19 September 2021

In der Warteschlange

Die Straße war nicht breit, keine drei Meter, und es waren nur Fußgänger unterwegs. Die Menschen kamen mir gehetzt entgegen, ich war selbst gehetzt unterwegs. Ständig musste ich den Leuten ausweichen, die mich teilweise mürrisch musterten. Etwas schien ich falsch zu machen, aber ich hatte keine Ahnung, was es sein könnte. Ich hatte keine Zeit, nach oben zu gucken, weshalb ich weder die Gebäude noch sonst ein Detail wahrnahm.

Ich näherte mich der Stelle, wo die Straße in eine andere mündete. Dort müsste ich links abbiegen, um meine Besorgungen erledigen zu können. Gut fünfzig Meter von dieser Stelle entfernt hatte jemand eine Art Sperre mitten auf die Straße gesetzt.

Damit wurde der Verkehr der Fußgänger gelenkt, und es war eindeutig, wer in welche Richtung zu gehen hatte. Ich war immer auf der falschen Seite der Straße gegangen, was mir schlagartig erklärte, warum die anderen Passanten so kritisch auf mich reagiert hatten.

Ich hielt mich an die klare Weisung und ordnete mich links ein, stellte dann aber schnell fest, dass ich am Ende einer Schlange stand. Offensichtlich musste man warten. Ich stellte mich hinter einen Mann in einem hellblauen Anzug. Er drehte sich um, die Hälfte seines Gesichts war mit einer Mund-Nasen-Maske bedeckt.

»Sie müssen warten«, sagte er. »Wir müssen alle warten. Die lassen nur einen nach dem anderen durch und kontrollieren streng. Neue Corona-Richtlinien.« Es klang wie eine Entschuldigung.

Ich tastete wie im Reflex nach meinem Gesicht und stellte fest, dass ich ebenfalls eine Maske trug. »Alles klar«, sagte ich und stellte mich hinter den Mann im Anzug. Wie alle anderen, so wartete ich nun darauf, dass es weiterging.

Nach einiger Zeit reichte es mir, weil nichts voranging. Ungeduld war schon immer eine meiner Schwächen. Ich drehte auf dem Absatz um, ging einige Meter zurück, sah dann, dass es eine winzige Gasse gab, die sich zur Rechten öffnete, und bog in diese ein. Vielleicht konnte ich auf diese Weise den Stau umgeben.

Ich kam auf einen kleinen Platz, vielleicht zehn auf zehn Meter groß. Tische und Stühle standen herum, die Sonne schien. Auf den Stühlen lümmelten sich Jugendliche, höchstens 13 oder 14 Jahre alt. Sie trugen Uniformen in dunkelblauer Farbe, auf denen ich auch rote Streifen erkennen konnte; es sah für mich wie Schuluniformen aus.

Sie lachten, als sie mich sahen. »Na, Alter!«, rief einer, dessen rote Krawatte besonders eng gebunden war. »Hast du dich verlaufen?« Sie trugen keine Masken, ihre Gesichter strahlten mich an.

»Ich bin wohl falsch«, sagte ich und wollte umdrehen. Doch die Gasse, durch die ich gekommen war, sah ich nicht mehr. Es gab überhaupt keinen Ausgang mehr, der von diesem Platz wegführte. Ich sah nur noch die Jugendlichen, ihre Tische und Stühle, und ich hörte nur noch das gellende Lachen.

»Bleib doch bei uns!«, rief ein anderer. »Da kannst du noch was lernen.« Das Lachen wurde lauter und lauter – und dann wachte ich auf.

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