Ich traf einen ehemaligen Klassenkameraden wieder, mit dem ich mich trotz aller politischen Differenzen gut verstanden hatte. Er war »der Rechte« gewesen, ich »der Linke«, wobei »rechts« damals hieß, dass man in der Jungen Union war. Wir unterhielten uns, wir kamen unweigerlich auf politische Themen.
»Bist du eigentlich immer noch für die 35-Stunden-Woche?«, fragte er. Damit spielte er auf eine Diskussion an, die wir etwa 1983 geführt hatten: auf einem Podium in der Schule, zum Gaudium der ganzen Jahrgangsstufe, die zuschauen durfte. Ich war für, er gegen die 35-Stunden-Woche, und das war damals ein echt spannendes Thema.
»Klar bin ich immer noch dafür«, sagte ich. Angesichts der aktuellen Wertschöpfung und der Arbeitsverdichtung sei längst eine 30-Stunden-Woche sinnvoll. Arbeit müsse stärker umverteilt werden, es könne nicht sein, dass die Unternehmen heute wieder junge Leute einstellen und denen 40-Stunden-Wochen ohne Urlaubs- und Weihnachtsgeld als soziale Errungenschaften präsentieren.
Ich redete mich ein wenig in Rage. Wie so oft, wenn ich mich darüber ärgere, dass wir in einem Land leben, in dem die Reichen immer reicher werden, in dem die Schulen und Verkehrswege verrotten, in dem Millionen von Arbeitnehmern auf eine Armutsrente zusteuern.
Er guckte mich an. »Und wie viele Stunden arbeitest du denn derzeit?«
»Fünfzig Stunden im Schnitt«, gestand ich. »Manchmal sind's sechzig.«
»Versteh ich das richtig: als Angestellter. Dir gehört der Laden nicht.«
Ich sagte nichts mehr. Und ich wehrte mich auch nicht, als er mich auslachte ...
4 Kommentare:
So was passiert, wenn man sich überraschend als Stütze der Gesellschaft wiederfindet.
Tjaaa, im Prinzip stimme ich Deinen Gedanken ja zu, aber Dein Verhalten widerspricht Deinen eigenen Vorstellungen. Das kann dann schon mal zum Lachen verführen.
Außerdem ist ja Perry irgendwie dein Hobby, von daher hast du doch dein Hobby zum Beruf gemacht. Dieses Privileg hat auch nicht jeder.
Eben. Und die Frage ist ja immer: Habe ich das Gefühl, dass ich trotz Arbeit, wie auch immer die aussieht, genug Zeit für mich, Familie, Freunde und alles andere habe? Ich persönlich finde 40h-Wochen auch als altmodisch und unnötig. Vor allem, da erwiesen ist, dass kaum ein Mensch mehr als fünf bis sechs Stunden am Tag produktiv ist. Von daher sollte man endlich die Arbeitszeiten senken. Vor allem, da die Lebensarbeitszeit ja eh schon erhöht wurde. Aber das verstehen die Konservativen traurigerweise ja nicht.
Ich persönlich würde gerne im nächsten Jahr nur noch 35 oder 30 Stunden arbeiten.
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