»Er ist so sexy wie eine Bahnhofsdurchsage, dass ein Regionalzugabteil auf einem geänderten Gleisabschnitt hält.« Das schreibt die Journalistin Johanna Adorján auf der Internet-Seite der Frankfurter Allgemeinen über das Lied »Atemlos durch die Nacht« der deutschen Schlagersängerin Helene Fischer. Es ist ein brillanter Artikel über ein Phänomen, das man sich kaum selbst erklären kann.
Bis vor einem halben Jahr kannte ich von Helene Fischer nur den Namen. Ich wusste, dass sie Schlager singt und viele Platten verkauft. Das ist völlig in Ordnung; weder muss ich mich mit Schlagersängern auskennen, noch muss ich wissen, wer an welcher Oper die Starsängerin ist. Andere Leute wissen ebensowenig, welche Band »Waiting Room« gespielt hat.
Eines Abends musste ich Geld abheben und stand mit meiner Plastikkarte in einer der örtlichen Sparkassen-Filialen. Einige junge Leute kamen herein – »jung« bedeutet aus meiner Warte, dass sie irgendwie um die 25 Jahre alt zu sein schienen. Ein junger Mann mit blondgefärbten Haaren rief die ganze Zeit »Atemlos«, worauf die anderen ein »in die Nacht« hinzufügten. Das fand ich seltsam, dachte mir aber nichts dabei.
Später erfuhr ich, dass es sich bei dem, was hier gerufen wurde, um den großen Hit der Sängerin Helene Fischer handelte. Zum ersten Mal hörte ich ihn im Sommer 2014 – übrigens noch vor der Fußballmeisterschaft. Ich stand in der Dusche, das Radio plärrte vor sich hin, und irgendwann kam so ein Stück, das aus Synthie-Gestampf, einer dünnen Stimme und deutschen Texte bestand.
Das war »Atemlos durch die Nacht«, ich hörte es mir zum ersten und seitdem zum letzten Mal an und war irritiert. Dieses Lied begeistert die Leute? Das finden junge Leute gut? Ich stellte fest, dass ich »Ein Bett im Kornfeld« von Jürgen Drews auf einmal als subversiv und musikalisch gut gemacht empfand – das aber kann auch meinem Alter geschuldet sein.
Und bis heute wusste ich nicht, wie ich meine Irritation über Helene Fischer zum Ausdruck bringen konnte. Bis heute ... bis ich den famosen Artikel auf der FAZ-Seite las.
3 Kommentare:
Sehr schöner Artikel. Ich bin auch immer entsetzt, wenn meine zwei etwas jüngeren (ziemlich genau in das von dir benannte Spektrum des Alters, das du dem Begriff zuschreibst, passend) Arbeitskollegen, sobald die ersten Takte dieses Liedes aus dem Radio erkllingen, "Helene" rufen und lauter drehen.
Dann schüttele ich meinen Kopf gemeinsam mit den Festivalbändchen an meinem Arm um die Wette und frage mich, was aus der Jugend geworden ist.
Der Artikel ist für mich reine Arroganz, verpackt in überhebliche Polemik.
Ich mag die Musik von Helene Fischer auch nicht, aber deshalb würde ich mich trotzdem nicht über sie und ihre Fans(!) lustig machen. Man muss nämlich weder alles mögen noch verstehen, aber man sollte es jedem selbst überlassen darüber zu entscheiden. Und nicht automatisch alle in eine Minderbemitteltenecke stellen nur weil sie eben diese Schlagermusik hören.
Du vergißt, das du ebenso arrogant reagierst wie die Generation unserer Eltern die weder Beat, noch Rock, Glam, New Wave oder Punk mochten.
Jede Generation sucht sich ihre Musik - das ist vollkommen in Ordnung und wenn junge Leute, von denen du mit 50 Jahren ganz weit weg bist - arbeitest du nicht für eine Serie deren Leser im Durchschnitt um die 50 Jahre alt sind - heute keinen Punk mögen aber dafür zu Marianne Fischer gehen, dann definieren sich diese Jugendlichen heute über ein anderes Gefühl. Und hoffentlich wird dein Nachfolger jemand der wieder eine positive Vision hat und jeden Tag Schlager hört.
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