11 Mai 2021

Kurzes Treffen am Amt

Ich war mit dem Rad in der Innenstadt, kaufte dabei einige Grundnahrungsmittel auf dem Markt am Stephansplatz. Auf der Rückfahrt kam ich an einem der vielen Ämter vorbei, die sich auf dem Weg buchstäblich aneinanderreihen. Ein Mann mit langen Haaren, schon deutlich angegraut, trug gerade eine Kiste zu einem Transporter hinaus.

Weil ich ihn erkannte, hielt ich an. Wir grüßten uns, hielten dabei brav den Abstand von über zwei Metern ein. Ich wusste von ihm nur seinen Vornamen, dabei stolperten wir uns seit über zwanzig Jahren immer wieder über den Weg: früher im besetzten Haus, aber auch bei Demos, im Radio, in der »Alten Hackerei«, früher im »Crazy Kong«, an allen möglichen subkulturellen Orten also.

»Lange nicht mehr gesehen«, sagte ich.

Er nickte. »Man sieht niemanden mehr. So ein Scheiß. Seit über einem Jahr gehe ich nur noch arbeiten, dann gehe ich heim und hänge vor der Glotze rum.«

Ich grinste. »Ich bin die meiste Zeit daheim und arbeite in der eigenen Bude. Ich sehe praktisch niemanden mehr: keine Kneipe, kein Konzert, keine Bar, nichts.«

»Ich auch. Das ist frustrierend.«

»Arbeitest du hier?« Ich zeigte auf das Gebäude hinter ihm.

»Ja, ich bin hier der Hausmeister. Und du? Immer noch Schreiberling?«

»Stimmt. Und ich wohne da vorne.« Ich zeigte in Richtung des Platzes, wo sich der Wohnblock mit meiner Wohnung erhob.

»Wir haben uns hier nie gesehen.«

»Na ja, wenn ich arbeite, bin ich normalerweise auch nicht daheim. Da sitze ich in einem Büro, und das steht nicht hier.«

Er lachte. »Aber wenn du daheim arbeitest, fährst du zwischendurch mit dem Rad durch die Gegend.«

Ich hob die Tasche an, in der frische Brötchen, ein wenig Gemüse und Salat steckten. »Einkaufen halt, muss ja auch sein.«

»Einkaufen.« Es klang, als wollte er ausspucken. »Das Highlight der Woche, mehr geht nicht mehr, und da treffen wir Leute. Das ist aus uns geworden.«

Wir sahen uns an: zwei frustrierte Männer jenseits der fünfzig, die sich lange kannten, aber so viel nicht übereinander wussten. Wir grinsten uns an, sagten gemeinsam »Scheiß-Corona«, lachten dann beide. Ich stieg wieder auf mein Rad, hob grüßend die Hand und fuhr weiter.

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