Dann aber kaufte ich das sehr schön gestaltete Buch »Chengdu, vergiss mich heut Nacht«, das schon vor einigen Jahren bei Zweitausendeins erschienen war. Der Autor, Jahrgang 1974, veröffentlichte das Werk um 2002 im Internet, wo es ein ziemlicher Erfolg wurde; eine gedruckte Publikation im Jahr 2003 schloss sich an; die deutsche Ausgabe stammt von 2008.

Der Ich-Erzähler ist ein ziemlicher Idiot: Er denkt nur daran, sich zu bereichern. Er trickst seine Kollegen aus, er intrigiert gegen seine Vorgesetzten, er geht ständig fremd oder denkt darüber nach, seine Frau zu betrügen. Alle Geschäfte, die er betreibt, haben mit Bestechung und allen anderen Arten von Gefälligkeiten zu tun. Um Aufträge zu erhalten, wird betrogen und geschummelt, und im Zweifelsfall läuft alles im Bordell ab.
Murong Xuecun, der heute als prominente Stimme der jungen Chinesen gilt, schildert das China der Angestellten und des jungen Mittelstands. Glaubt man seiner Darstellung, definieren sich diese Menschen über Güter – und für ihren schnellen Wohlstand tun sie alles.
Der Roman wurde direkt aus China übersetzt; der Zweitausendeins-Verlag ging nicht den oft üblichen Weg, eine amerikanische Übersetzung dazwischen zu schieben. Also kann ich davon ausgehen, dass der Stil des Romans grundsätzlich erhalten blieb. Dieser ist durchaus anstrengend, denn manchmal ist er sehr kurz und abgehackt, dann sind wieder starke Sprünge in der Handlung, die es mir erschweren, der Geschichte zu folgen.
Das kommt womöglich daher, dass der Roman als Fortsetzungsgeschichte im Internet geschrieben wurde und erst später als gesammelter Roman erschien. Die sprunghafte Erzählweise, die manchmal krasse Darstellung von Frauen – die gern pauschal als »Alte« bezeichnet werden – und die Einblicke in die Arbeitswelt sind nicht so einfach zu verdauen.
Ich habe den Roman mit viel Interesse gelesen und gelangte zu der Einsicht, ein wenig mehr über die chinesische Alltagskultur verstanden zu haben. Er ist auf jeden Fall unterhaltsam, wenn man sich auf den Stil und die grobe Sicht auf die Dinge einlässt. Fan des Autors bin ich allerdings nicht geworden ...
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