29 Juni 2021

Zeckenfängerin

Ich fuhr mit dem Rad an einer städtischen Grünanlage vorbei. Es hatte kurz davor geregnet, das kniehohe Gras glitzerte vor Feuchtigkeit. Ein Mädchen mit blonden Zöpfen und hellem Kleid lief lachend durch das Gras; das Kind guckte nur zur Hälfte über das Gras hinaus.

Mein erster Gedanke war: »Verdammt! Zecken!« Mein zweiter Gedanke war: »Passt denn niemand auf das Kind auf?«

Da sah ich auch schon eine Frau, ebenfalls blond, ebenfalls im Kleid, die vielleicht zehn Meter entfernt stand und sich gerade nach einer Blume bückte, das Kind aber im Auge hatte. Es war also alles in Ordnung.

Aber was hatte ich da für einen blöden Gedanken? An Zecken und an Gefahr? Ich ärgerte mich über mich selbst und die negative Empfindung.

Als ich selbst noch ein Kind war, dachte niemand über so etwas nach. Wir rannten durch das hohe Gras, wir aßen Sauerampfer von der Wiese und Beeren von den Büschen, ohne sie zu waschen oder über Gefahren nachzudenken. Es gab keinen Fuchsbandwurm und keine Zecken – zumindest nicht in unserer Wahrnehmung.

Schon klar: Heute gibt es für Kinder andere Bedrohungen, die in den 60er- und frühen 70er-Jahren nicht existierten. Wir hatten Angst vor der Tollwut, weil man uns das eingebläut hatte – das war alles. Aber das lag vielleicht einfach daran, dass unsere Eltern sorgloser waren und sich, gestählt durch die Zeit im Krieg – eher dachten, es werde eh »schon alles gutgehen«.

Manchmal wünsche ich mir meine fröhliche Naivität von früher zurück. Dann wäre der Gedanke nicht kritisch und negativ gewesen, sondern positiv: »Mutter und Tochten spielen auf der Wiese – das ist toll.« Tja …

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