06 April 2022

Schnorcheln am Grecian Park

Unter Wasser fühlte ich mich nie sonderlich gut. Vielleicht lag es daran, dass ich im Schwarzwald aufgewachsen war und mich eher zu Bergen und Wäldern hingezogen fühlte – Wasser war nicht mein bevorzugtes Medium. Daran konnten auch ein Schnorchel und eine Taucherbrille nicht viel ändern.

Wenn ich mich darauf einließ, ging es allerdings. Und so schnorchelte ich an diesem Sonnentag in aller Gemütsruhe aus der kleinen Bucht hinaus, die sich unterhalb des Hotels erstreckte, blickte mit dem staunenden Blick eines Kindes auf Fische oder den steinigen Untergrund, der sich tief unter mir erstreckte. Ich schwamm so diszipliniert, wie mir das möglich war, bewegte meine Arme und Beine gleichmäßig und kam auf diese Weise gut voran.

Nachdem ich weit genug geschwommen war, hielt ich inne und blieb wassertretend an der gleichen Stelle. Ich nahm meine Brille ab, putzte sie aus, steckte mir dann das Mundstück wieder rein und machte mich bereit, erneut ins Wasser abzutauchen. Dann aber hatte ich doch Lust, mich umzudrehen und zu sehen, wo ich eigentlich herkam.

Hinter mir erstreckte sich der kleine Strand in der ebenfalls kleinen Bucht. Sie wurde von einer Steilwand vom Rest der Insel abgegrenzt, eine Treppe verband die Bucht mit der oberen Kante. Und dort thronte das Hotel Grecian Park, in das wir für uns zehn Tage einquartiert hatten, wie eine Burg, von deren Fenstern aus man weit über das Meer blicken konnte. Manchmal packte mich ein schlechtes Gewissen, mich auf ein Hotel der Luxusklasse eingelassen zu haben, dann wieder verdrängte ich es erfolgreich, vor allem dann, wenn ich im Wasser unterwegs war.

Noch einmal justierte ich den Schorchel aus, setzte das Mundstück neu ein und schwamm weiter. Rechts von der Bucht erstreckte sich die Landzunge bis zu einem militärischen Sperrgebiet am Ende, links gab es eine Felsformation, die aussah, als sei hier irgendwann einmal Lava erstarrt. Ob das so war, wusste ich nicht. Kleine Fische in allen Farben tummelten sich entlang der Felsen, und dieser schöne Anblick war mir lieber als der von fast nackten Touristen, die ihre weißen Bäuche in der Sonne zu bräunen versuchten.

Mir war, als sei ich in einer anderen Realität. Mein Hinterkopf und mein Hintern guckten noch aus dem Wasser heraus, was aus der Ferne oder aus der Luft sicher albern aussah, doch mit dem Rest meines Körpers war ich unter der Wasseroberfläche. Unter mir flirrte die von der Sonne bestrahlte Welt des Mittelmeers. Felsen und allerlei Pflanzen, dazwischen Fische, die sich durch mich offenbar nicht gestört fühlten.

In meinen Ohren gluckerte und blubberte es, fast wie eine Musik, die nur ich hören konnte. Ich hatte in den 80er-Jahren mit der damaligen Mode, Walgesänge auf Schallplatte herauszubringen, nichts anfangen können. An diesem Tag, bei diesem Schnorcheln aber hatte ich das Gefühl, dazu erstmals eine Beziehung aufzubauen. Unterwassergesänge, Geräusche von jenseits meiner Wirklichkeit – ich hätte träumen können.

Als ich wieder zurück an die Oberwelt kam, ein einfacher Vorgang, zu dem ich nur den Kopf aus dem Wasser heben musste, hatte ich ein anderes Bild vor den Augen. Ich schwamm mit dem Rücken zur Insel und dem Gesicht zum offenen Meer. Irgendwo vor mir musste die Küste von Syrien sein, vielleicht auch schon die des Libanon, ich war mir bei dem Winkel nicht ganz sicher. Doch ich sah nicht nur den Horizont, an dem der Ozean und der Himmel ineinander übergingen, sondern ebenso eine Gruppe von Schiffen.

Ich musste keine Kennzeichen und keine Flaggen erkennen, um zu erfassen, dass vor mir Militärschiffe unterwegs waren. Als dunkelgrüne oder dunkelgraue Klötze schwammen sie am Horizont, rechteckig fast, wie knapp unter den Himmel getackert und in meiner Wahrnehmung fast stillstehend. Dünne Striche reckten sich von den Kästen zur Seite und in die Höhe: wahrscheinlich Geschütze, vielleicht die eine oder andere Antenne.

Die Schiffe hatten verschiedene Größen, und weil ich keine Ahnung von der Marine und ihren Begriffen hatte, wusste ich nicht, ob es Zerstörer oder Korvetten waren oder man sie in sonst eine Schublade hätte stecken können. Sie gehörten offenbar einer Flotte an, die im Meer zwischen Zypern und Syrien operierte. Ob es Amerikaner oder Briten waren, vielleicht auch Russen, war mir nicht klar. Ich würde es sicher nie erfahren. Sie kündeten von Krieg und Tod, von Granaten und Raketen, von blutigen Leibern und brennenden Städten.

Wassertretend starrte ich auf die Schiffe, fixierte sie mit brennenden Augen, als könnte ich sie so aus meiner Welt drücken. Ich wollte die Natur sehen, ich wollte im kühlen Wasser schwimmen und treiben, und ich wollte keine Gedanken an Krieg und Vernichtung verschwenden. Doch all diese Gedanken und Bilder lösten die Schiffe vor mir aus.

Ich resignierte und wandte mich ab. Vor mir erkannte ich nun wieder den kleinen Strand, die Lavafelsen, die Steilwand mit der Treppe und darüber das Hotel. Ich wollte nur noch zurück – der Einbruch dieser Realität hatte meinen Tag gründlich verdorben …

 

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