die Rechte von Migranten einsetzte, stand am Rand einer Gesellschaft, die ihre rassistische Fratze offen und klar zeigte.

25 August 2022

Die zweite Scheibe der Guana Batz

In den 80er-Jahren hörte ich immer mal wieder Psychobilly. Der Sound vereinte den klassischen Rock’n’Roll mit der Attitude mancher Punks, und die Mischung fand ich musikalisch höchst spannend. Live waren die wenigen Konzerte, die ich mitbekam, ebenfalls durchaus spannend – das Wrecking der Psychobillys ließ sich schlecht mit dem Pogo der Punkrocker in Einklang bringen. Aber gut.

Die Platte »Loan Sharks« der Guana Batz kam 1986 heraus, ich kaufte mir damals das Album, das wirklich sehr schön ist: ein echtes Album zum Aufklappen. Ich hörte mir die Vinylscheibe in den 80er-Jahren hundertfach an, ich spielte sie auch gerne, wenn ich im Jugendzentrum als DJ irgendwelche Platten auflegte – dann aber versackte bei mir.

Dieser Tage fischte ich sie heraus und hörte sie erneut an. Ich war davon sehr angetan; das Ding ist immer noch gut. Der Sound ist bewusst altmodisch gehalten, das riecht buchstäblich nach der schrammeligen Seite der 80er-Jahre, aber ich finde so etwas nach wie vor sehr cool. Die dreizehn Stücke haben meist enormes Tempo, manchmal wird die Band aber bewusst ein wenig langsamer.

Textlich hält man sich aus allem politischen Kram heraus; den Trend zum Rechtsoffenen, den Psychobilly zeitweise mitmachte, unterstützte die Band nicht. Manchmal erzählt die Band aus dem alltäglichen Leben, meist geht’s um nichts wirklich Relevantes. Mit »Loan Shark« oder »Pile Driver Boogie« setzt man letztlich ein Statement zum eigentlichen Dasein – es ist aber kaum sinnvoll, da nach tieferen Inhalten zu suchen.

Wer Psychobilly kennt und mag, wird die Band eh schon schätzen. Ich bin froh, dass ich die Platte noch besitze. Sie ist nicht nur ein Zeitdokument zur zweiten Hälfte der 80er-Jahre, sondern lässt sich auch heute noch richtig gut anhören.

24 August 2022

Begegnung am Morgen

Als ich aus dem Haus trat, fiel mein Blick sofort auf ein Eichhörnchen, das sich direkt auf der ausgedörrten Rasenflache vor mir befand: keine vier Meter von mir entfernt, keinen Meter hinter den Fahrradständern. Das Tier kümmerte sich nicht um mich, äugte zwar kurz zu mir herüber, tat dann aber so, als nehme es mich nicht wahr.

Ich blieb stehen und sah zu. Das Tier hielt eine Nuss in den Vorderpfoten, die es vor meinen Augen fallen ließ. Dann buddelte es rasch und mit bemerkenswerter Effizienz ein Loch, in das es die Nuss versenkte. Anschließend wurde das Loch wieder zugeschaufelt, das alles geschah rasch und ohne Zögern.

Als das Tier mit allem fertig war, stand es da, den buschigen Schweif in der Luft stehend, und sah zu mir herüber. Ich sagte nichts und bewegte mich nicht. Es kam mir vor wie ein stummer Dialog.

Dann hüpfte das Eichhörnchen davon, erkletterte den großen Baum, der unseren Garten dominiert. Ich sah ihm nach und lächelte. So konnte der Tag doch positiv beginnen: mit fröhlichem Optimismus …

Ein schlichter SF-Klassiker

Zu Recht wird Herbert W. Franke, der im Sommer 2022 verstorben ist, als einer der Klassiker der deutschsprachigen Science Fiction betrachtet. Viele seiner Geschichten und Romane vor allem in den 60er-Jahren waren wegweisend. Dass der Autor tatsächlich auch einfache Science-Fiction-Abenteuer veröffentlichte, belegt »Planet der Verlorenen«.

Das Werk wurde 1963 erstmals veröffentlicht, als Taschenbuch in der Reihe der Goldmann Weltraum Taschenbücher. Der Name des Verfassers: Sergius Both – es schien, als sei es Herbert W. Franke ein wenig zu peinlich, eine so schlichte Geschichte unter seinem wirklichen Namen zu veröffentlichen. 1987 wurde der Roman ein zweites Mal verlegt, dann unter dem echten Namen. Seit 2016 liegt er im Rahmen der Werkausgabe zu Herbert W. Franke im Verlag p.machinery vor, und diese Ausgabe habe ich nun endlich gelesen.

Die Geschichte ist rasch erzählt. Ein Abenteurer, der mit seiner Rakete die Galaxis durchstreift, stößt auf eine Welt, auf der sich die Station von seltsamen Wissenschaftlern befindet, abgeschnitten vom restlichen Universum. Banditen tauchen auf, die diese Station angreifen wollen, ein seltsamer Journalist ist mit seiner eigenen Rakete in der Gegend, und irgendwie scheint es auch noch um eine Krankheit zu gehen, für die nur ein bestimmter Wunderheiler eine Lösung weiß.

Tatsächlich ist »Planet der Verlorenen« ein Werk, wie es in der damaligen Zeit häufig als Heftroman veröffentlicht wurde. Die Handlung ist sprunghaft, der Held überlegen. Liebeleien spielen am Rand eine Rolle, die Wissenschaftler sind weltfremd, das Militär wenig einfühlsam, die Gangster brutal (und erhalten am Ende die verdiente Strafe). Es wird gerannt und gekämpft, gebrüllt und geflogen.

Das alles wird vom Autor durchaus unterhaltsam serviert. Franke wusste 1963 bereits, wie man eine flotte Geschichte erzählt. Ich finde gut, dass sie im Rahmen dieser Werkausgabe veröffentlicht wurde, und ich habe sie gern gelesen. Es ist aber ein Science-Fiction-Roman, der nur für Freunde dieser etwas altmodischen SF-Ausrichtung vergnüglich ist.

Klares Fazit: nett und klassisch, aber nicht mehr.

23 August 2022

Ein Graffito in Maribor

Was mir in Maribor schnell auffiel, waren die vielen Graffiti, die an allen möglichen Stellen angebracht worden waren. Viele waren explizit politisch; bekannte Symbole wie das Anarcho-Zeichen fanden sich beispielsweise häufig. Slogans wurden durchgestrichen und durch »Korrekturen« verändert, das fiel mir immer wieder auf.

Heftig schienen die Auseinandersetzungen um das Thema »LGBT« zu verlaufen. Ich sah »Anti-LGBT« ebenso gesprayt wie »Pro-LGBT« oder irgendwelche Beschimpfungen in englischer und slowenischer Sprache. Bei manchen verstand ich nicht einmal, um was es ging.

Meinem kindlichen Gemüt gefiel vor allem ein Graffito, das sich mehrfach in der Stadt fand, immer in schönen großen Buchstaben an Wände gesprüht: »Romanes Eunt Domus« ist ein herrliches Zitat aus dem Film »Das Leben des Brian«, und wenn ich es sah, musste ich immer lachen. Ich kam auch – gefühlt – zwei Dutzend Mal pro Tag an diesen Schriftzeichen vorbei. Das trug sicher zu meiner guten Laune in dieser Stadt bei …

22 August 2022

Auf der schwimmenden Insel

Auf dem Markusplatz stand ein Clown, der ein Kostüm in grellen Farben trug; die rote Nase und das weiße Gesicht glänzten unter den Strahlen der Mittagssonne, als würden sie sich sofort auflösen. Der Clown hob beide Arme in die Luft, als wollte er eine Rede halten, aber dann erkannte ich, dass er nur die Tauben vertreiben wollte, die in einem dichten Reigen um ihn herumflogen.

Ein anderer Clown näherte sich mit schwankendem Schritt, zu dem ihn seinen knallblauen und völlig überdimensionierten Schuhe zwangen. Er hielt ein Blasinstrument in der Hand, das entfernt an eine Trompete erinnerte, und entlockte diesem allerlei seltsame Geräusche. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Er näherte sich dem anderen Clown, und die beiden begannen damit, sich in einem seltsamen Kreis zu bewegen, als ob sie miteinander tanzen wollten, sich aber nicht auf einen gemeinsamen Schritt einigen könnten.

Wenn ich den Blick von den Clowns hinweg und hinaus auf das offene Meer lenkte, sah ich, dass wir offensichtlich immer mehr an Fahrt gewannen. Venedig hatte längst die Adria verlassen und Kurs auf das offene Mittelmeer genommen. Links von mir wusste ich einzelne griechische Inseln, zu meiner Rechten kam irgendwann vielleicht Sizilien – aber so genau wusste ich das nicht. Es ging eine leichte Brise, die den modrigen Geruch aus den Gassen von Venedig verdrängte.

Warum sich Venedig in Bewegung gesetzt hatte, wusste ich nicht. Ich hatte auch keine Ahnung, was vor meinen Augen gespielt wurde. Ich wusste, dass ich einem Theaterstück beiwohnte und dass die Clowns ebenso dazu gehörten wie ich selbst und die schwimmende Stadt. Alles wirkte auf mich, als habe ein »groß« denkender Autor die Stadt, ihre Bewohner und alle Besucher dazu gebracht, sich auf ein Schauspiel einzulassen, das die bisherigen Dimensionen sprengte.

Auf einmal lief Wasser über den Markusplatz. Jemand rief »Aqua alta!«, viele Leute rannten durcheinander. Ich blieb an meinem Platz und sah weiter den Clowns zu. Sie sprangen weiterhin im Kreis herum, »pitsch patsch!« machten ihre großen Schuhe im Meerwasser, das den Platz überflutete.

In Windeseile errichteten Gruppen von Arbeitern Stege und Bühnen, die sich in gut einem Meter Höhe über dem Markusplatz befanden. Wer sich auf die Stege begab, konnte trockenen Fußes den Platz überqueren. Auch ich stellte mich auf einen solchen Steg, den Blick weiter auf die Clowns gerichtet. Sie blieben im Wasser, ignorierten die Stege.

Bald ging ihnen das Wasser bis zu den Knien, dann bis an den Bauch. Unverdrossen tanzten sie weiter, begleitet vom Tröten des Blasinstruments. »Ihr müsst aufpassen, sonst ertrinkt ihr!«, wollte ich rufen, aber ich konnte nicht.

Was sollte ich tun? Venedig lief voll, vielleicht ging die Stadt endgültig unter. Da wachte ich auf.

16 August 2022

Der Blick ins Vipava-Tal

Noch einmal blickte ich an diesem Morgen von unserem Balkon aus in die Ferne. Diesen Blick hatte ich eine Woche lang jeden Morgen und jeden Abend genossen: von unserem Appartement aus im Weingut Guerila. Dieses liegt im südlichen Slowenien und in dessen Räumlichkeiten befinden sich drei Appartements, die man mieten kann.

Ich saß also in einem biodynamischen Weingut, wurde mit leckeren Weinen versorgt und liebte einen Blick über das Land, über Hügel und Wälder hinweg, hin zu kleinen Dörfern und versteckt liegenden Häusern oder Kirchen. Die Gedanken schweiften, ich genoss den guten Wein und die gute Luft.

Slowenien als Reiseland hat mich überzeugt. Die Landschaft ist schön, die Menschen sind freundlich, der kulturelle Reichtum überrascht positiv. Große Städte gibt es praktisch keine – nur die Hauptstadt bildet eine Ausnahme, in der sich zwischen sehr klassisch wirkenden Altbauten zahlreiche junge Leute tummeln. Kleinere Städte wie Maribor oder die Küstenstädte sind nett und beschaulich und laden zu Spaziergängen ein.

Ich besuchte die Höhlen von Postojna – wie fast alle Touristen in Slowenien –, ich war ein wenig an der Soca unterwegs, ich war in der alten Stadt Ptuj und in allerlei Weinbergen. Und ich stand zwischen der Hauptstadt und der Küste gleich mehrfach im Stau.

Schön war es trotzdem. Mal schauen, ob ich es in den nächsten Wochen zum einen oder anderen Bericht schaffen werde …

15 August 2022

Endlich zwei Wochen Urlaub

Zum ersten Mal seit 2019 war ich für längere Zeit weg von daheim: Ich weilte für zwei Wochen im Urlaub. Details dazu folgen noch – wir waren vor allem in Slowenien, mit zwei Österreich-Querungen und zwei Kurzbesuchen in Italien, weil sich das jeweils so ergab.

Das Spannende: Weil ich immer etwas zu tun hatte, ließ ich den Fernseher aus. Den Computer hatte ich ohnehin daheim gelassen, mit dem Smartphone ging ich nur für Recherchen in Sachen Restaurants ins Internet. Dafür reichte das Gerät auch absolut aus.

Ich verzichtete also zwei Wochen auf Nachrichten, Unterhaltungssendungen und Filme. Wenn man sich jeden Tag irgendwie bewegt und abends in einem dicken Buch liest, das auch noch Spaß macht (»Das Bitcoin-Komplott« von Andreas Brandhorst – Rezension folgt!), braucht man wirklich keinen Fernseher. Und die Nachrichten ließ ich bewusst weg, ich wollte mich nicht zusätzlich herunterziehen lassen.

Der Erfolg gab uns recht. Wenn man sich einmal zwei Wochen lang von allem fernhält, hat das eine schöne Wirkung: Man lässt sich nicht mehr so von den Medien stressen, man bekommt die aktuelle Stresserei nicht so mit. Das fand ich sehr angenehm.

Und als ich heute morgen zur Arbeit fuhr und im Deutschlandfunk einer Sendung zum Thema Gendersprache folgte, die ohne Wutausbrüche und Geschrei auskam, glaubte ich schon fast, in einer besseren Welt angekommen zu sein …