31 Juli 2024

In Vermonts tiefen Tälern

Cardiff ist eine Kleinstadt in den bergigen Wäldern des amerikanischen Bundesstaats Vermont. Dort ist nur wenig los, und so haben es Lucian Wing, der örtliche Sheriff, und sein Team mit den üblichen Kleinstadtproblemen zu tun: zu viel Alkohol, gelegentlich Gewalt und Drogen. Doch dann verschwindet die Stieftochter eines sehr reichen Mannes aus New York, um sich ausgerechnet in den Tälern bei Cardiff zu verstecken …

So ließe sich die Handlung von »Herren der Lage« zusammenfassen, ginge es darum, für den gerade mal 182 Seiten umfassenden Roman eine griffige Inhaltsangabe zu finden. Doch der Autor ist Castle Freeman, und das bedeutet, dass das Buch zwar eine Geschichte erzählt, in der Verbrecher und Polizisten vorkommen, man es aber kaum als Krimi bezeichnen kann.

Sein Sheriff, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird, ist ein wortkarger Typ mit extrem trockenem Humor. Er wohnt gern in einer abgelegenen Gegend und zieht seine Hinterwäldler mit all ihren Schwächen jederzeit aalglatten Anwälten aus der Großstadt vor.

Deshalb reagiert der Sheriff ungehalten, als zuerst ein Anwalt und dann diverse Schläger auftauchen, um nach dem verschwundenen Mädchen zu suchen. Das aber will gar nicht gefunden werden, womit der Sheriff in gewisse Nöte kommt …

»Herren der Lage« ist ein typischer Roman für Castle Freeman. Seine Figuren sind allesamt knorrige Typen, die ihre Ecken und Kanten haben. Die Dialoge sind knapp und kommen auf den Punkt, die Beschreibungen der Landschaft und der Gebäude halten sich an wenigen Einzelheiten auf, und immer wieder wird klar, woher welche wirtschaftlichen Verhältnisse eigentlich kommen.

Der Roman ist spannend, man hetzt geradezu durch die Seiten. Dabei passiert gar nicht so viel. Aber man will wissen, was geschieht, und man folgt bereitwillig den Dialogen und Aktionen. Cooler Roman – wie alles von diesem Autor!

30 Juli 2024

Spannender Blick auf das Jahr 1931

Im Jahr 1931 entwickelt sich in New York das organisierte Verbrechen immer weiter. Banden von Kriminellen tyrannisieren die Straßen; sie bestechen Politik und Polizei. In Harlem versuchen die Schwarzen Menschen ihr Leben auf ihre Weise zu regeln – doch auch hier breitet sich die Kriminalität immer stärker aus.

Mit »Harlem« liegt im Splitter-Verlag ein sogenanntes Splitter-Double vor: Was in Frankreich in Form von zwei getrennten Alben erschien, wird in einem dickeren Comic-Band präsentiert. Das halte ich bei der komplexen Geschichte, die ohne großen Bruch zwischen den beiden Teilen auskommt, für sehr sinnvoll.

Hauptfigur ist Stephanie St. Clair, eine Schwarze Frau, die in Harlem eine illegale Lotterie betreibt, für die sie zahlreiche Leute auf den Straßen beschäftigt. Sie steht im dauernden Konflikt mit der rassistischen Polizei und der von Weißen dominierten Mafia. Ihre Vergangenheit sowie die Gegenwart des Jahres 1931 bilden das Rückgrat des Comics, der mit Rückblenden und schnellen Szenenwechseln arbeitet.

Verantwortlich für die Texte und die Bilder ist der Comic-Künstler Mikael. Ihm gelingt es, eine spannende Geschichte zu erzählen, die soziale Gegensätze und den allgegenwärtigen Rassismus thematisiert, ohne den erhobenen Zeigefinger zu bemühen. Seine Bilder sind realitätsnah, sie zeigen das Leben auf den Straßen von Harlem ebenso wie die elektrisierende Euphorie von Jazz-Konzerten.

»Harlem« ist eine eindrucksvolle Graphic Novel, ein echter Comic-Roman und zugleich ein Blick in das Leben einer spannenden Figur, die es tatsächlich gab. Lohnenswert!

29 Juli 2024

Ein paar Sätze zu Twitter

Als ich mich bei Twitter anmeldete, schrieb man das Jahr 2007. Es gab eine Twitter-Map, auf der man sehen konnte, wenn jemand irgendwo etwas schrieb. »Hurra!«, konnte man sich dann freuen, wenn jemand in Alaska einen Satz bei Twitter veröffentlichte – mit nicht mehr als 140 Zeichen war das durchaus kreativ. Diese Zeit war natürlich schnell vorüber, bald war Twitter echt groß.

Twitter war über lange Zeit hinweg mein liebstes Medium. Ich mochte es, weil ich schnell mitbekam, was Leute so machten, schrieben und trieben, die ich kannte oder denen ich aus bestimmten Gründen folgte. Ich belohnte mich selbst durch Twittern: Hatte ich einen Arbeitsgang erledigt, gab ich mir selbst die Zeit, etwas bei Twitter zu lesen oder zu schreiben.

Viele der großen Twitter-Diskussionen oder Streitereien bekam ich nicht mit. Die fanden außerhalb meiner privaten Blase statt. Bis heute wurde ich von rechtsradikalen Trollen nur selten behelligt; ich bin für diese Leute schlicht zu unwichtig.

Professionell nutzte ich Twitter auch, unter anderem schrieb ich eine Weihnachtskurzgeschichte: jeden Tag ein Tweet, bis zu einem 24. Dezember und bis zum Ende der Story. Das machte Spaß.

Mittlerweile macht Twitter aus den bekannten Gründen nicht mehr so viel Spaß. Viele nette Leute sind abgewandert, ich verbringe durchaus Zeit bei Bluesky, wo ich vor allem die Science-Fiction-Leute zu einem größten Teil wiedergetroffen habe.

Ich selbst habe Twitter immer noch nicht verlassen, und ich weigere mich auch, den neuen Namen zu benutzen. Das ist mir zu blöd. Was ich aber auch blöd finde: dass ich neuerdings dafür beschimpft werde, weil ich immer noch einen Twitter-Account habe.

Ganz ehrlich: Wahrscheinlich bin ich nur noch aus purem Trotz bei Twitter. Wenn mir jeden Tag gesagt wird, wie blöd ich sei, bei dieser Plattform zu sein, bestärkt mich das eher, dort zu bleiben. Das mag kindisch sein, aber so ist es. 

Soweit meine fünf Pfennig zu diesem Thema ...

26 Juli 2024

Er kann Waschmaschine

Warum ich mit der Frau ins Gespräch kam, spielt keine Rolle. Es ergab sich eines Abends in einem Biergarten. Ich blieb nüchtern, weil ich mit dem Auto unterwegs war; sie gönnte sich den einen oder anderen Rosé. Das half ihrem Redefluss eindeutig.

Sie erzählte von ihrem Leben. Sie habe drei Söhne und eine Tochter. Und während die Tochter eigentlich ganz gut geraten sei, habe sie mit den Söhnen echte Probleme.

»Das ist klar bei dem Vorbild!«, sagte sie lachend und wies auf ihren Mann, der ebenfalls am Tisch saß. »Von dem lernen sie ja alles. Drei Jungs und ein Mann, die im Stehen pinkeln und das mit dem Klodeckel auch nicht hinbekomme.«

Ich hielt den Mund, obwohl mir einiges auf der Zunge lag. Ich war ebenfalls in einem Haushalt großgeworden, in dem der Vater und der Sohn im Stehen pinkelten und die Mutter das Klo zu putzen hatte. Seit Jahren war ich stubenrein und schaffte es – sogar im Verlag – mich im Klo ganz gemütlich hinzusetzen. Es hatte mich nicht »verweiblichen« lassen, vermutete ich, blieb aber still.

Die Frau redete ohnehin weiter. Die Wäsche sei auch so eine Sache. Vier Kinder und ein Mann, da sei viel zu tun. Dabei seien die Kinder teilweise schon volljährig; das ändere aber nichts.

»Wenn sie die Klamotten wenigstens zur Waschmaschine bringen würden«, klagte sie, immer wieder lachend, als sei alles ein großer Spaß für sie. »Aber sie lassen sie überall liegen, wo sie gehen und stehen, und ich kann’s aufräumen. Die Männer vor allem!«

»Na ja«, sagt ich vorsichtig, »ich bin auch ein Mann, aber ich kann eine Waschmaschine bedienen und mache das regelmäßig.«

Sie starrte mich an. »Er kann Waschmaschine!«, rief sie. »Ein Mann, der eine Waschmaschine bedienen kann.« Sie rückte näher an mich heran und packte mich am Arm. »Sollen wir heiraten? Bist du noch zu haben?«

In diesem Augenblick war ich wieder klug genug, die Klappe zu halten. Und so machte ich es dann den größten Teil des Abends …

25 Juli 2024

Ein »FREAKextrablatt«

An Selbstbewusstsein mangelte es mir nicht im Sommer 1981. Zumindest vermittelte ich glaubhaft den Eindruck, selbstbewusst zu sein. Davon zeugt das »FREAKextrablatt«, das ich im September dieses Jahres in Umlauf brachte. Es wurde mithilfe eines Umdruckers hergestellt – also auf Matrizen getippt und dann vervielfältigt – und von mir per Post verteilt.

Ich wollte damit auf den zweiten Con hinweisen, den ich im Jugendzentrum »Murgtäler Hof« in Freudenstadt veranstalten wollte. Den ersten Con im Frühjahr 1981 hatten vielleicht 15 Personen besucht, mehr nicht, aber nun hatte ich größere Ziele. Ich wollte beweisen, dass man auch in einer kleinen Kurstadt eine Science-Fiction-Veranstaltung etablieren konnte.

Auf zwei Seiten erzählte ich all das, was ich plante und was ich mir vorstellte. Dabei bemühte ich mich, halbwegs seriös zu wirken. Der Titel »FREAKextrablatt« leitete sich von meinem Egozine »Der Freak« ab, das ich zu jener Zeit ebenfalls veröffentlichte.

Völlig falsch war meine Werbung übrigens nicht: Gut sechzig Leute besuchten den zweiten FreuCon. Das war noch steigerungsfähig, fand ich. Aber das ist dann eine andere Geschichte …

Mitreißender Fantasy-Roman mit grimmigem Humor

In einer Welt, die nicht mit einem Namen bezeichnet wird, in einem Universum, in dem Schwert und Magie vorherrschen, in einem sozialen Umfeld, das von roher Gewalt beherrscht wird: »Die Prinzessinnen« ist ein Roman, der die Leserschaft in eine Handlung wirft, in der es viel Action, bissige Dialoge und explizite Darstellungen von Kämpfen gibt.

Um es vorwegzunehmen: Darauf muss man sich bei der Lektüre einstellen, das ist nichts für sanfte Gemüter. Aber mich hat der Roman von Christian Endres prächtig unterhalten.

Erschienen ist »Die Prinzessinnen – Fünf gegen die Finsternis« bereits im Frühjahr des Jahres. Mittlerweile liegt auch ein zweiter Band vor; die Geschichte ist also auf Fortsetzungen angelegt. Angesichts des Sogs, den die Handlung bereits im ersten Band entwickelt, kann ich das nachvollziehen.

Der Reihe nach: Narvila ist eine Prinzessin, die am Hof eines eher unbedeutenden Königs aufwächst, aber vom wirklichen Leben außerhalb des Schlosses nicht viel mitbekommt. Doch dann wird sie entführt. Ihr Vater setzt eine Gruppe von Söldnerinnen ein, die Narvila auf blutige Weise aus der Gefangenschaft befreit. Und nach einigem Hin und Her beschließt die junge Prinzessin, sich den Söldnerinnen anzuschließen.

Bei ihnen handelt es sich nämlich um vier Königstöchter, die allesamt keine Lust mehr auf das Leben im Schloss hatten. Narvila muss an der Seite dieser Truppe eine Probezeit durchlaufen, die es in sich hat: Die fünf Frauen treten gegen menschliche Gegner, gegen Satyrn und Dämonen an, gegen monströse Wesen und Drachen aller Größen. Sie werden verletzt und gefangengenommen, sie kämpfen mit dem Mut der Verzweiflung und allen schäbigen Tricks, die ihnen einfallen. Und ihre Aufgaben scheinen immer größer und gefährlicher zu werden ...

Mit dem ersten Band von »Die Prinzessinnen« ist Christian Endres etwas gelungen, das mir sehr gut gefallen hat. Er schuf einen Fantasy-Roman, der voll grimmiger Energie ist, sich nicht hundertprozentig ernst nimmt, aber auf Albernheiten verzichtet. Man kann seine fünf Heldinnen weder mit klassischen Schlagetots in der Art von Conan, dem Barbaren, vergleichen, sie aber auch nicht in die Schublade packen, in die heutzutage die Fantasy-Literatur die meist hübschen und heiratswilligen Frauen steckt.

Der Autor spart nicht an heftigen Details. Wenn die Prinzessinnen in den Kampf fliegen, spritzen Blut und Innereien, geht es zeitweise richtig grob zu. Trotzdem bleibt Raum für knackige Dialoge, die zu den Figuren passen und nicht übertrieben wirken, und zwischenmenschliche Szenen, die eine Nähe zu den Figuren zulassen. »Die Prinzessinnen« ist zwar meilenweit von jeglicher Romantasy entfernt, hat aber dennoch Szenen, in denen starke Emotionen glaubhaft geschildert werden.

Mit »Fünf gegen die Finsternis« habe ich den ersten »Prinzessinnen«-Band gelesen, und ich gehe davon aus, dass es nicht der letzte war. Christian Endres hat mit diesem Buch ein knalliges und dicht erzähltes Fantasy-Lesefutter verfasst, das seinesgleichen sucht. Respekt!

Veröffentlicht wurde das Buch als Paperback im Cross-Cult-Verlag. Wer sich ein wenig einlesen will, schaue sich unbedingt die Leseprobe auf der Internet-Seite des Verlags an.

(Diese Rezension habe ich im Dezember auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. Es wird Zeit, dass ich sie hier auch präsentiere ...)

24 Juli 2024

Beeindruckende Utopie, neu aufgelegt

Als der Roman »Ökotopia« im Jahr 1975 erstmals veröffentlicht wurde, erregte er in den damals neuen »Sozialen Bewegungen« großes Aufsehen. Viele schreiben ihm eine wichtige Rolle bei der Entwicklung des Öko-Gedankens und den damals aufkommenden Parteien wie den Grünen zu. Seit dem vergangenen Jahr gibt es diesen Roman in einer schönen Neuauflage im Hardcover-Format, die im Reclam-Verlag erschienen ist – die Lektüre lohnt sich immer noch.

Der Roman erzählt von einem amerikanischen Journalisten, der in die unabhängige Republik Ökotopie reist. Diese hat sich Ende des 20. Jahrhunderts auf dem Gebiet des Nordwestens der USA gebildet: San Francisco und die Umgebung sowie wesentliche Teile der Bundesstaaten Oregon und Washington.

Man erfährt nicht so viel über die Grenzen der neuen Republik, dafür umso mehr über die Spannungen, die zwischen ihr und den Vereinigten Staaten herrschen. Der Journalist ist auch der erste, der die Erlaubnis für eine solche Reise ins Nachbarland erhält.

Was er sieht und was er erlebt, verblüfft ihn auf Schritt und Tritt. Ökotopia ist ein Staat, in dem vieles anders ist als in den Vereinigten Staaten, und das wirkt auf ihn am Anfang befremdlich. Frauen sind gleichberechtigt, die Organisation in Betrieben ist partnerschaftlich, man nimmt Nahrung zu sich, die ohne Chemie auskommt, und man fährt mit Elektromobilen durch die Gegend.

Aus der Sicht des Jahres 1975, als das Buch geschrieben wurde, klang das sicher sehr utopisch. Heute mutet einem vieles davon wie ein Blick in die nahe Zukunft oder auch Gegenwart an.

Ernest Callenbach war ein Visionär. Ihm ging es darum, eine Utopie zu schreiben, die von einer lebenswerten Zukunft kündet. In den 70er-Jahren veröffentlichte der Club of Rome seine Schrift »Die Grenzen des Wachstums«, was damals eine neuartige Diskussion anstieß. Die Umweltbewegung wurde aktiv, und der Roman »Ökotopia« lieferte hierfür wertvolle Impulse. Callenbach schrieb also Literatur, die aus der aktuellen Zeit heraus eine Vision ableiten sollte.

Sein Roman besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen, die sich kapitelweise abwechseln. Die eine Handlungsebene besteht aus journalistischen Beiträgen. Die Hauptperson informiert über Ökotopia und seine Besonderheiten. Sie zeigt die gesellschaftliche Entwicklung, sie erzählt von der Nutzung der Windenergie und von den modernen demokratischen Einrichtungen – das ist im Prinzip auch die Utopie, die der Autor schildern möchte.

Die andere Handlungsebene erzählt von den Begegnungen des Journalisten mit den Einwohnern von Ökotopia: wie er Freunde trifft, wie er eine Frau kennenlernt, wie er sich in seinen Gefühlen verliert und wie er am Ende nicht mehr weiß, ob er zu seiner Frau in die USA zurückkehren oder in Ökotopia bleiben möchte.

Man muss klar sagen: Die Berichte sind nicht spannend; es sind eher nüchterne Darstellungen einer möglichen Zukunft, die von einer echten Vision künden. Lesenswert sind vor allem die Teile, in denen die Innensicht der Hauptfigur und ihre Entwicklung gezeigt werden. Das packt den Leser dann auch – weil sie einen persönlichen Blick auf eine fremde Welt werfen.

So entsteht ein interessanter Gesamteindruck einer Utopie, die man sich richtig gut vorstellen kann. Als Action-Werk war das damals nicht gedacht, und so wird auch heute niemand diesen Roman verstehen.

»Ökotopia« ist einer der relevanten Science-Fiction-Romane des 20. Jahrhunderts. Man sollte ihn gelesen haben, wenn man sich für die utopisch-phantastische Literatur interessiert. Und man kann ihn sicher Menschen in die Hand drücken, die sonst keine Science Fiction mögen, sich aber für politische Gedankengänge und Visionen interessieren – für solche Leser wurde das Buch ja letztlich geschrieben. Empfehlenswert!

Informationen zu »Ökotopia« und den Hintergründen vermittelt übrigens in einem übersichtlichen Artikel die Wikipedia. Der Besuch der Seite lohnt sich. Und wer sich ein wenig einlesen möchte, schaue sich die Leseprobe auf der Internet-Seite des Reclam-Verlags an.

(Die Rezension habe ich im vergangenen Jahr auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Serie veröffentlicht. An dieser Stelle wiederhole ich sie aus rein subjektiven Gründen.)

Wenn sich zwei Autorinnen schreiben ...

Es ist ein ungewöhnliches Buch, doch seine Lektüre lohnt sich: Zwei Autorinnen, die sich anfangs nicht kennen, beginnen damit, sich Briefe zu schreiben. Was sie bei den ersten Briefen nicht ahnen können: Die Corona-Pandemie bringt nicht nur ihre Welt ziemlich durcheinander, und später bricht der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine aus.

Yirgalem Fisseha Mebrahtu stammt aus Eritrea und schreibt Gedichte, war in ihrer Heimat aber auch als Journalistin tätig. Als politischer Flüchtling lebt sie heute in München. Einige ihrer Texte sind mittlerweile in deutscher Sprache erhältlich.

Ihre Briefpartnerin ist hierzulande bekannter: Tanja Kinkel veröffentlichte zahlreiche Romane und Sachbeiträge, ihre Werke wurden auf der Bestsellerliste verzeichnet und mit Preisen bedacht. Sie und ich haben auch schon zusammengearbeitet.

In ihren Briefen beschäftigen sich die beiden Autorinnen mit unterschiedlichen Themen. Ihre Briefe beschäftigen sich selbstverständlich mit den aktuellen Problemen und Themen unserer Zeit. Sie äußern sich zu Corona und zum Krieg, immer wieder aber geht es auch um die Unterschiede ihrer Herkunft, die direkten Einfluss auf ihre schriftstellerische Arbeit haben: Während Tanja Kinkel im friedlichen Bayern aufwuchs, wurde Yirgalem Fisseha Mebrahtu von Kind an mit einer Diktatur konfrontiert.

Der Briefwechsel ist lesenswert, man erfährt über beide Autorinnen mehr. Man liest so ein Buch allerdings nicht am Stück, sondern immer mal wieder den einen oder anderen Brief.

»Freiheit in Briefen« ist als 180 Seiten umfassendes Paperback erschienen, hat die ISBN 978-3-949554-14-8 und kostet 18,00 Euro. Ich find's vor allem für Menschen interessant, die »hinter die Kulissen« bei Autorinnen und Autoren blicken wollen.

23 Juli 2024

Am Strand von Brighton

Ich breitete meine Jacke auf dem feuchten Kies aus und ließ mich vorsichtig darauf nieder. Es war erstaunlich bequem. Ich legte mich auf den Rücken, nahm meine Tasche als Kopfkissen und genoss die Tatsache, dass ich am Strand von Brighton lag. Das Meer brandete zu meinen Füßen gegen die Steine, über mir jagte der Wind graue Wolken, die aussahen, als würde es bald wieder regnen. Kreischende Möwen flogen hin und her, als seien sie ziellos und wüssten nicht, wie sie den Tag zu Ende bringen sollten.

In den vergangenen Stunden hatte ich mir Brighton erlaufen. Die Stadt war mir aus Filmen bekannt, und »Quadrophenia« war mir nachhaltig in Erinnerung geblieben. Doch wie immer hatte die Realität dieses September 2000 nur wenig mit den Straßenschlachten der 60er-Jahre zu tun. Brighton war einerseits modern und schick, auf der anderen Seite wirkte es heruntergekommen und brüchig.

Rechts von mir schob sich der alte West Pier ins Meer. Die Gebäude auf ihm waren grau und zerfallen, durch die Wände und die offenen Fenster konnte man blicken. Alles sah aus, als ob es bald endgültig in sich zusammenbrechen würde. Sperrgitter sorgten dafür, dass niemand auf den Pier konnte; Möwen saßen auf den Trümmern, als ob sie sich über die vergangene Pracht amüsierten.

Sah ich nach links, erkannte ich den pompösen Brighton Pier. Musik dröhnte zu mir herüber, es wimmelte von Menschen. Lichter blinkten, ich hörte Gelächter und Rufe, die fröhlich klangen.

Die zwei Gesichter von Brighton, dachte ich und richtete mich auf. Es gab Straßen und Lanes, die unglaublich schick waren, neue Gebäude, in denen teuer gekleidete Menschen verkehrten. Eine Straße weiter sah es aus, als ob gleich ein Haus in sich zusammenbrechen würde.

Ich musterte die Hotels hinter mir. Die prächtige Fassade des Grand Hotel strahlte in edlem Weiß, daneben schimmerte das Hilton in einem prachtvollen Rot. Beide Hotels hatten zahlreiche Fenster mit Balkonen, die zur Beach Front zeigten, abgesichert durch Metallgitter. Sie wirkten trutzig und mondän gleichermaßen.

Aber ich war eine Stunde zuvor durch die Straße spaziert, die direkt hinter dem Hotel verlief. Da war es weniger schick. Müllsäcke türmten sich, es stank. Von dieser Seite aus wirkten die mondänen Hotels auf einmal nicht mehr so teuer.

Seufzend legte ich mich wieder auf den Rücken und ließ den Anblick des Meers auf mich wirken. Brighton hatte zwei Seiten, das war klar. Aber ich war im Urlaub, und ich wollte mich auf das Meer und den Strand konzentrieren. Das schien mir sinnvoller zu sein.

22 Juli 2024

Seltsamer Messestand

Bei dieser Buchmesse war einiges anders als sonst. Ich bemerkte es erst, als ich die Notizen genauer betrachtete, die ich in meiner Hand hielt. Ich hatte von einer Messehalle 3 B noch nie gehört. Und dort sollte unser Stand sein? Wie kamen wir denn dahin?

Ich spazierte durch das Messegelände in Frankfurt. Seit den 80er-Jahren besuchte ich die Frankfurter Buchmesse, früher privat oder als Fanzine-Herausgeber, später als Verlagsangestellter, mal mit Messestand und mal ohne. Von einem Gebäude namens 3 B hatte ich noch nie gehört.

Dann aber sah ich es: Man hatte es zwischen den Hallen 3 und 4 errichtet; dahinter kam ein Parkplatz, auf dem ich in früheren Jahren auch schon mal mein Auto abgestellt hatte. Auf diesem Platz durften nur Aussteller parken, und das hieß in den Nuller-Jahren, dass der Platz vollgestellt war mit dunkelblauen BMW-, Audi- und Mercedes-Limousinen.

Diesmal stand dort ein Haus, mit Giebeldach sogar, verbunden durch einen überdachten Gang mit den Hallen 3 und 4. Verwundert ging ich näher heran, betrat das Haus. Es war keine Halle, sondern es reihten sich Räume aneinander, keiner größer mein Wohnzimmer. In diesen Räumen waren Verlagsstände untergebracht.

Nach einigem Suchen erreichte ich den Raum, in dem unser Stand sein sollte. Ich erkannte drei Drehständer, in denen Taschenbücher aus den 80er-Jahren zu sehen waren, dazu Heftromane. Es war kein Mensch anständig, weder ein Besucher noch jemand vom Verlag. Auch an den anderen Ständen war nichts los.

Ich war völlig verunsichert. War ich richtig? Was war geschehen? Als ich schon zu rufen anfangen wollte, wachte ich auf.

19 Juli 2024

Spätfolgen und so

»Ein paar Zentimeter weiter oben, und wir hätten Sie nicht mehr heimfahren lassen.« Die Ärztin hatte bei mir eine Thrombose im linken Bein festgestellt und prüfte gerade noch, wie groß sie war. »Hatten Sie zuletzt eine größere Autofahrt, sind Sie mit dem Flugzeug verreist?«

Ich verneinte beides. Ich war selbst ratlos. Zwar saß ich zu lang am Computer herum, das war eindeutig, aber ich bewegte mich trotzdem.

Die nächste Frage der Ärztin kam direkt: »Hatten Sie zuletzt Corona?«

Und das war’s wohl. Im Juni hatte ich mir eine Corona-Infektion zugezogen, die glimpflich verlaufen war. Ich war auch nach dem Abklingen der Symptome daheim geblieben, um niemanden anzustecken. Und eine Woche, nachdem ich wieder zur Arbeit gegangen war, lag ich auf dem Tisch bei der Ärztin und hörte mir ihre Aussagen über Corona und Thrombose an.

Das Gespräch ist jetzt eine Woche her. Ich habe immer noch die Thrombose und trage einen tollen Thrombosestrumpf, futtere Blutverdünner und liege viel herum; immerhin tut nichts weh. Die Gefahr einer Embolie besteht immer noch, wenngleich sie nicht groß ist.

Ich habe mir eine Woche lang überlegt, ob ich diesen Text hier überhaupt veröffentlichen soll. Aber dann denke ich mir: Es ist sinnvoll, dass auch andere Leute wissen, wie eng so ein Zusammenhang ist. Es gibt eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, nach einer auch harmlosen Corona-Infektion eine Thrombose zu erhalten …

17 Juli 2024

Zwischen Science Fiction, Krimi und Groteske

Ein Roman, der in der Zukunft spielt, gilt im Allgemeinen als Science Fiction. Einen Roman, in dem ein Mord aufgeklärt wird, steckt man in die Krimi-Schublade. Ein Roman, der die Zeit Napoleons darstellt, gilt als historischer Roman. Doch was ist, wenn all diese Elemente in einem Werk vorkommen und das Ganze durch allerlei schräge oder gar groteske Szenen ergänzt wird? Dann hat man »Bumm! – Kriminalgeschichten« von Horst Evers …

Der Schriftsteller und Kabarettist ist mir seit vielen Jahren bekannt – nicht persönlich allerdings. Ich sah ihn »live«, als er auf der Bühne auftrat, und ich las seine Kurzgeschichtenbände und Romane. Während er sich früher vor allem auf kürzere Texte konzentrierte, die er als eine Mischung aus skurrilen Alltagsgeschichten und schnellen Dialogen gestaltete, kamen in jüngster Zeit einige Werke hinzu.

Bei »Bumm!« handelt es sich um einen Roman, der mit den unterschiedlichen Genres spielt. Wenn man ihn oberflächlich betrachtet, erkennt man Kriminalgeschichten, die jede für sich stehen können, aber jeweils ein Ende aufweisen, das man nicht gerade als befriedigend bezeichnen könnte. Erst im Zusammenhang erhalten die Geschichten einen erzählerischen Bogen, weshalb ich das Buch als Roman betrachten würde und nicht als eine Sammlung von Erzählungen.

Die erste Geschichte spielt im Hier und Jetzt. Ihre Hauptfigur ist ein Schriftsteller, der einigermaßen erfolglos ist und immer wieder aktuelle Ereignisse aus seinem wirklichen Leben in seine Romane einbaut. Die zweite Erzählebene ist dann auch prompt ein Auszug aus dem Roman dieses Schriftstellers – und beide Ebenen hängen eng zusammen.

Das gilt ebenso für die anderen Teile des Romans. Da es unter anderem um eine Mordwaffe geht, führt ein Teil der Handlung in die Vergangenheit, in die Zeit, als die französischen Truppen und Napoleon einen großen Teil Europas unter Kontrolle gebracht hatten. Wie das alles wiederum mit der Zukunft zusammenhängt, schildert der Autor in unterhaltsamer und gelegentlich witziger Weise – »Bumm!« ist allerdings nicht durchgängig lustig und kann auch nicht als Satire gelesen oder verstanden werden.

Horst Evers ist ein erfahrener Autor, was Kurzgeschichten angeht. Damit erreichte er auch seine Erfolge. Bei den Romanen fand ich ihn nicht immer überzeugend.

»Bumm!« spricht in seiner Mixtur vielleicht unterschiedliche Geschmäcker an: den Horst-Evers-Fan, der über skurrile Situationen schmunzeln kann, den Krimileser, der eine verwickelte Geschichte bekommt, vielleicht sogar den Phantastik-Freund, dem Evers eine ungewöhnliche Kombination präsentiert.

»Bumm!« macht auf jeden Fall eine Menge Spaß, spricht aufgrund seiner Rätselstruktur sicher Leute an, die es gern ein wenig »vertrackt« haben, und kann somit empfohlen werden. Es ist kein »Schenkelklopfer«, aber gut gemachte Phantastik-Unterhaltung.

Erschienen ist der Roman als Hardcover mit Schutzumschlag im Rowohlt-Verlag. Die Hörbuchfassung hat der Argon-Verlag veröffentlicht; hier liest Horst Evers seine eigenen Texte vor. 

(Die Rezension kam bereits im Dezember auf der Internet-Seite der PERRY RHODAN-Redaktion. Hier teile ich sie aus dokumentarischen Gründen.)

15 Juli 2024

Die Nase und der Finger

Aus der Serie »Ein Bild und seine Geschichte«


Beim Stöbern in alten Bilddateien stolperte ich gewissermaßen auf ein Bild von mir, das Martin Steiner im Jahr 2006 in München aufgenommen hatte. Es zeigt mich in einer Pose, die man nur mit Mühe als intellektuell bezeichnen kann. Erkennbar ist übrigens, dass ich schon 2006 erste graue Fäden im Haar hatte.

Das Schöne daran: Wenn ich nachdenke oder in einem Gespräch nicht gleich weiß, was ich sagen soll, habe ich immer noch den Finger an der Nase. Warum das so ist und ob es wirklich etwas verbessert, müssen wohl die Gelehrten entscheiden …

12 Juli 2024

Das beste war die Bar-Geschichte

Seit Sylvana Freyberg die Redaktion der »Andromeda Nachrichten« übernommen hat, ist das Heft durchaus besser geworden. Sie hat die Arbeit ihres Vorgängers fortgesetzt, auch in weiten Teilen das Layout beibehalten, dann aber eigene Schwerpunkte gesetzt. Die aktuelle Ausgabe 285 fand ich allerdings schwach.

Klar: Die üblichen Informationen sind enthalten. Es gibt Informationen und Rezensionen zu allen möglichen Bereichen der Science Fiction. Bücher werden vorgestellt, Computerspiele und Fanzines. Sogar ein Zukunftsforscher wird in einem Interview präsentiert.

Das präsentiert die Chefredakteurin in gelungener Weise; da möchte ich nicht meckern. Unterm Strich bleibt alles ein wenig langweilig, das kann mich kaum fesseln.

Am besten im ganzen Heft, das immerhin 100 Seiten im A4-Format umfasst, fand ich den letzten Beitrag. In seiner Reihe »Neues aus der Asimov-Kellerbar« schreibt Klaus Marion über Science-Fiction-Fans, die in den 80er-Jahren als Wehrpflichtige bei der Bundeswehr waren und neuerdings für ihre militärischen Kenntnisse geschätzt werden. Wahrscheinlich finde ich den Beitrag deshalb witzig, weil ich selbst meine 15 Monate bei der Bundeswehr abgeleistet hatte.

Hin wie her: Die neue Ausgabe der »Andromeda Nachrichten« ist in Ordnung, man kann nicht über sie meckern. Aber sie hat mich nicht so überzeugt wie vorherige Ausgaben des klassischen Fanzines.

11 Juli 2024

Werbung mit Atze

Im Jahr 1981 fühlte ich mich schon sehr »reif« und erwachsen. Mein Fanzine SAGITTARIUS, von dem ich ein Jahr zuvor die erste Ausgabe veröffentlicht hatte, erhielt gute Kritiken. Viele Bestellungen trafen ein, die Auflage stieg, und es meldeten sich immer mehr Leute bei mir, die ihre Geschichten oder Bilder in meinem Heft veröffentlichen wollten.

Weil ich für die kommende Ausgabe ein bisschen Werbung machen wollte, bat ich Anton Atzenhofer darum, eine Grafik zu entwerfen. Ich gab ihm einige werbliche Aussagen vor. Aus alledem machte er eine gelungene Fantasy-Grafik, die seinem damals üblichen Stil entsprach, und er arrangierte die von mir gelieferten Werbetexte sehr sinnvoll.

Warum ich auf die Idee kam, die optisch ansprehende Grafik und die schöne Atze-Schrift mit meiner Schreibmaschine zu ergänzen, weiß ich nach all den Jahren nicht mehr. Ich tippte mit der schlichten Maschine ein – leicht großkotziges – »Magazin für SF, Fantasy und Comics in die obere Ecke rechts. Unten rechts klebte ich ebenfalls recht dilettantisch etwas ein, das ich vorher mit der Maschine geschrieben hatte.

Wie »Atze« es fand, dass ich sein Bild so verhunzte, weiß ich nicht mehr. Er äußerte sich nicht dazu; vielleicht war er ein solches Vorgehen von den damaligen Fanzine-Herausgebern auch gewohnt. Mir gefiel die Zusammenstellung damals – aber ich war nie ein sonderlich geschickter Grafiker.

Die Werbung wurde als Flugblatt verteilt, sie wurde auch im einen oder anderen Fanzine abgedruckt. Das schadete nicht; die Zahl der Bestellungen wuchs. Und ich war mächtig stolz auf mein Fanzine – der Stolz eines 17 Jahre alten Jugendlichen, der glaubte, er wisse, wie die Welt funktioniert …

10 Juli 2024

Der erste Almanach des neuen Verlags

Seit dem Jahr 2023 macht der Carcosa-Verlag mit seinem originellen Programm von sich reden. Der kleine Verlag veröffentlicht Science Fiction, wobei er sowohl Klassiker als auch neue Titel herausbringt, und er ergänzt sein Programm durch Sachbücher. Mit »Vor der Revolution – ein phantastischer Almanach« liegt nun eine Textsammlung vor, die Sachtexte, Kurzgeschichten und einen Kurzroman verbindet.

Klar soll dieses Buch vor allem auf das Programm des regen Verlags aufmerksam machen. Deshalb werden die Autorinnen und Autoren vorgestellt, deren Werke der Verlag veröffentlicht. Dagegen ist nichts einzuwenden.

So hat mich der Artikel, den Helmut W. Pesch über Leigh Brackett geschrieben hat, sehr auf die weiteren Romane und Erzählungen dieser Autorin neugierig gemacht. Nachdem ich aber Christopher Eckers Artikel über Gene Wolfe gelesen habe, ist mir klargeworden, dass ich dessen hochgelobtes Werk sicher nicht zu lesen brauche – das klingt alles so, als hätte ich daran keinen Spaß, also müsste man viel Arbeit in die Lektüre stecken. Aber gut: Damit weiß ich auch Bescheid. Weitere Artikel beschäftigen sich mit Samuel R. Delany und Alan Moore; das war dann wieder interessant.

Lesenswert ist der Kurzroman »Imperiumsstern« von Samuel R. Delany; der wurde in deutscher Sprache zwar bereits in den 80er-Jahren veröffentlicht, aber damals verpasste ich ihn. Es ist eine Abenteuergeschichte, wenn man’s genau nimmt, eine Space Opera mit intellektuellem Anspruch und ein wenig komplizierter erzählt, als es nötig wäre. Aber gut zu lesen, keine Frage!

Ähnliches gilt für die drei kurze Texte von Ursula K. Le Guin. Ich schätze die Autorin vor allem für ihre Romane, mochte aber die drei Kurzgeschichten allesamt: klare Science Fiction mit einem gesellschaftlichen Anstrich – schön! Und hübsch ist die Kurzgeschichte von Ambrose Bierce, in der gewissermaßen der Verlagsname erklärt wird.

Alles in allem ist so ein Lesebuch für Science-Fiction-Fans entstanden, das in erster Linie das Verlagsprogramm abfeiert. Das wiederum weiß man ja im Voraus, also kann man es nicht kritisieren.

Nicht alles hat mir gefallen, unterm Strich ist es aber eine gelungene Sammlung von Sachtexten und Geschichten. Eine lohnenswerte Anschaffung, denke ich, die auf die Titel des Carcosa-Verlags aufmerksam macht …

04 Juli 2024

Klamydia in der Mitte der 90er-Jahre

Die finnische Punkrock-Band Klamydia veröffentlichte seit den frühen 90er-Jahren eine Vielzahl an Tonträgern. Ich besitze kleine und große Schallplatten der Band, hörte sie aber über viele Jahre nicht mehr an. Das änderte ich dieser Tage, als ich endlich mal wieder die »Siittiöt Sotapolulla« auflegte.

Die Platte kam 1995 heraus, ich besitze die deutsche Pressung von Teenage Rebel Records. Die kleine Plattenfirma von Rüdiger Thomas veröffentlichte auch die Lokalmatadore, und man schickte die beiden Bands gemeinsam auf Tour.

Bei einem dieser Konzerte – es war in Darmstadt in der Öttinger Villa – sah ich in den 90er-Jahren einmal Klamydia, als die Finnen zusammen mit den Lokalmatadoren aufspielten. Ich erinnere mich an schweißtreibende Temperaturen, weil die Heizung lief, und eine großartige Stimmung.

Zurück zur Platte: Die vermittelt ebendiese Stimmung sehr gut. Der Punkrock, den die Band spielt, ist melodisch und rotzig zugleich. Der Sänger klingt schnoddrig, die Stücke wirken auf einen deutschen Zuhörer aufgrund der Sprache witzig, die Band spielt einen flotten Stil, der weder in Hochgeschwindigkeit abrutscht noch versucht, Metal-Elemente einzubauen. Sogar an den Stellen, an denen der Gitarrist zeigt, dass er gut spielen kann, werden die Soli nicht zu Metal-Einlagen, sondern ordnen sich dem rotzigen Gehalt des Punkrock-Lieds unter.

Was die Band macht, ist klassischer Pogo-Sound, der mir ja immer noch sehr gut gefällt. Die Stücke sind meist angenehm kurz, werden auf den Punkt gebracht und verzichten auf allerlei Firlefanz.

Es blieb mir kein »Hit« im Ohr, was sicher auch an der Sprache liegen dürfte – die Band ist aber wirklich gut, und ich stellte fest, dass ich mir dringend die anderen Tonträger mal wieder anhören sollte.

03 Juli 2024

Klassisches Kinderbuch, gelungen umgesetzt

Bereits 1911 erschien das Kinderbuch »Der geheime Garten« der Schriftstellerin Frances H. Burnett, das seitdem immer wieder neu aufgelegt wurde und auch in einer deutschen Übersetzung vorliegt. Ich kenne den Roman nicht, habe aber die aktuelle Verfilmung von 2020 gesehen, die mir gut gefallen hat. Umso interessanter finde ich die Comic-Version, die unlängst im Splitter-Verlag erschienen ist.

Maud Begon setzte das klassische Werk in einen Comic um, als dessen Zielgruppe ganz eindeutig Kinder gelten, der aber auch von Erwachsenen gut gelesen werden kann. Die Geschichte von dem Mädchen, das die Cholera-Epidemie in Indien überlebt – im Gegensatz zu seinen Eltern – und nach England zurückgebracht wird, um bei seinem seltsamen Onkel zu leben, rafft die Künstlerin so, dass man dem Geschehen schnell folgen kann. Das Mädchen findet Freunde in Tieren und in Menschen, und es findet vor allem einen geheimen Garten, den es mit neuem Leben erfüllt.

Das Kinderbuch wurde vor dem Ersten Weltkrieg verfasst, die englische Gesellschaft war damals noch stärker in Schichten gegliedert, als sie das heute wohl ist. Dass die Kinder der »Herrschaft« und die der »Dienstboten« miteinander befreundet sind und Abenteuer »auf Augenhöhe« erleben, war sicher nicht üblich. Die gesellschaftlichen Klüfte werden allerdings nicht thematisiert, sie spielen nur im Hintergrund ständig eine Rolle.

Bei »Der geheime Garten« geht es um die Sehnsucht nach Leben, aber auch um die Trauer um Menschen, die bereits gestorben sind. Der angeblich so tote Garten, der zu neuem Leben erblüht und voller wunderschöner Rosen ist, kann als ein Sinnbild betrachtet werden. Damit bildet die Künstlerin das Original sehr gut ab.

Grafisch schafft sie eine Verbindung aus der Vergangenheit in die heutige Zeit: Manche Bilder erinnern mit ihren blassen Farben und ihren skizzierten Linien an frühe Illustrationen; gleichzeitig aber ist die Geschichte sehr flott illustriert. Die Bilder sind somit kindgerecht, in einer Mixtur aus altmodisch und modern, die zur Geschichte passt.

Ich empfehle dringend, die Leseprobe anzuschauen. Und empfehle diesen ungewöhnlichen Comic, den es in einer schicken Hardcover-Ausgabe bei Toonfish gibt ...

02 Juli 2024

Hirnkost ist gerettet

Zu den wenigen guten Nachrichten, die ich in diesen Tagen mitbekommen habe, zählt eine, die fast ein wenig untergegangen ist: Dem Hirnkost-Verlag ist es mit einer großen Kraftanstrengung gelungen, die Insolvenzu abzuwenden. Das Unternehmen rutscht jetzt nicht in die Pleite, sondern es kann weitermachen.

Möglich gemacht hat das eine Mixtur aus Spenden und Bücherkäufen. Ich hoffe, dass das vor allem mit den Bücherkäufen so weitergeht und die Leute nicht spontan damit aufhören, Titel aus dem Programm des quirligen Verlags zu kaufen.

Klar bringt Hirnkost auch Bücher heraus, die ich langweilig, doof oder zu vernachlässigen finde. Aber es wäre unglaubwürdig, wenn mir alles gefallen würde, was dort veröffentlicht wird. Es genügt mir ja schon, die vielen Perlen im Programm zu finden.

Groß ist das Angebot an Literatur und Bildbänden über Punk und artverwandte Musik. Angefangen von meinen eigenen Büchern bis hin zu der beeindruckenden »Rock O Rama«-Geschichte – die Bandbreite ist enorm, und man kann selbst als alter Hase immer noch neue Dinge entdecken.

Ebenso groß ist das Angebot bei meinem zweiten Lieblingsthema: Der Verlag veröffentlicht Science-Fiction-Anthologien und -Romane, ebenso eine Reihe von schön gestalteten Klassikern. Die Bücher sehen toll aus, die stellt man sich gern ins Regal, und das beweist, dass Science Fiction sich nicht unbedingt hinter grellbunten Umschlägen verbergen muss.

Alles in allem ist Hirnkost ein Verlag, den ich liebe – nicht alle Bücher, nicht alle Autoren, aber das Gesamtkonzept. Möge er noch lange existieren!

01 Juli 2024

Krawall und Erinnerung

»Wie war das denn in deiner Kindheit?« wurde ich gefragt. »Wurde in der Schule gemobbt, gab es Bandenkriege, also all die Dinge, die man in amerikanischen Serien ständig sieht?«

Ich überlegte lang, und mir fiel keine vernünftige Antwort ein. Klar hatten wir Konflikte: In der dritten Klasse hatten wir einen »Klassenkrieg« mit den Viertklässlern, in der vierten Klasse dann mit den Drittklässlern. Da wurde halt mal geschubst oder jemand mit Schnee »eingeseift«. Sicher nicht nett, wenn man sich's im Nachhinein überlegt, aber in einem Rahmen, der keine Eltern aufschreckte.

Und im Gymnasium? Ich bekam auf einem Schulfest einmal völlig grundlos eine »zentriert« und lag mit blutender Nase auf dem Boden. Der Angreifer war besoffen. Niemand kam auf die Idee, deshalb die Polizei zu rufen, und die Lehrer informierte auch niemand. Das war alles.

Körperliche Auseinandersetzungen gab es, als ich Jugendlicher war, eigentlich nur außerhalb der Schule. Mit »Halbstarken« aller Art, mit sogenannten Mofarockern, mit türkischen Jugendlichen oder später eben auch Dorfnazis. Aber schulintern? Ich erinnerte mich an Nichts. Keine Schlachten, kein fieses Mobbing, nichts. (Okay, kann sein, dass ich der fiese Mobber war und mich deshalb nicht mehr erinnere ...)

»Wir waren wohl alle brav«, behauptete ich dann. Was sicher nicht stimmt. Vielleicht kann man ja von »harmlos« sprechen ...