Den Mythos des Reichenbachfalls kennt jeder, der den Namen »Sherlock Holmes« auch nur einmal gehört hat. In keiner der aktuellen Verfilmungen fehlt er, die Interpretationen sind zahlreich. Nur ich hatte die entsprechende Geschichte tatsächlich nie gelesen.
Also besorgte ich mir das Buch »Die Memoiren des Sherlock Holmes«, in dem die Geschichte als abschließende enthalten ist. Das Buch ist der vierte Teil einer neuen »Sherlock Holmes«-Reihe, die bei Fischer veröffentlicht wird. Das »Jetzt neu übersetzt« auf dem Cover, das gleich zweimal vermerkt wurde (einmal in Form eines extra angebrachten Aufklebers!), fand ich durchaus interessant – das schien dem Verlag sehr wichtig zu sein.
Ich gestehe, dass ich bei Büchern gern das Nachwort oder das Vorwort zuerst lese. In diesem Fall erzählte der Übersetzer – der preisgekrönte Autor Henning Ahrens – erst einmal, welche Veränderungen er im Originalwerk angebracht hatte, lobte sich also auf mehreren Seiten selbst. Das fand ich schon ein wenig heikel ...
Dann las ich die erste Geschichte und musste das Buch auf die Seite legen. Weder kann ich mir vorstellen, dass die Formulierung »ergriff Vorsichtsmaßnahmen« (Seite 10) im Original auch nur ansatzweise vorkommt, noch glaube ich, dass Arthur Conan Doyle ernsthaft von »Roma« sprach. (Wahrscheinlich war im Originaltext die Rede von »Gypsies« ... und soweit ich weiß, ist das in England etwas anderes als die Roma hierzulande.)
Ich gestehe, dass ich das Buch danach für gut zwei Jahre zur Seite legte, bevor ich es wieder anfing. Ich nahm mir vor, mich nicht über seltsame Modernismen aufzuregen, und dann klappte die Lektüre richtig gut. Die Geschichten sind gelungen, auch nach über einem Jahrhundert sind sie gut lesbar – und die klassische Rätselstruktur machte mir bei der Lektüre viel Spaß.
Nicht alle Geschichten finde ich brillant; Arthur Conan Doyle hatte 1892 und 1893 nicht nur geistige Höhenflüge erlebt. Manchmal nervt mich auch die Abfolge – wenn etwa Sherlock Holmes wieder einmal aus irgendwelchen Details erkennt, welchen Familienstand jemand hat –, und manchmal ist die verschachtelte Erzählstruktur, bei der jemand eine Geschichte erzählt und dabei jeglichen Dialog exakt wiedergibt, ein wenig arg umständlich.
Ich las die Geschichten mit entsprechenden Zwischenräumen, alle zwei, drei Tage nahm ich mir eine vor. Dann war die Distanz groß genug, und jede Geschichte konnte für sich wirken. Die Lektüre machte dadurch wirklich Spaß.
Ich denke, das war nicht mein letztes Buch mit Holmes-Original-Geschichten (zuletzt hatte ich als Jugendlicher Bücher wie »Studie in Scharlachrot« gelesen). Schauen wir mal, welchen Übersetzer ich beim nächsten Mal wähle ...
2 Kommentare:
Oder du versuchst es mal mit "Young Sherlock Holmes". Wer die Figur mag, für den können auch diese (Jugend-)Romane interessant sein.
Nur gut, dass 'Jim Knopf' auf Deutsch geschrieben wurde und deshalb nicht gendermainstreamig-sprachpolizeilichkorrekt übersetzt werden muss! Ein empörender Skandal folgt dort nämlich auf den anderen: Eine nicht hinterfragte absolute Monarchie ohne Parlament! Ein 'Negerlein' in einer Kiste! Üble Meeresverschmutzung durch Teer beim Kalfatern! Ganz pööhse Luftverschmutzung durch Emissionen von Dampfloks... ;-)
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