09 Oktober 2017

Zwei neue Bekannte im Zug

Eigentlich hatte ich mich auf eine angenehme Zugfahrt eingestellt. Warum ich ein Abteil gebucht hatte, wusste ich nicht mehr. Aber ich saß am Gang, bekam so immer wieder frische Luft ab und stellte mich darauf ein, eine schöne Mischung aus Manuskripte-Arbeit, Lesen und Schlafen während der Fahrt als Programm zu absolvieren.

Doch ich hatte die Rechnung ohne die zwei Männer gemacht, die unterwegs zustiegen. Sie sprachen Schwäbisch, was ja nicht schlimm ist – vor allem nicht für mich, der ich denselben Dialekt benutze. Aber was sie redeten, war ziemlich anstrengend: Sie tauschten Belanglosigkeiten aus.

Offenbar kamen die beiden aus einem Dorf, in dem sie jeden kannten. Entsprechend verlief das Gespräch: Auf ein »weisch, was der Horschd g'macht hodd?« kam garantiert ein ebenso spannendes »Ha was, des ka jetzt nedd sei« oder ähnliches. Sie deklinierten ihre halbe Verwandtschaft durch und kamen zu keinem Ende.

Es war mir nicht möglich, mich auf ein Manuskript zu konzentrieren. Ich musste ihnen zuhören; wahrscheinlich war ich der einzige Mensch im Zug, der jedes Wort verstand. Mein Hirn schaltete nicht ab, es schaltete vielmehr auf Empfang. Ich litt in Gedanken.

Also versuchte ich zu schlafen, aber das funktionierte ebenfalls nicht. Die beiden redeten und redeten und redeten, und sie fanden kein Ende. Mein Hirn leider auch nicht: Wie ein Schwamm saugte es jede Belanglosigkeit in sich auf.

Ich überlegte mir schon, ob ich aufstehen und in den Speisewagen gehen sollte. Dort hatte ich sicher keine Ruhe für mein Manuskript und mich, aber es konnte nicht sooo schlimm sein. Aber wofür hatte ich eigentlich einen Platz reserviert?

Die beiden taten nichts Falsches – es war ja mein Fehler, dass ich nicht abschalten konnte. Aber dann taten sie etwas, das mich aus dem Abteil prügelte: Sie packten ihr Vesper aus. Der intensive Geruch nach Leberwurst drang in dicken Schwaden in jede Ritze des Abteils.

Ich war seit den frühen 90er-Jahren Vegetarier, als Kind aß ich gern Leberwurst, und mir macht der Geruch eigentlich nichts aus. Diese Wurst roch aber intensiv, ich hätte mich fast erbrochen. Meine Augen tränten, meine Nase juckte, die Ohren bluteten sowieso wegen des Geredes – zumindest im übertragenen Sinn.

Taumelnd stand ich auf, hielt mich an der Tür fest. Ich floh geradezu aus dem Abteil. An diesem Tag hatte ich wieder einmal einen Kampf verloren ...

2 Kommentare:

Booknapping hat gesagt…

Eine ganz wunderbare Kürzestgeschichte :-D

Es erinnert mich an meine Begegnung mit dem "Esser". Er stieg häufiger auf meiner Pendelstrecke zu mir ins Kleinkinderabteil (da ist es einfach so wunderbar ruhig morgens und der Tisch ist etwas höher) und hatte ein Frühstück dabei. Aber was für eines ... Burger & Co., im Grunde fehlte nur die Zigarette danach. Hinzu kam, dass er laut schnaufte und beim Essen grundsätzlich Kopfhörer trug - ich hoffe, um selbst Musik zu hören, vielleicht aber auch, um sein eigenes Schnaufen nicht zu hören. Die Geruchs- und Geräuschbelästigung war so groß, dass ich es kaum ertragen konnte.

Genau deshalb kann ich so gut nachvollziehen, wie es dir erging.

Liebe Grüße,
Sandra

Enpunkt hat gesagt…

Hiermit nachgetragen (hätte ich gleich machen sollen): Das Bild habe ich aus der Wikipedia, es steht unter CC BY-SA 3.0, und als Fotograf ist »Elvis untot« angegeben. Gezeigt wird eine Pfälzer Leberwurst; der Hersteller ist Kalnik in Billigheim – da könnte ich ja glatt mit dem Fahrrad hinfahren.