Ich bin nach wie vor sehr froh darüber, im Sommer 2001 nicht zu den großen Demonstrationen nach Genua gefahren zu sein. Die jähren sich in diesen Tagen wieder einmal.
Vielleicht hätte ich zu den Tausenden von Menschen gehört, die von der Polizei verprügelt oder mit Tränengas beschossen worden sind. Vielleicht wäre ich – wie viele andere – nachts im Gewahrsam misshandelt oder gefoltert worden.
Ich wäre auch nicht Zeuge an einem Mord gewesen, der bis heute nicht aufgeklärt ist. Carlo Giuliani wurde von einer Kugel aus einer Schusswaffe der Polizei getroffen, dann fuhr man zweimal mit einem schweren Fahrzeug über den noch lebenden Körper, bevor ihn Polizisten mit Stiefeltritten malträtierten. Zuletzt wurde ihm der Schädel mit einem Stein eingeschlagen. Verurteilt wurde dafür niemand.
Der Comic »Carlo Vive« übernimmt die Aufgabe, die Ereignisse jenes Sommertages sowie die darauf folgenden Prozesse ebenso darzustellen wie die Vorgeschichte des Opfers. Die Lügen der Polizei und der Presse werden thematisiert; es wird klargestellt, dass die offiziellen Aussagen nicht stimmen können, weil die Widersprüche zu krass sind.
Francesco Barilli und Manuel De Carli – es ist nicht so klar, wer Autor und wer Zeichner ist – übernahmen die Aufgabe, die zahlreichen Fakten und Aussagen so aufzubereiten, dass man daraus eine Art Geschichte machen konnte. Die Biografie des Getöteten wird nachbereitet, es gibt Aussagen seiner Eltern und seiner Freunde – am Ende wird klar, dass Carlo eigentlich nicht der Mensch ist, als den ihn der Staat und die Polizei darstellten.
Zeichnerisch bleibt der Comic sehr zurückhaltend. Schwarzweiße, manchmal skizzenhafte Bilder zeigen die Auseinandersetzungen in Genua und vor allem die Interviews mit den Hinterbliebenen. Die einzelnen Aussagen werden durch Zeugenaussagen belegt, es wird auf Bild- und Tonaufnahmen hingewiesen.
Kritiker könnten einwenden, dass dies kein objektives Sachbuch ist. Das will »Carlo Vive« auch nicht sein. Der Comic bezieht Stellung, und er fordert Gerechtigkeit für einen jungen Mann, der bei einer Demonstration erschossen worden ist.
Veröffentlicht wurde der Comic im kleinen Verlag Bahoe Books. Man kann ihn mithilfe der ISBN 978-3-903022-38-6 in jeder Buchhandlung bestellen, auch bei den bekannten Versendern. Ich finde ihn wichtig – vor allem in Zeiten, die sich wie 2001 »nach Genua« und 2007 »nach Rostock« anfühlen.
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