Ein ausländerfeindlicher Mob belagert ein Haus, Steine fliegen, Beleidigungen werden gebrüllt. Der Grund: Man verdächtigt die Fremden, ein junges Mädchen vergewaltigt und ermordet zu haben. Die Polizei sichert halbherzig das Haus ab, ebenso halbherzig wird ermittelt; man merkt, dass einige Polizisten die Fremden – die schon seit über eine Generation im Land leben – ebenfalls nicht ausstehen können.
Die Szene spielt in Frankreich und im Jahr 1938, und die Ausländer sind die Angehörigen einer deutschen Familie, die sich in einer nordfranzösischen Stadt niedergelassen hat. Georges Simenon, den die meisten als Schöpfer von Kommissar Maigret kennen, hat mit »Chez Krull« einen Roman geschrieben, der nichts von seiner Aktualität verloren hat – auch wenn die Fremden heute aus anderen Ländern kommen. Im Kampa-Verlag ist der Roman in einer Neuauflage erschienen, und ich habe ihn dieser Tage endlich gelesen.
Auslöser für das Geschehen ist ein Besucher aus Deutschland: Ein Verwandter der Familie Krull taucht auf, bewegt sich großmäulig durch die kleine Stadt, verführt die Tochter und benimmt sich insgesamt nicht so zurückgezogen und angepasst, wie man es von Fremden erwartet. Seine Anwesenheit löst eine Kette von Ereignissen aus, deren Ende für den Leser dann erschreckend ist.
Man merkt, dass der Roman vor dem Zweiten Weltkrieg geschrieben worden ist. Die Rede ist zwar von Konzentrationslagern und politischen Problemen; das spielt aber nur am Rand eine Rolle. Offensichtlich war der Schrecken des Krieges noch weit entfernt. Eine abschließende Szene des Romans spielt schließlich nur »einige Jahre danach« im norditalienischen Stresa ... Deutsche, Franzosen und Italiener im schönsten Frieden.
Es ändert aber nichts an der Geschichte und vor allem nichts an der klaren Darstellung von Fremdenfeindlichkeit. »Chez Krull« ist ein eindrucksvoller Roman, das Panorama einer kleinen Stadt und eines sich steigernden Konfliktes.
Georges Simenon war schon in den dreißiger Jahren ein hervorragender Autor, der mit kurzen Sätzen und knappen Beschreibungen eine wirklich große Geschichte erzählen konnte. Toll!
1 Kommentar:
Wer sich für »Chez Krull« interessiert, findet auf der Internet-Seite des Kampa-Verlags einige weitere Informationen:
https://kampaverlag.ch/georges-simenon-chez-krull/
Die Wikipedia hat zu »Chez Krull« einen schönen Artikel vorrätig, der weitere Einzelheiten zu dem Roman verrät. Hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Chez_Krull
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