Dass Kinder meist noch über die Phantasie verfügen, die man ihnen in der späteren Jugend dann austreibt, ist allgemein bekannt. Wohlmeinende Pädagogen, die Bilderflut der modernen Medien und ängstliche Eltern sorgen dafür, dass Jugendliche auf Effizienz getrimmt werden – damit sie sich hinterher umso besser in das System einpassen.
Da finde ich es erfreulich, dass es so viele so schöne Kinderbücher gibt, die den »Kleinen« dazu verhelfen, ihre eigene Phantasie zu entwickeln. Ein gelungenes Beispiel dafür ist »Der Fuchs und die verlorenen Buchstaben« von Pamela Zagarenski. Die Künstlerin stammt aus den USA, wo sie schon Preise gewonnen hat, aber vor allem Kinderbücher gestaltet und auch Gemälde anfertigt.
Das merkt man ihrem Buch an: Großformatige Bilder, die sich über je eine Doppelseite ziehen, illustrieren eine Geschichte, die mit wenigen Worten auskommt und in einem Kind den Wunsch auslösen sollte, sich selbst Geschichten auszudenken. Die Bilder sind künstlerisch, weit entfernt etwa von einem Comic-Stil, und sie laden dazu ein, immer wieder draufzuschauen und Details zu betrachten.
Heldin des Buches ist ein kleines Mädchen, das ein Buch voller Geschichten ausleiht. Als es damit nach Hause geht, fallen aber alle Buchstaben zu Boden; das Mädchen erreicht sein Zuhause quasi ohne Text. Immerhin gibt es einen freundlichen Fuchs, der die Buchstaben aufsammelt und aufbewahrt.
Das Kind schaut sich daheim das Buch an, stellt fest, dass es nur noch Bilder enthält. Sein Geist entwickelt in der Folge eigene Geschichten, die voller Magie und Spannung sind; die Phantasie entsteht aus den Bildern. Und als das Mädchen am nächsten Morgen den Fuchs wiedertrifft, gibt es für den ebenfalls eine Geschichte ...
Wahrscheinlich sollten sich viele Erwachsene, die ihr Dasein in freudlosen Berufen fristen, ein solches Buch kaufen und sich selbst darauf einlassen, die Geschichten zu Ende zu denken oder zu träumen. Kinder schaffen das wahrscheinlich selbst ganz gut, wenn sie noch nicht vollständig vom System absorbiert worden sind.
Mit seinen wunderschönen Bildern und den Textideen, die in der kurzen Geschichte erzählt werden, lädt »Der Fuchs und die verlorenen Buchstaben« dazu ein, sich selbst auf die Reise zu fremden Welten zu begeben. Wer Kinder hat (oder Bekannte mit Kindern), sollte sich dieses Buch zumindest anschauen – ich halte es für ein richtig tolles Geschenk.
Wobei man es sich auch selbst schenken kann ... die meisten Erwachsenen leiden schließlich eher an einem Mangel an Phantasie als an zu vielen »Spinnereien und Träumen« im Kopf.
Erschienen ist das Buch im Knesebeck-Verlag, es hat 40 Seiten und ist schön gedruckt. Zum Preis von 12,95 Euro und mithilfe der ISBN 978-3-86873-942-8 kann man es in jeder Buchhandlung bestellen; auf der Internet-Seite des Verlages stehen einige der großformatigen Doppelseiten zur Ansicht zur Verfügung.
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