Weil ich mich auf dem Campingplatz langweilte und es noch einige Zeit dauern würde, bis wir kochen würden, schnappte ich mir mein Rad. Ich wollte Tamanrasset ein wenig erkunden, nachdem wir einmal mit dem Bus durchgefahren waren und einen kurzen Spaziergang unternommen hatten.
Es war ein heißer Tag im Dezember 1987, und ich wollte die hohen Temperaturen ausnutzen. Kalt wurde es in der Sahara früh genug um diese Jahreszeit.
Vom Campingplatz aus nahm ich die geteerte Straße in die Innenstadt. Tam, wie alle die Stadt nannten, war nicht mehr als ein Nest aus schmutzig-weißen Häusern, die sich an einigen Straßen entlang reihten: In der Mitte gab es entlang des ausgetrockneten Flussbettes eine Art Geschäftszentrum mit einer kleinen Bank, einer Moschee, einem Café und einer Bäckerei; viel mehr bot die kleine Stadt nach einem ersten Augenschein nicht.
Laut Reiseführer hatte ganz Tamanrasset um die 5000 Einwohner. Damit waren aber nicht nur die Leute gemeint, die in der eigentlichen Stadt wohnten, sondern auch die Bewohner verstreuter Siedlungen in der umliegenden Region. Kein Wunder, dass die Stadt auf mich den Eindruck eines großen Dorfes machte, über dem allgegenwärtiger Staub hing.
Während ich mit dem Rad fuhr, überholten mich mehrere Militärfahrzeuge. Auf den Pritschen saßen Soldaten mit Gewehren in den Händen, insgesamt mehrere Dutzend Mann. Ich blickte starr geradeaus, versuchte so flach wie möglich durch die Nase zu atmen, hatte währenddessen das Gefühl, eine Schicht aus Staub und Dreck lege sich auf mein Gesicht und meine bloßen Arme. Immerhin hatte ich eine lange Hose und meine Stiefel an.
Ich passierte einige Männer, die neben ihren Kamelen standen, und bog in eine Seitenstraße ein. Der Asphalt wich einer Piste: fester Boden, über den sich eine feine Schicht aus Flugsand gelegt hatte. Die Häuser zu meiner Rechten und Linken waren zweistöckig, die Straße wurde rasch enger.
Ziegen waren auf der Straße unterwegs, einige Frauen huschten an mir vorüber. Als ich vor mir eine Gruppe von Jugendlichen sah, die mitten auf der Straße gingen, brauchte ich einige Zeit, um langsamer zu werden. Meine Bremse quietschte, mein Hinterrad schlug ein wenig aus. Direkt vor den Jugendlichen blieb ich stehen.
Sie mochten zwischen zwölf und fünfzehn Jahre alt sein, allesamt Jungs. Sie trugen zerschlissene weite Kleidung aus Stoffen, die einstmals weiß oder schwarz gewesen sein mussten, nur aber sehr dreckig wirkten. Ihren Gesichtern nach waren sie keine Araber, sondern zählten eher zu den Berbern, die in dieser Gegend siedelten. Die Haare waren voller Staub und Dreck, sie standen in alle Richtungen ab. Hätte man die Jugendlichen in eine deutsche Großstadt verfrachtet, hätte man sie vielleicht für Punks gehalten.
Sie drehten sich zu mir um, wirkten verblüfft, schienen auf einmal eine breite Front zu bilden, die mir die Straße versperrte. Auf einmal fühlte es sich für mich an, als stünde ich an einer Straßensperre. Es wäre nicht die erste in Algerien gewesen; wir waren von Polizei und Militär nicht nur einmal angehalten worden.
In einem Anflug von Panik stellte ich fest, dass die Jungs teilweise bewaffnet waren; einige von ihnen trugen Messer an der Seite. Ein Überfall? Sollte ich ausgeraubt werden?
Sie starrten mich an, ich starrte zurück; keine Ahnung, wie lange das dauerte. Dann lachte einer, wies auf meinen Kopf, und die anderen fielen in das Lachen ein. Zuerst verstand ich nicht, sah sie wohl verwirrt an, dann zeigte der Junge auf meinen Kopf und zog an seinen abstehenden Haaren.
Da verstand ich. Meine struppigen Haare, die ich nicht mit einer Mütze bedeckt hatte, waren ebenfalls voller Sand und Staub; sie standen ebenfalls in alle Richtungen. Und unter der Staubschicht konnte man zwar erkennen, dass ich ein weißhäutiger Europäer war, der aber einen deutlich schmutzigeren Eindruck machte als andere Europäer, die ich bislang in der Stadt gesehen hatte.
Ich griff mit der Rechten an meine Haare und zog daran, spürte, wie sie stehen blieben. Ohne mein Zutun hatte ich eine Sammlung astreiner Spikes, die sich kreuz und quer über meinen Schädel zogen.
Dann lachte ich auch. Vor Erleichterung und weil ich es wirklich witzig fand.
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