30 April 2021

Die Zeitung und das Blut

Aus der Serie »Dorfgeschichten« (spielt 1978)

Mittagspause auf der Baustelle: Die Sonne knallte auf uns herunter, wir aßen und tranken etwas. Ich war als Handlanger dabei und fand mich sehr erwachsen, wie ich da zwischen den Arbeitern saß, die schon dem Bier zusprachen, und mein Mineralwasser trank.

Eigentlich hatte ich ein aktuelles Romanheft dabei, auf dem ein kugelförmiges Raumschiff abgebildet war, und wollte in diesem einige Seiten lesen. Aber dann sah ich, dass eine BILD-Zeitung frei war, griff nach dem Blatt und schlug es auf. Bei meinen Eltern gab es diese Zeitung nicht, für meinen Vater war die BILD »einfach nur Dreck«. Deshalb war ich neugierig darauf, mehr über sie und ihren Inhalt zu erfahren.

Einer der Arbeiter in meiner Nähe sah mich mit der Zeitung und lachte. »Du musst die Zeitung gerade halten«, sagte er, »nicht so schräg.«

Ich war verwundert und kapierte zuerst nicht, was er meinte. War es einer der Späße, die Arbeiter gern mit jungen Leuten trieben, indem sie beispielsweise einen Lehrling in die Apotheke schickten, wo er eine Flasche »Ibeedomm« (Schwäbisch für »Ich bin dumm«) kaufen sollte?

Der Arbeiter lachte erneut und wies auf die Zeitung. »Du hast eine BILD vor dir. Die musst du immer so lesen, dass das Blut nicht rausläuft.«

Ich fiel in sein Lachen ein, ohne so recht zu verstehen, was er meinte. Nachdem ich einige Texte gelesen hatte, wusste ich Bescheid: Es ging um Mord und Vergewaltigung, die Sprache war reißerisch, die Bilder knallig. Danach war mir klar, was mein Vater gemeint hatte, als er die Zeitung so ablehnte …

1 Kommentar:

Enpunkt hat gesagt…

Wer wisen möchte, welches Romanhaft ich damals 1978 auf der Baustelle las: Es war PERRY RHODAN-Band 39, »Die Welt der drei Planeten«, in der vierten Auflage im Sommer 1978 veröffentlicht ...

Hier ist das Bild zu sehen:
https://www.perrypedia.de/mediawiki/images/9/93/PR0039.jpg