Zu den Autoren, die ich vor allem durch die Verfilmungen ihrer Romane kenne, zählt Dennis Lehane. »The Drop« oder »Shutter Island« fallen mir als erste ein, aber es gibt noch eine Reihe mehr.
Der Autor spezialisierte sich auf Krimis, die man auch als Gangster-Romane bezeichnen könnte, weil sie meist aus der Sicht der Unterwelt erzählt werden, nicht aus der Sicht der Polizei oder eines privaten Ermittlers. Ich las dieser Tage endlich »In der Nacht«, der bei Diogenes als Taschenbuch erschienen ist.
Hauptfigur des Romans, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts spielt, ist Joe Coughlin, ein Krimineller in der Stadt Boston. Der Roman erzählt einen Teil seines Lebens – es gibt auch eine direkte Fortsetzung, aber man kann den Band völlig losgelöst lesen. Joes Vater ist Polizist, aber trotzdem entscheidet sich der Sohn dafür, in die kriminelle Szene abzurutschen. Das macht er völlig bewusst, und er genießt das Spiel mit der Gefahr.
Als Gangster wird Joe immer einflussreicher; er landet zeitweise im Gefängnis, bevor er als Abgesandter der Mafia nach Florida geschickt wird. Dort sorgt er während der Prohibition dafür, dass der Schmuggel mit Rum von Kuba aus gelingt. Der ständige Kampf mit Konkurrenten innerhalb und außerhalb der Organisation gehört ständig dazu; dabei bleibt Joe aber ein »Gangster mit Herz«, der sich mancher Brutalität verschließt.
Der Autor schildert glaubhaft den Aufstieg eines Kriminellen an die Spitze einer Organisation. Er zeigt, wie Mafia-Clans funktionieren und welche Regeln gelten, und er macht klar, dass es auch schon in der »guten alten Zeit« galt, das organisierte Verbrechen möglichst eng mit der bürgerlichen Welt zu verknüpfen.
Seine Hauptfigur finde ich glaubhaft, wenngleich sie mir manchmal als »zu gut« erscheint. Joe entwickelt sich über den Zeitraum von mehreren Jahren hinweg, und die Gesellschaft rings um ihn bleibt in dieser Zeit natürlich nicht gleich. Klar – das ist keine Dokumentation, sondern ein Roman, und ich fand ihn packend und mitreißend.
»In der Nacht« ist kein Action-Thriller, sondern ein Entwicklungsroman. Manche Passagen lesen sich langsam, aber ich empfand sie trotzdem als spannend. Gerade weil nicht so viel passiert – weil ja eine Organisation nicht über Nacht aufgebaut werden kann –, entsteht ein faszinierendes Szenario, das ich sehr fesselnd fand.
Sicher liegt der Vergleich zu »Der Pate« nahe, beides Mal geht es um das organisierte Verbrechen. Während »Der Pate« aber auch versucht, die gesamte Gesellschaft zu präsentieren, konzentriert sich Lehane in seinem Roman auf den einen Kriminellen, den er ausgiebig porträtiert. Man muss sich darauf einlassen, dann hat man eine faszinierende Geschichte vor sich.
1 Kommentar:
Hier geht's direkt zur Internet-Seite des Verlages, wo es einige Informationen mehr zum Buch gibt:
http://www.diogenes.ch/leser/titel/dennis-lehane/in-der-nacht-9783257243154.html
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