Es war eines dieser Familientreffen, die ich als Kind schon langweilig fand. Noch war nicht der Zeitpunkt gekommen, an dem wir Kinder ins Zimmer meiner Cousine gehen konnten, wo wir miteinander spielen durften.
Wir saßen mit den Erwachsenen am Tisch, auf dem das »feine Geschirr« im künstlichen Licht glitzerte. Wir hatten uns zu benehmen, also verhielten wir uns still und sittsam, sprachen nur, wenn wir dazu aufgefordert wurden, und futterten ansonsten den Kuchen. Es gab Apfelkuchen mit Sahne, einige Himbeerschnitten, dazu Kaffee und Tee.
»Ein schöner Kaffee ist etwas Feines«, sagte mein Onkel und hob die Tasse an. In seinem Schnauzbart glitzerten die Kristalle, die der Puderzucker eines »süßen Stückles« hinterlassen hatte. Er hatte auch schon die ersten zwei »Schnäpsle« intus, was dazu führte, dass er allerlei Späße machte.
Ich wusste bereits, dass es kritisch wurde, wenn er weiter trank; dann wurde er irgendwann laut und prahlerisch, später noch lauter und streitsüchtiger. Aber seine Frau und meine Mutter, die rechts und links von ihm saßen, würden ihn rechtzeitig unter Kontrolle bringen; auch das kannte ich von anderen Gelegenheiten her. Als Kind lernte ich schnell, wie sich Erwachsene unter dem Einfluss von zu viel Alkohol verhielten.
Der andere Onkel am anderen Tischende hob ebenfalls seine Tasse. »Weißt du noch, wie wir damals den Franzosen immer den Kaffee gestohlen haben?« Er lachte.
Die beiden Männer amüsierten sich prächtig. Eine Tante am Tisch verzog das Gesicht, meine Mutter verdrehte die Augen. Und der neue Mann der jungen Tante, die sich immer kräftig schminkte, stellte die Frage, auf die wohl alle warteten: »Ihr habt den Franzosen den Kaffee gestohlen? Wie war denn das?« Er kam aus Norddeutschland, und ich mochte ihn nicht, weil er die Wörter alle so korrekt und damit hart aussprach.
Mein Onkel trank einen Schluck, dann lehnte er sich zurück. Er wies mit dem rechten Arm auf die Bahnstrecke, die unweit des Hauses vorbeiführte, und auf die Wiese dahinter. »Die Franzosen hatten da ihr Lager«, erzählte er. »Die Offiziere hatten sie in den wenigen Häusern einquartiert, die noch standen, und die einfachen Soldaten schliefen in ihren Zelten. Und bei denen gab es natürlich ständig Kaffee.« Genießerisch verzog er das Gesicht.
»Und dann sind wir los«, erzählte der andere Onkel weiter, »und haben uns abends, wenn es schon langsam dunkel wurde, in ihr Lager geschlichen.«
»Ihr seid da echt rein?«, fragte der norddeutsche Mann.
»Eigentlich nicht. Die Franzosen hatten so einen Graben an der einen Seite ihres Lagers. Dort haben sie ihren Müll reingeworfen. Darunter war Kaffee in diesem Kaffeefilterpapier. Und dann sind wir in den Graben gekrochen und haben die Papierfilter mit dem nassen Kaffee rausgefischt.« Er schüttelte sich. »Das war manchmal ganz schön gefährlich.«
»Wegen der Franzosen?«
»Eigentlich wegen der Ratten. Die haben sich zwar nicht für den Kaffee interessiert, aber für die anderen Dinge im Grabe.« Er lachte und biss in sein »süßes Stückle«. Mit seinem runden Gesicht und den roten Bäckchen wirkte er wie der Inbegriff der Gemütlichkeit. »Vor den Ratten hatten wir mehr Angst als vor den Franzosen.«
»Ihr wart ja auch kleine Buben«, wandte meine Mutter ein. »Und wir hatten alle Angst um euch.«
»Aber den Kaffee habt ihr dann alle getrunken, wenn wir den Satz aus den Filtern zusammengeschmissen und neu aufgekocht haben.«
»Na klar.«
Alle Erwachsenen aus unserer Familie, die am Tisch saßen, nahmen ihre Kaffeetassen hoch und tranken daraus. Es sah aus, als erinnerten sie sich gemeinsam an etwas. Danach wurde das Thema gewechselt und niemand sprach mehr über jugendliche Kaffeediebe.
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