Yvonne stand im Büro und hielt eine Schachtel aus Pappe in der Hand. Sie blickte kämpferisch in die Runde. »Wir müssen reden, Leute«, sagte sie. Ich hatte das Gefühl, ihr Blick ruhe besonders lang auf mir.
Ich mochte Yvonne: Sie war die Person, die unsere Firma organisierte. Es nutzte schließlich nichts, wenn ich mir als Redakteur allerlei Texte aus den Fingen zog und ständig neue Kundenzeitschriften produzierte, wenn danach die Produkte nicht an die Kunden gingen und diese vor allem nicht die Rechnungen bezahlten. In Yvonnes Arbeitsvertrag stand »Sekretärin«, man hätte sie wohl auch als »eierlegende Wollmilchsau« bezeichnen können.
»Um was geht’s denn?«, fragte Hugo. Der Redakteur saß am Schreibtisch, der dem meinen schräg gegenüber lag. Drei Arbeitsplätze in einem großen Raum, dazu Regale und einige Zimmerpflanzen – wir hatten es vergleichsweise gemütlich. »Ich habe gerade keine Zeit für lange Gespräche, ich muss die Reportage fertigschreiben.«
»Du hörst jetzt bitte zu.« Yvonne wurde nicht laut, das wurde sie eigentlich nie. Sie behielt den ruhigen Tonfall bei, aber ihre Stimme hatte auf einmal eine Schärfe, die ich gut kannte.
Auch Hugo nahm die Finger von der Tastatur. Er fixierte Yvonne, als befürchtete er einen körperlichen Angriff. Er sagte nichts, auch ich hielt die Klappe.
»Mir ist aufgefallen«, sagte sie langsam, »dass sich bei uns langsam eine Sprache breitmacht, die ich als chauvinistisch bezeichnen muss. Es fallen Bemerkungen, in denen Frauen herabgewürdigt und schlecht dargestellt werden. Dem möchte ich ein Ende bereiten.«
»Mit einer Pappschachtel?«, fragte ich.
»Mit einer Pappschachtel. Genau.« Sie drehte die Schachtel. Oben hatte sie einen Schlitz angebracht und dick mit schwarzer Farbe ummalt, damit ihn niemand übersehen konnte. Vor stand das Wort »Chauvi«, mehr nicht. »Wir führen eine Chauvi-Kasse ein«, kündigte sie an. »Das gilt ab heute.«
»Und das heißt«?, fragte Hugo.
»Wer über Frauen pauschal irgendwelchen Mist sagt, zahlt fünf Mark in die Kasse.« Sie wedelte mit dem Karton. »Wenn entsprechend viel Geld drin ist, machen wir uns damit einen schönen Abend.«
»Und das heißt«?, wiederholte Hugo.
»Persönliche Angriffe kosten nichts. Wenn du sagst, ›Yvonne ist eine blöde Nuss‹, ist das nicht chauvinistisch, sondern eine persönliche Beleidigung. Das betrifft dann nur uns beide. Wenn du aber sagst, ›alle Frauen sind zu blöd zum Autofahren‹, ist das ein Chauvi-Spruch und kostet künftig fünf Mark. Haben das alle verstanden?«
Hugo und ich nickten, außer uns und Yvonne war niemand im Raum.
»Kapiert«, sagte ich. »Ist das mit unseren Chefs abgesprochen?« Die zwei Geschäftsführer hatten ihr Büro seit einiger Zeit im Stockwerk direkt unter uns.
Yvonne grinste. »Die erfahren es gleich direkt von mir. Ich gehe auch davon aus, dass sie viele Fünf-Mark-Stücke in diese Kasse stecken werden.«
Es war der Beginn des Jahres 1990, und die Einführung der Chauvi-Kasse sollte sich als ein echter Segen erweisen. Sie füllte sich anfangs schnell, aber wir achteten stärker auf die Wortwahl. Und an einem lauschigen Abend im Frühsommer des Jahres saßen wir zusammen und tranken Wein und Bier in Erinnerung an eine Unmenge von Fünf-Mark-Stücken …
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