29 Dezember 2022

Rottweil im Juli 1999

»Was soll das denn sein?«, fragte ich mich im Sommer 1999 einige Male. In Rottweil sollte ein Panzerknacker-Festival stattfinden, zumindest hatte ich mir das so notiert. Die kleine Stadt im Schwarzwald kannte ich von meiner Zeit in Freudenstadt her, aber seit ich in Karlsruhe wohnte, war ich dort nicht mehr gewesen.

Am Samstag, 10. Juli 1999, fuhr ich nach einigem Überlegen – was es überhaupt sinnvoll, soweit durch das Land zu gondeln? – nach Rottweil. Es war ein warmer, fast heißer Tag. Ich erreichte am frühen Nachmittag das Rhodia-Gelände, am Rand der Stadt gelegen. Es handelte sich um ein ehemaliges Fabrikgelände, hier war – wie in der Region nicht unüblich – einige Jahre zuvor noch Munition hergestellt worden.

Schon auf dem Weg vom Parkplatz zum eigentlichen Konzertort kam ich an zahlreichen Punkrockern vorbei; offensichtlich hatten sich viele junge Leute aus Baden-Württemberg und der nördlichen Schweiz eingefunden. Sie saßen in Gruppen auf dem Boden herum, sprachen trotz der hohen Temperaturen sehr dem Bier zu; aus den Kassettenrekordern dröhnte der übliche Deutschpunk. Ich nahm mir vor, mich beim Bier zurückzuhalten. Sinnvoll war das sowieso, wenn ich mit dem Auto unterwegs war.

Das erwies sich im weiteren Verlauf des Abends als sinnvoll. Tobi von Twisted Chords hatte im Vorraum des Konzertorts einen Verkaufsstand aufgebaut, an dem ich mich sehr oft aufhielt. Ich half ein wenig aus, was in diesem Fall hieß, dass ich die eine oder andere Beratung von mir gab (»Wenn du Deutschpunk magst und nur Geld für eine einzige Platte dabei hast, kauf dir diese hier – die ist super, und die findest du auch in zehn Jahren noch gut.«).

Später half ich vor allem aus, den Stand gegen besoffene Pöbler zu verteidigen. Aber damit greife ich ja ein wenig vor … Tatsächlich bekam ich von den meisten Bands nichts mit. Ich stand an Tobis Stand herum und redete mit Leuten, oder ich stand vor der Tür, genoss die frische Luft, wo ich entgeistert zusah, wie sich manche Leute schnellstmöglich mit Bier und Schnaps abschossen. Praktisch bekam ich nur zwei Bands mit.

Rag Tag aus Konstanz hatte ich davor nie gesehen, und nach diesem Tag bekam ich sie auch nie mehr zu Gesicht. Die Band war melodisch, der Punkrock war in Ordnung, die Sängerin fand ich überzeugend.

Was mich tatsächlich begeisterte an diesem Abend, war die Band Ladget aus dem Großraum Karlsruhe. Ich hatte sie schon einmal live gesehen und fand sie damals langweilig: wieder eine Band, die versuchte, so zu klingen, als stamme sie aus einer Stadt am Strand von Kalifornien.

Nach diesem Abend war alles anders. Ladget ließen es richtig krachen. Sie ignorierten, dass das Deutschpunk-Publikum mit ihrem rasanten Melodycore nichts anzufangen wusste. Der Sänger sprang auf der Bühne herum, die Musiker machten Faxen, das alles überzeugte mich an diesem Abend komplett.

Vom Rest bekam ich nichts mehr mit. Mich nervte das Publikum immer mehr: besoffene Punks, die sich nicht für die Bands interessierten, sondern vor allem ein beschissenes Verhalten zur Schau stellen wollten, ein Berg von Müll, der immer weiter wuchs. Vielleicht hätte ich mehr Spaß an allem gehabt, wenn ich selbst getrunken hätte.

Die meiste Zeit stand ich im Freien, wo sich immerhin einige Leute aufhielten, mit denen ich reden konnte. Oder ich lungerte am Verkaufsstand von Twisted Chords. Mein Talent als Verkaufsberater war irgendwann nicht mehr gefragt, ich wurde als Hilfspolizist gebraucht. (»Die CD, die du gerade in deinen Rucksack steckst, solltest du aber schon noch bezahlen.«) Es war echt anstrengend und machte von Viertelstunde zu Viertelstunde weniger Spaß.

Irgendwann waren alle Bands fertig, und ich war immer noch nüchtern. »Vielleicht hätte ich mich besaufen sollen«, sagte ich zu Tobi, während ich ihm half, seine Verkaufskisten in seinem Auto zu verstauen.

»Das wäre vielleicht besser gewesen«, gab er zurück und wies auf die Kappe, die ich mir aufgesetzt hatte. Es regnete leicht, und der Schirm der Mütze sorgte dafür, dass meine Brille trocken blieb. »Setz das Ding ab!«, forderte er. »Damit sieht du echt aus wie ein alter Mann.«

Ich sah ihn verblüfft an, ließ die Mütze aber auf. Er lachte mich aus, und irgendwann verabschiedeten wir uns voneinander. Noch einmal ließ ich meinen Blick über das Gelände wandern. Im Nieselregen sah es nicht mehr so interessant aus wie vor Stunden, als die Sonne geschienen hatte.

Es wurde Zeit, dass ich fuhr. Rottweil würde ich so kaum in einer guten Erinnerung behalten.

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