11 Oktober 2021

Tanzbär in Lederjacke

»Und ein besonderer Applaus für den Mann mit der coolen Lederjacke!«, rief der Mann in sein Mikrofon. Ich versuchte gerade, mich durch die Menschenmenge in der Innenstadt von Karlsruhe zu drängen, und blieb kurz neugierig zu stehen.

Wir hatten Sontag, 10. Oktober 2021, gegen 15 Uhr am Nachmittag. Die Sonne schien, und zum Stadtfest bewegten sich Tausende durch die Straßen und Ladengeschäfte. An einer Straßenkreuzung spielte eine Band auf, umgeben von einer dichten Traube an Menschen.

Sicherheitsabstände? Corona-Regeln? Pustekuchen! Ich war einer der wenigen, die sich zumindest bei diesem Gedränge eine Maske aufgesetzt hatten; ansonsten schien sich kaum jemand an Abständen von unter fünfzig Zentimetern zu stören.

Die Band hieß The Four Shops und machte eine durchaus flotte Mischung aus Pop, ein bisschen Rock und ein wenig Funk. Sie gehörte zu den »Walking Acts«, die von der Stadtverwaltung an diesem Tag aufgeboten worden waren. Die Musiker bewegten sich durch die Stadt und spielten an unterschiedlichen Kreuzungen und Plätzen der Fußgängerzone.

Ich fand diese Idee gut; sie sorgte für eine belebte Innenstadt und vertrieb den Menschen hoffentlich den »Corona-Blues« ein wenig aus den Köpfen. Mein Problem mit mangelnden Abständen war vielleicht auch wirklich nur meine Sache.

»Und jetzt tanzen!«, rief der Mann am Mikrofon. »Ihr anderen könnt da gern mitmachen.«

Ich hörte ein Johlen und Klatschen, und dann sah, wen die Leute meinten. Ein großer Mann in schwarzer Lederjacke bewegte sich zur Musik, seine Haare und sein Bart waren grau. Er wirkte nicht betrunken, bewegte sich aber schwerfällig. Wie ein alter Tanzbär!, dachte ich und schimpfte in Gedanken gleich über diese Vorstellung.

Zwei junge Männer mit Bärten und Hüten lachten besonders laut. Einer filmte mit seinem Handy den Mann in der Lederjacke. Die Band spielte lauter, einige Leute klatschten im Rhythmus der Musik mit. Der Mann mit der Lederjacke bewegte sich langsam, den Takt hielt er einigermaßen mit.

Ich wollte nicht anhalten, sondern nur aus der Menschenmenge heraus. Nach zwei Dutzend Metern hatte ich den Pulk hinter mir gelassen, rings um mich herum waren nur die üblichen Passanten unterwegs. Ich zog die Maske vom Gesicht und verstaute sie in der Jackentasche.

Hinter mir wurde geklatscht und gesungen, gelacht und getrommelt. Es herrschte Volksfeststimmung, und viele Leute waren fröhlich. Für mich hatte die Szene aber eher falsch gewirkt. Und ich war froh, schnell aus der Innenstadt herauszukommen …

2 Kommentare:

Er soll so angezeigt werden, dass er gelesen werden kann hat gesagt…

Du weisst aber schon, dass das die Normalität war und auch wieder werden muss?

Enpunkt hat gesagt…

Welche Normalität? Dass sich eine Band öffentlich über einen älteren Mann lustig macht und das Publikum dazu johlt?