05 Mai 2020

Widerständler im Keller

Es war an einem Abend in der Haifischbar im besetzten Haus in Karlsruhe. Ich weiß nicht mehr, wie wir auf das Thema kamen. Ich hatte schon einige Biere getrunken, war aber noch nicht betrunken, artikulierte mich für meine Verhältnisse relativ verständlich und klar. Aber wir kamen auf das Thema des Dritten Reiches und den Widerstand.

»Ich hab keine Ahnung, was ich gemacht hätte«, gab ich zu. »Wenn ich in dieser Zeit gelebt hätte und wäre ein Durchschnittsdeutscher aus einem Schwarzwalddorf gewesen, wäre ich wohl so ein Mitläufer geworden. Aber ich weiß es nicht.«

Mein Gegenüber in der Gruppe starrte mich an. »Echt jetzt?« Sie gehörte zur Autonomen Szene in Heidelberg und war politisch sehr aktiv: bei allem Demos und sonstigen Aktionen dabei, bei Plena anwesend und nie verlegen, in einer Diskussion mit knalligen Argumenten aufzuwarten.

Ich hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Es war eine andere Zeit, ich wäre anders erzogen worden, es galten andere Regeln. Und die Bullen waren anders unterwegs als die heute.«

Die anderen in der Runde hielten die Klappe, während sie es nicht fassen konnte. »Du wärst also ein Nazi gewesen? Das willst du sagen?«

»Nein, nein«, versuchte ich sie zu beschwichtigen. »Ich sag nur, dass ich es nicht weiß. Oder könntest du heute sagen, wie du dich beispielsweise 1942 verhalten hättest?«

»Ich wäre garantiert im Widerstand gewesen«, behauptete sie. »Da gibt es keinen Zweifel. Ich hätte die Nazis mit allem bekämpft, was ich hätte aufbringen können.«

Da war ich verblüfft. »Echt jetzt? Ich meine, das kannst du doch nicht wissen.«

»So wie ich heute drauf bin, so wäre ich auch damals drauf gewesen. Und deshalb hätte ich im Widerstand gegen die Nazis gekämpft.«

Ich ging dann mit einigen Höflichkeitsfloskeln aus dem Gespräch. Mir wurde klar, dass die junge Frau und ich an diesem Abend keine Freunde mehr werden würden. Weder politisch, noch gesellschaftlich.

»Widerstand gegen die heutigen Nazis ist wichtig«, hätte ich ihr gern gesagt. »Aber das kann man nicht mit dem Dritten Reich und den damaligen Nazis vergleichen.« Aber ich ließ es sein. Vielleicht war es feige, die Diskussion abzubrechen, vielleicht auch faul.

Aber ich hatte nie eine große Lust, mit Leuten lange zu reden, die mich für blöde oder die ich für borniert hielt. Da stellte ich mich lieber allein an die Theke und trank mein Bier.

2 Kommentare:

Günther hat gesagt…

Erstaunlich: Fast genau den gleichen Satz mit „Ich weiß nicht, …“ habe ich bei einem Gespräch mit meinem (verstorbenen) Geschäftspartner beim Weihnachtsfeier-Bier in der Kaffeeküche der Firma geäußert. Das Thema kam zur Sprache weil ich einige Tage zuvor eine Fernsehsendung gesehen hatte, in der ein Schauspieler die Posener Rede Heinrich Himmlers nachsprach und mir aufging, dass ich nicht für mich in Anspruch nehmen kann, zu wissen, ob ich „richtig“ gehandelt hätte. Meines Erachtens kann das keiner der Nachgeborenen und in deutscher Demokratie Aufgewachsenen wirklich wissen.

Enpunkt hat gesagt…

Ich fürchte eh, dass wir alle ganz schön empfänglich für Faschismen sind. Ich war nur selten in einem Fußballstadion, weiß aber, wie es sich anhfühlt, mit vieln Leuten gemeinsam zu singen, zu schreien und zu jubeln. Sobald man da auch nur eine Sekunde lang darüber nachdenkt, was eigentlich gerade geschieht, läuft es einem doch kalt den Rücken hinunter ...

Ab 1933 wurden viele Leute ja auch schleichend verändert. Es ging ihnen gut, man präsentierte ihnen einen klaren Feind (die Juden,die Bolschewisten, den Erzfeind Frankreich), und das war eine einleuchtende Geschichte für viele. Mit dem Wissen und dem Bildungsstand von heute würde ich anders denken als beispielsweise die Generation meiner Eltern, Jahrgang 1932 und 1925.