Wir kannten uns nicht besonders gut, die Nachbarin aus dem obersten Stock und ich. Mehr als zwanzig Jahre wohnten wir im gleichen Haus. Man traf sich im Treppenhaus oder im Garten, auf dem Weg zum Mülleimer oder auf dem Weg zur Arbeit, bei einem Spaziergang oder bei den parkenden Autos. Meist grüßten wir uns nur, selten wurde ein wenig geplaudert.
Häufig waren die Gespräche eher einseitig. Sie bruddelte meist. Das Bruddeln ist in Baden weit verbreitet: Man motzt und mosert ein wenig vor sich hin, findet alles irgendwie schlecht, zieht aber keine Konsequenzen daraus und ärgert sich vor allem nicht lautstark. Es ist ein leises Gemaule über die Dinge, die einen stören, gern gepaart mit der Form von Dialekt, wie man sie in Karlsruhe eben spricht.
Ich antwortete in solchen Fällen meist mit einem »ja ja« oder einem ähnlich intelligenten »so kann man das auch sehen, ja«. Bruddeln ist schließlich keine Diskussion.
Zuletzt trafen wir uns vor Weihnachten am Briefkasten. Sie sagte etwas, es klang wie ein Bruddeln, aber ich war in Eile, ging nicht darauf ein, sondern wünschte nur ein »frohes Fest«. An Weihnachten bekam sie – wie alle Nachbarn – von uns eine Grußkarte vor die Tür gelegt, persönlich formuliert und unterschrieben.
Wie sich nun herausstellte, starb sie kurz nach den Feiertagen. Mehr weiß ich nicht. Aber als ich die Nachricht von ihrem Tod hörte, war ich traurig und betroffen. Sie gehörte dazu, mehr als zwei Jahrzehnte lang.
Und ich bin sicher, ich werde ihr badisches Bruddeln künftig vermissen, wenn es mal wieder nasskalt oder zu heiß ist, wenn die Post mal wieder zu spät kommt oder zu viel Laub im Garten liegt. Irgendwie war's dann doch sympathisch ...
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