31 Januar 2022

Gruß vom Getriebe

Mit meinem Rad flitzte ich durch die Bismarckstraße in Karlsruhe. Es war dunkel, feiner Regen fiel, ich passte also auf, dass mir nichts passierte. Vor allem achtete ich auf Autofahrer, die rückwärts ausparkten; da konnte mein Frontlicht noch so hell sein, sie konnten mich leicht übersehen.

Deshalb bremste ich ab, als gut fünfzig Meter vor mir und auf der anderen Straßenseite ein Fahrer aus einer Parklücke rollte. Langsam fuhr ich auf die Stelle zu, immer dazu bereit, eine Vollbremsung einzulegen. Da erkannte ich: Der Fahrer oder die Fahrerin wollte nicht ausparken, sondern nur die Position korrigieren.

Als das Auto wieder nach vorne fahren sollte, wurde offensichtlich der falsche Gang eingelegt, oder es wurde die Kupplung nicht vernünftig betätigt. Ein fürchterliches Krachen ertönte.

»Ich bin ein Getriebemörder!« schrie ich, als sei ich in den 80er-Jahren gelandet, und lachte sofort danach über mich selbst.

Ein Fußgänger, der auf dem Gehweg gerade auf der gleichen Höhe wie ich unterwegs war, wenngleich zu Fuß, reagierte auf seine Weise. »Na, wir waren wohl zur gleichen Zeit im gleichen Verein!«, rief er.

Ich hielt an. »Bruchsal, Eichelberg«, sagte ich trocken.

Er lachte. »Ich auch. 1983 und 1984.«

Wie es sich herausstellte, waren wir im Abstand von einem Jahr in der gleichen Kaserne gewesen, beide als wehrpflichtige junge Männer. Unser Gespräch bestand aus schnellen »Wissen Sie noch?«; ins Duzen verfielen wir nicht. Tatsächlich hatte er ein gutes Gedächtnis, er wusste von manchen Offizieren und Feldwebeln noch die Namen, die ich längst vergessen hatte.

Er hatte seinen Führerschein bei der Bundeswehr gemacht, ich hatte in Ulm die Fahrschule besuchen müssen. Und wir beide hatten die Sprüche zu Genüge gehört. Immerhin war mir das mit dem Getriebe nie selbst passiert.

Wer seinen Wagen so abwürgte, wie es der einparkende Mensch vor meiner Nase getan hatte, musste aus dem Auto springen, sich neben das Fahrzeug stellen und lauthals »Ich bin ein Getriebemörder« schreien. Wer ein Verkehrsschild übersah, musste zurücksetzen und bekam die Aufgabe, das Schild zu putzen – weil dieses ja offensichtlich nur schlecht zu sehen war.

Der mir unbekannte Mann und ich warfen uns in den zwei, drei Minuten des Gespräches in rasendem Tempo allerlei Bundeswehr-Erinnerungen an den Kopf, das meiste nur reines Hörensagen. Wir lachten mehrfach auf, wenn wir uns an Geschehnisse und Geschichten aus den 80er-Jahren erinnerten.

Mittlerweile war der Fahrer auf der anderen Straßenseite mit seinem Parkvorgang fertig. Er stieg aus, schloss sein Fahrzeug ab und bog schnellen Schrittes in einen Hof ab.

Ich verabschiedete mich von meinem Gesprächspartner und fuhr weiter. Während ich in die Pedale trat, wunderte ich mich über mich selbst. Was ich alles noch gewusst hatte, wie präsent mir auf einmal eine Episode in meinem Leben war, die Jahrzehnte zurück lag!

»Bescheuerte Bundewehr«, murmelte ich, als ich schwungvoll in den Zirkel einbog. »Jetzt sind die ganzen Geschichten wieder da.«

Die Idles zum dritten Mal

Eine der aktuellen Bands, die Punkrock-Elemente mit allerlei anderen Einflüssen verbinden, sind die Idles aus Bristol. Die Engländer schaffen es, diese Verbindung einzugehen, ohne dass eine gesichtslose Soße entsteht. Das merkt man auch an der dritten Platte, die vor bald zwei Jahren erschienen ist und den schönen Titel »Ultra Mono« trägt.

Die zwölf Stücke sind abwechslungsreich, sie gehen nicht gleich ins Ohr, aber sie haben einen kratzigen und eigenständigen Charakter. Sagen wir so: Wer fröhlichen MelodiePunk mag, wird hier vielleicht eher genervt sein.

Mir kommen manche Stücke vor, als wollte die Band vor allem NoiseRock-Elemente in ihre Stücke integrieren: Da wummert der Bass, da knirscht und quiekt die Gitarre, da gibt es schleppend-manische Phasen, wie man sie in den 80er-Jahren von Big Black gehört hat. Über diesen manchmal sehr wuchtigen und auch sperrigen Sound legt sich die Stimme des Sängers, der manchmal brüllt und ansonsten mit rauem Charakter seine Zeilen rausrotzt.

Bei den Texten tu‘ ich mich schwer; meiner Langspielplatte lag kein Textblatt bei, und so bin ich auf meine Englischkenntnisse angewiesen. Die Band verbreitet politische Inhalte, sie meint das sehr ernst, aber diese Inhalte werden nicht in Form von Parolen, sondern in teilweise komplexen Zeilen vermittelt.

Ich mag die Idles, ich habe nun schon einiges von ihnen gehört. Mir gefällt die Band vor allem an den Stellen, wo sie recht knorrig wirkt. Aber man braucht mit dieser Platte echt ein wenig Geduld …

30 Januar 2022

Zwei Knetfiguren und eine Brieffreundschaft

Ich mag Filme, die auf Knetanimationen berufen, auch wenn diese sich meist an Kinder richten. Bei »Wallace & Gromit« kann ich mich köstlich amüsieren, auch »Shaun das Schaf« ist teilweise großartig gemacht. Mit »Mary & Max« habe ich zuletzt einen Knetantimationsfilm gesehen, der schon 2009 entstanden ist und sich meiner Ansicht nach eher an Erwachsene richtet – wenngleich er zeitweise anmutet, als sei er für Kinder gemacht.

Erzählt wird von einem Mädchen aus Australien – es heißt Mary –, das mit seiner ständig besoffenen Mutter nicht klarkommt und dann Briefkontakt sucht. Ihr Kontakt wird ein übergewichtiger Amerikaner namens Max, der allein in New York lebt, allerlei psychische Beschwerden aufweist und den Kontakt zu Menschen scheut. Zwischen dem Mädchen und dem über vierzig Jahre alten Mann entsteht eine Brieffreundschaft, die viele Jahre überdauert, trotz aller Krisen, und die der Film bis zu seinem traurigen und dramatischen Ende schildert.

Den Film gibt es bei einem Streamingkanal zu sehen, den wir abonniert haben; vielleicht kann man ihn auch sonstwo sehen. Ich möchte ihn empfehlen, weil er eine berührende Geschichte erzählt, die nicht nur – dank der Knetanimation – mit tollen optischen Mitteln aufwartet, sondern auch gute Briefwechsel und Dialoge bringt. Zwei ungewöhnliche Charaktere, die nicht viel gemeinsam haben, werden durch das Band einer altmodischen Brieffreundschaft verbunden.

»Mary & Max« ist eigentlich ein Märchen, aber eines von der traurigen Sorte. Ein wunderbarer Film!

28 Januar 2022

Edgar Rice Burroughs als Thema

Einer der klassischen Autoren der amerikanischen Pulp-Literatur ist Edgar Rice Burroughs. Seine Romane um Tarzan, den Herrn des Dschungels, machten ihn berühmt; er schrieb aber auch Romane, die auf dem Mars oder auf einer seltsamen Insel namens Caprona spielen. Damit schuf er moderne Legenden, die bis heute zu Filmen, Comics, Spielen und neuen Romanen inspirieren.

Das Fanzine »Neuer Stern« widmet sich dem Autor in seiner Ausgabe 76, die kurz vor Weihnachten 2021 an die Abonnenten verschickt worden ist. Auf den 56 A5-Seiten des Fanzines gibt es allerlei Artikel und Rezensionen zum Werk des Schriftstellers. Wer mag, kann ja derzeit dank eines regen Kleinverlages viele Burroughs-Geschichten in deutscher Übersetzung lesen.

Mit der Kurzgeschichte »Die Auferstehung des Jimber Jaw« liefert das Fanzine ebenfalls eine Burroughs-Geschichte. Sie wurde erstmals 1937 veröffentlicht und offensichtlich bislang nicht im deutschsprachigen Raum veröffentlicht.

Die Übersetzung ist gut, die Story sehr klassisch: Im sibirischen Eis wird ein Mann im Eis gefunden. Man taut ihn vorsichtig auf, er wird wieder lebendig. Der Mann, dem man den Namen Jimber Jaw gibt, wird nach Kalifornien verbracht, wo er sich mit dem dortigen Leben mehr oder weniger anfreundet … bis er glaubt, seine vor Jahrtausenden gestorbene Freundin in einer Hollywood-Schauspielerin wiederzufinden …

Tatsächlich ist die Geschichte immer noch lesbar, und ich finde es gut, dass sie in diesem Fanzine nachgedruckt worden ist. Ob man die Rezensionen braucht, weiß ich nicht – die Story hat mir Spaß bereitet. Sie macht das Fanzine auf jeden Fall zur lohnenswerten Lektüre.

27 Januar 2022

Was bedeutet hier PR?

»Wollen Sie auch in die City fahren?«, sprach mich ein Mitreisender an, während ich durch den Flughafen bummelte, meinen Trolley hinter mir herziehend und nach der Bahnstation suchend. »Wir können uns die Kosten teilen; das ist preiswert, und wir sind schnell dort.«

Ich hielt an, wir kamen ins Gespräch. Schon bei meinen ersten Aufenthalten in Singapur war mir die Freundlichkeit vieler Menschen aufgefallen. Das war an diesem Januar 2007 offenbar nicht anders. Und weil es vom Changi Airport in die eigentliche Innenstadt recht weit war, fand ich die Idee, nach langem Flug das Taxi zu nutzen, nicht schlecht. Wir wurden uns rasch einig, wer welche Kosten zu tragen hatte.

Mein Mitreisender stieg auf der Hälfte der Strecke aus, ich fuhr mit dem Taxi weiter. Weil ich vorne saß, kam ich mit dem Fahrer ins Gespräch, einem gemütlich wirkenden Chinesen, der ein gut verständliches Englisch sprach.

Als sein Handy klingelte, ging er ran. »Es ist meine Frau«, sagte er mit einer um Entschuldigung bittenden Miene. Ich nickte, und er sprudelte eine Mischung aus Englisch und Chinesisch in sein Handy, von der ich kein Wort verstand.

Nachdem er sein Gespräch beendet hatte, fragte er mich, woher ich komme. Ich erzählte, ich sei aus Deutschland. Er brachte die paar deutschen Worte an, die er im Laufe der Jahre gelernt hatte – »guude Tach« und dergleichen –, wir amüsierten uns gemeinsam darüber.

»Welche Sprache haben Sie eben benutzt?«, fragte ich dann. »Ich habe kein Wort verstanden. Es klang irgendwie Englisch, aber manchmal …«

Er lachte. »Ich spreche schon Englisch, aber es ist eher Singlish, unser Singapore Englisch. Und das versteht kein Mensch, der nicht in Singapur aufgewachsen ist.«

Er erzählte von Singapur. »Hier wohnen 4,5 Millionen Menschen, das ist sehr viel. Wir kommen aus allen Rassen und aus allen Religionen.« Er benutzte das Wort »race« mit einer Selbstverständlichkeit, die in Europa kaum vorstellbar wäre, die aber in Asien eine andere Wrbung hatte. »Davon sind aber nur drei Millionen echte Bürger, die anderen sind Permanent Residents, also Leute mit einer dauerhaften Aufenthaltserlaubnis.«

»Die haben dann kein Wahlrecht, oder?«

»Na ja, Wahlrecht.« Er winkte ab, Politik war offenbar nicht sein Thema. »Permanent Resident, das heißt abgekürzt PR. Manche sagen auch, das heiße in Wirklichkeit Poor Resident.«

Und er lachte erneut. Ich fiel in das Lachen ein, sagte ihm aber nicht meinen Grund. Für mich war »PR« letztlich die Abkürzung für die Science-Fiction-Serie, für die ich arbeitete. Aber weil ich im Urlaub war, wollte ich das Thema nicht weiter vertiefen.

»Wie läuft das Zusammenleben in der Stadt denn so?«, fragte ich. Bei meinen vorherigen Besuchen in der Stadt hatte ich in Little India gewohnt, in einem von Indern betriebenen Hostel; mein Blick war dadurch geprägt gewesen.

»Das ist gut, wirklich gut.« Mein Fahrer strahlte über das ganze Gesicht. Der Grund, warum es in Singapur trotz der vielen Kulturen und der vielen unterschiedlichen Menschen so friedlich sei, führte er auf einen Grundsatz zurück: »Sprechen Sie nie über Religion. Sie können Ihre Religion ausüben, aber reden Sie nicht darüber und bekehren Sie niemanden. Dann bleibt es friedlich.«

Ich fand, das klinge nicht unvernünftig, und pflichtete ihm bei. Er schien das auch auf die Politik zu beziehen, aber dazu fragte ich ihn nicht mehr.

»Schauen Sie hier«, sagte er und wies auf eine große Baustelle, an der wir vorüberfuhren. Männer mit gelben Schutzhelmen schwitzten auf einem Gerüst; sie schleppten irgendwelche Gerätschaften über die Leitern nach oben. »Das sind PR-Leute. Sie sind froh, dass sie hier eine gut bezahlte Arbeit haben. Aber es ist eine harte Arbeit, die niemand sonst in Singapur machen würde.«

Ich nickte. Soviel zum Thema volksnaher Unterricht in einer fremden Stadt, dachte ich.

Dann hielten wir auch schon vor dem Hotel an. In den nächsten Tagen und Wochen würde ich meine eigenen Eindrücke von Singapur sammeln können.

(Diesen Text schrieb ich vor genau 15 Jahren; offensichtlich wurde der – obwohl es so geplant war – nicht in meinem Blog veröffentlicht. Dann halt heute …)

Neon Bone von 2012

Ich brauchte eine Weile, bis ich es kapierte: Die Band Neon Bone aus Münster ist eigentlich keine Band, sondern das ist ein Typ allein, und er hat die 2012 veröffentlichte EP auch allein eingespielt. Damit wird dieses 77er-Gebräu, das er darauf abfeiert, umso eindrucksvoller. Im Verlauf der Zehnerjahre wurde aus dem Ein-Mann-Unternehmen allerdings eine richtige Band, die auch auf Touren ging.

Mit der »Neon Bone«-EP präsentierte die Band auf jeden Fall gleich mal fünf knarzige Stücke, die mir gut gefielen. Die Anleihen beim amerikanischen Turnschuh-Punk der 90er-Jahre sind eindeutig herauszuhören, was ja nichts Schlimmes sein muss. Die Stücke sind in englischer Sprache, sie sind durchgehend melodisch und flott; kein Weicheiergesang, keine Hardrock-Allüren.

Wer ein Herz für den alten Punk hat, der so klingt, als hätte man ihn 1977 aus der Schublade geholt und in den 90er-Jahren ein wenig überholt, der ist hier richtig. Ich habe auf jeden Fall beschlossen, mir weitere Tonträger von Neon Bone zu besorgen.

26 Januar 2022

Der zweite Wilsberg-Roman

Längst sind die Abenteuer von Georg Wilsberg im Fernsehen angekommen und dort zu einem großen Erfolg geworden. Ich habe leider erst sehr spät die Original-Romane für mich entdeckt und dieser Tage endlich den zweiten Band gelesen: »In alter Freundschaft« ist ein dünnes Buch, das flott erzählt wird, richtig Spaß macht und mich dazu bewogen hat, gleich den dritten Band zu bestellen. Mir scheint, das Lesen der Wilsberg-Krimis könnte süchtig machen.

Dabei ist der Held alles andere als eine coole Figur: Georg Wilsberg ist Privatdetektiv in Münster. In den frühen 90er-Jahren schlägt er sich mit allerlei kleinen Aufträgen durch – manchmal kommen ihm alte Freundschaften und Bekanntschaften so in die Quere, dass er sich am liebsten auf seine Briefmarkensammlung zurückziehen würde.

Der zweite Band der Serie, die der Schriftsteller Jürgen Kehrer über diesen ungewöhnlichen Ermittler verfasst hat, bringt gleich drei Fälle zusammen: Eine jugendliche Punkette ist vor den Eltern ausgerissen und nach Holland abgehauen; er soll sie zurückholen. Ein Diskothekenbesitzer, den er schon seit Urzeiten kennt, wird auf seltsame Weise bestohlen; er soll die Diebe schnappen. Und eine Frau, in die er zu Studienzeiten verliebt war, wird umgebracht – mordverdächtig ist ausgerechnet der Mann, der ihm damals die hübsche Studentin ausgespannt hat.

Wie Jürgen Kehrer die drei Fälle miteinander verknüpft und wieder trennt, wie er ganz nebenbei Blicke in die bürgerliche Gesellschaft der Stadt Münster wirft und wie er es schafft, das alles wieder aufzulösen, das wird mit viel Schreiblust und Spaß an skurrilen Charakteren erzählt und geschildert.

»In alter Freundschaft« beweist ganz nebenbei, dass Krimis auch dann wunderbar unterhalten, wenn sie ohne überzogene Charaktere oder zu viel Brutalität auskommen. Unspektakulär, aber sehr lesenswert!

25 Januar 2022

Das Humboldt-Tier kommt

Es gibt Jubiläen, die bekomme ich einfach nichtmit. Immerhin erfuhr ich heute, dass am 31. Januar 2022 ein spezielles Tier seinen siebzigsten Geburtstag feiert. Gemeint ist das Marsupilami. (Irgendwann erzähle ich mal, wie ich in einem Rollenspiel – so eine Art »Dungeons & Dragons« zu Beginn der 80er-Jahre – ein Marsupilami spielte.)

1952 wurde dieses Tier in der Serie »Spirou und Fantasio« erstmals erwähnt. André Franquin, einer der ganz großen Comic-Künstler, entwickelte das Tier und machte es zu einer unglaublich beliebten Figur. Soweit so schön.

Was ich aber echt großartig finde und worauf ich mich schon jetzt freue: Der Zeichner Flix, der mich zuletzt mit seinem wunderbaren »Spirou in Berlin« begeisterte, wird im August ein spezielles Marsupilami-Album veröffentlichen. Es wird den Titel »Das Humboldt-Tier: ein Marsupilami-Abenteuer« tragen und im Carlsen-Verlag erscheinen.

Hiermit notiert und f(lix)iert!

Schöner Kindercomic mit traurigem Hintergrund

Das fünfunddreißigste Album der »Schlümpfe« enthält ein klassisches Abenteuer der kleinen blauen Wesen – dazu gleich mehr –, aber auch eine traurige Geschichte. Der Zeichner Pascal Garray, Jahrgang 1965, der jahrelang für die Serie tätig gewesen war und noch unter dem Erfinder der Serie gearbeitet hatte, starb im Januar 2017.

Das Album enthält einen schönen Nachruf auf den Künstler sowie mehrere Seiten, die zeigen, wie aus anfänglichen Skizzen irgendwann gelungene Comic-Seiten werden. Ich fand, das war eine schöne Geste, die zeigt, dass die »Schlümpfe« als Serie längst ein Projekt sind, das die Generationen überdauert – und dass man an die jeweiligen Künstler auch erinnert.

Die Geschichte selbst ist gelungen; noch einmal zeigt sich, wie gut Garray sich in die Welt einfügte, die Peyo – sein gefeiertes Vorbild – in den 60er-Jahren erschaffen hatte. Die Zeichnungen sind akkurat und einfach zugleich; sie sprechen nach wie vor Kinder an und erfreuen die Erwachsenen. Die fabelhafte Welt der Pilzhäuser, des Zauberers, der lustigen Schlümpfe und ihres Waldes – das alles konnte Garray wunderbar in Bildern einfangen.

Da stört es dann auch kaum, dass die Geschichte manchmal einen arg pädagogischen Zeigefinger hebt. Erfunden wurde sie von Alain Jost, der die Grundlagen lieferte und die Texte schrieb, sowie Thierry Culliford, dem Sohn des großen Peyo. In »Die Schlümpfe und die lila Bohnen« geht es um gesunde Ernährung und um Bildung; das ist durchaus nett erzählt.

Zur eigentlichen Story nur so viel: Bei den Schlümpfen werden spezielle Bohnen eingeführt, die allen gut schmecken. Doch bald essen die kleinen Schlümpfe nur noch diese Bohnen, und das bringt allerlei Probleme mit sich. Anders gesagt: Es geht um falsche Ernährung und ihre Folgen – das ist dann doch ein wenig arg pädagogisch für meinen Geschmack.

Wenn man das aber ignoriert, bleibt trotzdem eine gelungene Geschichte. Ich mag die klassischen »Schlumpf«-Abenteuer am liebsten, finde aber, dass die neue Zeit genügend schöne Geschichten aufzuweisen hat. Das Album 35 gehört wegen des traurigen Hintergrunds irgendwie dazu …

24 Januar 2022

Die Friedensboten von Freudenstadt

Eine Verwandte aus meinem Geburtsort erzählte mir davon, und ich konnte es nicht glauben. In Freudenstadt sind sogenannte Friedensboten unterwegs, die zu Coronaleugner-Aufmärschen aufrufen. Im Dezember – kurz vor Weihnachten – demonstrierten sie in Baiersbronn (bekannt als Kur- und Wintersportgemeinde) vor einer Praxisgemeinschaft. Dort werden Menschen geimpft, was nicht ungewöhnlich ist; der Protest richtete sich aber gegen die Tatsache, dass auch Kinder geimpft werden.

Bei Kindern höre der Spaß auf, zitierte der »Schwarzwälder Bote« einen der angeblichen Friedensboten, die sich zu Lichtspaziergängen versammeln. Es kam zu der Demonstration, es wurden Drohungen ausgestoßen – das komplette Programm offenbar. Mittlerweile wehren sich die Ärzte; sie haben gegen viele Beteiligte dieses Aufmarsches Anzeigen erstattet.

Ich verstehe diese Leute nicht. Wenn sie sich – weil sie erwachsen sind und sich im Glauben höherer Weisheit befinden – nicht impfen lassen wollen, ist das ihre Entscheidung. Ich finde diese Entscheidung falsch, aber sie können sie treffen, wenn sie wollen. Aber warum sie Ärzte bedrohen, die ihre Pflicht tun, erschließt sich mir nicht.

(Schon klar: In ihren Augen begehen diese Ärzte ein fürchterliches Verbrechen, und dagegen muss man etwas tun. Aber das ist trotzdem nicht so richtig verständlich für mich.)

Egotronic, die Gewalt und das Jahr 2019

Ich habe in jüngster Zeit oft die Platte »Ihr seid doch auch nicht besser« gehört, die von der Band Egotronic bereits im Jahr 2019 veröffentlicht worden ist: vor der Erschütterung der Welt durch die Corona-Pandemie also, aber in einem Jahr, in dem der Vormarsch der Rechtsradikalen immer weiter zu gehen schien. Eine politische Band wie Egotronic konnte nicht zurückhaltend bleiben.

Das zeigt sich nicht nur an der Coverversion von »Nacht im Ghetto«. Der Klassiker der Hamburger Deutschpunk-Legende Razzia hat auch schon einige Jahrzehnte auf dem Buckel, ist im Original echt großartig und funktioniert in der Elektropunk-Version ebenfalls sehr gut. Man merkt, dass die Bandmitglieder selbst teilweise eine Deutschpunk-Vergangenheit haben; das Stück ist eine Verneigung vor dem Original und nicht nur der Versuch, einen alten Hit in die neue Zeit zu übertragen.

Die Band behandelt ansonsten aktuelle Themen. In »Kantholz« oder »Gewalt« geht es um den Kampf gegen Rechtsradikale, in »Linksradikale« wird nach einer starken Linken gefragt, in »Der Bürgermeister« wird’s sogar tagespolitisch. Textlich fährt man eine klare Kante: politisch auf einer »autonomen« Linie, gegen den Staat und gegen gewalttätige Strukturen, für eine revolutionäre Szene.

Meist lässt es die Band musikalisch krachen. Gitarre und Schlagzeug, dazu aber Elektrogeräusche – das alles ergibt ein furioses Gebräu, das gut ins Ohr und auch in die Füße geht. Zu diesen Stücken kann man gut Pogo tanzen, und das ist für mich ein Kriterium, das immer überzeugt. Manche Stücke sind eher ruhig, da lässt einem der Text ein wenig Zeit zum Mit- und Nachdenken.

Großartige Platte!

23 Januar 2022

Ein Manga über Streber

Ich habe schon mehrfach darüber geschrieben, dass ich mit Mangas ein Problem habe. Meist finde ich die Geschichten stilistisch wie inhaltlich nicht ansprechend. Das ist vor allem eine Frage des Geschmacks; ich bin halt mit frankobelgischen Comics sozialisiert worden und mag die immer noch am liebsten. Aber ich versuche es immer wieder mit Mangas, weil ich es schätze, über den Tellerrand zu blicken.

Zuletzt las ich »We Never Learn«; zum Gratis-Comic-Tag 2020 veröffentlichte der Verlag zu dieser Serie – die es auch schon als Anime-Serie im Fernsehen gibt – ein Gratis-Heft. Die Handlung ist schnell erzählt: Ein strebsamer Jugendlicher, der unbedingt ein Vollzeitstipendium erhalten möchte, weil er nur so seine vaterlose Familie unterstützen kann, muss zwei klugen Mädchen Nachhilfe geben. Das riecht nach sozialen und persönlichen Verwicklungen – die drei Jugendlichen rutschen in eine Mischung aus emotionalem und schulischem Stress.

Das erste Heft stellt die drei Hauptfiguren vor. Alle drei sind echte Streber; sie sind in ihren Fächern echte Experten, sie wollen immer besser werden, und sie konkurrieren mit anderen um die besten Noten. Als ich selbst noch zur Schule ging, hätte ich solche Charaktere nicht ansprechend gefunden; das scheint heute junge Leute zu interessieren. Die Geschichte geht auf jeden Fall kurzweilig los, und es ist schon klar, in welche Richtungen es weitergehen kann.

Erzählt ist das ganze flott und auch gut; wenn man halt auf Streber und ihre strebsamen Ziele steht, versteht sich … Taishi Tsutsui weiß, wie man eine Schülerkomödie erzählt, und ich bin sicher, dass solche Geschichten bei manchen Jugendlichen gut ankommen.

Künstlerisch reißt es mich nicht vom Hocker. Es sind die üblichen Manga-Zeichnungen mit weit aufgerissenen Augen und Mündern. Wer das mag, wird hier seine Freude haben. Ich komme damit, wie eingangs erwähnt, nicht sonderlich klar.

Aber hier bin ich ja auch eindeutig nicht die Zielgruppe …

21 Januar 2022

Als der Geschäftsführer sprach

In einem Buchverlag in der südwestdeutschen Provinz standen die Zeichen bei der Jahrestagung auf Sturm. Die Zahlen waren nicht katastrophal ausgefallen, waren aber auch nicht so, dass man jubeln konnte. Vertrieb und Lektorat diskutierten über die neuen Titel und machten sich Gedanken, wie man das kommende Jahr besser planen könne. Die Diskussion wogte hin und her, sie war zeitweise recht konfus.

Bis der Geschäftsführer, der am Tischende saß und zeitweise den Eindruck machte, er sei eingeschlafen, auf einmal zusammenzuckte. Er räusperte sich lautstark, und die aufgeregte Diskussion verstummte. Alle sahen ihn an.

Langsam stand er auf. »Meine Damen, meine Herren!«, sagte er betont. Es war jedem in der Runde klar, dass etwas Wichtiges kommen würde. Er sah alle der Reihe nach an.

»Ich habe mir in den vergangenen Wochen einige Buchhandlungen angesehen«, sagte er. Das hatten alle mitbekommen. Er war mit einem Block und einem Stift in verschiedenen Buchhandlungen gewesen und hatte sich Notizen über die Platzierungen von Büchern gemacht. »Dabei ist mir etwas aufgefallen, das bei uns fehlt und das wir unbedingt in unsere strategischen Überlegungen einbeziehen müssen.«

Alle lauschten gespannt: Vertrieb und Marketing, Lektorat und Werbung. Was würde nun als neues Konzept kommen? Welche geniale Idee würde die Geschäftsführung präsentieren?

Der Geschäftsführer beugte sich nach vorne, stützte beide Fäuste auf den Konferenztisch. »Wir müssen«, sagte er dann, und er betonte jede Silbe besonders stark, »wir müssen einfach mehr Bestseller machen.«

Nach dieser beeindruckenden Idee herrschte einfach Stille. Und mehr gibt es zu dieser Szene auch nicht zu erzählen …

Was wirklich wurde ...

Ich lese Zeitschriften nicht unbedingt immer gleich. Das hat verschiedene Gründe, die meisten sind terminlicher Natur. Das End' vom Lied ist oft, dass aktuelle Zeitschriften in einem Stapel versacken und von mir erst später herausgefischt werden.

So ging es der Ausgabe 10 der »turi2 edition«, die den schönen Titel »Agenda 2020« und den noch schöneren Untertitel »Was wirklich wichtig wird« trägt. Lese ich das rund 200 Seiten starke Buch im A4-Format mit dem Abstand von fast zwei Jahren, kommt es mir vor wie eine Zeitreise in ein anderes Universum.

Das Buch liefert – wie bei der Reihe üblich – einen fachkundigen Blick auf die Medienbranche. Verschiedene Menschen werden vorgestellt, es gibt Interviews und Reportagen. In allen Texten geht es im Wesentlichen um einen Blick auf das Jahr 2020: Welche Trends gibt es, welche Erwartungen hegt man, wie positionieren sich Verlage und Journalisten, Werbeleute und Marketing-Experten?

Natürlich hatte bei dieser Produktion niemand Corona im Blick; damit konnte man nicht rechnen. Und so liest sich das Buch heute ein wenig verwirrend – wie aus einer parallelen Welt. Bei der Lektüre fand ich das sogar aus genau diesen Gründen besonders spannend ...

20 Januar 2022

Croox und die NdW von 1981

»Es gibt so viel zu sagen« – hektisch hetzt die Stimme über den nach zerbrechendem Glas klingenden Synthie-Sound, in den sich eine verstimmte Gitarre und ein ruppiges Schlagzeug mengen. Leider gibt es über die Band Croox gar nicht so viel zu sagen; die Musiker machten anfangs der 80er-Jahre zwei Langspielplatten und versanken danach – zumindest für mich – spurlos im Musiker-Nirwana.

Dabei ist die Platte »Geld her« aus dem Jahr 1981 durchaus interessant. Es war die zweite Langspielplatte der Band aus Düsseldorf, und sie war extrem typisch für eine Zeit, in der sich Punk und Neue Deutsche Welle längst getrennt hatten, in der aber die NdW noch nicht das Millionengeschäft geworden war wie ein Jahr oder zwei Jahre später.

Musikalisch sind die neun Stücke echt abwechslungsreich; man spürt buchstäblich die Freude am stilistischen Experiment. Die Synthie-Töne quieken und pfeifen, das Schlagzeug klingt stets überzogen und hektisch, auch die Gitarre wirkt eher stressig. Das ist keine glattgebügelte Musik, das ist sperrig und flutscht nicht gleich ins Ohr; Stücke wie »Frisch Fleisch« sind aber durchaus tanzbar.

Bei den Texten geht es um Party, um die neue Elektronikzeit, auch mal um Liebe und vor allem immer wieder um »Moderne Krankheiten« oder »Die schnelle Mark«. Die Band und ihre Texte sind nicht politisch, aber es ist den Stücken anzuhören, dass die Musiker wussten, in welcher Welt sie lebten.

Es gibt Gründe, warum Croox auf den vielen »NdW«-Zusammenstellungen nie zu hören sind; dafür ist und war die Band nicht glatt genug. Aber die »Geld her« ist eine sehr typische Platte für das Jahr 1981, die sich auch mehr als dreißig Jahre danach noch gut anhören lässt.

Nations On Fire doppelten sich

Aus der Serie »Konzertberichte von früher, wenn wir wegen Corona eh nicht pogen dürfen«

Ausgerechnet unter der Woche veranstalteten die Aktiven im Jugendzentrum »Murgtäler Hof« ein Hardcore-Konzert. »Zu meiner Zeit wurden solche Konzerte brav am Wochenende veranstaltet«, maulte ich, während ich mit meinem Auto das Murgtal hochfuhr. Gerade noch rechtzeitig verkniff ich mir ein »früher war alles besser«.

Es war der 3. März 1993, also noch im Winter, aber die Straßen waren einigermaßen frei. Rechts und links der Straße türmte sich der Schnee, ab und zu lag Eis, vor allem in den höheren Lagen, aber ich kam gut durch.

Ich wohnte seit gut über einem halben Jahr nicht mehr in Freudenstadt, weil ich in Rastatt einen neuen Job angetreten hatte, war mit meinen alten Freunden aber immer noch verbunden. Sie hatten mich bereits in dem Dorf besucht, in dem ich derzeit wohnte, und nun wollte ich mal wieder in »meinem« alten Jugendzentrum vorbeischauen.

Ich parkte mein Auto beim Bahnhof, spazierte über die Straße, entrichtete meinen Eintritt und stellte mich an die Theke, wo ich ein Bier bestellte. In der nächsten Dreiviertelstunde war ich damit beschäftigt, mich mit Bekannten zu unterhalten und mich umzusehen.

Man hatte die Bühne an diesem Abend so aufgebaut, dass der Raum kleiner wirkte; den Trick hatte ich früher auch gelegentlich angewandt. Wenn man wusste, dass 200 oder 300 Leute kamen, musste man alles an den Rand schieben. Rechnete man mit deutlich unter 100 Besuchern, stellte man alles anders hin – die beweglichen Bühnenelemente erlaubten ein schnelles Umbauen.

Das Wetter hatte viele Leute davon abgehalten, aus anderen Städten in die kleine Schwarzwald-Metropole zu kommen. Einige Dutzend Leute hatten sich eingefunden, die meisten stammten aus der Stadt und den umliegenden Dörfern. Die üblichen Szeneleute aus anderen Landkreisen waren in der Minderheit.

An diesem Abend sollten Nations On Fire spielen. Ich hatte die Band aus Belgien schon einige Male erlebt, und ich mochte den rasanten Hardcore-Punk, den sie auf der Bühne bot. David, den Sänger, hatte ich auch schon bei anderen Gelegenheiten getroffen, unter anderem bei Demonstrationen.

Der Sänger traf kurz nach mir in Freudenstadt an; die Band kam später. Irgendwie gab es derzeit Umbesetzungen; als Schlagzeuger war Andi dabei, den ich aus Nagold kannte und der früher bei den Skeezicks gespielt hatte. Die Band wurde von Willee kutschiert: Er stammte ebenfalls aus Nagold und hatte in unserem Jugendzentrum als Zivildienstleistender gearbeitet. Wir begrüßten uns, verzichteten auf viel Blabla und ließen die Band zeitig auf die Bühne.

Ohne viel Gerede legten die Belgier los. Sie knallten ein Stück nach dem anderen ins Publikum, das sich auch nach kurzem Nachdenken zu bewegen begann. Zuerst fingen die Besucher von auswärts mit Slamdance und Pogo an, während die Freudenstädter am Rand standen und der Band interessiert zuschauten. Klar, man kannte die Belgier noch nicht und wollte sie erst einmal auf sich wirken lassen.

»Und jetzt der Freudenstadt-Effekt«, sagte ich zu Willee, als die Band ihren Hit »Dedication« schmetterte.

Die ersten Jugendlichen aus der Stadt stürzten sich ins Getümmel, nicht unbedingt mit szenetypischen Bewegungen, aber halt so, wie es ihnen gefiel. Innerhalb kurzer Zeit bildete sich vor der Bühne ein hübsches Getümmel, in dem gelegentlich geschubst wurde, aber kein derber Pogo entstand.

Nach nicht einmal einer Stunde war das Konzert vorüber. Die Band hatte mit voller Energie gespielt und wirkte schon ein wenig erledigt. Aber das Publikum johlte und klatschte und war so begeistert, dass die Band eine Zugabe nachschob und dann noch eine und noch eine.

»Die spielen das ganze Konzert noch einmal«, sagte Willee staunend zu mir.

Tatsächlich wurden im Prinzip alle Stücke ein zweites Mal gespielt, nur in einer anderen Reihenfolge. Die Band machte Witze, sie wirkte locker und nicht so politisch angespannt wie bei anderen Gelegenheiten. Der bratzige Hardcore-Sound wirkte an diesem Abend ohnehin punkiger und bereitete einen größeren Pogo-Spaß.

Mir gefielen Nations On Fire an diesem Abend absolut gut, dem Publikum auch. Die Leute tanzten und hüpften, sie johlten und applaudierten, und sie bewiesen, dass auch ein kleines Publikum eine bombastische Stimmung erschaffen konnte.

Ich sah die Band auf dieser Tour dreimal, und das Konzert in Freudenstadt war das beste: energiegeladen und fröhlich, eine richtig gute Party.

Als ich hinterher auf die Straße trat, verschwitzt und bester Laune, war der Himmel schwarz. Schneeberge lagen überall, und es würde noch sehr kalt werden. Es wurde Zeit, dass ich wieder das Tal hinunterfuhr …

19 Januar 2022

Erschütternde Chronik einer grausigen Zeit

Man kann sich diese Zeit heutzutage nicht mehr vorstellen: Anfang Mai 1945 war das sogenannte Dritte Reich militärisch längst geschlagen. In den Resten zerbombter Städte regierten aber noch die alten Nazis, an den Fronten wurde teilweise erbittert gekämpft, und Millionen von Ausgebombten, Flüchtlingen, KZ-Häftlingen und Kriegsgefangenen irrten in langen Kolonien durch Deutschland.

Volker Ullrich gibt in seinem Buch »Acht Tage im Mai« einen Einblick in eine Zeit des Chaos und der Erleichterung. Der Journalist und Sachbuchautor stellt Tag für Tag dar, was sich während dieser Zeit abspielt. Er erzählt von den Auseinandersetzungen an den letzten Fronten, wobei er auch einige eher unbekannte Schauplätze zeigt: der Endkampf um Berlin, das Ringen um Breslau, die Waffenstillstandsverhandlungen in Italien, die verzweifelten Versuche deutscher Soldaten, lieber bei den Westmächten als bei den Sowjets in Gefangenschaft zu geraten.

Ullrich spart nichts aus, weder das brutale Vorgehen der SS-Truppen, die in diesen Tagen noch Zigtausende von Häftlingen auf mörderische Todesmärsche jagen, noch die Vergewaltigungen der Sieger in Ost und West. In klaren Worten schildert er, wie die verbrecherische Reichsführung noch bis in die letzten Stunden um Macht und Einfluss kämpft und wie Feldmarschälle und Minister sich den neuen Machthabern andienen, während gleichzeitig Millionen um ihr Überleben kämpfen.

Das Buch hat nicht nur eine zeitliche Dimension, sondern eigentlich drei – der Autor blickt nämlich anhand einzelner Personen sowohl vor als auch zurück. So zeigt er beispielsweise an der Person von Helmut Schmidt dessen Vergangenheit als Wehrmachtsoffizier, der nie durch Widerstandsgedanken aufgefallen war, sowie seine spätere politische Karriere. Ebenso stellt er dar, wie fanatische Nazis nach dem Krieg recht schnell wieder zu Amt und Würden kamen – sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR.

In seinen Beschreibungen bleibt der Autor bemerkenswert nüchtern und zurückhaltend, journalistisch eben. Er verzichtet auf die detaillierte Darstellung von Grausamkeiten, sondern erzählt sachlich und trotzdem so, dass man bereitwillig folgt. Das Buch lässt sich sehr flüssig lesen, es verzichtet auf übertriebene Fremdwörter oder umständliche Satzkonstruktionen. Das Thema steht im Vordergrund, und dem ordnet sich alles andere unter.

»Acht Tage im Mai« ist eine Chronik, die in überschaubarer Weise einen Blick auf den Untergang des sogenannten Dritten Reiches wirft. Auch wenn man sich – wie ich – mit den historischen Details ganz gut auskennt, wird man doch viele neue Details entdecken. Ein spannendes Buch, das sich solche Leser ebenfalls zu Gemüte führen können, die noch nicht so viel über die historische Epoche wissen!

Seit März 2021 gibt es zu diesem Buch eine Taschenbuch-Ausgabe Nach wie vor gibt es die Hardcover-Ausgabe aus dem Verlag C. H. Beck.

18 Januar 2022

Packende Mischung aus Historie und Phantastik

Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg neigt sich dem Ende zu. Versprengte britische Truppen terrorisieren in abgelegenen Gegenden der Vereinigten Staaten vielleicht noch ein abgelegenes Dorf, ansonsten ist Ruhe eingekehrt. Als der US-Captain Ulysses McHendricks erfährt, dass seine Heimatgemeinde von Briten besetzt worden ist, entschließt er sich zu einem riskanten Rettungsmanöver.

So beginnt die Comic-Serie »Ulysses 1781«: angelegt wie ein gewalttätig-historisches Abenteuer, das in den Wäldern von Neuengland spielt. Doch schnell scheint sich die Serie in Richtung Phantastik zu entwickeln ...

Hierzulande hat der Splitter-Verlag die ersten zwei Bände der Serie veröffentlicht, als schöne Hardcover-Bände, wie sich das gehört. Sie bilden den ersten Zyklus, tragen die Titel »Der Zyklop 1« und »Der Zyklop 2« und sind damit offenbar der Auftakt zu einer großen und auch ziemlich hart erzählten Odyssee.

Ulysses und seine Leute wollen sich mit einem Schiff, das sie auf Rädern transportieren, quer durch die Wälder schlagen, um einen Fluss zu erreichen. Von dort aus wollen sie den Briten in den Rücken fallen. Unterwegs werden sie von Irokesen angegriffen, es kommt zu heftigen Kämpfen. Doch als sie eine Schlucht durchqueren wollen, treffen sie auf einen viel schlimmeren Gegner.

Dieser erweist sich als sogenannter Wendigo: ein riesenhafter Indianer, eigentlich ein monströses Wesen, das praktisch nicht zu töten ist. Während der Wendigo die amerikanischen Truppen reduziert, erährt Ulysses mehr über die Vergangenheit des Tales. Und bereitet sich auf den Endkampf vor ...

»Ulysses 1781« ist eine spannend gemachte, mitreißend erzählte Geschichte. Xavier Dorison weiß, wie es geht; der Autor hat schon viele Comics geschrieben. Seine Charaktere sind klar, seine Erzählung eines düsteren Kampfes recht brachial. Ich bin sehr gespannt, wie er seine Western-Version des klassischen Odysseus-Mythos weiter erzählen wird.

Eric Hérenguel ist ebenfalls kein Unbekannter. Seine Bilder sind drastisch, sie wirken stets sehr realistisch, sowohl bei der Action als auch bei Dialogen, bei den eindrucksvollen Landschaften und dem monströsen Wendigo.

Der erste Zweiteiler von »Ulysses 1781« ist sehr spannend gemacht, er steigert die Neugierde auf eventuelle Fortsetzungen. Wer Action und Phantastik mag und sich von manchmal derber Realitätsnähe nicht zu sehr schrecken lässt, sollte auf jeden Fall die Leseprobe auf der Internet-Seite des Splitter-Verlages anschauen.

17 Januar 2022

Comics verkaufen sich besser als gedacht

Dieser Tage sprach ich mit jemanden, der in der Comic-Branche sein Geld verdient. Wie er mir erzählte, habe er im vergangenen Jahr sehr ordentliche Verkaufszahlen verzeichnet. Das Geschäft laufe gut, Comics seien ein positives Thema im Buchhandel. In Zeiten, in denen sonst viel gejammert wird, höre ich so etwas ja gern.

In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift »buchreport.express« werden dazu aktuellen Zahlen geliefert, die ich gern glauben will. Comics zählen im Buchhandel zur Belletristik und werden dort mitgezählt. Insgesamt hat sich der Bereich Belletristik im Jahr 2021 ganz gut behaupten können.

Im Schnitt hat die Belletristik um sechs Prozent zugelegt (auch deshalb, weil schlicht die Preise gestiegen sind), der Bereich Science Fiction und Fantasy übrigens sogar um neun Prozent. Das ist respektabel, wenn man bedenkt, dass die Science Fiction derzeit kein Boom-Thema ist, dass viele Science-Fiction-Titel eher als Krimi oder allgemeiner Roman veröffentlicht werden oder dass die Fantasy häufig beim Jugendbuch gelistet wird.

Der gesamte Comic-Bereich hat nach dieser Statistik allerdings um sage und schreibe 58 Prozent zugelegt. Schlüsselt man nach Manga und Comic allgemein aus, sieht es immer noch spannend aus: Die Mangas haben ein Plus von 75, die allgemeinen Comics ein Plus von 30 Prozent. Bei den Mangas vermuten die Experten den werblichen Effekt durch viele neue Anime-Serien, bei den Comics sind sicher Bestseller wie »Asterix« von großer Bedeutung.

Klar kann man eine solche Statistik kritisieren. Wie werden Amazon und Co. dazu im Vergleich gerechnet; werden Verkäufe im Kaufhaus mitgezählt oder nicht? Aber insgesamt halte ich das für eine positive Entwicklung; der Comic scheint in Deutschland langsam einen stärkeren Stellenwert zu bekommen.

SoKo Mettigel machen Dienst nach Vorschrift

Eine neue Punk-Band aus Hamburg macht Musik, die aus den 80er-Jahren stammen könnte: In den vergangenen Tagen hörte ich sehr oft die CD »Dienst nach Vorschrift« der Band SoKo Mettigel, die sich erst im Frühjahr 2020 gegründet hat. (Die LP-Version soll in diesem Frühjahr folgen, die werde ich mir dann wohl besorgen müssen. Die schön gestaltete CD erschien im Januar 2022.)

Was die dreiköpfige Band macht, lässt sich mit dem Begriff Deutschpunk ganz klar umschreiben. Bass, Gitarre, Schlagzeug und ein rauer Gesang bilden eine Einheit, die auch die gesamte Platte gut trägt. Der Sound rumpelt angenehm, die Melodien sind schroff und knackig. Auf Anleihen an Metal oder Emo wird großzügig verzichtet, das hier ist wirklich »nur« Punk.

Die Texte sind recht erwachsen. Es geht erstaunlich oft um das Leben mit Arbeit und in der Gesellschaft; das ist nicht die Perspektive rotziger Teenager, sondern von Leuten, die tagtäglich ihre Brötchen verdienen müssen. »Kohle scheffeln, kaufen, du bist Teil des Problems / bloß kein Meter laufen, Sklave des Systems« heißt es beispielsweise.

Sarkastisch ist der Blick auf die Heimatstadt Hamburg, die in »Sojalattefluten« als eine »Touristenattraktion« bezeichnet wird. Die letzten Refugien widerständischer Kultur werden zum Widerstand aufgerufen, über das Schanzenviertel heißt es kritisch: »Schanze, verreck doch, du bist nicht mehr mein Kiez«.

Die Band ist also sowohl textlich wie auch musikalisch in der klassischen Deutschpunk-Tradition verhaftet. In Zeiten, wo viele Punk-Bands wirken, als wollten sie den intellektuellen Deutsch-Pop auf schlaumeierische Weise überholen, ist so eine inhaltliche Konsequenz durchaus wohltuend. Klar: Die Platte erfindet Punk nicht neu, aber das will die Band sicher nicht.

Ich meine: Wer klassischen Deutschpunk mag, wird sich hier wiederfinden.

16 Januar 2022

Fußballer in grobem Zeichenstil

Oskar Rohr war ein großer Fußballspieler, der in den dreißiger Jahren die Massen begeisterte. Er spielte für den FC Bayern München und später für Straßburg. Während des Krieges verlief sein Leben sehr wechselvoll, und manchmal lässt sich nicht klar nachvollziehen, auf welcher Seite er wirklich stand.

Im Carlsen-Verlag erschien eine Comic-Biografie über den Fußballer, die es 2020 auch auszugsweise als Gratis-Comic-Heft gab. Und das habe ich mittlerweile gelesen. Der in Münster geborene und in New York lebende Autor Julian Voloj machte aus der Biografie des Fußballers eine packende Geschichte, der polnische Zeichner Marcin Podolec setzte sie in Bilder um.

Soweit die Fakten. Mit der Beurteilung des Heftes tu‘ ich mich schwer. Die Geschichte klingt extrem spannend, wenn man sie in der Wikipedia liest. Im Comic wird sie dröge und vorhersehbar präsentiert: Ein Junge, der gern Fußball spielt, wird gegen den Wunsch seiner Eltern erfolgreich. Das wird nicht einmal beinharte Fußballfans fesseln, fürchte ich.

Künstlerisch kann ich mit dem Heft übrigens auch nichts anfangen. Podolec hat einen Stil, der mich an klassische Radierungen erinnert; die Bilder wirken, als habe man sie aus dem Karton herausgeschabt. Das sieht nicht schlecht aus, gleichzeitig aber so »anspruchsvoll« wie schlecht, wie ein schlampig gezeichneter Amateur-Comic.

Das ist dann leider nicht meine Tasse Bier.

15 Januar 2022

Zwei Tage, zwei Kundgebungen

Ich bekomme nicht sonderlich viel mit von dem, was in der Innenstadt von Karlsruhe vor sich geht. Das liegt vor allem daran, dass ich keine örtliche Tageszeitung abonniert habe. Ich bin also darauf angewiesen, mir gelegentlich selbst mal ein Bild zu machen. Und so sah ich gestern und heute jeweils eine Demonstration in der Innenstadt.

Als ich gestern am frühen Abend mit dem Rad aus der Innenstadt in Richtung Weststadt unterwegs war, kam ich am Stephansplatz vorbei. Etwas mehr als hundert Leute hatten sich um einen Lautsprecherwagen versammelt, ich erkannte einige wenige Plakate und ein großes Transparent. Polizei stand bereit, zwei oder Dutzend Beamte.

Neugierig radelte ich näher. Es lief Musik, das Stück hieß »Sommer der Freiheit« und klang nach deutschsprachigem Pop-Rock der 80er-Jahre. Es ging um Einheit und Freiheit und dass man zusammenhalten müsse. Die wenigen Schilder wiesen darauf hin, dass sich hier »Freiheitsfreunde« versammelt hatten, um gegen die »Corona-Diktatur« zu protestieren.

Ich überlegte mir kurz, eine Ein-Mann-Gegendemonstration zu beginnen, ließ es dann aber sein. Kurz musterte ich noch einen sportlich aussehenden Mann mit schwarzer Jacke und sehr weiter Jeans, der am Rand stand und aus einer Bierdose trank, ordnete ihn zu den Kameraden der anderen Seite ein und fuhr heim.

Heute war ich ein wenig früher dran; es war gegen 18 Uhr. Die Fußgängerzone war eine einzige Demonstration: Rechts und links reihten sich Rettungsfahrzeuge aneinander, dazwischen standen Leute von Krankenhäusern und Rettungsdiensten, Notärzte und Leute vom Arbeiter Samariter-Bund.

Die Demonstration war still, niemand rief Parolen. Einzelne Leute hatten Plakate in der Hand, auf denen »Die Pflege stirbt« oder »Impfen statt Schimpfen« stand; viele hatten Lichter in den Händen. Ich fand es würdevoll und gleichzeitig ein wenig unheimlich – die vielen Leute in der Fußgängerzone, die einen Einkaufsbummel unternahmen, liefen quasi Spalier zwischen der Demonstration.

An diesem Tag hätte ich vielleicht eher noch bleiben sollen, um an dieser Demonstration teilzunehmen. Aber ich hatte noch Dinge eingekauft, die ich in einer Tragtasche mit mir führte – die dümmste aller Ausreden! –, und musste heim …


14 Januar 2022

Anspruchsvolle deutsche Lyrik

Wenn ich mir in den 80er- und 90er-Jahren in Punkrock-Kreisen nicht unbedingt Begeisterung und Freundschaften einheimsen wollte, machte ich Witze über die Texte deutscher Bands. Das erfreute meine Gegenüber nicht unbedingt. Aber heute komm mir manches Geläster von früher recht unfair vor.

Ich erinnere mich noch gut an die Band Zusamm-Rottung, die aus Ostberlin stammte und ruppigen Deutschpunk spielte. Unvergessen der Reim mit »Game Over« und »Hannover«, über den ich mich gern lustig machte. Ich erinnere mich an einen Tisch, an dem ich auf der einen Seite saß und die Musiker der Band auf der anderen, und ich stand kurz davor, mir ein paar ordentliche Klapse einzufangen.

Seit ich aber gezwungenermaßen viel Radio hören muss – weil ich keinen CD-Player mehr im Auto habe –, höre ich viel von dem, was man als deutschsprachige Popmusik bezeichnet. Also keinen deutschen HipHop, den ertrage ich schon musikalisch nicht. Auch keine deutschen Schlager, das geht sowieso nicht.

Aber vieles von dem, was an angeblich guter oder gar anspruchsvoller Popmusik mit deutschen Texten im Radio läuft, hat unterirdisch schlechte Texte. Es schüttelt einen innerhalb kürzester Zeit; von den jammerigen Stimmen mancher Barden ganz zu schweigen.

Zuletzt hörte ich versehentlich die Band Glasperlenspiel, die aus Gründen, die mir nicht einleuchten wollen, als gut gilt. Das Stück »Geiles Leben« verblüfft mich nicht nur wegen der textlichen Schlichtheit, sondern auch wegen der durchgehend schlechten Nicht-Reime: »Ich wünsch' dir noch 'n geiles Leben / Mit knallharten Champagnerfeten.«

Wenn ich einen Wunsch hätte, den man eigentlich leicht erfüllen könnte: Schenke doch jemand all diesen neuen deutschen Liedermachern und Popmusikanten ein Reim-Lexikon! Damit zumindest ein Hauch von »gutem Deutsch« bei der ach so anspruchsvollen deutschsprachigen Pop-Musik genutzt wird. Wo ist der Verein zur Förderung der deutschen Sprache, wenn man ihn braucht?

Meinetwegen sollen die Musikanten sogar das Reim-Lexikon erhalten, das von Zusamm-Rottung benutzt wurde. So schlecht wie manch aktuelles Deutschpop-Gejammer im Radio war nicht einmal der schlechteste Deutschpunk der 80er-Jahre.

Werwolf-Heckmeck

Werwölfe und Vampire und dazwischen ein Inspektor von Scotland Yard: Zuletzt war das Hörspiel »Werwolf-Omen« in meinem CD-Player, die Folge 139 der »John Sinclair«-Serie, und wieder fand ich es zwar unglaublich trashig, aber eben auch charmant und unterhaltsam.

Die Geschichte beginnt mit einem Telefonat. John Sinclair sitzt im Auto, fährt durch die Nacht und telefoniert mit seiner Freundin – das kann ja nicht gut gehen. Eine Frau springt ihm buchstäblich vors Auto, und als er nachguckt, ist sie verschwunden. Wie sich kurze Zeit später herausstellt, ist sie offensichtlich ein Werwolf …

Das ist der Ausgangspunkt für eine Geschichte, in der es ziemlich viel Hin und Her gibt. Eine Bande von Werwölfen entführt einen Vampir, ein Zug rast durch die Nacht, Sinclair ballert mit Silberkugeln durch die Gegend, und ein magischer Bumerang wird eingesetzt. Ich finde das nicht gruselig, zumindest entwickle ich keinerlei Schrecken; die Art und Weise der Handlung erinnert eher an heftromanige Fantasy.

Wie immer ist das Hörspiel gut gemacht. Dennis Ehrhardt und sein Team machten aus einem Heftroman, der 1985 erstmals erschienen war, ein packendes Hörspiel, bei dem mich seltsamerweise nicht stört, wie schlicht die Handlung manchmal verläuft.

Die Dialoge sind gut, die Figuren wirken so glaubhaft, wie das in diesem Umfeld halt funktioniert, und dadurch entsteht eine temporeiche Geschichte, die ich gern angehört habe. Der Titel »Werwolf-Omen« klingt nicht sonderlich sinnvoll, was mich nicht gestört hat – insgesamt ein typisches »John Sinclair«-Hörspiel im positiven Sinn …

13 Januar 2022

Der vierte Teil einer EP-Serie

In den späten 90er-Jahren veröffentlichte das kleine, aber feine Label 69 Records eine Reihe von kleinen Platten, die unter dem Gesamttitel »A Tribute To The Spirit Of 69« standen und – was bei diesem Titel niemanden überraschen dürfte – sehr klassischen Skinhead-Reggae brachten. Ich hörte mir dieser Tage mal wieder die Folge vier der Reihe an.

Vier angenehme Stücke sind enthalten; nicht lahm, sondern auf ihre Art durchaus schwungvoll. Weit entfernt von dem, was ab Ende der 70er-Jahre unter Ska oder Skinhead-Sound galt, sondern mehr in die klassische Reggae-Richtung gehend. Die Platte kam im Sommer 2001 heraus, da war diese Musik schon altmodisch, und sie ist es immer noch. Das macht aber nichts, weil sie auf ihre Art eben zeitlos ist.

Mit Millie Small ist eine Sängerin vertreten, die zu den Klassikern dieser Musikrichtung gilt, die 1947 geboren wurde und 2020 leider schon verstorben ist. Damit ist diese kleine Platte sogar ein musikalisches Erinnerungsstück. 

Die Soulsteppers oder The Mood waren zeitweise innerhalb der Szene ein bisschen populär – somit ist das eine schöne Platte, die vier unterschiedliche Versionen einer Stilrichtung präsentiert, die nie in Gefahr stand, vom Mainstream aufgesogen zu werden …

Nie mit dem Kurbähnle

Als ich ein Kind war und in Dietersweiler wohnte, war es stets eine besondere Angelegenheit, nach Freudenstadt zu fahren und durch die Stadt zu spazieren, brav an der Hand meiner Eltern, wie sich das gehörte. Staunend sah ich bei dieser Gelegenheit oft dem »Kurbähnle« nach, wie es durch die Straßen der kleinen Stadt rollte: zwei bis drei Wagen, gezogen von einem VW.

Der Fahrer erläuterte den Passagieren, die in den Wagen saßen, die Sehenswürdigkeiten der Stadt, zeigte ihnen den Marktplatz und das Kurmittelhaus, den Kienberg und den Palmenwald, fuhr ein wenig durch die schmalen Wege des nahen Schwarzwaldes und durch die schmalen Straßen wieder zurück. Es war etwas, das vielen Urlaubern gefiel; vor allem im Sommer war das Kurbähnle gefüllt mit den Kurgästen, die meist »aus dem Ruhrpott« kamen, was sich für uns Kinder so anhörte wie ein finsteres Land mit Kohledampf und Eisenglut.

Das Kurbähnle wurde 1962 eingeführt. (Das Foto, das ich hier zeige, ist aus dem Jahr 1982 und wurde zum zwanzigsten Jubiläum auf eine Postkarte gedruckt.) Für den aufstrebenden Kurort Freudenstadt war das damals eine tolle »Maßnahme«.

Ich selbst durfte nie mit dem Kurbähnle fahren, obwohl ich es als Kind gern wollte. Meinen Eltern waren die zwei Mark – oder wieviel es wirklich kostete – einfach »rausg’schmissenes Geld« und schleppten mich lieber auf endlose Spaziergänge und Wanderungen durch Berg und Tal, Wald und Wiese.

Als ich älter wurde und es mir hätte leisten können, war mir das Kurbähnle zu uncool. Ich wohnte einige Jahre in der Nähe des Freudenstädter Marktplatzes, und mir wäre es peinlich gewesen, in einem solchen Wagen durch die Stadt kutschiert zu werden.

Vielleicht hätte ich es tun sollen. Längst wohne ich nicht mehr in Freudenstadt. Und ob es das Bähnle noch gibt, weiß ich gar nicht …