15 Dezember 2022

Wenn die Bahn nicht mehr vom Wetter redet

Eigentlich hätte mich der frühe Morgen ja warnen sollen – es ging alles viel zu glatt. Ich fuhr mit meinem Fahrrad in aller Ruhe zum Bahnhof; die Straßen waren trocken, und gegen die Kälte kann man sich schließlich warm anziehen. Der Zug von Karlsruhe nach München hielt seinen Fahrplan exakt ein, wir kamen pünktlich an.

In München regnete es auf eiskalte Straßen; die Innenstadt erwies sich als eine einzige Rutschbahn. Ich absolvierte meine drei Termine, sprang irgendwann in ein Taxi und ließ mich zum Bahnhof fahren.

Mein Zug sollte um 16.58 Uhr vom Gleis zehn aus gehen. Wie es sich herausstellte, muss man da einen halben Kilometer am eigentlichen Bahnhof entlang gehen. Ich bin nicht gehbehindert, aber es waren auch ältere Leute unterwegs; da zieht sich die Strecke schon. Vor allem wenn man dann am Bahnsteig steht und eine nüchterne Information – kein Mensch weit und breit, den man hätte fragen können – darüber informiert, dass der Zug von München nach Basel ausgefallen sei. Kein weiterer Grund, nichts.

Ich eilte zurück in die Bahnhofshalle, stellte fest, dass beim Informationsschalter eine Schlange von gut hundert Leuten stand, hörte dann endlich einmal einer Durchsage zu und merkte, dass ich ein Opfer des Wetters geworden war: Der Regen hatte München offensichtlich lahmgelegt. Angeblich sollten keine Züge mehr in Richtung Augsburg fahren.

An einem Gleis stand aber ein abfahrbereiter Zug, der eine Verspätung von einer halben Stunde hatte. Der Zug sollte nach Dortmund fahren, unter anderem über Stuttgart. Kurzerhand redete ich mit einem Schaffner, der ganz optimistisch klang, stieg ein, suchte mir einen freien Platz und ließ mich nieder. Dann wartete ich.

Es dauerte recht lang, bis der Zug sich endlich in Bewegung setzte. Wie es sich herausstellte, waren viele der Leute, die um mich herum saßen, schon seit längerem unterwegs. Ein älterer Mann meinte, er versuche seit 14 Uhr, aus München herauszukommen. Eine ältere Frau erzählte, sie wolle bis nach Karlsruhe, um von dort nach Freiburg weiterzufahren.

Der Zug fuhr los, wir hatten ordentlich Verspätung. Unterwegs hielt er immer wieder an, und die Verspätung wurde schlimmer. Als wir Augsburg erreichten, war es schon echt spät. Dort hielt der Zug lang im Bahnhof. Als er sich wieder in Bewegung setzte fuhren wir nicht nach Ulm, sondern nach Norden – weil Züge zwischen Augsburg und Ulm irgendwie gestrandet waren, wurden wir über Donauwörth geleitet.

Die Informationen waren spärlich. Der Zug fuhr immer mal wieder einige Kilometer, um dann wieder stehenzubleiben. Die Zeit verstrich, die Laune sackte – bis sich irgendwann einen Lagerstimmung breitmachte. Allen war klar, dass ihre Zeitpläne erledigt waren. Schokolade wurde geteilt, dämliche Witze machten die Runde, einige – darunter ich – holten sich Bier im Bordrestaurant.

Die Laune sackte schlagartig ab, als das Bordrestaurant dicht machte. Irgendwann erreichten wir dann doch Ulm, einige Stunden, nachdem wir München verlassen hatten. Der Zugführer sagte, der Zug stoppe außerplanmäßig in Ulm, wir sollten auf einen anderen Zug umsteigen, der auch über Stuttgart fahre.

Ich wartete in der Kälte, dann kam der andere Zug irgendwann. Er fuhr in der Tat über Stuttgart, von dort aus über Frankfurt nach Erfurt. Er hatte zu diesem Zeitpunkt einen Verspätung von 173 Minuten, also gut drei Stunden, und die wurden bei der folgenden Fahrt noch länger.

Irgendwann erreichte ich Stuttgart, wo ich auf einen Intercity nach Karlsruhe wartete. Der hatte selbstverständlich Verspätung, und so war ich um 23.15 Uhr in Karlsruhe. Ich ging durch das Schneetreiben zu meine Fahrrad, das ich erst vom Schnee befreien konnte.

Dann radelte ich durch rieselnde Schneeflocken nach Hause: Auf den Straßen waren keine Autos unterwegs, also hielt ich mich auf der Fahrbahn – die war meist eisfrei, während die Radwege wie eine fiese Rutschbahn anmuteten … Und um halb zwölf Uhr war ich endlich daheim.

3 Kommentare:

Christina hat gesagt…

Ah, Du hast den Holzkirchener Bahnhof kennengelernt. Dort fahren die Regionalbahnen Richtung Rosenheim ab. Von da muss ich regelmäßig umsteigen. Ist eine sportliche Angelegenheit, wenn man nur zehn Minuten oder weniger Zeit zum Umsteigen hat. Mein Rekord liegt bei 4 Minuten von Gleis 5 auf Gleis 23. Danach hatte ich aber auch einen Asthma-Anfall für den Rest des Tages.

Zum Glück musstest Du nicht auch noch evakuiert werde. Die Erfahrung durfte ich vor zwei Wochen machen. Bei Eis und Schnee ist das kein Vergnügen. <a href="https://www.christina-hacker.de/2022/12/deutsche-bahn-jede-fahrt-ein-abenteuer“>Bahnabenteuer</a>

Enpunkt hat gesagt…

Danke für den Kommentar! Ich habe mir eben Deinen Blogtext angesehen; das klingt ja auch spannend. Und die Kommentare der anderen sind ebenfalls interessant.

Mir ist schleierhaft, wie die Bahn das früher geschafft hat. Liegt es echt nur an der Elektrizität? Liegt es nur daran, dass man früher mit Diesel oder gar Kohle gefahren ist und auf Elektronik verzichtet hat? Ich weiß es natürlich nicht.

Christina hat gesagt…

Das liegt weder an der Technik noch an mangelnder Elektrizität, sondern einzig und alleine am Stellenabbau in den letzten Jahrzehnten. Da ist die Personaldecke auf Kante genäht und ein einziges kleines Ereignis bringt das ganze Kartenhaus zum Einsturz. Das erleben wir jetzt überall, in jeder Behörde, jeder Schule und in jedem Krankenhaus. Wer Jahrzehnte lang am Personal und der Ausbildung von Nachwuchs spart, muss damit rechnen, dass, wenn alle weg sind, nichts mehr geht. Ich wundere mich da nicht mehr.