30 Juli 2020

Disco Vietnam bollern

Viel ist mir über die Berliner Band mit dem schicken Namen Disco Vietnam nicht bekannt. 2009 brachte die Band ihre erste EP bei Search Of Fame Records heraus, limitiert auf 250 oder 300 Exemplare, sprich, das war ausschließlich für Fans und Sammler bestimmt. Seither folgte, wenn ich das richtig sehe, eine weitere kleine Platte.

Seien wir fair: Das ist keine Musik, die man unbedingt braucht, weil sie besonders originell wäre. Die vier Männer der Band poltern sich durch vier Stücke, in denen es eben Hardcore-Punk der rüpeligen und ruppigen Art gibt. Der Sänger brüllt, die Band schrubbt, die Texte sind in englischer Sprache,

Und die sind dann sarkastisch und zynisch; »typisch Punk« eben. Ich zitiere aus dem Stück »Neon Angst« eine Zeile: »Generation Z last dance on the sinking ship ...«, und so geht's dann weiter. Mit ihren vier Stücken markiert die Band eben den Zeitgeist – wie das Punk und Hardcore im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte oft gemacht haben.

Nochmal: nicht originell, aber konsequent. Vier Stücke, die knallen und scheppern ... Disco Vietnam hat echt was!

Der Benzinger Berg als Zentrum

Manchmal bekomme ich nostalgische Anfälle, was am Alter liegen muss. Dann sehe ich mir auf Google Maps an, wo ich mich als Kind herumgetrieben habe. Was damals riesenhafte Dimensionen hatte, wirkt heute so klein. Das merke ich ebenfalls, wenn ich – selten genug! – mein Heimatdorf besuche und beispielsweise mit meiner Schwester zum Friedhof spaziere und von dort »hinten raus« auf die Felder.

Das war alles unser »Revier«. Während der Ferien tagsüber oder während der Schulzeit nachmittags waren wir Kinder der Kontrolle der Eltern entzogen. Wir gingen aus dem Haus, wir trafen uns mit Freundinnen und Freunden – Mädchen und Jungs waren insofern gleichberechtigt, dass sie alle gleichermaßen »den Arsch voll« bekamen, wenn sie mit zerrissenen Klamotten heimkamen – und streunten durch die Gegend.

Das Gelände der Lehmgrube, die heute als Landschaftsschutzgebiet Benzinger Berg bei Google Maps zu finden ist, war unser Zentrum. Wir stromerten ebenso durch die Wälder der Umgebung, bauten Hütten an Bächen und unter Bäumen, trugen unsere Konflikte mit anderen Banden aus und kamen erst Stunden später wieder heim. Wir waren oft zersaust und dreckig, hungrig und durstig sowieso – aber irgendwie glücklich.

Im Nachhinein bin ich oft fassungslos, wenn ich darüber nachdenke, wie wenig uns die Eltern beaufsichtigten. Man verließ sich wohl darauf, dass schon nichts passieren würde. Bei irgendwelchen Klettereien in Lehmgruben und Steinbrüchen, an Bächen und auf Bäumen hätte sehr wohl einiges passieren können. Aber als Kind glaubt man in gewisser Weise ja, unsterblich zu sein.

Es war mir damals sicher nicht bewusst. Aber heute weiß ich, wie dankbar ich meinen Eltern sein müsste, eine so schöne Kindheit, auf den Wiesen und in den Wäldern rings um Dietersweiler gehabt zu haben!

29 Juli 2020

Colette und Keira

Es gibt Autoren- und Autorinnennamen, die kenne ich, ohne von den Leuten jemals etwas gelesen zu haben. Dazu zählt unter anderem Colette. Ich wusste, dass das eine wichtige Autorin aus Frankreich war, und das war es schon. Deshalb wollte ich eigentlich den Kinofilm »Colette« anschauen, als dieser 2019 in die deutschen Kinos kam, verpasste ihn aber. Immerhin sah ich ihn jetzt im Streaming-Portal.

Die Geschichte beginnt Ende des 19. Jahrhunderts. Colette – gespielt von der bekannten Schauspielerin Keira Knightley – ist eine junge Frau vom Land, die sich in einen Schriftsteller verliebt, der den Künstlernamen Willy trägt und viele Autoren unter seinem Namen für sich arbeiten lässt. Er unterhält gewissermaßen eine Schreibfabrik.

Für jemanden wie mich, der sein Geld damit verdient, dass er Autorenteams betreut, war das ein schöner Einblick. Wie Colette dazu kommt, auch eigene Geschichten zu schreiben, die dann unter dem Pseudonym ihres Mannes erscheinen und trotzdem erfolgreich sind, muss ich an dieser Stelle nicht im Detail erzählen. Das steht eh alles bei Wikipedia und sonstwo.

Ich fand die Geschichte einer werdenden Autorin hochspannend. Die geschichtliche und kulturelle Entwicklung im Frankreich zwischen 1900 und dem Ersten Weltkrieg war interessant erzählt, die frivolen Anwandlungen der Autorin immer wieder gut ins Bild gerückt. Wenn man sich überlegt, wie Leute heute noch auf »Pride«-Paraden und ähnliches reagieren, kann man sich vorstellen, dass es damals einen riesigen Aufschrei auslöste, wenn sich zwei Frauen auf einer Bühne küssten.

Der Film erzählt nicht das gesamte Leben der Autorin, sondern hört nach der Trennung von ihrem Mann auf. Er gab mir einen spannenden Einblick in das Leben einer Autorin, und ich würde sagen, dass er für alle Schriftsteller_innen und Leute im Literaturbetrieb interessant ist, sicher auch für Menschen, die das Thema Emanzipation in all seinen Facetten schätzen. Sehenswert!

Phantastik aus dem Ruhrgebiet

Am Ende ist die Katastrophe vollkommen: Das Ruhrgebiet ist buchstäblich abgesoffen, ein breiter Meeresgraben teilt Europa in zwei Hälften. So endet die originelle Geschichte »Teufe«, die Rainer Schorm verfasst hat. Ich las sie erst dieser Tage – das Buch »Der Basilikumdrache« wurde bereits 2011 veröffentlicht, lag bei mir lange in einem Stapel herum, und jetzt erst kam ich zur Lektüre.

Die Geschichtensammlung ist in einem schicken Hardcover-Band erschienen, wurde von Bartholomäus Figatowski veröffentlicht und präsentiert elf Geschichten, die allesamt im Ruhrgebiet spielen. Und natürlich weisen sie phantastische Elemente unterschiedlichster Natur auf, mal mehr in den Horror hineinreichend, mal eher klassische Science Fiction formulierend.

Die Titelgeschichte beispielsweise ist das, was man als Phantastik bezeichnen könnte: Regina Schleheck fabuliert vom Basilikumdrachen, der sich im Ruhrgebiet versteckt – eine amüsante, augenzwinkernde Geschichte. »Glück auf!« von Achim Hiltrop ist gewissermaßen das Gegenstück, eine düstere Geschichte, die in einer fernen Zukunft spielt, in der eine Katastrophe das Ruhrgebiet verwüstet hat, man aber trotzdem Bergbau betreibt.

Das Buch ist im Verlag Nicole Schmenk erschienen, in einer auffallenden Gestaltung, die man sich gern ins Bücherregal stellt. Nicht alle Texte konnten mir gefallen; manche bauen zu sehr auf eine Pointe, manche empfinde ich als lasch. Aber sie präsentiert eine Reihe von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren, die ihre Sicht auf das Ruhrgebiet in unterhaltsamer und stilistisch sauberer Weise präsentieren.

Obwohl das Buch schon einige Jahre auf dem Buckel hat, kann man es bei den verschiedenen Online-Versandhändlern immer noch bestellen. Ich möchte die originelle Textsammlung denen empfehlen, die gerne Phantastik aus deutschen Landen mögen, nicht nur jenen, die gern mal einen ungewöhnlichen Blick auf das Ruhrgebiet werfen möchten.

28 Juli 2020

Gesamtausgabe für einen Colonel

Es hat einige Zeit gedauert, aber mittlerweile hab ich es geschafft: Die Gesamtausgabe von »Percy Pickwick«, veröffentlicht im Toonfish-Verlag, steht komplett bei mir daheim im Regal, und ich habe sie ebenso komplett gelesen. Der Comic-Klassiker, der hierzulande nie zu einem Bestseller wurde, zählt für mich zu den gelungensten Beispielen des »Funny«-Stils, weshalb ich ihn ausdrücklich empfehlen möchte.

Die Serie hat eine lange Geschichte, die bereits in den fünfziger Jahren begann. Verschiedene Zeichner und Autoren beschäftigten sich mit dem ehemaligen britischen Colonel, der im Original den Namen Clifton trägt. Die erfolgreichste Phase des Comics war in den 70er-Jahren, als der Zeichner Turk und der Texter Bob de Goot für die Detektivgeschichten verantwortlich waren. Nach längerer Pause entstanden zuletzt neue Abenteuer mit dem britischen Exzentriker.

Tatsächlich wurde die Serie hierzulande anfangs unter dem Originaltitel »Colonel Clifton« veröffentlicht. Später wurde sie auf »Percy Pickwick« umgetauft – warum auch immer –, und unter diesem Titel wurden die Alben veröffentlicht. Die Neuausgabe im Toonfish-Verlag folgt der französischen Gesamtausgabe, wird aber hierzulande durch Kurzgeschichten und andere Details ergänzt.

So entstand eine sechs Bände umfassende Prachtausgabe, die ich nur loben kann. Enthalten sind neben den jeweiligen Geschichten viele redaktionelle Ergänzungen, die Hintergründe liefern. Dazu zählen Fotos aus der alten Zeit, Skizzen der Künstler, Auszüge aus Interviews, alte Titelbilder und zahlreiche andere Details, die ich mit großem Interesse gelesen und betrachtet habe.

Was ich an der Serie schätze, sind nicht nur die liebevollen Zeichnungen: Ich mag Comic-Figuren mit großen Knollennasen, und ich liebe auch den Slapstick-Humor, den vor allem die Comics der früheren Jahrzehnte verbreiteten. Aber die Serie lebt auch von den gelungenen Geschichten, vom ironischen Blick auf die angeblich so typisch-englische Lebensart, von den skurrilen Fällen, von dem wunderbar stinkstiefeligen Colonel und seiner Haushälterin.

Klar, man muss einen generellen Spaß daran haben, solche Geschichten zu lesen. Wer aber beispielsweise »Asterix« oder »Lucky Luke« schätzt, könnte am Stil von »Percy Pickwick« ebenfalls große Freude haben. Mein Tipp: die Leseproben auf der Internet-Seite des Verlages – das hilft schon mal weiter.

In meinem Comic-Regal hat die Reihe einen schönen Platz bekommen: in direkter Nähe zur Carl-Barks-Ausgabe und zu den Klassikern des frankobelgischen Humors.

27 Juli 2020

Eine Dreiviertelstunde Interview

Es war kein einfaches Gespräch: Roman Schleifer interviewte mich während der PERRY RHODAN-Online-Woche. Dabei ging es vor allem um die unterschiedlichen Aspekte meiner Arbeit, also auch um die Art und Weise, wie unsere Redaktion arbeitet oder warum eine gewisse Figur in unserer Serie angeblich ums Leben gekommen ist. Die Fragen waren kritisch, und ich antwortete so ehrlich wie möglich.

Das Gespräch wurde über Zoom geführt; ich saß dabei im Wohnzimmer, während Roman Schleifer von Wien aus fragte. Danach lud er es – in Absprache mit mir – bei YouTube hoch. Und dort kann man sich jetzt angucken, wie ich mich streckenweise winde wie ein Aal und wie ich manchmal versuche, seriös zu wirken. Fast eine Dreiviertelstunde lang ist das Interview. Wer sich das also antun will ...

Hardrock mit 80er-Jahre-Kante

Von Sheer Mag hatte ich bislang nichts gehört – was nicht weiter verwundert: Das Quartett aus Philadelphia hat seine zweite Platte im Februar 2020 veröffentlicht, und es macht nicht unbedingt die Musik, die ich täglich anhöre. Ich brauchte ja auch einige Zeit, um mich einigermaßen mit dem Werk anzufreunden.

Das erste Stück klingt wie »poppige Rockmusik« aus den 80er-Jahren: eine Frau mit durchaus starker Stimme, eine streckenweise aufdringliche Gitarre, ein Rhythmus, der radiotauglich sein dürfte. Das kann ich mir anhören – schließlich habe ich oft genug im Auto das Radio an und bin einigermaßen abgehärtet, was 80er-Jahre-Gitarrengefiedel angeht.

Es geht dann aber so weiter. Mit tief hängenden Gitarren und rockiger Stimme kämpft sich die Band durch die zehn Stücke der Platte. Manchmal ertappe ich mich dabei, wie ich mit dem Kopf wackle und feststelle, dass mir manche Stücke gefallen. Meist aber geht mir dieser Sound nicht in den Kopf.

Musikalische Vergleiche fallen mir schwer. Für mich klingt das wie der Hardrock, der in den 80er-Jahren durchaus populär war, also nicht unbedingt Metal, sondern so eine Mixtur aus Bonnie Tyler und Boston und dergleichen, musikalisch könnte man auch noch Meat Loaf auflisten. Es ist oft sogar grausig.

Ich bin nicht die Zielgruppe für diese Band und ihre aktuelle Platte. Wer aber auf diese Art Hardrock-Sound steht, sollte mal eine Hörprobe riskieren – es gibt ja genügend Leute, die hierfür eher ein Ohr haben als ich ...

26 Juli 2020

Das Literatur-Camp digital

In den vergangenen Jahren zählte der Besuch des Literatur-Camps in Heidelberg für mich zu den Pflichtveranstaltungen des Jahres. Hier holte ich mir Inspiration und Information. Dass die Veranstaltung in diesem Sommer wegen der Corona-Pandemie ausfiel, fand ich traurig – aber nicht zu ändern.

Gut finde ich, dass die Veranstalter_innen das Ganze jetzt digital versuchen wollen. Auch wenn ich selbst nicht daran teilnehmen kann – aus diversen privaten Gründen –, halte ich das für einen spannenden Versuch. Das digitale Literatur-Camp findet am 15. August 2020 statt. Diskussionsrunden und Vorträge werden dann online zu besuchen sein.

Keine Ahnung, ob das funktioniert. Für mich waren beim LitCamp immer die Pausen spannend; dort kam ins Gespräch mit anderen Leuten, und diese Gespräche waren für mich informativer als mancher Vortrag. Das würde natürlich fehlen.

Aber der Ansatz ist interessant. Und noch kann man sich anmelden!

24 Juli 2020

Siezen vor der Lagerhaft

Ich stand in einer langen Reihe, die Hände auf den Rücken gefesselt und mit einer tüchtigen Wut im Bauch. Vor und hinter mir standen Punks. Ich sah die offenen Tore einer riesigen Lagerhalle; in diese wurden die Punks geführt, nachdem sie von der Polizei kontrolliert worden waren.

Dutzende Polizisten umgaben uns, die Knüppel in der Hand hielten und so aussahen, als würden sie uns am liebsten zusammenschlagen. Die Sonne knallte auf uns herunter, wie so oft an diesem August-Wochenende 1995.

»Du da«, sagte der Polizist, der vor mir an einem Tisch saß. »Du bist jetzt dran. Hast du einen Ausweis dabei?« Er hielt eine Zange in der Hand. »Du machst jetzt keinen Aufstand, okay?«

Ich nickte nur. Wer in so einer Situation war, behielt die Nerven und stresste nicht herum. Das hatte ich im Verlauf der Jahre gelernt.

Der Polizist kniff die Kabelbinder durch, mit denen ich gefesselt war. Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig, ein schlanker Typ mit Oberlippenbart.

Ich fischte meinen Personalausweis aus einer Seitentasche meiner leichten Sommerjacke. »Hier!«, sagte ich und reichte ihn dem Mann.

»Leer deine Taschen komplett aus!«, sagte der Polizist. Er hielt eine Plastiktüte hoch. »Das kriegst du hinterher alles zurück.«

»Ja ja«, maulte ich und holte meinen Geldbeutel aus der Tasche, ebenso mein Brillenetui. Da fiel es mir ein. »Ich möchte gesiezt werden. Ich nicht Ihr Freund, wir duzen uns also nicht.«

»Den anderen ist das doch auch egal, die duzen uns ebenfalls.« Er wies mit dem Kopf auf die lange Reihe der Punks.

Eben rollte ein neuer Bus an, aus dem Leute stiegen, die man wahrscheinlich irgendwo in Hannover völlig grundlos verhaftet hatte. Die Chaostage waren an dem Punkt angelangt, an dem die Polizei offenbar die Straßen freiprügeln musste. Die Punks waren alle gefesselt, einige bluteten aus Wunden am Kopf oder an den Oberarmen.

»Ich duze mich nicht mit Polizisten«, sagte ich wütend. »Jeden Asselpunker duze ich, von jedem Asselpunker werde ich geduzt. Aber nicht Polizisten. Die nicht. Sie nicht.«

Der Beamte musterte mich gründlich, dann stand er auf. Wir sahen uns in die Augen. »Okay«, sagte er dann. »Wenn Sie darauf bestehen, mache ich bei Ihnen eine Ausnahme.« Er betrachtete mein T-Shirt. »Verbal Razor«, sagte er leise und lachte. »Das passt zu Ihnen.«

Dass ich ab diesem Moment gesiezt wurde, änderte nichts an der Tatsache, dass ich mit mehreren hundert Leuten gut 40 Stunden in einer dreckigen alten Lagerhalle verbringen musste, bei Leitungswasser und Bundeswehr-Nahrungspäckchen, ohne Anklage, ohne Grund, »einfach halt so«. Aber das ist dann auch wieder eine andere Geschichte.

Fotos, Talkshows, Videos

Ich schätze die »Zeitschrift für Autorinnen und Autoren« seit vielen Jahren und las zuletzt die Ausgabe 142 der »Federwelt«. Wie immer gibt es Themen, die mir nicht viel sagen, dafür andere, die ich spannend finde. Das ist bei jeder Zeitschrift so.

Diesmal ging es unter anderem um den Sinn und Unsinn von Autorenfotos: Mir leuchtet ein, dass man sie braucht, und mir ist auch klar, dass sich Leute eher dann für ein Buch interessieren, wenn sie das Gefühl haben, der Autor oder die Autorin seien sympathische Leute. Manche Ansichten in dem Beitrag gehen für meine Empfindung zu weit, insgesamt handelt es sich aber um ein wichtiges Thema.

Weitere Beiträge, die ich interessant fand: Wie kommt man eigentlich in eine Talkshow, um dort sein Buch vorzustellen? Und wie macht man ein professionelles Video? Dazu kommen Artikel, die ein bisschen speziell sind, die aber in so eine Zeitschrift gehören: etwa zur Lyrik oder zum Steuerrecht. da ertappe ich mich eher dabei, dass ich viele Passagen nur überfliege.

Lesenswert ist das Heft immer, die Ausgabe 142 ist keine Ausnahme. Es sind 68 professionell gestaltete Seiten, die nichts mit einer altertümlich-altmodischen Literaturzeitschrift zu tun haben. Man bekommt das Heft idealerweise direkt beim Verlag – dort kann man auch ein Abonnement abschließen.

23 Juli 2020

Die schönen Bücher und ich

Von dem Verlag Plan9 habe ich schon gelegentlich geschrieben; ich habe auch erwähnt, dass in diesem Verlag eine Anthologie erscheinen wird, an der ich mitgewirkt habe. Dieser Tage wurde nun eine aktuelle Infobroschüre des Verlages gedruckt, ein Magazin für die »Schöner-Bücher-Aktion«.

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass man ein Foto von mir sowie ein Zitat genommen hat. In Verbindung mit den Science-Fiction-Titeln wirkt das ansprechend, finde ich. Nun hoffe ich, dass mein seriöser Gesichtsausdruck dazu beiträgt, dass Leute die Anthologie kaufen, und sie nicht abgeschreckt werden ...

Demos und Outtakes aus den späten 70ern

Wenn es eine Band gibt, die ich immer wieder hören kann, ist es wohl für alle Zeiten The Clash. Die Briten, deren »London Calling« für mich immer noch eine der fünf besten Platten ist, haben sehr viele unterschiedliche Aufnahmen veröffentlicht, und ich mag sie größtenteils.

Irgendwann zu Beginn der Nuller-Jahre kaufte ich mir die Langspielplatte »London's Burning«, die – so verrät auch die Unterzeile – »Demos & Outtakes« aus den Jahre 1976 bis 1979 enthält. Dabei sind wirklich einige Perlen enthalten, und mir ist da vergleichsweise egal, dass meine Version offenbar eine nicht gerade legale Pressung ist.

Am stärksten finde ich die Aufnahmen, die im Dezember 1976 in einem Studio in London aufgenommen worden sind. »Career Opportunities« klingt unglaublich schrubbig, auch »White Riot« strahlt eine wütende Aggression aus, die die Band auf ihren späten Studio-Platten kaum verspüren ließ.

Mit »Capitol Radio« ist beispielsweise eines der späteren Stücke enthalten, das hier ebenfalls rotzig und rockig klingt. Dazu kommen Aufnahmen der Musiker, Interview-Fetzen und dergleichen. Alles in allem stellt die Platte eine Sammlung interessanter Tondokumente dar, die ich mit großem Vergnügen und immer mal wieder anhören kann.

(Aber klar: Das ist was für die Fans von The Clash. Wer die klassischen Aufnahmen der Band entdecken möchte, schaue einfach nach der »London Calling«; die gibt's schließlich für vergleichsweise kleines Geld in allen möglichen Variationen.)

22 Juli 2020

Skurrile britische Familiengeschichte

Glaubt man diversen Filmen und Romanen, so ist die Dichte an skurrilen Gestalten in Großbritannien besonders hoch – und das meine ich jetzt ausdrücklich nicht politisch. Über Jahrzehnte hinweg spießte der Schriftsteller Tom Sharpe die schrägen Sitten mancher Engländer auf und wurde damit zum Bestsellerautor.

Manche seiner Romane wurden verfilmt, viele davon blieben eher unbekannt. Ich las dieser Tage »Lauter Irre«, der 2009 verfasst wurde und 2010 in deutscher Sprache erschien. Um es vorsichtig zu sagen: Ich unterhielt mich gut, ich fand den Roman streckenweise auch amüsant, aber so richtig brillant fand ich das Ganze nicht. Wieder einmal ein Beleg dafür, dass Humor einfach Geschmackssache ist und nicht jedem alles gefallen kann ...

Im Prinzip wird eine Familiengeschichte erzählt, die Vorgeschichte beginnt im Mittelalter. Die Familie Grope wird seitdem von Frauen dominiert, die allesamt groß und stark und rothaarig sind und auch noch als hässlich gelten. Männer werden eher als Zuchtkaninchen betrachtet, die dabei helfen müssen, die Linie fortzusetzen.

Nach einem ellenlangen Rückblick auf die Familiengeschichte geht die Handlung endlich los: Eine Nachfahrin der Familie Grope lässt ihren Neffen entführen. Er soll sie schwängern – dummerweise hat er aber eigene Pläne. Er möchte das Matriarchat abschaffen und sich an die Stelle des Familienoberhauptes setzen.

Im Verlauf der Handlung geht viel schief, die Figuren müssen sich irgendwie aber zusammenraufen. Das war's dann auch: Der Roman ist insgesamt nicht schlecht, zieht sich aber ziemlich in die Länge, obwohl er gar nicht umfangreich ist. Viel zu lachen oder gar zu grinsen gab es nicht, und da lag sicher nicht nur an der stereotypen Darstellung der Geschlechtsverhältnisse.

Möglicherweise lag es sogar an der Übersetzung, aber »Lauter Irre« hat für mich einfach nicht funktioniert. Der Roman war zu zäh, die Witze blieben überschaubar. In den 80er-Jahren hatte ich einige Tom-Sharpe-Werke gelesen, die fand ich lustig. Entweder hat sich mein Humorverständnis seitdem sehr stark verändert, oder der Autor ließ in seinen letzten Lebensjahren – er starb 2013 – deutlich nach.

»Lauter Irre« lohnt sich meiner Ansicht nach nicht. Ich hatte von dem Roman die Hardcover-Version, und ich verschenkte sie über einen örtlichen Bücherschrank. Möglicherweise findet ein anderer Leser mehr Freude daran.

21 Juli 2020

Renitente Rentner und ihre Aktionen

Ich liebe die Serie »Die alten Knacker«, die sich zu einem der beliebtesten Comics der jüngeren Zeit entwickelt hat. Es gibt sogar eine Verfilmung, deren Plakate ich im Sommer 2018 in Frankreich gesehen habe – der Film hat es aber nicht nach Deutschland geschafft. Die bisherigen Alben begeisterten mich allesamt dank ihrer coolen Helden: eine Gruppe alter Männer, die längst im hohen Rentenalter sind, die aber immer noch Sand ins Getriebe der Mächtigen streuen.

Der fünfte Band trägt den Titel »Reif fürs Asyl« und behandelt unter anderem das Thema Flüchtlinge. Natürlich wird das nicht in einer ernsthaften politischen Analyse aufbereitet, sondern gibt Raum für komische Situationen. So spielt etwa das Thema »Kleider machen Leute« eine Rolle: Migranten können sich in einer geheimen Wohnung mit schicken Klamotten ausstatten, um dann in der Öffentlichkeit anders auftreten zu können.

Wie die alten Männer es schaffen, sich für geflüchtete Menschen einzusetzen, wie sie politische Unruhe stiften und wie sie dafür sorgen, dass die Staatsmacht nicht nur einmal vorgeführt wird – das ist großartig erzählt und sehr lustig gezeichnet. »Die alten Knacker« sind links, aber in einer Art und Weise, die man einfach witzig finden muss und die auch beinharte politische Themen skurril vermittelt.

Daneben geht's um einen Vater-Sohn-Konflikt – eigentlich eher Großvater-Urgroßvater-Konflikt – und die Suche einer jungen Mutter nach den Großeltern ihrer Tochter. Dieses Thema zieht sich seit dem ersten Band durch; es ist witzig und ernsthaft zugleich und sorgt dafür, dass dieses Album neben aller Politik auch noch eine sehr menschlich-emotionale Ebene hat.

20 Juli 2020

Seda macht coolen Pop

Seda Yagci, die sich als Sängerin nur Seda nennt, stammt offenbar aus München; das Band-Info ist an dieser Stelle ebenso karg wie die Informationen auf der ersten Platte der Sängerin. Die Platte heißt »Spilled Thoughts« und umfasst sechs Stücke, ich habe sie als schöne CD vorliegen, aber man kriegt sie natürlich ebenso im Download sowie auf allen Streaming-Plattformen.

Die Musik ist angenehm, ich würde sie als Pop bezeichnen, ohne das auch nur andeutungsweise blöd zu meinen. Seda hat eine tolle Stimme, die sie variabel einsetzt; sowohl inhaltlich als auch musikalisch erinnert sie mich gelegentlich an Alanis Morissette.

Bei den Stücken ist die Stimme sowieso das, was am weitesten nach vorne gemischt wurde. Die Band spielt im Hintergrund mit, Schlagzeug, Bass und Gitarre, einmal sogar ein Klavier; gemacht ist das alles professionell, aber nicht aufdringlich.

Meiner Ansicht nach zeichnet das die CD aus: Die Melodien sind nicht eingängig, aber eben keine reine Lala-Mucke. Weil sie nicht aufdringlich daherkommen, sind sie womöglich nicht hitaparadentauglich genug. Durchaus möglich, dass sich die Sängerin mit den ausdrucksstarken Stücken keinen kommerziellen Gefallen getan hat – ich find's aber sehr gelungen.

19 Juli 2020

Das Comic-Fegefeuer

Ich gestehe, dass ich schon aussteige, wenn ich das Gefühl habe, zur Lektüre eines Comics erst einmal einen Berg an Hintergrund-Material lesen zu müssen. So geht es mir aber bei »Cinema Purgatorio«, zu dem es beim Gratis Comic Tag 2020 ein kostenloses Heft gibt, veröffentlicht vom Dantes Verlag. Ich habe es mittlerweile gelesen und bin nach der Lektüre noch ratloser als zuvor.

»Purgatorio« ist eine Anspielung auf die »Göttliche Komödie« von Dante Alighieri; gemeint ist damit das Fegefeuer. Der Comic-Autor Alan Moore hat das »Cinema Purgatorio« erfunden, und dabei geht es offenbar darum, fiktive Hollywood-Filme in Comics zu verwandeln. Das macht Moore nicht allein, sondern er holt sich allerlei Comic-Schaffende dazu.

Soviel zum Hintergrund. Das muss man wissen, bevor man auch nur eine Seite des Heftes lesen kann. Und dann wimmelt es auf jeder Seite von Hinweisen, für die der Verlag dankenswerterweise Erläuterungen abdruckt. Spätestens da verliere ich allerdings die Lust an den eigentlichen Comics.

Die Geschichten sind in Schwarzweiß, sie sind gut gezeichnet und wirken vom Erzählerischen her dynamisch. Eine Geschichte erzählt von einer Krankenschwester, die sich mit paranormalen Problemen herumschlägt, eine andere von einer Art Riesenmonster, das Städte angreift und sie plattmacht.

Anders gesagt: Wer phantastische Comics mag, sollte einen Blick riskieren. Das sieht zumindest interessant aus. Mich spricht es leider nicht im Geringsten an.

18 Juli 2020

Neugeburt für die »Elfenzeit«

Ich erinnere mich noch recht gut daran, mit welchem Turbotempo Uschi Zietsch-Jambor als Autorin und ich als Redakteur die »Elfenheit«-Serie anschoben. Wir hatten 2007 ein kleines Zeitfenster, in dem die Chancen offenbar gut standen, eine solche Serie mit dem Bertelsmann-Club zu verwirklichen. Am Ende konnten wir zwanzig »Elfenzeit«-Bücher machen, dazu die Nachfolgeserie »Schattenlord« mit weiteren fünfzehn Büchern.

Das ist schon enorm. Wer mag, kann dem Projekt den Titel »Die größte deutsche Urban-Fantasy-Serie« geben. Das ist sicher nicht falsch.

Verschiedene Versuche, die Serie neu zu veröffentlichen, schlugen leider fehl. Aus Gründen, die hier nichts zur Sache tun, konnte ich keinen meiner Versuche verwirklichen. Deshalb griff die Autorin zur Selbsthilfe – tatkräftig und voller Elan, wie sie nun einmal ist.

Das erste »Elfenzeit«-Buch liegt mittlerweile vor, weitere sollen folgen. Auf der eigenen Internet-Seite erzählt Uschi Zietsch-Jambor darüber hinaus mehr über das Projekt. Ich wünsche der neuen »Elfenzeit« viel Erfolg und freue mich sehr darüber, dass es auf diese Weise klappt!

17 Juli 2020

Musikwünsche im Herbst 1988

»Should I Stay Or Should I Go« von The Clash lief, und fünf oder sechs Leute hoppelten über die kleine Tanzfläche unseres Jugendzentrums. Ich hatte die Discokugel eingeschaltet, weil ich fand, dass sie gut zu dem Lied passte. Die Lichtreflexe zuckten über die Metallfläche, die unsere Tanzfläche symbolisierte.

Ich war stolz darauf, als einer der ersten am neuen DJ-Pult tätig zu sein: Wie eine kleine Burg erhob es sich über der Tanzfläche. Von meinem Platz aus hatte einen hervorragenden Blick auf die Tanzfläche und die Theke. Meine Schallplatten, die ich ausgesucht hatte, lagerten in Bananenkisten neben mir.

Auf einmal stand Matt am Rand des DJ-Pultes, auf den Treppenstufen, die zu mir heraufführten, und sah mich fragend an. Ich winkte ihm, und er kam die zwei, drei Schritte näher.

»Kannst du nicht mal was spielen, das alle kennen?«, fragte er.

»Wie?« Ich hatte mit so einer Frage zwar gerechnet, stellte mich aber absichtlich begriffsstutzig. »Das ist doch gute Musik.«

»Aber die meiste Zeit spielst du Sachen, die stressig ist und die kaum einer kennt. Spiel doch mal was Populäres.«

Ich fand meine Musik nicht unpopulär. Wir schrieben 1988, und ich legte Punk und Hardcore, allerlei Indie-Kram und gelegentlich altmodischen Kram auf, eine interessante Mischung aus Blues Brothers und New Order, aus Dead Kennedys und Trio, aus Sisters Of Mercy und Wipers. Das gefiel nicht jedem, aber ich war gewillt, mir mein Publikum zu erziehen.

»Was meinst du denn?«, fragte ich.

»Spiel doch mal Marillion«, schlug er vor.

Ich starrte ihn entsetzt an. »Marillion? So was hab ich nicht.«

Nun war er verwirrt. »Aber Marillion, das hat doch jeder.«

Wir kamen an diesem Abend auf keinen grünen Zweig, das war sicher. Ich blieb stur, und ich spielte auch danach nie das Zeugs, das die Rock-Fans hören wollte. Ich hatte eine Mission, und die wurde an diesem Abend weder zum ersten noch zum letzten Mal durchgezogen.

Mit Marillion konnte ich mich übrigens nie anfreunden. Jahre später trank ich ihrem Sänger einmal ein Bier weg. Das war in Bonn bei Rheinkultur-Festival, aber das ist dann eine ganz andere Geschichte …

Der Neue Stern auf tschechisch

Ein echtes Science-Fiction-Fanzine ist »Neuer Stern«: Das Heft wird von Thomas Hofmann aus Halle/Saale veröffentlicht und erscheint so oft, dass ich mit der Lektüre praktisch nicht nachkomme. Die Ausgabe 60 habe ich allerdings komplett gelesen; sie wird auf dem Titelblatt als »Frühlingserwachen 2020« bezeichnet und hat zusätzlich einen tschechischen Titel.

Enthalten ist die Kurzgeschichte »Ausgetauscht« von Marco Rauch, den ich bislang nicht kannte. Er erzählt von einem Mann, der während seiner Arbeitszeit seltsame Mails erhält, die er verständlicherweise löscht. Daraufhin wird er von seinem Vorgesetzten zur Rede gestellt, und … Die Story ist phantastisch im besten Sinn, und sie spiegelt den Wahnsinn des Arbeitslebens wider – das hat mir sehr gut gefallen!

Darüber hinaus enthält das Fanzine zahlreiche Beiträge über Bücher: Es geht um Michael Moorcock und andere Klassiker, aber auch neue Romane werden vorgestellt. Der Herausgeber widmet sich der »Transhumanistischen Mythologie«, ausgelöst durch einen Blogtext von mir. Alles in allem sind die Texte zumeist herrlich subjektiv und fannisch; die Autoren schreiben ihre Meinung, sie begründen sie auch, aber sie tun nicht so, als seien sie »anspruchsvolle« Literaturwissenschaftler.

Das Fanzine umfasst 44 Innenseiten und einen farbigen Umschlag. Wieviel eine Einzelausgabe kostet, kann ich im Moment nicht ersehen; auf ein Impressum verzichten die Herausgeber nämlich. Wer mag, kann ja Thomas Hofmann direkt anschreiben. (Im Science-Fiction-Netzwerk unterhält er auch eine Unterseite, auf der man sich informieren kann.)

Lohnende Fanzine-Lektüre!

16 Juli 2020

Ein Pogo-Foto von 1989

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«

Vor einiger Zeit schrieb ich schon einmal einige Zeilen über das Konzert der Neurotic Arseholes im Herbst 1989 in Waiblingen, das damals offizielle Abschiedskonzert der Band, an das ich mich noch sehr gut erinnern kann. Das Jugendhaus war überfüllt, der Saal kochte buchstäblich, der Pogo war schweißtreibend, und die Band spielte in einer kompakt-beeindruckenden Form.

Ich sprang im Pogo-Mob herum, versuchte aber ab und zu ein Foto zu schießen. Dabei entstand ein Pogo-Foto, direkt aus dem Getümmel. Zumindest eine der Personen auf dem Bild kannte ich vom Namen her, ihn traf ich vor einigen Jahren in Esslingen mal wieder. Wir erkannten uns sogar …

Eine Prise-Schunkel-Oi!

Immer mal wieder greife ich zu einer Oi!-Platte und stelle fest, dass mir der schwerfällige Bruder von Punkrock erstaunlich oft gefällt. Man muss über manchen Reim hinwegschauen, aber wenn die Musik schmissig ist, mag ich sie immer noch. Dieser Tage hörte ich mal wieder 4 Promille an und fand die Band nach wie vor gut.

Die Platte »Alte Schule« wurde Mitte der Nuller-Jahre bei Knock Out Records veröffentlicht, ich habe sie in einem schick gestalteten Digipack, und die Melodien darauf passen schon. Leider wird oft geschunkelt, das Tempo der Stücke ist moderat, und lang sind sie ebenfalls; die Oi!-Punker aus dem Ruhrgebiet wurden damals offenbar schon alt.

Manche Texte sind arg nachdenklich; Stücke wie »Aus dem Regen« oder »Cognac« könnten glatt von einer Emopunk-Band stammen, was ich hier positiv meine. Das Gejammer über alte Zeiten in Stücken wie »Alte Schule« oder »Export«, in denen es darum geht, dass früher halt alles besser war, verstehe ich nicht – gerade die Leute dieser Band sollten doch wissen, dass früher auch nix besser war.

Mein Eindruck von der Platte ist damit ein sehr zwiespältiger: Singt die Sängerin auf englisch, finde ich das aber klasse. Zumindest scheint man sich keine Ausfälle nach Rechtsaußen zu leisten und unterhält unterm Strich sehr schmissig. Okay so.

15 Juli 2020

Am Alten Hafen

Zu den Strecken, die ich immer mal wieder mit dem Rad zurücklege – und das seit vielen Jahren –, zählt die Fahrt zum Alten Hafen. Dieser gehört zur Verbandsgemeine Eggenstein-Leopoldshafen, nördlich von Karlsruhe gelegen, und war früher mal ein wichtiger Hafen am Rhein. Das ist lange her.

Als Ziel für eine Radtour ist das Gelände immer noch gut geeignet. Es gibt sehr stille Ecken, an denen man sich vorkommt wie in einem Urwald. Der träge fließende Rhein ist nur wenige Dutzend Meter entfernt, die Altrheinarme sind voller Tiere. Angler sitzen an manchen Stellen, gelegentlich fährt ein Boot vorüber.

Am liebsten habe ich die alte Fußgängerbrücke, die über den Pfinz-Entlastungskanal führt. Sie steuere ich gern an. Mit dem Rad kann man da kaum drüber fahren, man muss absteigen und schieben. Danach erst kann man sich zurück in besiedelte Gebiete bewegen oder sich zu Fuß über schmale Wege bis an den Rhein durchschlagen.

Dabei ist es allerdings hilfreich, nicht zu viel Angst vor Insekten zu haben, die in diesem sumpfig-warmen Umfeld sehr gut gedeihen …

Ein Erzählreigen mit klassischer Sword & Sorcery

In den Anfängen der Fantasy-Literatur herrschten Geschichten vor, in denen von tapferen Kriegern erzählt wurde, die sich in einer Welt voller Gefahren mit ihrem Schwert durchsetzen müssen. In dieser Tradition bewegt sich »Im Zeichen der Blutkrone«, verfasst von Andreas Groß: eine Sammlung von Erzählungen, die insgesamt aber einen Roman ergeben. Die Schublade der Sword & Sorcery ist hier absolut zutreffend.

Es handelt sich dabei um einen Roman – bleiben wir bei diesem Begriff –, der auf der Welt Magira spielt. Auf dieser Welt, die von realen Menschen in unserem Universum »simuliert« wird, entwickeln sich Völker, toben Kriege, gibt es Völkerwanderungen und Invasionen. Die Konflikte werden mit Schwert und Magie ausgetragen, und ein Ewiges Spiel sorgt dafür, dass auf Magira ein unaufhörlicher Reigen von Kriegen herrscht.

Klingt kompliziert, ist auch ein wenig kompliziert. Für die Lektüre des Romans ist das allerdings unerheblich. Den kann man nämlich lesen, ohne auch nur ansatzweise etwas von Magira zu wissen. Wer die Hintergründe für manches Volk kennt, ist natürlich schneller im Thema drin.

Für alle anderen gilt: Magramor ist eine uralte Stadt, bewohnt von zahlreichen Menschen. Nach vielen Kriegen wird die Stadt von den W’Ing’Tiu übernommen, die man auch als Nachtschatten bezeichnet. Sie sind blutrünstig und gefährlich, doch nach einiger Zeit erweisen sie sich als Schirmherren für die Bewohner Magramors. Es gibt interne Konflikte, ein menschlicher Ritter aus dem fernen Clanthon schließt sich den Nachtschatten an, und am Ende droht ein neuer Krieg, sie aus Magramor zu vertreiben ...

In seinem Roman erzählt Andreas Groß vom Aufstieg und Fall eines Reiches. Dabei geht es durchaus blutig zu. Er schildert viele brutale Kämpfe, ohne allerdings zu sehr in die Details zu gehen. Es gibt sogar eine Liebesgeschichte zwischen zwei sehr unterschiedlichen Wesen.

Sein Roman steht in der klassischen Tradition von Conan oder Kane, um zwei der populärsten Helden dieser Art von Fantasy zu nennen. Und Sword & Sorcery beherrscht der Autor, da kann man nicht meckern.

Ich hätte an der einen oder anderen Stelle noch mal ein wenig redigiert; allerdings hielten sich die früheren Fantasy-Autoren ja nicht gerade an eine saubere Erzählperspektive. Der Autor orientiert sich auch in solchen Fragen an den klassischen Vorbildern.

Alles in allem fand ich »Im Zeichen der Blutkrone« sehr unterhaltsam. Ich las den Roman in Episoden, was sich bei der Struktur der einzelnen Erzählungen gut anbot. Dabei langweilte ich mich nie – allerdings kenne ich einige der Hintergründe von Magramor und seinem Umfeld aus meiner langjährigen Verbundenheit mit der Fantasy-Welt Magira. Ich bin also sicher parteiisch.

Trotzdem: Wer viele Romane der aktuellen Fantasy zu lahm findet und den »alten Stil« mag, sollte Andreas Groß und seinen Roman antesten. Das könnte genau der Stoff sein, der vermisst wird ...

(Erschienen ist das Werk bei Emmerich Books. Es ist als Paperback und als E-Book erschienen. Ich habe das Paperback gelesen, das professionell gebunden und ausgestattet war – wie man das von einem vernünftigen »Kleinverlag« auch erwartet. Weitere Informationen auf der Internet-Seite des Verlages.)

14 Juli 2020

Alte Männer und die SF

Während der heißen Phase der Corona-Pandemie herrschte bei uns im Verlag ein Besuchsverbot, heute kam wieder einmal ein alter Freund vorbei. Hermann Ritter und ich kennen uns seit den frühesten 80er-Jahren. Wir produzierten gemeinsam Fanzines, wir veranstalteten Cons, wir gewannen sogar einmal einen Sängerpreis – eine sehr lange Geschichte –, wir machten einen Reader zum Thema »Wie faschistisch ist die Fantasy?«, und … ich könnte noch sehr viel mehr aufzählen.

Wir hatten allerlei Dinge zu besprechen, die sich mit meiner Arbeit in diesem Verlag beschäftigen, aber wir plauderten auch über Science Fiction und Fantasy. Wie es sich bei solchen Treffen gehört, warfen wir uns Begriffe an den Kopf, die keinem normalen Menschen etwas sagen dürften. Von Poul Anderson kamen wir zu E. E. Doc Smith, vom »Raumschiff Monitor« zu den »Terranauten«, von »Vampir«-Taschenbüchern zur Taschenbuchreihe TERRA FANTASY, von »Fantastrips« zu »Shazam« oder »Sagittarius« und so weiter.

Einem Außenstehenden hätte womöglich nach zwei Minuten der Kopf geraucht, und nach weiteren zwei Minuten hätte er uns kopfschüttelnd verlassen. Ich fand es großartig: Wir tauchten ein wenig in die 80er-Jahre ein, sprachen über alte Freunde und Bekannte, über die Menschen auf unserem Weg, die viel zu früh gestorben sind, und die Zukunft eines Genres, das sich immer stärker in Fernsehserien und Kinofilmen widerspiegelt.

Ab und zu brauche ich solche »Alte-Männer«-Gespräche über Science Fiction und Fantasy, die nicht direkt mit meiner Arbeit zu tun haben, aber natürlich trotzdem mit ihr in einer mehr oder weniger engen Beziehung stehen. (Vielleicht hätte ich doch einen vernünftigen Beruf ergreifen sollen, der nichts mit meinen privaten Interessen zu tun hat.)

Wenn eine Comic-Figur an die Hochzeit denkt ...

Zu den großen Klassikern der europäischen Comic-Geschichte zählen »Spirou & Fantasio«. Die beiden alterslosen Jungmänner erleben seit vielen Jahrzehnten ihre Abenteuer. Vor allem früher blieben irgendwelche Liebesgeschichten allerdings stets ausgespart. Bis heute: In dem Band »Fantasio heiratet«, den ich erst dieser Tage las, steuert der Journalist Fantasio den sogenannten Hafen der Ehe an.

Erschienen ist das Album in der Reihe »Spirou & Fantasio spezial«, in der immer wieder ungewöhnliche Comics veröffentlicht werden. Sie passen häufig weder optisch noch inhaltlich zum Mainstream der Serie, bieten aber oft sehr schöne Einblicke. Diesmal ist der Autor und Zeichner Benoit Feroumont für die Geschichte und die Bilder verantwortlich – und er macht es wirklich gut.

Klar, der Mann hat seinen eigenen Stil, der nicht zu den Klassikern von Franquin passen mag. Es gibt im Netz entsprechend viele Aussagen, die sowohl die Zeichnungen als auch den Inhalt kritisieren. Es sind die üblichen Äußerungen von Leuten, die keinerlei Änderungen möchten: Was in den sechziger Jahren von Franquin definiert worden ist, darf ihrer Ansicht nach nicht verändert werden. Ich finde das albern, und daran ändert auch die Tatsache nichts, dass ich die Franquin-Klassiker schätze.

Die Geschichte um den verliebten Journalisten Fantasio, der sich auf eine Ehe mit einer reichen Erbin einlassen möchte, ist ausgesprochen turbulent. Gleichzeitig zieht die junge Journalistin Steffani bei Spirou ein – es geht also in Sachen Frau ziemlich hektisch zu. Dazu kommt die Herkunft des Geldes, von dem Fantasio gern profitieren würde und das mit Nazi-Deutschland in Verbindung steht ...

Man kann sich über Details der Geschichte durchaus streiten (müssen magische Elemente wirklich sein?), flott erzählt ist sie allemal. Fantasio wirkt häufig sehr trottelig, auch Spirou hat seine Probleme mit den Frauen; es gibt schnelle Verfolgungsjagden und zugespitzte Dialoge. Langeweile kommt bei dieser Lektüre keine auf.

Rein optisch entfernt sich Feroumont weit von den Originalen. Man kann die beiden Helden, das Eichhörnchen Pips und Steffani jederzeit erkennen, aber sie sehen halt nicht mehr so aus wie früher. Hat man sich an die neue Optik gewöhnt, ist sie allerdings sehr frisch und gelungen. Würde man die Serie starten, sähe sie vielleicht genau so aus ...

Wer nicht in Erinnerungen an »gestern« verharrt und sich gern die gelungene Neu-Interpretation eines Comic-Klassikers zu Gemüte führen möchte, ist bei »Fantasio heiratet« absolut richtig. Diesen Comic kann man auch mehrfach lesen – er ergänzt die Klassiker in wunderbarer Weise.

13 Juli 2020

Gedenkstein beim Forschungszentrum

Ich flitzte wieder einmal mit meinem Rad durch den Wald, wollte in relativ flottem Tempo das ehemalige Kernforschungszentrum umrunden und dann wieder heimfahren. Weil ich diesmal einen anderen Weg eingeschlagen hatte, kam ich auf einmal an einem Gedenkstein vorüber – es wundert mich eh, was ich nach all den Jahren der Radlerei in der Gegend immer noch entdecke.

Man muss Linkenheim nicht kennen. Der ehemals kleine Ort ist heute Teil einer Verbandsgemeinde nördlich von Karlsruhe, in dem unzählige von Neubauten einen alten Ortskern umgeben. Ich komme recht oft mit dem Rad hindurch oder fahre daran vorbei.

Die Bürger des Dorfes stellten zu Beginn des 19. Jahrhunderts den Gedenkstein für ihren damaligen Markgrafen auf. Der gute Mann hatte dem Gemeindewald den Zehnten erlassen. Erstaunlicherweise ist das Denkmal in all den Jahren gut gepflegt worden und nach mehr als 200 Jahren noch auffindbar; es gibt sogar eine Tafel, die alles erläutert.

Wobei sich schon die Frage stellt: Die Befreiung erfolgte im Jahr 1801 – inwiefern hatten die revolutionären Ereignisse im sehr nahen Frankreich dazu beigetragen, dass ein Graf an der Rheingrenze seine Politik gegenüber den einfachen Leuten ein wenig anpasste?

Dezolat verwirren mich

So richtig schlau werde ich aus der Band Dezolat nicht. Das ist wohl auch einer der Gründe, warum ich die CD »Fassade« der Münchener immer mal wieder hörte, sie dann nicht bis zum Ende brachte und aus dem Player holte, um sie dann später erneut einzulegen. Mittlerweile habe ich sie einige Male durchgehört und traue mir ein halbwegs zutreffendes Urteil zu.

Die Band spielt einen Sound, der an die späten 70er-Jahre erinnert, zumindest am Anfang. Wer mag, kann hier die Postpunk-Schublade aufmachen: Die Stücke sind sehr rhythmisch, orientieren sich weniger an Melodien; teilweise ist der Sound sehr knackig, vorangetrieben durch einen monotonen Bass. Die Gitarre orientiert sich manchmal ebenfalls am Postpunk, klingt aber auch mal nach moderner Popmusik.

Stücke wie »Auf und ab« sind treibend, fast punkig, bei »Ehrlich« wird ein leichter Offbeat eingesetzt, und bei »Geträumt« fühle ich mich an den jammerigen Deutschpop erinnert, der ständig im Radio läuft. Musikalisch kann man das als vielseitig betrachten, oder aber als verwirrend:

Zwischen starken Stücken und großen Langweilern verläuft halt hier die Bandbreite – je nach Geschmack. Wenn ich allerdings bedenke, dass die Band aus nur zwei Menschen besteht, ist das doch wieder respektabel.

Die Band ist allerdings sehr textlastig, und da kann sie durchaus punkten. Die Texte sind sarkastisch und ironisch, sie strotzen vor Wortwitz, sie gefallen mir auch dann, wenn ich die Lieder eher schlaftablettenmäßig finde.

Dezolat verwirren mich echt. Aber vielleicht ist das Absicht. Wer weiß?

(Erschienen ist die Platte bei Ragged Glory Records. Es gibt sie als DC und als Vinylscheibe und natürlich auch digital. Ich habe die schön gestaltete CD, der sogar ein Textheft beiliegt.)

12 Juli 2020

Skater in der Mitte der 90er-Jahre

Als eine erstaunliche Perle erwies sich für mich der Film »Mid90s«, den es bei diversen Streaming-Portalen gibt. Hierzulande wurde er 2019 veröffentlicht, ich bekam aber nicht einmal mit, dass er in den Kinos lief. Es ist ein Film über Jugendliche in den 90er-Jahren, zu einer Zeit also, in der ich schon über dreißig Jahre alt war …

Es geht um eine Clique von jugendlichen Skatern, die in Los Angeles das tun, was viele Jugendliche eben so machen: Sie lungern herum, sie suchen sich Abenteuer – in diesem Fall eben mit Skateboards –, sie haben Ärger mit der Polizei, sie interessieren sich für Mädchen, sie trinken Alkohol und konsumieren Drogen, sie sind generell nicht gerade die Schlauesten, stecken voller Unsicherheiten und kompensieren das mit einem Verhalten, das sie für cool halten. (Dazu zählen Prahlereien, Schimpfwörter und sexistische Sprüche.)

Ich fühlte mich bei diesem Film oft ertappt, obwohl ich selbst nie Skateboard gefahren und in einem Dorf aufgewachsen war. Aber das Gefühl eines Jugendlichen, der sich einen Platz im Leben sucht und nicht so richtig weiß, wohin er gehört, das kennen wohl viele. Ich fand den Film wirklich gut, auch wenn er gar keine echte Geschichte mit Höhepunkten erzählt.

»Mid90s« erzählt eben vom Herumlungern, von der Ziellosigkeit der Jugend und von all diesen Dingen, die eine Jugend ausmachen. Das schafft der Film in einer sehr glaubhaften Weise, weshalb ich ihn empfehlen kann.

11 Juli 2020

Millionaires Against Hunger vom Neckar

Aus Heidelberg stammen die Millionaires Against Hunger, eine Band, über die ich nur wenig weiß und die ich noch nie live gesehen habe. Mit ihrer ersten EP, die 2010 aufgenommen wurde und die 2011 herauskam, machte ich erst kürzlich Bekanntschaft; vorher ging der Sound der drei Musiker an mir vorüber.

Was sie auf dieser EP machen, ist auch nicht sonderlich spektakulär: Neunmal schrabbelt ein rotziger Punkrock vor sich hin, dazu englische Texte, die ebenso rausgerotzt werden. Das ist Punk, da gibt es kein Vertun, und da wird erst gar nicht viel drumrum geredet. In ihrer rotzig-schlichten Konsequenz hat mir die Platte dann doch ganz gut gefallen ...