31 Juli 2023

Radfahren nach Corona

Seit ich meine Corona-Erkrankung hatte, sind einige Wochen vergangen. In den Tagen direkt nach der Erkrankung, als ich offiziell noch das Virus in mir hatte, war ich fürchterlich schlapp. Auch in den ersten zwei Wochen danach hielt die Erschöpfung an: Mich strengte es an, die Treppen zu steigen oder mit dem Rad zum Bäcker zu fahren. Genau so war es vielen anderen Menschen ergangen, das war also nichts Besonderes. Ich machte mir dennoch Sorgen.

Mittlerweile scheint sich die Lage entspannt zu haben. Ich kann mittlerweile wieder ganz normal eine Treppe erklimmen und bin danach nicht nassgeschwitzt. Und als ich am Samstag eineinhalb Stunden lang mit dem Rad durch die Gegend fuhr, tat mir hinterher zwar der Hintern weh – weil ich völlig ungeübt war –, aber weder meine Lunge noch mein Herz bereiteten mir Probleme. Selbstverständlich fuhr ich sehr vorsichtig und holte noch nicht alles aus mir raus, was ich in mir vermutete.

Ins Training ging ich nach meiner Erkrankung bisher dreimal. Ich reduzierte die Gewichte, was gut war. Dass es nicht zu häufigerem Training gereicht hatte, lag nicht an meiner Gesundheit, sondern an der Arbeit, die in diesen Wochen viel Stress mit sich brachte. Aber auch das Training scheint gut zu verlaufen: Ich bin mit den Gewichten immer noch vorsichtig, bemerke aber keine echten Probleme.

Da ich von anderen Menschen weiß, wie lange sie teilweise unter den Folgen ihrer Corona-Erkrankung zu leiden hatten – von LongCovid wollen wir gar nicht reden –, bin ich im Augenblick recht optimistisch. Vielleicht klappt es bis Ende des Sommers zumindest, ein wenig vom Bauch wegzutrainieren ...

28 Juli 2023

Die »Lesart« gelesen

Die Zeitschrift »Lesart« versteht sich als »unabhängiges Journal für Literatur«, erscheint vier Mal im Jahr und besteht vor allem aus Rezensionen, die im Schnitt eine Seite umfassen. Mir fiel die Ausgabe 2/2023 in die Hände, und ich las sie zu gut zwei Dritteln durch: Es gibt Bücher, bei denen brauche ich keine Rezension zu lesen, um zu wissen, dass sie mich nicht interessieren – es gibt ja haufenweise Menschen, die genau solche Romane oder Sachbücher mögen.

Die Ausgabe, die ich gelesen habe, ist 84 Seiten stark; sie sieht sehr »magazinig« aus, was ich positiv meine: A4-Format, großzügiges Layout, viele Abbildungen. Der Inhalt konzentriert sich auf das Wesentliche: Es werden Bücher vorgestellt, zumeist Romane, aber auch Kurzgeschichtensammlungen, Lyrik und Sachbücher. Phantastische Literatur findet man keine, dafür gibt es den einen oder anderen Krimi.

Das wirkt einerseits altmodisch, weil man solche Inhalte ja haufenweise im Netz finden kann, liest sich aber andererseits gut. Mir machte die Lektüre Spaß, und ich fühlte mich gut informiert. Ein wenig langweilig ist das auch: Das Layout ist recht eindimensional, die Seiten sehen sich meist sehr ähnlich. Aber dafür ist auch alles sehr gut lesbar; man setzt hier nicht auf ein effektvolles, sondern auf ein klares Layout.

Alles in allem ist »Lesart« eine Zeitschrift, die ich nicht unbedingt abonnieren würde. (Eine regelmäßige Lektüre würde ich kaum schaffen.) Aber wenn ich das Heft in der Hand halte, lese ich es sicher wieder – wie es zeitlich passt …

27 Juli 2023

Rote Himmel über dem Paradies

Es gab eine Phase, irgendwann in den frühen 80er-Jahren, in der Fischer Z so richtig berühmt waren. Die Band wurde oft im Radio gespielt, und ein Stück wie »Marliese« galt als ein echter Hit. Den Massengeschmack traf Fischer Z nicht komplett, aber viele junge Leute in meinem sozialen Umfeld feierten die Band richtig ab. Und die Platte »Red Skies over Paradise«, die 1981 veröffentlicht wurde, kann in mancherlei Hinsicht als Zeitdokument bezeichnet werden.

Ich besaß sie selbst nie, aber ich hatte sie auf Kassette, und ich hörte sie gern und oft. Wenn ich mich recht erinnere, sah ich die Band sogar einmal: 1993 trat sie auf dem Festival »das Fest« in Karlsruhe auf, damals vor einer überschaubaren Menge und auf einem Gelände, das nicht umzäunt war und wo man sich frei bewegen konnte. Das ist aber alles lange her, und ich hatte die Band schon fast vergessen.

Dieser Tage wurde »Marlies« im Radio, und ich zog mir die ganze Platte dann doch rein – ich hörte sie digital, was ja heute leicht möglich ist, und ich war mir hinterher sicher, dass ich sie mir nicht auf Vinyl nachkaufen musste. Ich erkenne schon, warum die Platte 1981 so einschlug: Sie war eindeutig von der New Wave beeinflusst und klang damit anders als die übliche Radiomusik; der Sänger hatte eine eher hohe, fast androgyne Stimme, was damals neu und modern war. Gleichzeitig war der Sound nicht abgedreht genug, so dass man sich als normaler Musikhörer gut damit anfreunden konnte.

Und klar: »Berlin« ist ein echter Hit, den ich mir heute noch anhören kann, »Marlies« war sicher eines der populärsten Stücke in diesem Jahr. Aber der Rest? Hierzulande wurde »In England« nie zu einem Hit, das dürfte auf der Insel anders gewesen sein. Aber damit haben wir die drei Stücke auf der Platte, die im Ohr hängen bleiben. Der Rest ist unterm Strich nicht spannend, und manchmal nervt die Stimme des Sängers halt doch.

Um ein Fazit zu ziehen: »Red Skies over Paradise« war vor über vierzig Jahren ein Kracher. Höre ich mir die Platte heute an, enttäuscht sie bei einem wesentlichen Teil der Stücke doch sehr.

Ein Roman im Plauderton

Über Andreas Eschbach muss man an dieser Stelle sicher nicht mehr viel sagen oder schreiben. Der Autor hat sich mit Thrillern und Science-Fiction-Romanen einen sehr guten Namen verschafft, er taucht regelmäßig auf den Bestsellerlisten auf. Darüber hinaus verfasste er eine Reihe von Beiträgen zur PERRY RHODAN-Serie und bereicherte so das größte Science-Fiction-Universum der Welt.

Mit »Der schlauste Mann der Welt« legte er in diesem Jahr einen Roman vor, der für ihn untypisch ist: alles andere als umfangreich und vor allem kein Thriller und keine Zukunftsvision. Das unterhaltsame und zugleich zum Nachdenken anregende Werk habe ich mittlerweile gelesen, und ich empfehle es gern weiter. Wer einen »typischen Eschbach« erwartet, wird vielleicht aber enttäuscht sein. Wobei …

Die Hauptfigur des Romans ist ein Mann, der richtig viel Geld hat. Er ist reich genug, um sich nicht mehr anstrengen zu müssen. Er reist um die Welt, er steigt nur in Luxushotels ab, und er genießt die besten Restaurants und die besten Getränke, die es gibt. Persönlichen Besitz hat er praktisch keinen mehr, das interessiert ihn nicht. Sein Ziel ist, das Leben zu genießen, und das geht auf jeden Fall so ballastfrei wie möglich. Arbeit scheut er, und jegliche Anstrengung ist ihm zuwider. Er will genießen – und sonst nichts.

Dann aber erfährt er, dass er nicht mehr lange zu leben hat. Wie es aussieht, wird er in zehn Tagen tot sein. Er beschließt, sich doch einmal anzustrengen, und fängt damit an, seine Memoiren zu schreiben. Die wiederum sind der Inhalt des Romans »Der schlauste Mann der Welt«, der keine Spannungskurve aufweist wie etwa ein Thriller, aber hervorragend unterhält.

Dabei plaudert Eschbach nur. Konkreter: Er lässt seine Hauptfigur plaudern.

Das könnte bei manchem Autor schiefgehen und langweilig werden. Eschbach schafft es aber, diese Plaudereien abwechslungsreich zu gestalten. Gern folgt man seiner Hauptfigur, wenn sie einem erzählt, wie sie ihre Tage verbringt, wie sie zu Geld gekommen ist und wie sie seither ihr Leben gestaltet.

Tatsächlich passiert in diesem Roman nicht viel – es sind in der Tat die Plaudereien eines Mannes, der viel Geld hat, das er kaum ausgeben kann. Dass dabei trotzdem Spannung entsteht, liegt daran, dass man wissen will, was geschehen wird, wenn die zehn Tage vorüber sind, und weil man ebenso wissen möchte, woher der märchenhafte Reichtum kommt.

Phantastische Elemente weist der Roman höchstens am Rand auf. Wer mag, kann ihn als Grundlage für philosophische Gedankengänge nehmen; ansonsten ist es ein plaudernder Gegenwartsroman, der auf seine Weise einen kritischen Blick auf die Möglichkeiten wirft, sein Leben zu gestalten. (Ich empfehle unbedingt, die Leseprobe zu lesen!)

Erschienen ist »Der schlauste Mann der Welt« als Hardcover mit Schutzumschlag bei Bastei-Lübbe. (Die Rezension wurde bereits im Juni auf der Internet-Seite von PERRY RHODAN veröffentlicht. Ich wiederhole sie hier aus Gründen der Dokumentation.)

26 Juli 2023

Punk-Texte aus Slowenien

Es ist ein ungewöhnliches Buch, und die Zielgruppe dafür dürfte eher klein sein: Bei Hirnkost ist »Ändert meinen Kopf« erschienen, ein kleinformatiger Hardcover-Band, der Punk-Texte aus Slowenien zusammenfasst. Herausgegeben wurde das Buch von Esad Babačić, der schon in den 80er-Jahren in der Punkrock-Szene aktiv war. Da in diesem Jahr Slowenien das offizielle Gastland der Frankfurter Buchmesse ist, passt das durchaus – der Verlag macht ja Bücher über Punk, und Slowenien rückt stärker in den Fokus.

Auf den knapp über hundert Seiten gibt es zwei Artikel zum Thema sowie einige Dutzend Texte in deutscher Übersetzung; meist stammen sie von Punk-Bands aus Slowenien, die hierzulande kaum bekannt sind. Die Texte sind teilweise richtig stark: knallige Worte, harte Aussagen, konsequente Verweigerung. Punk in Slowenien war in den 80er-Jahren eine andere Angelegenheit als in Deutschland.

In den Texten geht es um Einsamkeit und Ablehnung; die Texte sind oft wütend oder hoffnungslos. Auch in der Übersetzung wird der Rhythmus klar, erkennt man, dass sie vor allem für die Bühne geschrieben worden sind. Der Anhang sagt dann aus, wer die Texte geschrieben hat und was aus den Leuten geworden ist.

Seien wir ehrlich: Man muss sich schon für Punkrock und das Drumherum interessieren, wenn man dieses Buch spannend finden soll. Es gibt einen guten Einblick in die slowenische Szene, auch wenn mir ein vernünftiger Artikel zur Entwicklung der Szene fehlt – die ergänzenden Texte sind nicht unbedingt hilfreich.

Ich habe es gern gelesen, ich fand es interessant – aber ich gehöre ja auch zur kleinen Zielgruppe für ein solches Werk! 

25 Juli 2023

Zynischer Blick auf den Wilden Westen

Werden die großen Western-Comics der 70er- und 80er-Jahre aufgelistet, taucht die Serie »Mac Coy« zwar immer auf, aber nicht auf den vorderen Plätzen. Angesichts der Konkurrenz durch »Leutnant Blueberry«, »Comanche« oder »Buddy Longway« ist das in gewisser Weise nachvollziehbar. In ihrer eigentümlichen Erzählweise und durch ihre eigenartige Grafik unterscheidet sich »Mac Coy« stark von den anderen Serien.

Ich las dieser Tage den zweiten Band der Gesamtausgabe, die vom Avant-Verlag veröffentlicht wird. Die darin enthaltenen Geschichten stammen aus den späten 70er-Jahren, ich kannte sie bereits. Die Lektüre in einem 200 Seiten starken Hardcover-Prachtband ist allerdings schon anders als in einem dünnen Comic-Album in den Achtzigern …

Die Geschichten greifen diverse Western-Themen auf, die allesamt mit den Indianerkriegen zu tun haben. Hauptfigur ist der ehemalige Südstaaten-Offizier Alexis Mac Coy, der mittlerweile zur Kavallerie der Vereinigten Staaten gehört und mit seinen Kameraden im Wilden Westen eingesetzt wird.

In der ersten Geschichte spielen die Konflikte mit den Apachen eine Rolle, später sind es die Schoschonen, mit denen es Mac Coy und seine Kameraden zu tun bekommen, und am Ende nehmen die Soldaten an der Schlacht am Little Big Horn teil. Das ist zeitweise sehr brutal: Gemetzel, Folter und brutale Gewalt kommen immer wieder vor. Zudem sind die Figuren teilweise sehr zynisch in ihrem Verhalten; das muss man ertragen …

Aber die Eroberung des amerikanischen Westens war nun mal eine Geschichte voller Brutalität und Massenmord. Die Geschichten wurden von Jean-Pierre Gourmelen entwickelt, seine Texte sind spannend und halten den Leser an der Stange. Mac Coy und seine Kameraden bleiben recht moralisch, die jeweiligen Gegner werden finster und böse gezeichnet.

Für die Bilder war Antonio Hernández Palacios verantwortlich. Bei ihm war die Farbgebung manchmal recht wild, womöglich wären manche seiner Bilder in reinem Schwarzweiß viel eindrucksvoller: Seine Action-Bilder sind stark, die Landschaften muten realistisch an. Figuren und Gesichter sind sehr realistisch – auf gut aussehende Figuren verzichtete der Künstler großzügig.

Der zweite Band der »Mac Coy«-Gesamtausgabe ist besser als der erste. Man merkt daran, wie gut sich der Autor und der Zeichner aufeinander eingestellt hatten. Bilder und Texte sind richtig gut – und dennoch so originell, dass sie nicht jedermanns Geschmack sein können. Ich hab mir dann schon mal den dritten Band bestellt …

24 Juli 2023

Der alte Laden

Weil auf der Autobahn wieder einmal Stau war, entschloss ich mich, die Landstraßen zu nehmen. In der Region zwischen südlichem Niedersachsen, Nordhessen und östlichem Nordrhein-Westfalen kannte ich mich nicht besonders gut aus, und ich hatte Zeit; also gondelte ich in aller Ruhe über Bundes- und Landesstraßen, ließ mich mal von meinem Navi leiten oder fuhr auch mal »frei Schnauze«, getreu dem Motto, »da vorne ist irgendwo Süden, und da muss ich ja wohl hin«.

Unterwegs musste ich pinkeln, und weil ich Lust auf einen Kaffee hatte, hielt ich in einer kleinen Stadt an. Ich stellte mein Auto am Straßenrand ab und ging einige Meter durch die Straßen.

Als ich den kleinen Laden sah, blieb ich überrascht stehen. Die Scheibe war leicht schmutzig, dahinter erkannte ich die bunten Titelbilder von Romanheften und Comics. Was war denn das?

Ich trat näher und stellte fest, dass ich vor einem Comic-Laden stand, wie ich ihn zuletzt in den 80er-Jahren gesehen hatte, den ganz frühen wohlgemerkt: Wenn ich durch die Scheibe blickte, erkannte ich braune Regale aus altem Holz, in denen sich Comics stapelten. Kartons enthielten wohl weitere Comic-Hefte, wenn ich die Aufschriften richtig entzifferte.

Als ich die Ladentür nach innen aufstieß – keine Fluchttür also! –, ertönte eine altmodische Klingel. Alles andere hätte mich überrascht. Hinter dem Tresen stand eine Frau, vielleicht Mitte der fünfzig. Hinter ihr ging es in einen weiteren Raum, offensichtlich das Büro, wo ein Mann, der wohl im selben Alter war, an Bergen von Rechnungen saß. Er blickte auf und lächelte mich an.

Ich sah mich um, die beiden ließen mich in Ruhe. Der Laden machte den Eindruck, als sei er aus der Zeit gefallen. Ich erwartete schon, die Bücher, Heftromane und Comics hätten Preisangaben in Deutschmark, aber man hatte den Euro offenbar schon eingeführt.

Die Preise waren außerordentlich moderat. Ich hätte mir für vernünftiges Geld eine »Sigurd«-Sammlung zusammenkaufen können, hätte ich gewollt. Moderne Comics etwa von Splitter oder von Panini sah ich nirgends.

Nach einiger Zeit kam ich mit den beiden ins Gespräch. Ich fragte nach dem Konzept des Ladens. Die Frau erläuterte mir, ihr Mann – und dabei nickte sie in Richtung des Büros – habe den Laden von seinem Vater geerbt, und seither seien sie dabei, ihn gemeinsam zu betreiben. »So gut es eben geht«, fügt sie mit einer grimmigen Miene hinzu.

In der halben Stunde, die ich mich in dem Laden aufhielt, war ich der einzige Kunde. Und ich kaufte nur deshalb einen Packen alter »Wastl«- und »Tom Berry«-Hefte, weil ich die als Kind so gern gelesen hatte, nicht etwa, weil ich damit eine Sammlung anfangen wollte.

Als ich aus dem Laden kam, blendete mich die Sonne auf der Straße. »Jetzt brauche ich echt einen Kaffee«, murmelte ich und nahm mir vor, in einem Café erst einmal die Comics durchzublättern. Da wachte ich auf.

23 Juli 2023

25 Jahre ist das her?

Ich weiß, dass man sich heute schnell einen Shitstorm einhandeln kann, wenn man den Namen Joanne K. Rowling auch nur irgendwo erwähnt. Die Aussagen der Autorin zu strittigen Themen möchte ich an dieser Stelle auch nicht kommentieren; dazu kenne ich mich zu wenig aus.

Ich möchte ein Jubiläum erwähnen: Am 21. Juli 1998 – also vor ziemlich genau 25 Jahren – kam der erste Roman um einen Zauberlehrling in deutscher Sprache heraus. Carlsen druckte angeblich 8000 Exemplare, was für eine unbekannte Autorin und ihr ebenso unbekanntes Werk ganz schön mutig war – die Rede ist von »Harry Potter und der Stein der Weisen«.

Die weitere Geschichte ist bekannt. Die seriösen Science-Fiction-Fans verrissen in ihren Fanzines diesen Roman, die seriöse Literaturkritik bekam von ihm nichts mit, aber der Erfolg gab der Autorin und dem Verlag recht. Glaubt man den offiziellen Angaben, wurden von Harrys Abenteuern allein in deutscher Sprache 37 Millionen Exemplare verkauft.

Ich las die ersten vier Bände der Saga, dann schlief meine Begeisterung ein wenig ein. Meine kindliche Begeisterung beim ersten Band werde ich aber immer positiv in Erinnerung behalten.

21 Juli 2023

Deadloch ist cool

Die kleine Stadt Deadloch in Tasmanien ist ziemlich unauffällig. Dort passiert eigentlich nie etwas, die Polizeitruppe versieht ihren Dienst, und die Bürgermeisterin bereitet mit ihrem Team das sogenannte Winter Feastival vor. Doch dann liegt eine Leiche am Strand: Ein Mann ist ermordet worden.

Weil man der örtlichen Polizei nicht zutraut, einen Mordfall zu lösen, schickt man eine Ermittlerin zur Unterstützung. Die kommt aus Darwin, also von der anderen Seite Australiens, redet nur in gröbsten Sprüchen und hat ihre Probleme mit den gemütlichen Leuten in Deadloch. (Streng genommen wollte man sie in Darwin eh loswerden.)

Kein Wunder, dass es zu Konflikten kommt – vor allem, als klar wird, dass es nicht nur eine Leiche gibt, sondern dass man es mit einer Mordserie zu tun hat. Die Opfer sind allesamt weiße Männer.

»Deadloch« ist eine aus acht Teilen bestehende Krimi-Serie, die man bei Prime anschauen kann und die ich absolut empfehlen möchte. Die Serie glänzt durch ihren groben, sehr schwarzen Humor, ist aber ernsthaft erzählt; man hat es also nicht mit Geblödel zu tun, sondern durchaus ernsthafter Mordermittlung, die allerdings mit unfassbar coolen und rotzigen Dialogen verbunden ist.

Spannend sind die Hauptfiguren: Dabei handelt es sich um drei Frauen, die unterschiedlicher kaum sein können. Überhaupt wird die Serie von den Frauenfiguren geprägt; halb Deadloch scheint aus lesbischen Paaren zu bestehen, und es gibt einen Konflikt mit Männern, die sich von den Frauen geradezu unterdrückt fühlen. Wer möchte, kann die Serie sicher als feministisches Statement verstehen oder sie in die queere Ecke stellen.

Man kann sie aber einfach als gelungene Unterhaltung betrachten. Starke Charaktere, eine sich über acht Folgen steigernde Spannung und rasante Dialoge prägen diese Serie, die ich großartig fand. (Auch wenn sie am Ende auserzählt ist, hätte ich nichts dagegen, noch einmal von der kleinen Stadt Deadloch und ihren Polizistinnen zu sehen und zu hören ...)

20 Juli 2023

Einige Sätze zu Jane Birkin

Als ich zum ersten Mal von Jane Birkin hörte, war ich ein sehr junger Teenager. Der Name der Sängerin war meinen Schulfreunden und mir nicht wichtig, entscheidend war das Lied. Es hieß »Je t'aime«, und ich erfuhr schnell, worum es ging: Es sei ein Liebeslied, und man höre dabei eine Frau, die sich zum Orgasmus stöhne. Für einen Jungen vom Dorf, der von Sex nur sehr wenig wusste, war das alles revolutionär und neu.

Der Sänger und Komponist hieß Serge Gainsbourg, aber das wurde mir überhaupt nicht vermittelt. Die Sängerin war Jane Birkin, und viel mehr erfuhr ich auch nicht über sie. Das Lied lief bei vielen Veranstaltungen in den späten 70er-Jahren. Bei diesem Lied konnte man Steh-Blues tanzen, und auch unerfahrene bis schlechte Tänzer wie ich hatten dann die Illusion, sie seien ein Frauenheld.

Es ist bedauerlich, dass ich sonst nichts von Jane Birkin mitbekam. Bis heute eigentlich nicht. Irgendwann war klar, dass sie viele Lieder aufgenommen hatte, aber die hörte ich nie – meine musikalischen Interessen waren nun mal anders gelagert. Das bekannte Stück geriet nie in Vergessenheit, auch wenn ich es selbst jahrzehntelang nicht mehr hörte; im Radio wurde es nicht gespielt, auf Platte hatte ich es nicht.

Diese Woche ist Jane Birkin gestorben, ich las einen Nachruf auf sie, und aus diesem erfuhr ich mehr über sie als in all den Jahrzehnten, seit mich ihr großer Hit begeistert hatte. Man kann sich bei diversen Seiten im Netz mehr von ihr anhören, das mache ich in den nächsten Tagen …

19 Juli 2023

Waffenschmuggler und Herzensbrecher

Dass der sizilianische Erfolgsautor Andrea Camilleri zeit seines Lebens in seinen Romanen nicht nur seine eigene Heimat »verarbeitete«, sondern stets auch politische Themen verhandelte, ist allgemein bekannt. Die Mischung aus realistischer Schilderung alltäglicher Probleme sowie Kriminalfällen dürfte auch zu seiner Beliebtheit beigetragen haben. Der aktuelle Roman zeigt das sehr deutlich.

In seiner Heimat erschien »Die Spur des Lichts« bereit 2012: Die Welle von Flüchtlingen, die versuchen, über das Mittelmeer in eine bessere Zukunft in Europa aufzubrechen, hatte bereits angefangen; der sogenannte arabische Frühling beschäftigte die Bevölkerung in den nordafrikanischen Staaten. Sizilien stand als südlicher Teil der Europäischen Union immer in direkter Nähe der Krisenregion.

Liest man den Roman heute – er wurde 2017 von Bastei-Lübbe veröffentlicht –, wirkt er in mancherlei Hinsicht wie ein Vorbote auf darauf folgende Ereignisse.

Das bezieht auch Commissario Montalbano ein. Vordergründig geht es um einen Raubüberfall und seine Folgen. Parallel ist Montalbano auch in Sachen Frauen wieder einmal in allerlei Komplikationen verwickelt. Und im Hintergrund geht es um Flüchtlinge und die daraus abzuleitenden Probleme: Die Mafia und private Machtmenschen kochen ihre eigene Suppe, die Menschen in ihrer Not werden von verschiedenen Seiten bedroht und missbraucht.

In diesem Roman gibt es die üblichen Montalbano-Spielchen: lustige Dialoge mit den Kollegen, leckeres Essen daheim und im Restaurant, eine kleine Prise Philosophie und einige Anmerkungen zur Politik in Sizilien. Das konnte Camilleri einfach, und das zeigt dieser Band, der innerhalb der Serie recht durchschnittlich ist: keiner der Höhepunkt, aber definitiv nicht schlecht.

»Die Spur des Lichts« ist der neunzehnte Band der Serie. Man kann ihn ohne jegliche Vorkenntnisse lesen – aber natürlich ist es immer interessanter, einige der bisherigen Romane zu kennen, denn nur dann lassen sich manche Dialogsätze des Helden besser einordnen.

Wer bisher keinen »Montalbano«-Krimi kannte, wird trotzdem keine Schwierigkeiten haben: Die Geschichte ist leicht verständlich, sie »flutscht« geradezu, und sie liefert schöne Einblicke in die Lebenswelt von Sizilien.

18 Juli 2023

Bei Arnold in Offenburg

Am Rand der überschaubaren Fußgängerzone in Offenburg – bekannt als Sitz des Burda-Verlags, ansonsten zwischen Karlsruhe und Freiburg in der Rheinebene gelegen – findet man ein schönes kleines Café, dessen Besuch ich an dieser Stelle empfehlen möchte. Gemeint ist das Café Arnold, das sich auch als Kaffeemanufaktur bezeichnet, weil die Firma ihre Kaffees selbst röstet.

Um es vorwegzunehmen: Der Kaffee, den die Leute in dem Café anbieten, schmeckt sehr gut. Man bekommt auch nicht irgendwas eingeschenkt, sondern wird vorher nach den Vorlieben gefragt. Dazu kann man sich einen Kuchen gönnen und eine Limonade, und auf einmal sitzt man am Rand der Fußgängerzone und fühlt sich fast wie daheim.

Tatsächlich ist das Café recht verspielt eingerichtet. Die Möbel wirken alt, aber nicht verratzt, und die Einrichtung wirkt klassisch, aber nicht altmodisch. Das Café verströmt den Charme der »guten alten Zeit«, auch wenn es sonst nicht den Charakter eines »Oma-Cafés« hat. Und das ist in diesen Zeiten doch ausgesprochen nett – gern mal wieder!

Rachefeldzug in einem Comic-Fünfteiler

Eine junge Frau nimmt Rache: So lassen sich die fünf Bände der Comic-Serie »Die Viper« wohl am einfachsten zusammenfassen. Dabei ist die Geschichte durchaus vielschichtig, erzählt mit Rückblenden und wechselnden Perspektiven und ist letztlich mehr als nur eine Geschichte, die im Wilden Westen spielt.

Die Geschichte beginnt tatsächlich im Wilden Westen, und sie endet in New York und Washington. Emily ist eine junge Frau, die Rache nehmen möchte. Anfangs ist nicht so richtig klar, weshalb sie das vorhat, dann wird immer deutlicher: Es geht um Vergewaltigung und ihre Folgen.

Das Problem der jungen Frau: Die Männer, die sie töten möchte, sind mächtig – und so setzen sich bald Detektive auf ihre Spuren. Doch es gibt einen mysteriösen Indianer, der ihr hilft und immer wieder zur Seite steht. Wie das alles zusammenhängt, bleibt lange Zeit unklar, und erst im letzten Band des Fünfteilers klären sich alle Details.

Verantwortlich für die Rachegeschichte ist Laurent Astier; er schrieb und zeichnete die fünf Bände. In seiner Geschichte gibt es Rückblenden in der Zeit, die Handlung wechselt öfter ihren Schauplatz – das alles hat aber eine klar nachvollziehbare Logik und wirkt nicht aufgesetzt oder gekünstelt. Ganz im Gegenteil: Während die Handlung in jedem Band weiter voranschreitet, erfährt man stets mehr über die Vergangenheit.

Astier erzählt die Geschichte spannend und mit vielen Wendungen. Seine Hauptfigur trifft Gegner und Freunde, sie verliebt sich unglücklich, und sie mordet. Man leidet mit ihr mit, man möchte, dass sie gewinnt – obwohl sie eine Mörderin ist. Das ist unterhaltsam und echt gut gemacht.

Dafür schwächelt die Grafik manchmal. Landschaften oder auch moderne Städte sind stark, die Action funktioniert – Astier hat einen eher realistischen Stil, der gut durch die Geschichte führt. Die Gesichter finde ich teilweise schwach, bei manchem Bild hätte eine weitere Bearbeitung nicht geschadet.

Was bleibt, ist ein gelungener Spät-Western, der Krimi-Aspekte aufweist und eine spannende Geschichte erzählt. Eine gelungene Comic-Unterhaltung in fünf Bänden – passt!

17 Juli 2023

Ein extrem lahmer Maigret

Ich mag die klassischen »Maigret«-Romane des französischen Schriftstellers Georges Simenon, von denen ich im Verlauf der Jahre mehr als zwei Dutzend gelesen habe. Und ich mag eigentlich auch den französischen Schauspieler Gérard Dépardieu – sieht man von seinen politischen Ausfällen ab –, der im Verlauf der Jahrzehnte viele Filme gedreht hat, von denen manche richtig gut, andere leider richtig schlecht waren.

Aus diesem Grund war ich sehr auf die »Maigret«-Verfilmung gespannt, die in diesem Jahr in die Kinos kam. Die Kinovorstellung verpasste ich, also sah ich mir den Film am Wochenende auf einem Streaming-Kanal an. Das genügt allerdings auch, um ein Urteil zu fällen.

Der Film spielt in Paris, und offensichtlich erhielten die Macht keine vernünftigen Drehgenehmigungen. Die meisten Szenen finden in Räumlichkeiten statt, und wenn doch einmal eine Szene auf der Straße oder entlang der Seine spielt, wirkt das Ganze so, als habe man sich auf einen winzigen Ausschnitt konzentriert, um Geld zu sparen.

Das mag jetzt kleinkariert klingen, aber es stört doch sehr: Wenn der Mörder einer jungen Frau sich offenbar in Paris herumtreibt und der Kommissar in Paris unterwegs ist – irgendwann in den fünfziger Jahren, scheint es –, dann möchte ich das doch irgendwie spüren und erleben. Stattdessen spielt das alles in einem grauen, fast schon amorphen Raum; der Film könnte genauso gut sonstwo in der französischen Provinz spielen.

Die Geschichte wird leider sehr dröge erzählt. Es geht um den Mord an einer jungen Frau, ebenso geht es aber um soziale Unterschiede. Was hätte man daraus für ein Drama machen können! Wie hätte man das Gefälle zwischen den Neureichen, die ihre fetten Feste feiern, und den bettelarmen Mädchen auf der Straße darstellen können! Darauf verzichtet der Film leider weitestgehend.

Stattdessen spaziert Dépardieu als Maigret durch die Straßen; er ist alt und müde, und das sieht man ihm an. Das wird zwar mit der Rolle des Kommissars vermischt, passt also irgendwie, ist aber irgendwann schrecklich langweilig. So schleppen sich der Schauspieler und der Film durch die Szenen, und am Ende ist der Fall irgendwie gelöst.

Enttäuschend.

(Hervorragend sind die »Maigret«-Verfilmungen mit Rowan Atkinson. Ein Engländer spielt einen französischen Kommissar, und er macht das besser als der olle Dépardieu – das finde ich hart!)

16 Juli 2023

Interessante Lübbe-Zahlen

Für mich ist es immer wieder spannend, in den Fachzeitschriften die Erfolge und – gelegentlich – auch die Probleme des Verlagshauses Bastei-Lübbe zu beobachten. Weil der Verlag bekanntlich börsennotiert ist, müssen solche Informationen an die Öffentlichkeit, wo sie von Menschen wie mir gelesen werden können.

Aktuell sind die Zahlen für das abgelaufene Geschäftsjahr in der Diskussion. Man hat einen Umsatz von 100 Millionen Euro erwirtschaftet, im Vorjahr waren es noch 94,5 Millionen Euro. Verblüffend ist, woher diese Gewinne kommen – und da horche ich besonders auf.

In Umsatzbringer ist der Hörbuchbereich, der um 16 Prozent gestiegen ist. Das führt man vor allem auf die hohe Nachfrage beim Streaming zurück – generell haben die Hörbuchverlage zuletzt von den Umsätzen im Streaming profitiert, während die Umsätze mit CDs stark zurückgegangen sind.

Als weiterer Umsatzbringer wird immer die Verlagsmarke Lyx genannt, wo es vor allem Romance- und Fantasy-Stoffe gibt. Es ist nicht unbedingt die Fantasy, die ich mag, aber darum geht es nicht – Fakt ist, dass man mit phantastischer Literatur offensichtlich Umsätze und Gewinne erwirtschaften kann.

Das gilt übrigens auch für Heftromane. Laut einer Tabelle, die in der Fachzeitschrift »buchreport.express« veröffentlicht worden ist, stieg hier der Umsatz von 7,1 auf 7,2 Millionen Euro. Das sagt nichts über die Auflagen der einzelnen Serien aus, ist für mich aber trotzdem höchst interessant. Heftromane sind also noch lange nicht am Ende ...

14 Juli 2023

Der Start in die Gruselhörspielserie

In diesen Tagen kann die Gruselheftromanserie »John Sinclair« ihren Geburtstag feiern – sie erscheint seit fünfzig Jahren. Mit den Heftromanen konnte ich nie so viel anfangen, auch wenn ich vor dem verlegerischen und schriftstellerischen Erfolg den Hut ziehe. Zum Ausgleich höre ich immer mal wieder ein Hörspiel, bei denen aus den schon klassischen Heftromanen moderne Audio-Versionen gemacht werden.

Weil es mich juckte, wie die Serie angefangen hat, hörte ich »Im Nachtclub der Vampire« an, die erste Folge der aktuellen Serie, die vor über zwanzig Jahren erstmals veröffentlicht wurde. Das ist dann teilweise gut, bei Handlungslogik und dergleichen sollte man lieber nicht zu viel nachdenken.

Es gibt eine Art Hintergrundgeschichte: Die Mächte der Finsternis haben sich zurückgezogen. Sie warten auf die Ankunft eines mächtigen Dämons, der wohl älter ist als Satan und der die Erde übernehmen soll – daraur arbeiten weltweit die Dämonen und Vampire und anders Gelichter hin.

Die eigentliche Geschichte ist die einer jungen Frau aus Deutschland. Marina ist noch Jungfrau – das wird später wirklich wichtig! –, lernt Inspektor John Sinclair im Flugzeug kennen, gerät in London in Probleme, flüchtet zu der Bar »Shocking Palace« in Soho, sieht dort Vampire bei ihrer Tätigkeit, flüchtet und überlebt mit viel Glück. Aber weil ihre Flucht sie zu Sinclair führt, soll sie geopfert werden – zugunsten des kommenden Dämonenherrschers.

Aha.

Man darf bei solchen Geschichten wirklich nicht zu viel über Logik nachdenken. Es ist zudem häufig ein wenig überdosiert. Da spielen für meinen Geschmack immer zu viele Elemente mit – Vampire an sich hätten ausgereicht, die dämonische Gefahr im Hintergrund fand ich eher unnötig. Aber gut …

Seien wir fair: Ich kenne mittlerweile gut drei Dutzend »John Sinclair«-Hörspiele, und vor allem diejenigen, die in den vergangenen Jahren veröffentlicht worden sind, gefallen mir viel besser. »Im Nachtclub der Vampire« ist eine Geschichte mit viel Blut und Geschrei, sie ist effektvoll gemacht, und sie ist sehr unterhaltsam. Die Dialoge sind allerdings schwächer und manchmal an der Grenze zur Peinlichkeit, und die Geräusche sind nicht so gut wie bei späteren Folgen.

Hätte ich mit diesem Hörspiel angefangen, »John Sinclair« zu hören, wäre ich wegen der Schwächen vielleicht nicht weit gekommen. Einen schönen Einstieg in eine gruselige Welt bietet es trotzdem.

13 Juli 2023

Dreiklangsdimensionen

Warum und wann ich mir die Single »Dreiklangs-Dimensionen« – auf dem Cover echt mit Bindestrich geschrieben – der Band Rheingold kaufte, weiß ich gar nicht mehr. Wahrscheinlich fischte ich sie aus einer Plattenkiste in der »Lerche« in Stuttgart, wo sie für den schmalen Geldbeutel für kleines Geld zu finden war. Als sie herauskam, also 1980, hätte ich sie mir noch nicht gekauft, damals verplemperte ich mein Geld vor allem für Science-Fiction-Romanhefte.

Das Stück lief in den frühen 80er-Jahren auch im Radio, die Band wurde zur Neuen Deutschen Welle gezählt. Für mich klang sie wie ein Abklatsch von Kraftwerk, nur eben etwas poppiger und weniger künstlich. Tatsächlich kann man sich das Titelstück der Single immer noch gut anhören.

Die Melodie ist flott, sie wirkt locker, die Synthie-Elemente sind gut eingesetzt, und der Text ist bewusst so gehalten, dass er auch von Kraftwerk stammen könnte: «Klänge, für Millionen / überwinden die Distanzen.« Man erkennt das Stück nach dem ersten Hören sofort wieder und kann es theoretisch gleich mitsingen und mitpfeifen – das ist für Popmusik schon mal ein guter Anfang.

Auf der B-Seite findet sich noch das Stück »Rendezvous«, das einen amüsanten Sprachmischmasch aus deutsch und französisch bietet. Musikalisch ist die Band da ruhiger unterwegs, es wird viel mit einer Orgel getrötet.

Sagen wir so mit dem Abstand vieler Jahrzehnte: In punkto Elektropop müsste man Rheingold heute zu den Pionieren zählen. Ich habe das Stück tatsächlich noch gern im Ohr.

12 Juli 2023

Phantastik mit Punks

Dass mich die Flut von Genre-Bezeichnungen, in die irgendwie der Begriff »Punk« gebastelt wird, zunehmend langweilt, habe ich schon einige Male geschrieben. Umso überraschender finde ich, wenn es dann wirklich einen Roman gibt, in dem Punks und Hausbesetzer die Hauptrolle spielen und ein phantastisches Thema vorherrscht. Die Rede ist von dem kurzen Werk »Das Lamm wird den Löwen verschlingen« der amerikanischen Autorin Margaret Killjoy.

Hauptfigur ist eine herumreisende Hausbesetzerin und Punk-Frau. Weil sie mehr über den Selbstmord ihres besten Freundes erfahren will, kommt sie nach Freedom, einer Siedlung im Mittleren Westen. Diese stand längere Zeit leer, ist mittlerweile von Hausbesetzern, Punks und anderen Ausgestoßenen der Gesellschaft übernommen worden. Eine anarchistische Struktur hat sich gebildet, es gibt kein Geld und keine Herrschaftsformen.

Leider ist auch in Freedom nicht alles so schön wie erhofft. Die Einwohner haben nämlich zum Schutz ein magisches Wesen beschworen, das sich als blutroter Hirsch manifestiert, neuerdings aber damit angefangen hat, die Leute zu massakrieren, die es herbeigerufen haben. Und zu allem Überfluss rückt auch noch die Polizei an …

Margaret Killjoy scheint zu wissen, wovon sie schreibt. Ihr Blick auf ein durchaus heikles Utopia der Außenseiter klingt glaubhaft, vor allem deshalb, weil sie die Schattenseiten nicht verschweigt. Sie ist selbst Transfrau, weshalb es ihr wohl leichtfällt, verschiedene queere Sichtweisen in ihren Roman zu integrieren – als Leser wird einem dieser Blick ganz nebenbei vermittelt, weil man die Geschichte immer fesselnder findet.

Tatsächlich fand ich die phantastischen Aspekte ein wenig zu dünn; die Autorin zeigt eher die inneren Spannungen in der Siedlung und die verschiedenen Ansichten der Menschen, die in Freedom wohnen. Das allerdings ist ebenfalls spannend, und so verfolgte ich mit großem Interesse die Geschichte einer Frau, die sich gegen ein magisches Wesen stellt.

Das war wirklich mal eine ganz andere Art von Phantastik!

Im Original wurde der Kurzroman in den USA auf der Internet-Seite von Tor veröffentlicht. Hierzulande hat der Festa-Verlag das Werk als Hardcover sowie als E-Book herausgebracht.

Ich habe mir die Hardcover-Version gekauft, die sehr gut aussieht und sich im Regal gut macht. Aufgrund der eher niedrigen Auflage ist der Preis für die gedruckte Ausgabe recht hoch – das muss man sich dann vorher überlegen –, dafür wird die E-Book-Ausgabe zu einem guten Preis angeboten. Lohnend!

11 Juli 2023

Derber Fantasy-Comic

Gemetzel und Verrat, Mord und Folter, Schlachten und harte Duelle: Wenn man sich eine Fantasy-Welt mit Orks und Elfen, Menschen und Zwergen ernsthaft vorstellen mag, sieht sie vielleicht wirklich so aus wie in dem Comic-Zweiteiler »Der Krieg der Orks«. Der ist schon vor einiger Zeit erschienen, ich habe ihn erst dieser Tage gelesen.

Die zwei Bände haben es in sich. Auf vielen Seiten wird brutal gekämpft – gleichzeitig geht es aber darum, dass die Orks für sich eine neue Zukunft suchen. Sie haben es satt, ständig stumpf anzugreifen und alles niederzumetzeln, weil sie wissen, dass sie damit militärisch keine Chance gegen die Menschen haben.

Vor allem ein Ork ist es, der einen neuen Weg einschlägt: mit Verrat, mit Tricks und klugen Überlegungen. Er scheint damit erfolgreich zu sein. Doch sind Orks überhaupt noch echte Orks, wenn sie sich verhalten wie die schlauen Menschen oder die trickreichen Zwerge?

Klar: Was Oliver Peru in diesem Comic-Zweiteiler schreibt, ist sicher kein intellektuelles Gedankenspiel – dafür gibt es zu viel Blut und Tod in seiner Geschichte. Der Comic-Autor schafft es aber, dem Thema einige neue Aspekte abzuringen, und dafür gebührt ihm Respekt.

Rein künstlerisch ist auch Giovanni Lorusso zu loben. Er zeigt die heftigen Kämpfe mit teilweise fiesen Details; das ist alles in allem recht realistisch gemacht. Für Zartbesaitete ist das allerdings nicht.

Vielleicht bin ich dafür selbst zu zartbesaitet. Ich fand »Der Krieg der Orks« zwar eigentlich gut erzählt und gezeichnet, aber es war mir unterm Strich einfach zu brutal. Das aber ist dann einfach Geschmackssache, und das muss letztlich jeder selbst für sich entscheiden …

10 Juli 2023

Eine gefiederte Bande

Auf einmal waren Captain Hook und seine Bande wieder da: Ein Schwarm von kleinen Vögeln landete im Frühstücksbereich des Urlaubshotels. Ob es Spatzen waren, wusste ich nicht; sie waren viel kleiner als die Vögel in Deutschland, sahen ihnen aber sehr ähnlich – also bezeichnete ich sie als Spatzen. Sie waren frech, sie kannten keine Scheu vor Menschen, und sie wussten, was ihnen schmeckte.

Zuerst hüpften sie auf dem Boden herum und pickten das auf, was die Touristen beim Frühstück hatten fallen lassen. Krümel aller Art, Stückchen von Wurst und Käse, manchmal auch ein bisschen mehr. Nach kürzester Zeit gaben sie ihre Zurückhaltung auf und flogen auf die Tische, wo sie über die Teller herfielen. Wer seinen Tisch unbeaufsichtigt ließ, weil er sich einen Kaffee oder einen Saft holte, konnte sicher sein, dass sein Brot und sein Käse von der gefiederten Bande angefressen wurden.

Ich sah mir das jeden Morgen an. Und weil ich eh nichts zu tun hatte und im Gammelmodus war, nahm ich mir die Zeit, auf Details zu achten, die man sonst nicht wahrnimmt. Die Vögel bekamen von mir Namen, und nach kurzer Zeit konnte ich gut ein halbes Dutzend unterscheiden.

Captain Hook war einer, der nur ein Bein benutzen konnte. Er hüpfte einbeinig durch die Gegend, er hielt den anderen Fuß immer angewinkelt, als ob er verletzt sei. Beim Fliegen wirkte er elegant, beim Hüpfen war er nicht so schnell wie seine Kollegen.

Lurchi war einer, dem der Schwanz fehlte. Der kleine Vogel sah aus, als hätte ihm eine Katze oder ein Hund die Hälfte des Gefieders abgerupft, aber er sei davon gekommen. Er wirkte wie verstümmelt, gleichzeitig hatte ich den Eindruck, er sei besonders frech.

Eher jammernd war ein Vogel, der immer hinter einem anderen herhüpfte, sich aufplusterte und sich dann füttern ließ. Er war nicht kleiner als die anderen, wurde von einem aber mit Brosamen versorgt, die dieser ihm in den Schnabel steckten. Ich assoziierte: Das waren Vater und Sohn. Ich nannte sie Papa und Pieps.

Und so verbrachte ich mit Captain Hook und Lurchi, dem kleinen Pieps und seinem Papa einige Zeit. Es war spannender, als anderen Touristen bei ihren Morgengesprächen zuzuhören.

09 Juli 2023

Der Dienstmann ist tot

Es war 1986, als ich zu ersten Mal den »kress report« in den Händen hielt. Damals gab es das Blatt schon seit ziemlich genau zwanzig Jahren, und es war eine wichtige Medienzeitschrift. Geleitet wurde sie von Günther Kress, der das Heft im Prinzip im Alleingang herausbrachte.

Das Layout war einfach; es handelte sich um doppelt bedruckte Seiten, die einfach zusammengetackert waren. Aber die Inhalte waren bestechend: Kress verstand sich als »Dienstmann«, bezeichnete sich selbst als so und war in der Medienbrache bestens vernetzt. Er brachte die aktuellen Informationen aus der Werbung, dem Marketing und den Verlagen, kombiniert mit Hintergrund-Informationen sowie viel Tratsch und Klatsch.

Das fand ich schon damals sehr lesenswert. Im Verlauf der Jahrzehnte war der »kress report«, der heute als »kress pro« weiterläuft, ein ständiger Begleiter einer redaktionellen Laufbahn. So bekam ich mit, was außerhalb meiner Science-Fiction-Welt stattfand, und das mochte ich sehr.

Günther Kress starb am 1. Juli; er wurde 94 Jahre alt. Ich lernte ihn nie kennen, ich war auch nie wichtig genug, dass er mich einmal angerufen hätte – was er für seine Recherchen sehr oft tat –, ich war über lange Jahre hinweg ein Leser seiner Texte. Respekt!

07 Juli 2023

The Dry – empfehlenswert!

Wie fühlt es sich an, eine »trockene« Alkoholikerin in einer Gesellschaft zu sein, in der permanent alkoholische Getränke konsumiert werden? Das ist wohl die grundlegende Frage hinter der irischen Fernsehserie »The Dry«, die hierzulande mit dem Untertitel »Sekt oder Selters« im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gezeigt wird. Ich habe sie in der Mediathek angesehen, fand sie richtig stark und möchte sie unbedingt empfehlen.

Die einzelnen Folgen sind nicht lang, sie sind leicht erzählt, auch wenn sie ein schwieriges Thema behandeln, und man kann sie echt flott anschauen. Gelegentlich kann man schmunzeln, häufig sitzt man aber da und denkt sich »Mädel, lass die Finger von dem Typen« und andere Dinge - die Identifikation mit der Hauptfigur funktioniert also.

Dabei handelt es sich um eine Frau, 35 Jahr alt, kinderlos und ohne Beziehung, die eigentlich als Künstlerin arbeiten will, in London quasi gescheitert ist und jetzt zur Familie nach Dublin zurück kommt. Die Ehe der Eltern – beide saufen ständig – ist praktisch gescheitert, der schwule Bruder ist ein wenig antriebslos, und die Schwester ist eine eiserne Karrierefrau. Und im Hintergrund schwebt wie so ein Schatten ein Bruder, den alle verherrlichen und der vor zehn Jahren auf mysteriöse Weise gestorben ist …

Der Blick in eine schräge Familie ist gelungen. Er ist intensiv, manchmal schmerzhaft, gelegentlich auch witzig. Schauspielerisch ist das alles sehr gut; auf unnötige Effekte wird ebenfalls verzichtet wie auf Tricks oder Action. »The Dry« ist einfach gut gemachte Unterhaltung mit Niveau – das sollte man gesehen haben!

06 Juli 2023

MetalCore mit Religionskritik

Ich habe die brasilianische Band mit dem schönen Namen Statues On Fire einmal live gesehen; damals war es mir zu viel Metal und zu wenig Hardcore. Dabei hat die Band ja durchaus etwas zu sagen. Das zeigt sie bei ihrer aktuellen Single, mit der die Band natürlich Werbung für die Platte macht, die im September offiziell veröffentlicht wird.

Das Stück trägt den Titel »I Hate Your God«, ist also in englischer Sprache gehalten und macht klar, was die Band von organisierter Religion hält. In einem Wort: nichts. Für eine Band, die aus einem Land kommt, das doch sehr religiös geprägt ist, finde ich eine solche Aussage natürlich wuchtig.

Musikalisch ist das für meine Ohren recht viel Metal und eher wenig Hardcore. Das Stück gefällt mir trotzdem: Es knallt, es hat einen treibenden Sound, und es geht gut in die Ohren und in die Füße.

Man kann es übrigens schon bei YouTube anhören und anschauen. Hier ...

None Left Standing mal wieder

Es gibt Bands in der Punkrock- und Hardcore-Szene, die eine gewisse Zeit lang sogar »berühmt« sind, bevor man sie völlig vergisst. So eine Band war None Left Standing, von der ich eine Langspielplatte und eine EP besitze. Die EP kaufte ich mir für einen halben Dollar aus einer Ramschkiste bei Amoeba Records in San Francisco.

Woher die Band kam, weiß ich gar nicht mehr; irgendwo aus Wisconsin wahrscheinlich, weil die vier Musiker in Madison ihre Platten aufnahmen und veröffentlichten. In der ersten Hälfte der 90er Jahre zählten None Left Standing zu den einflussreichen Emocore-Bands, die hierzulande tourten und deutsche Bands dazu brachten, ebenfalls Emocore zu spielen.

Ihre EP »Laura«, die im Sommer 1994 aufgenommen wurde, passt da gut ins Bild. Im Titelstück geht es um ein Mädchen, das bei einem Unfall ums Leben gekommen ist, und um den Schmerz der Überlebenden. Die Texte werden mal geschrien, mal gesungen; ein trauriges Ereignis wird »emotional« in krachende Musik umgesetzt. Mehr Emo geht echt nicht.

Der Sound ist meist schleppend, es sind wirklich keine Hitqualitäten zu hören. Wenn ich mir das heute anhöre, kann ich mir trotzdem nachvollziehar machen, warum das früher so gut ankam: Die Stücke sind intensiv, sie gehen durchaus ins Ohr, man wippt irgendwann mit.

Aber die Zeit ist – zumindest für mich – trotzdem über diese Art von Hardcore-Musik drübergegangen.

05 Juli 2023

Comic-Gesamtausgabe zu einem Phantastik-Klassiker

Als Arthur Conan Doyle im Jahr 1912 seinen Roman »The Lost World« veröffentlichte, war er dank seines Detektivs Sherlock Holmes längst berühmt geworden. Nun aber setzte er mit seinem Professor Challenger eine neue Figur in Szene und ging in eine völlig andere Literaturrichtung: weg vom Krimi, hin zur phantastischen Abenteuergeschichte. Ganz nebenbei begründete er das Unter-Genre »Lost Race« für die phantastische Literatur und wurde so für viele Fantasy- und Science-Fiction-Autoren zu einem inspirierenden Wegbereiter.

»The Lost World« wurde mehrfach veröffentlicht, meist wird der Roman zur Fantasy gezählt. Es gibt verschiedene Übersetzungen in die deutsche Sprache; im Verlauf der Jahrzehnte kamen zahlreiche Hörspiel- oder Filmversionen hinzu. Ebenso gab es Comic-Adaptionen. Unter dem Titel »Vergessene Welt« liegt im Splitter-Verlag die Gesamtausgabe einer modernen Comic-Version vor, die ich durchaus empfehlen kann.

Die Geschichte sollte allgemein bekannt sein, weshalb ich sie hier nur kurz zusammenfasse. Aus Südamerika mehren sich Hinweise, dass dort ein Hochplateau existiert, auf dem sich seltsame Urwesen aufhalten. Sind die Dinosaurier vielleicht doch nicht ausgestorben? Professor Challenger, der mit seinen Theorien in der wissenschaftlichen Welt auf starke Gegenwehr gestoßen ist, rüstet eine Expedition aus.

Die Männer reisen über den Amazonas und tief hinein in den Dschungel Südamerikas. Sie finden das Hochplateau und stellen fest: Es gibt eine vergessene – oder verlorene – Welt, auf der Dinosaurier leben, während Steinzeitmenschen und Indios gegeneinander kämpfen. Riesige Insekten und Schlangen sind in diesem Biotop unterwegs, und nicht einmal die Schusswaffen der englischen Expeditionsteilnehmer können gegen manches Tier etwas ausrichten. Die Expedition endet fast in einem Desaster …

Arthur Conan Doyles Roman muss damals den Nerv der Zeit getroffen haben. Die Welt war zu einem großen Teil erforscht, die Kolonialmächte hatten sie quasi unter sich aufgeteilt. Die letzten »weißen Flecken« wurden in Angriff genommen – es war eine aufregende Vision, eine vergessene Welt zu finden.

Daraus entwickelt Christophe Bec eine spannende Comic-Geschichte in drei Bänden, die in der Gesamtausgabe einen starken Eindruck machen. Bec weiß, wie man Geschichten erzählt, und er rafft den dicken Roman so, dass er genügend Raum für knallige Comic-Szenen lässt. Das ist gut gemacht und unterhält hervorragend.

Fabrizio Faina und Mauro Salvatori sind versierte Illustratoren. Ihre Bilder sind vor allem dann überzeugend, wenn sie die Natur darstellen können: den Dschungel, die faszinierenden Pflanzen und Tiere, vor allem die riesenhaften Dinosaurier. Geht es darum, die Menschen zu zeigen, wirken ihre Bilder gelegentlich ein wenig steif. Insgesamt ist die Illustration aber hervorragend, was man auch am Anhang sehen kann – es werden Skribbles und Skizzen präsentiert, was ich bei so einer Gesamtausgabe ohnehin sehr mag.

Unterm Strich ist »Vergessene Welt« eine gelungene Gesamtausgabe, die einen Klassiker der Abenteuer- oder Phantastik-Literatur zu neuem Leben erweckt. Wer sich für den Band interessiert, kann auf der Internet-Seite des Splitter-Verlags zudem in der Leseprobe stöbern.

(Diese Rezension wurde bereits im Mai auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Zur Dokumentation bringe ich sie auch in meinem privaten Blog.)

Was für ein gemeiner Roman!

Seit vielen Jahren steckt Venezuela in einer Krise, die kein Ende zu finden scheint. Das weiß jeder Mensch, der sich ein wenig mit aktueller Politik und den Nachrichten beschäftigt. Mit ihrem Roman »Nacht in Caracas« wirft die Autorin Karina Sainz Borgo einen sehr subjektiven Blick auf die aktuelle Situation – ihr Roman ist düster und krass und von einer inhaltlichen Wucht, die einen unweigerlich mitnimmt.

Im Februar 2023 erschien die Taschenbuchausgabe, die ich mittlerweile gelesen habe. Der Roman spielt in Caracas, wie der Titel schon klarmacht, der Hauptstadt von Venezuela. Das Land kommt nicht aus seiner politischen und wirtschaftlichen Krise heraus: Die Menschen werden immer ärmer, die Gewalt auf der Straße nimmt zu, und die Regierung setzt allerlei Milizen ein, um das Volk zu knechten.

Die Ich-Erzählerin entstammt der Mittelklasse, der es – ihrer Darstellung nach – besonders schlecht geht. Sie schmiedet einen Plan: Mithilfe eines Tricks und einer verstorbenen Nachbarin will sie ihre Heimat verlassen und nach Spanien ins Exil gehen. Das ist natürlich nicht so einfach.

»Nacht in Caracas« ist ein krasser Roman, der mir in seinen politischen Aussagen nicht immer gefällt. Glaubt man der Autorin, herrscht linker Terror in diesem Land, der sich vor allem gegen die Mittelklasse richtet. Aber gut, das ist ihre Art, das Thema literarisch aufzugreifen – und das macht sie sehr spannend, sehr mitreißend und sehr intensiv.

Konkrete Jahreszahlen fehlen, was es schwer macht, den Roman genauer einzuordnen; er scheint um 2010 zu spielen. Aber das ist letztlich nicht wichtig. Die Schilderungen der politischen Gewalt sind eindeutig, die Geschichte ist streckenweise blutig und brutal. Und man hat alle Sympathien für die Ich-Erzählerin, auch wenn das, was sie tut, unterm Strich alles andere als moralisch ist.

Man kann den Roman sicher nicht als seriöse oder objektive Lektüre zur Situation in Venezuela heranziehen. Er gibt aber einen subjektiv-literarischen Blick in ein Land, das sich seit zwei Dutzend Jahren in der Dauer-Krise befindet – und das gelingt sehr eindrucksvoll.