20 Januar 2022

Nations On Fire doppelten sich

Aus der Serie »Konzertberichte von früher, wenn wir wegen Corona eh nicht pogen dürfen«

Ausgerechnet unter der Woche veranstalteten die Aktiven im Jugendzentrum »Murgtäler Hof« ein Hardcore-Konzert. »Zu meiner Zeit wurden solche Konzerte brav am Wochenende veranstaltet«, maulte ich, während ich mit meinem Auto das Murgtal hochfuhr. Gerade noch rechtzeitig verkniff ich mir ein »früher war alles besser«.

Es war der 3. März 1993, also noch im Winter, aber die Straßen waren einigermaßen frei. Rechts und links der Straße türmte sich der Schnee, ab und zu lag Eis, vor allem in den höheren Lagen, aber ich kam gut durch.

Ich wohnte seit gut über einem halben Jahr nicht mehr in Freudenstadt, weil ich in Rastatt einen neuen Job angetreten hatte, war mit meinen alten Freunden aber immer noch verbunden. Sie hatten mich bereits in dem Dorf besucht, in dem ich derzeit wohnte, und nun wollte ich mal wieder in »meinem« alten Jugendzentrum vorbeischauen.

Ich parkte mein Auto beim Bahnhof, spazierte über die Straße, entrichtete meinen Eintritt und stellte mich an die Theke, wo ich ein Bier bestellte. In der nächsten Dreiviertelstunde war ich damit beschäftigt, mich mit Bekannten zu unterhalten und mich umzusehen.

Man hatte die Bühne an diesem Abend so aufgebaut, dass der Raum kleiner wirkte; den Trick hatte ich früher auch gelegentlich angewandt. Wenn man wusste, dass 200 oder 300 Leute kamen, musste man alles an den Rand schieben. Rechnete man mit deutlich unter 100 Besuchern, stellte man alles anders hin – die beweglichen Bühnenelemente erlaubten ein schnelles Umbauen.

Das Wetter hatte viele Leute davon abgehalten, aus anderen Städten in die kleine Schwarzwald-Metropole zu kommen. Einige Dutzend Leute hatten sich eingefunden, die meisten stammten aus der Stadt und den umliegenden Dörfern. Die üblichen Szeneleute aus anderen Landkreisen waren in der Minderheit.

An diesem Abend sollten Nations On Fire spielen. Ich hatte die Band aus Belgien schon einige Male erlebt, und ich mochte den rasanten Hardcore-Punk, den sie auf der Bühne bot. David, den Sänger, hatte ich auch schon bei anderen Gelegenheiten getroffen, unter anderem bei Demonstrationen.

Der Sänger traf kurz nach mir in Freudenstadt an; die Band kam später. Irgendwie gab es derzeit Umbesetzungen; als Schlagzeuger war Andi dabei, den ich aus Nagold kannte und der früher bei den Skeezicks gespielt hatte. Die Band wurde von Willee kutschiert: Er stammte ebenfalls aus Nagold und hatte in unserem Jugendzentrum als Zivildienstleistender gearbeitet. Wir begrüßten uns, verzichteten auf viel Blabla und ließen die Band zeitig auf die Bühne.

Ohne viel Gerede legten die Belgier los. Sie knallten ein Stück nach dem anderen ins Publikum, das sich auch nach kurzem Nachdenken zu bewegen begann. Zuerst fingen die Besucher von auswärts mit Slamdance und Pogo an, während die Freudenstädter am Rand standen und der Band interessiert zuschauten. Klar, man kannte die Belgier noch nicht und wollte sie erst einmal auf sich wirken lassen.

»Und jetzt der Freudenstadt-Effekt«, sagte ich zu Willee, als die Band ihren Hit »Dedication« schmetterte.

Die ersten Jugendlichen aus der Stadt stürzten sich ins Getümmel, nicht unbedingt mit szenetypischen Bewegungen, aber halt so, wie es ihnen gefiel. Innerhalb kurzer Zeit bildete sich vor der Bühne ein hübsches Getümmel, in dem gelegentlich geschubst wurde, aber kein derber Pogo entstand.

Nach nicht einmal einer Stunde war das Konzert vorüber. Die Band hatte mit voller Energie gespielt und wirkte schon ein wenig erledigt. Aber das Publikum johlte und klatschte und war so begeistert, dass die Band eine Zugabe nachschob und dann noch eine und noch eine.

»Die spielen das ganze Konzert noch einmal«, sagte Willee staunend zu mir.

Tatsächlich wurden im Prinzip alle Stücke ein zweites Mal gespielt, nur in einer anderen Reihenfolge. Die Band machte Witze, sie wirkte locker und nicht so politisch angespannt wie bei anderen Gelegenheiten. Der bratzige Hardcore-Sound wirkte an diesem Abend ohnehin punkiger und bereitete einen größeren Pogo-Spaß.

Mir gefielen Nations On Fire an diesem Abend absolut gut, dem Publikum auch. Die Leute tanzten und hüpften, sie johlten und applaudierten, und sie bewiesen, dass auch ein kleines Publikum eine bombastische Stimmung erschaffen konnte.

Ich sah die Band auf dieser Tour dreimal, und das Konzert in Freudenstadt war das beste: energiegeladen und fröhlich, eine richtig gute Party.

Als ich hinterher auf die Straße trat, verschwitzt und bester Laune, war der Himmel schwarz. Schneeberge lagen überall, und es würde noch sehr kalt werden. Es wurde Zeit, dass ich wieder das Tal hinunterfuhr …

1 Kommentar:

Enpunkt hat gesagt…

Einige Monate vor dem geschilderten Konzerte spielten NATIONS ON FIRE in Nagold; da war ich natürlich auch. Hier ein kurzes Video von diesem Konzert, das ein wenig davon wiedergibt, wie die Band auf der Bühne war:
https://www.youtube.com/watch?v=BlURa5oZ39U