»Der hat seine eigenen Methoden«, hieß es über den Lehrer, der an unserem Gymnasium vor allem für Englisch und Geschichte zuständig war. Ich hatte ihn in keinem Unterrichtsfach und kannte ihn nur vom Sehen: eine steif wirkende Gestalt mit einem strengen Bart, die stets einen braunen Cordanzug trug. Damit passte er gut ins Kollegium in der zweiten Hälfte der 70er-Jahre: für den Zweiten Weltkrieg zu jung, für die Studentenbewegung zu alt.
Als er vor uns in der Turnhalle stand, fand ich ihn noch merkwürdiger. Er trug einen Trainingsanzug in derselben braunen Farbe wie sonst seine Anzüge. Er wirkte ernsthaft und steif, und er sah vor allem so aus, als könnte er nicht auch nur andeutungsweise lachen.
Sein Unterricht, den wir an diesem Tag in Sport erhielten, unterschied sich nicht groß von dem des Lehrers, der uns sonst durch die Halle scheuchte. Wir bemerkten allerdings den entscheidenden Unterschied, als er uns Aufstellung halten ließ.
Wir sollten uns in zwei Reihen vor ihm gruppieren: »Die Kleinen von euch stellen sich nach vorne, die Großen nach hinten, dann kann ich euch alle gut sehen«, befahl er mit schnarrender Stimme.
Es dauerte eine Weile, bis wir da schafften. Erste Versuche unterband er schroff, und er war erst nach einiger Zeit zufrieden. Dann hielt er uns eine Ansprache über Disziplin, was zum Sport dazu gehöre, und über den Ehrgeiz, den man brauche, um seine Ziele zu erreichen. Das sei auch wichtig für das Leben im Allgemeinen.
Er hob den Zeigefinger und fixierte einen Schüler, der links außen stand und einen größeren Bauchumfang besaß. »Wer zu viel isst und sich zu wenig bewegt, stirbt früher«, sagte er drohend. »Du solltest dein Leben ändern.«
»Denn dann wird man groß und hässlich, und wenn man groß genug ist, darf man braune Klamotten tragen«, sagte Manne, der neben mir in der zweiten Reihe stand, kicherte leise und stieß mich in die Seite.
Ich kicherte ebenfalls. »Braun wie Kacke«, ergänzte ich. Wir waren elf oder zwölf Jahre alt und machten uns über die politische Bedeutung von Farbe noch keine Gedanken.
Einige andere Schüler, die das kurze Gespräch mitbekommen hatten, lachten leise. Für einige Augenblicke herrschte Chaos in den geordneten Reihen.
Der Lehrer fuhr herum. Er hatte sich bemerkt, wer gelacht hatte, und sah uns nacheinander an. »Du, du und du.« Mit dem Zeigefinger stocherte er in unsere Richtung. »Vortreten.«
Wir sollten bestraft werden. Es sei klar: Wir seien respektlos gewesen, das ginge nicht, und dafür sollten wir eine Strafe erhalten. Und er stellte uns vor die Wahl: »Entweder du schreibst zur Strafe einen Aufsatz von fünf Seiten, oder du willigst ein, dass ich dir fünf Schläge mit der flachen Hand verabreiche.«
Wir starrten uns an. Schläge? In unserer Zeit? Ich glaubte es nicht.
Der Lehrer beharrte auf seiner Ansicht. »Wer sich freiwillig für die Schläge entscheidet, kann dann nicht sagen, ich hätte gegen seinen Willen gehandelt. Das ist alles rechtlich abgesichert.«
Tatsächlich legten sich nacheinander die Schulkameraden über einen Stuhl, so dass ihr Hintern nach oben zeigte. Und nacheinander bekamen sie fünf Schläge mit der flachen Hand auf den Hintern.
Ich blieb stehen. Ich sagte nichts, ich wusste keinen schlauen Spruch.
»Und du?«, fragte er Lehrer dann.
»Ich schreibe lieber«, sagte ich trotzig.
Ich bekam die Strafarbeit. Zwar musste ich dann etwas schreiben, auf das ich keine Lust hatte, irgendeinen Aufsatz über ein Bild und seine Bedeutung – aber es war mir lieber, als Schläge zu kassieren. Und ich hatte das Gefühl, etwas für mich zu tun.
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