18 Dezember 2020

Treppen einer Ausstellung

Aus der Serie »Traumgeschichten«

Schwungvoll bog ich in die Uferstraße ein. Links von mir glitzerte der Bodensee, rechts von mir erhoben sich große Bürgerhäuser. Wie ich mit meinem Fahrrad in die Stadt am See gekommen war, wusste ich in diesem Augenblick gar nicht, aber es wunderte mich auch nicht.

Es waren keine Menschen auf der Straße unterwegs, es ging ein frischer Wind. Ich trug einen dünnen Pullover über meinem T-Shirt. Vorsichtig fuhr ich über das Kopfsteinpflaster der kleinen Stadt. Der See hatte ein wenig Hochwasser, das über das Pflaster schwappte.

Als ich rechts von mir das Schaufenster einer Kunsthandlung sah, hielt ich neugierig an. »Neue Ausstellung« versprach es, »ungewöhnliche Eindrücke« und »wir laden Sie ein«. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Ich hob mein Rad auf die rechte Schulter und betrat so das Ladengeschäft. Hinter dem Schaufenster kam nur ein schmaler Raum, an dessen Ende eine Treppe nach unten führte. Hinter einem Tresen stand eine junge Frau mit schwarzen Haaren, die mir stumm den Weg zur Treppe wies.

Ich nickte und ging weiter, immer noch das Fahrrad auf meiner Schulter. Die Treppe führte hinunter in einen saalartigen Raum, gut ein Dutzend Meter hoch. Sie schien sich frei in den Raum zu drehen, und jede Stufe für sich war eine Steinplatte, die bemalt oder mit einem Relifef bedeckt war. Eine Treppe aus Kunstwerken, jedes für sich ein Unikat. Bei jedem Schritt staunte ich.

Als ich unten ankam, nahm ich mein Rad von der Schulter und wollte es schieben. Ein Mann in schwarzer Kleidung, die aussah wie eine großzügig geschnittene Uniform eilte auf mich zu. »Leider kein Zutritt mit Fahrrad«, sagte er.

Ich sah es ein und stellte mein Rad in einem Flur ab, der offensichtlich ins Freie führte. Dann betrachtete ich die Ausstellung. Überall hingen riesige Lampen von der Decke, aus Metall gefertigt und mit Buntglas »ausgefüllt«. Ein Mann reichte mir einen Kaffee, ich trank ihn.

Nach einiger Zeit reichte es mir. Ich stellte die leere Tasse ab und ging zu meinem Rad, schob es den Flur entlang. Eine Frau, ein Mann und ein Teenager-Mädchen – offenbar eine kleine Familie – stand neben einer Garderobe. Kichernd probierten sie verschiedene Mund-Nase-Masken aus. Ich nickte ihnen zu und ging weiter.

Als ich ins Freie trat, bemerkte ich, dass ich unter dem Wasserspiegel des Sees stand. Mir fiel ein, dass ich ja eine Treppe hinuntergegangen war. Hinter mir war die Tür des Gebäudes, neben mir ragte eine Glaswand gut zehn Meter in die Höhe. Dahinter bewegte sich das Wasser des Bodensees.

Das fand ich gruselig. Ich wachte auf.

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