09 November 2022

Ein literarisch-historischer Roman

Was bedeutet Zeit eigentlich? Warum vergeht sie – gefühlt – mal schneller und mal langsamer, je nachdem, in welcher Situation sich ein Mensch gerade befindet? Das ist die zentrale Frage in dem Roman »Cox oder Der Lauf der Zeit«, den der Autor Christoph Ransmayr geschrieben hat und der bereits vor einigen Jahren veröffentlicht worden ist. Ich habe ihn erst dieser Tage gelesen und fand ihn sehr beeindruckend.

Auf den ersten Blick kommt er als historischer Roman her. Die Handlung spielt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Der englische Uhrmachermeister Alister Cox erhält eine Einladung aus China. Mit drei Gehilfen reist er an den Hof des Kaisers von China, in dessen Auftrag er eine Uhr bauen soll, die für alle Ewigkeit das Mysterium der Zeit bannen soll. Doch die Reise ist nicht nur eine Fahrt in eine völlig fremdartige Kultur, sondern auch eine Fahrt ins Innere eines Mannes, der von der Trauer um den Tod seiner Tochter erfüllt ist.

Die Engländer tun sich schwer mit der chinesischen Kultur. Der Kaiser gilt als Herr der Zeit, als unfehlbar. Es gibt zahlreiche Verbote, die sich den Engländern – sie lernen die ganze Zeit über kein Wort der fremden Sprache – verschließen; sie bekommen aber mit, zu welch drakonischen Strafen gegriffen wird. Im Reich der Mitte wird schnell hingerichtet, und eine solche Hinrichtung besteht aus fürchterlicher Folter.

Das alles zeigt der Autor in einem Stil, den ich für ungewöhnlich halte. Er verzichtet praktisch komplett auf Dialoge, im ganzen Buch gibt es keine An- und Abführungszeichen. Es gibt wenig indirekte Rede, die Sprache ist oft gewollt distanziert. Und trotzdem ist das alles spannend erzählt und saugt einen nach kurzer Verwirrung am Anfang immer stärker in die Geschichte hinein.

Das gelingt vor allem, weil der Autor seine Sicht auf Cox sehr klar gestaltet. Der Uhrmacher ist ein gebrochener Mann, der von seiner toten Tochter träumt. Wenn er versucht, eine wundersame Uhr zu bauen, will er damit auch dem Tod entgegentreten. Und der Kaiser? Er ist gleichzeitig von der Zeit besessen, über alle kulturellen und sonstigen Grenzen hinweg.

»Cox oder Der Lauf der Zeit« ist kein umfangreicher Roman. Weil er aber sehr dicht geschrieben ist, auch mit durchaus komplexen Sätzen, braucht man einige Zeit für ihn. Es ist eine intensive Lektüre, die mich nicht kaltgelassen hat und deren Bilder noch länger in mir nachwirken. Ein großartiges Buch, das ganz nebenbei philosophische Gedanken vermittelt – bei aller Spannung, die durch die kulturellen Unterschiede entsteht.

3 Kommentare:

Enpunkt hat gesagt…

Weitere Informationen zu »Cox« gibt es unter anderem auf der Internet-Seite der Fischer-Verlage. Hier:

https://www.fischerverlage.de/buch/christoph-ransmayr-cox-9783100829511

Razamon hat gesagt…

Ich habe den Roman vor einigen Jahren gelesen.
Mir hat er überhaupt nicht gefallen; gerade auch was den Stil des Autoren betrifft.
Groß vom Verlag angekündigt, fand ich ihn relativ nichtig und habe auch kaum ein "Echo" dieses Werkes bemerkt.
Geschmacksache...

Enpunkt hat gesagt…

Es ist ja auch gut, dass nicht jedem alles gleichermaßen gefällt.