03 Dezember 2020

Kurz nach Edéa

Ich wurde wach, als der Minibus eine Vollbremse machte. »Was ist?«, murmelte ich, dann erst öffnete ich die Augen.

Durch die Windschutzscheibe des Minibusses sah ich auf flirrendes Grün rechts und links der Straße. Gut zwei Meter hoch wuchs irgendwelches Schilfgras und bildete eine undurchdringliche Mauer in beiden Richtungen. Vor uns flackerten zwei Warnblinklichter, ein Mann in roter Kleidung – offenbar ein Straßenarbeiter – gab uns ein »Stopp«-Zeichen. Wir standen in einer Schlange mit Lastwagen und anderen Minibussen.

»Sie haben einen guten Schlaf«, sagte der Fahrer neben mir und grinste.

Ich nickte. Ich hatte im Bus, der mich aus dem Süden von Kamerun zur Hauptstadt bringen sollte, einen Platz auf dem Vordersitz erringen können. Den teilte ich mir mit einem schmächtigen Mann, der ein gestreiftes Hemd und eine dunkelbraune Krawatte trug, ein Büroangestellter vielleicht, der von einem Familienbesuch zurückkam.

»Wo sind wir?«, fragte ich. Mein T-Shirt klebte am Oberkörper, die schwüle Hitze im stehenden Bus war anstrengend.

»Wir kommen gut voran«, sagte der Fahrer. Wir unterhielten uns auf französisch; wenn es mit der Verständigung nicht klappte, nahmen wir englische Wörter zur Hilfe. Der Fahrer war in beiden Landesteilen unterwegs und konnte sich in beiden Umgangssprachen gut verständigen. »Wir sind schon über die Brücke, der Sanaga liegt hinter uns, Edéa haben wir passiert.«

Ich rief mir die Landkarte in Erinnerung. Damit hatte ich schon eine ordentliche Strecke hinter mich gebracht.

»Ich muss nicht nach Douala rein«, sagte ich. »Eigentlich muss ich zum Flughafen. Wir fahren daran vorbei. Können Sie mich dort absetzen? Dann brauche ich keinen erneuten Bus, der mich aus der Innenstadt zum Flughafen bringt.«

Der Fahrer lachte. »Das ist eine gute Idee. Aber wenn wir am Flughafen sind, fahren wir auf einer Autobahn mit viel Verkehr. Da kommen Sie nicht so einfach rüber.«

»Das wird schon klappen«, sagte ich in bester Laune. »Wenn Sie mich an der Abfahrt herauslassen, werde ich schon einen Weg finden. Ich bin in Europa auch schon über Autobahnen gelaufen.« Das war zwar lange her, aber das brauchte ich ihm nicht auf die Nase zu binden.

»Wenn Sie meinen.« Er nickte. »Kein Problem, das mache ich. Wenn wir hier irgendwann weiterkommen.« Er wies auf die Straße vor uns.

Einige Arbeiter schütteten Rollsplit auf die Straße und verteilten ihn mit Schaufeln. Staub wirbelte auf. Die Männer hatten sich Tücher vor das Gesicht gebunden, um sich ein bisschen zu schützen.

Immerhin ging es ein einige Meter voran. Danach hielt der Fahrer erneut. Er ließ die Türen geschlossen, niemand durfte aus dem Bus. Durch die offenen Fenster drang heiße Luft, die immerhin den Schweiß trocknete, und der Geruch nach Teer und Dreck.

Der Geruch nach totem Tier mengte sich dazwischen. Keine drei Meter von uns entfernt kauerte ein Junge, vielleicht zwölf Jahre alt, am Rand der Straße. Neben ihm hatte jemand einen starken Ast in den Boden gerammt, an dem ein toter Affe hing. Ich konnte nicht erkennen, welche Art es war, nahm nur das Fell und die Form wahr. Ein Schild sagte mir, dass man den toten Affen kaufen konnte.

»Buschfleisch«, sagte der Fahrer, der meinen Blick bemerkt hatte. »Der Junge sitzt damit schon seit heute morgen und bekommt es nicht verkauft.«

Lecker, dachte ich, sagte aber kein Wort, nickte nur bestätigend. Der Kopf des Affen hing nach unten, der Junge stierte ins Leere. Es war nicht das erste Mal, dass ich in Afrika einen Verkäufer von Buschfleisch sah.

»Das haben Sie in Europa sicher nicht.« Der Fahrer feixte.

Ich schüttelte den Kopf.

»Das Naturschutzgebiet ist nur einige Kilometer entfernt.« Er wies nach links. »Die Leute hier sind arm, sie haben keine Arbeit, und sie suchen sich immer wieder neue Möglichkeiten, ein wenig Geld zu verdienen. Also jagen sie Tiere, auch wenn sie das nicht dürfen.«

»Und die Polizei?«, fragte ich, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaubte.

»Die ist sowieso korrupt. Entweder gehört der Polizist zur gleichen Familie wie der Junge hier. Oder man gibt ihm ein Stück Fleisch ab, dann passiert nichts.«

Vor uns ging es weiter. Krachend legte der Fahrer den Gang ein. Im Schritttempo rollte der Wagen an.

Ich sah zum Fenster hinaus, als wir an dem Affen und dem Jungen vorbeifuhren. Das Tier baumelte im Fahrtwind, den dunklen Pelz bedeckte eine Schicht aus Straßendreck. Der Junge daneben sah dünn aus, hungrig und abgemagert. Ich wusste nicht, mit wem ich mehr Mitleid haben sollte.

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