Sommer 2023: Mit meinem Rad war ich in einem Ortsteil von Karlsruhe unterwegs, den ich als sehr ländlich empfand; mit einer städtischen Umgebung hatte das alles nichts mehr zu tun. Ich folgte gerade einem schmalen, gewundenen Weg in der Nähe eines Baches; kleine Steine knirschten unter meinen Rädern. Der Weg führte die meiste Zeit zwischen Rasenflächen hindurch, immer wieder unterbrochen durch Gruppen von Büschen und kleine Baumgruppen.
Als ich eine Handvoll Spaziergänger vor mir wahrnahm, wurde ich langsamer. Es waren ältere Menschen, allesamt grauhaarig, zwei Frauen und zwei Männer; sie führten einen Dackel an der Leine mit sich. Aus der anderen Richtung näherte sich ebenfalls ein Radfahrer. Die Frau mit dem Dackel stellte sich so hin, dass der Radler nicht weiterfahren konnte; ich sah, dass sie sich unterhielten und sie erst dann den Weg freimachte.
Vorsichtig rollte ich weiter und auf die Gruppe zu. Immerhin stellte sich mir niemand in den Weg.
Als ich auf der Höhe der grauhaarigen Frau war, schnauzte sie mich an: »Hier ist doch kein Radweg!« Sie wirkte zornig, das war kein lockerer Spruch. »Der Radweg ist dort drüben!« Sie zeigte auf einen anderen Weg, der sich keine zehn Meter von uns entfernt ebenfalls durch die Gegend schlängelte.
Schlagartig war alles klar: Ich war ein 17 Jahre alter Jugendlicher auf einem Rad, der von grauhaarigen Menschen öffentlich angemault wurde. Die Rollen waren eindeutig verteilt: dort die Alten, hier der Junge.
Ich versuchte, höflich zu bleiben, während ich langsam an der Gruppe vorbeirollte. »Wäre es nicht sinnvoll, da vorne ein Schild hinzustellen? Dann wüsste ich das auch.«
Die Frau wurde laut. Es sei eine Unverschämtheit von mir, so zu tun, als ob es da kein Schild gehe. Das sei doch nicht zu übersehen. Ich solle meine Brille putzen. Den Rest hörte ich nicht mehr, weil mir das Blut in den Kopf schoss.
Ich war nun endgültig 17 Jahre alt. Ohne auch nur nachzudenken, hob ich die rechte Hand, reckte den Mittelfinger in die Höhe und fuhr langsam weiter. Hinter mit ertönte ein wüstes Geschimpfe im breitesten Badisch, unterlegt mit vielen Schimpfwörtern. Meine Botschaft war angekommen. Ich erwartete schon, dass sie den Dackel hinter mir herhetzen würden.
Gut 200 Meter weiter endete der schmale Weg an einer Straße. Ich war mittlerweile deutlich älter geworden und hatte meine Ruhe wieder gefunden. Gelassen schaute ich mir alle Schilder in der Umgebung an. Wenn das ein reiner Fußweg war, musste das doch auf jeder Seite des Weges kenntlich gemacht werden. Ich sah kein Schild, das mir verbot, den Weg mit dem Rad zu benutzen, nichts dergleichen.
Achselzuckend fuhr ich weiter. Ich fühlte mich im Recht, kam mir vor wie ein Jugendlicher, der von »alten Leuten« schikaniert wurde. Was für alte Säcke, was für ein blödes Gemaule! Und was war ich für ein cooler Jungspund!
Weitere 200 Meter fuhr ich, bis sich mein geistiges Alter wieder dem biologischen Alter angepasst hatte. Mir wurde bewusst, dass meine Haare selbst grauer wurden, buchstäblich von Tag zu Tag. Wahrscheinlich waren die »alten Leute«, über die ich mich geärgert hatte, nicht viel älter als ich selbst.
Da schämte ich mich ein wenig für meinen Stinkefinger und für meinen Rückfall in Teenager-Zeiten. Aber nur ein wenig. Dann lachte ich über mich, meine unklare Selbsteinschätzung und über mein immer noch schnell überschäumendes Temperament – mit erhöhtem Tempo fuhr ich nach Hause.
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