30 Dezember 2019

Ein Meisterwerk der Phantastik

Zu den Romanen der phantastischen Literatur, die man gelesen haben sollte, zählt für mich schon seit vielen Jahren »Meister und Margarita« des russischen Schriftstellers Michail Bulgakow. Ich kannte bislang nur die Ausgabe, die in den frühen 80er-Jahren in der DDR erschienen war; jetzt las ich mit großer Spannung und wachsender Begeisterung die Neuübersetzung des Werks, die im Verlag Galiani Berlin veröffentlicht worden ist.

Galiani hat den Roman auf »neue Beine« stellen lassen. Kein Wunder – der Verlag musste keine ideologische Rücksicht auf die Sowjetunion nehmen, die der Autor zwischen den Zeilen immer wieder kritisierte und satirisch hinterfragte.

Ein umfangreicher Fußnoten-Apparat erklärt im Anhang viele Details, die dem heutigen Leser nicht auffallen können; dazu kommt ein spannendes Nachwort. Der Roman wird damit in seine Zeit eingeordnet, und es wird klar, warum er – erstens – als Meisterwerk gilt und es – zweitens – so schwierig ist, eine »Endversion« anzufertigen.

Tatsächlich ist der Hintergrund des Werkes fast spannender als sein eigentlicher Inhalt. Der Autor schrieb an seinem Roman während der stalinistischen Ära. Zwischen 1928 und 1940 arbeitete er immer wieder daran, während er Kurzgeschichten veröffentlichte und für Zeitungen tätig war. Veröffentlicht wurde der Roman erst 1966, nach dem Tod seines Autors also, und damals auch in einer zensierten Version. Diese zensierte Version wurde rasch in den Westen übersetzt und faszinierte viele Menschen; laut Wikipedia schrieb Mick Jagger nach der Lektüre den Rolling-Stones-Song »Sympathy For The Devil«.

Warum ein phantastischer Roman einen so großen Einfluss haben konnte? Weil man so viel hineininterpretieren kann.

Ein Magier und ein sprechender Kater kommen nach Moskau und verwirren dort die Gesellschaft. Andere Kapitel zeigen das Jerusalem zur Zeit Christi, sie stellen die Herrschaft des Pontius Pilatus der Menschenliebe des Jesus Christus gegenüber. Jede Szene in diesem kunterbunten, extrem unterhaltsamen und immer wieder mit wunderbaren Szenen begeisternden Buch kann als Anspielung auf politische Ereignisse gelesen werden.

Die Version, die bei Galiani erschienen ist, versucht immerhin, einen Originaltext wiederherzustellen – das war wegen der Entstehungsgeschichte und der vielen Versionen des Werkes nicht einfach. Es entstand ein Buch, das sehr hochwertig ausgestattet ist: ein schicker Halbleinenband mit 608 Seiten Umfang, mit Lesebändchen, mit zahlreichen Illustrationen, einem lesenswerten Nachwort und den umfangreichen Anmerkungen. In diesem Fall lohnt es sich, die Hardcover-Version zu haben.

Selbstverständlich ist »Meister und Margarita« kein Fantasy-Roman, es ist vor allem eine satirisch verbrämte Darstellung der stalinistischen Zeit. Immer wieder finden sich Hinweise auf eine Zeit des Terrors und gleichzeitig der großen sozialen Not. Der Autor schaffte es aber, durch seine phantastische Handlung, in der Zauberei und Magie, Träume und Diskussionen gleichermaßen existieren, einen Roman zu schaffen, den ich für ein Meisterwerk der Phantastik halte.

(Übrigens ist der Wikipedia-Artikel zu diesem Roman sehr lesenswert. Ausführlich informiert er nicht nur über den Inhalt und die wichtigsten Figuren, sondern stellt auch die Entstehungsgeschichte dar und liefert Bezüge zu Goethes »Faust«. Lesenswert ist sowieso die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlages.)

2 Kommentare:

Enpunkt hat gesagt…

Hier geht's zu dem empfehlenswerten Wikipedia-Artikel über »Meister und Margarita«:
https://de.wikipedia.org/wiki/Der_Meister_und_Margarita

Und hier geht's zur Verlags-Seite, wo unter anderem die Leseprobe zu finden ist:
http://www.galiani.de/buch/meister-und-margarita/978-3-86971-058-7/

Sören hat gesagt…

Hi, falls es dich interessiert (oder deine Leser): Habe den Roman auch besprochen & möchte auch besonders die Hörspielbearbeitung empfehlen: https://soerenheim.wordpress.com/2018/11/26/der-goettliche-witz-zu-bulgakows-meister-und-margarita/