30 Juni 2021

Hammerhead in der Bonzenstadt

Aus der Serie »Jammern über frühere Konzerte, wenn wegen Corona eh nix geht«

Mitten im bonzigen Baden-Baden, in direkter Nachbarschaft zum Spielcasino und zum Festspielhaus: Die »Jube«, das örtliche Jugendzentrum der Schwarzwaldstadt, bot in den 80er- und 90er-Jahren immer wieder großartige Punk-Konzerte. So war es auch am Samstag, 18. März 1995, als ich mit einigen Bekannten im Schlepptau von Karlsruhe nach Baden-Baden fuhr.

Weil wir nicht zeitig losgekommen waren, erreichten wir das Jugendhaus nicht pünktlich. Der Konzertsaal war bereits gut gefüllt, auf der Bühne stand eine Band, die wüsten Grindcore spielte. Es wurde gegrunzt und geröchelt, gebrüllt und in die Saiten gehauen. Mein Fall war’s nicht. Aber ich war sowieso verblüfft darüber, wie viele junge Hardcore-Leute zur Stelle waren, die ich allesamt nicht kannte, und wie viele Langhaarige sich eingefunden hatten.

Erst nach einer Weile bemerkte ich, dass sich genügend Leute in dem Raum aufhielten, die ich kannte. Manche Leute lungerten aber trotz der frischen Temperaturen lieber mit einem Bier in der Hand vor der Tür herum, anstatt sich das Gegrunze von der Bühne herunter anzuhören. Ich begrüßte die Leute von HAMMERHEAD, die mit einigen Begleitern angereist waren, und verzog mich ebenfalls vor die Tür.

Dort verpasste ich die zweite Band komplett. Danach spielten ABC DIABOLO, und die ließ ich ebenfalls sausen. Mit dem schleppenden Sound der Band konnte ich nicht viel anfangen. Ich erkannte zwar, dass das schon irgendwie gut war, aber ich wollte an diesem Abend vor allem viel Spaß haben und Pogo tanzen. Da passten die ersten Bands einfach nicht.

Nachdem die Jungs von HAMMERHEAD genügend Zeit damit verbracht hatten, Bier zu trinken und Tischtennis zu spielen, gingen sie auf die Bühne. Sie hielten sich nicht damit auf, große Reden zu halten, sondern bolzten sofort los.

Und es dauerte keine dreißig Sekunden, als der Saal auch schon kochte. Vor der Bühne entwickelte sich ein wüstes, total geiles Gehüpfe, eine derbe Mischung aus Pogo und Slam-Dancing. Bier spritzte wie blöd, es wurde rumgerotzt, was das Zeugs hielt, und dazwischen brüllte, tobte und sprang Tobias Scheiße. Nicht nur der Sänger der Band aus Bonn verausgabte sich auf der Bühne, auch seine Kollegen gaben sich redlich Mühe, das Publikum an den Rand des Wahnsinns zu bringen. Die Leute auf der Bühne feixten und brüllten die Texte mit, sie sprangen auf und ab, fuchtelten mit den Händen und entfesselten einen Sound, der rauer und dynamischer war als auf jeder Platte.

Ich war fassungslos vor Begeisterung und sprang selbst wie ein Bekloppter durch das Jugendhaus. Der Schweiß lief in Strömen, von oben wurde ich mit Bier bespritzt, immer wieder flogen Stagediver durch den Raum und landeten unsanft im Publikum. In dem überschäumenden, zahlenmäßig nicht sonderlich großen Mob kam ich mir vor wie Mitte bis Ende der 80er Jahre, als Bands wie SO MUCH HATE oder HERESY mit ihrer absolut explosiven Hardcore-Musik neue Maßstäbe setzten.

Grinsend sprang ich durch den Mob, und mir war egal, dass ich innerhalb kürzester Zeit aussah, als hätte man mich durch ein Fass mit Bier und Schmiere gezogen. Die Band knallte nach einer kurzen Pause noch eine Reihe fetter Zugaben von der Bühne, darunter einige Cover-Versionen. Unter anderem gab es »Irre«, den Klassiker der Berliner Band IDEAL, noch einmal spritzte Bier über alle weg.

Der Boden des Jugendhauses verwandelte sich in eine schmierige Ebene, in der wir ständig ausrutschten und stürzten. Immer wieder bildeten sich Pulks aus liegenden Leuten, über die andere Leute fielen. Ein herrliches Chaos.

Auf einmal war es vorüber. Die Band verabschiedete sich ohne großes Gerede, das Licht ging an, und wir standen im Licht der Neonlampen, grinsend, dreckig, verbeult und mit blauen Flecken. Als ich später heimfuhr, meine Begleiter als besoffene Beifahrer, hatte ich immer noch ein breites Grinsen im Gesicht.

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