27 März 2019

Kommunikation vier punkt null

Mir ist das sogenannte Internet 4.0 oder wie immer das heißt, ziemlich egal. Mir ist völlig gleichgültig, ob Maschinen und andere Dinge miteinander kommunizieren können. Mir reicht es nämlich aus, dass ab und zu die Dinge in meiner Wohnung direkt mit mir kommunizieren.

So mein Fernseher. Der ist alt und echt betagt, aber er spricht zu mir. »Du willst mich also rauswerfen«, sagt er vorwurfsvoll. Dabei verzieht er keine Miene. Kunststück, er ist ja auch ausgeschaltet. Aber die Glasfront spiegelt mein Gesicht, da kann ich viel hinein interpretieren.

»So pauschal kann man das nicht sagen«, weiche ich aus, als sei ich ein Politiker in irgendeiner blöden Talkshow.

»Erinnere dich doch daran, wieviel Zeit wir miteinander verbracht haben«, versucht er es mit schönen Worten. »1998 hast du mich gekauft, ich war dein erster Fernseher überhaupt.«

»Ja.« Ich nicke traurig. Meine Eltern hatten keinen Fernseher, aus religiösen Gründen. Als ich allein wohnte, brauchte ich keinen. Ich sorgte dafür, dass mein Leben spannend blieb, und ich lese ohnehin lieber, als in eine Glotze zu starren.

»Erinnere dich daran, wie du mich gekauft hast. Wie du mich die Treppe hochgeschleppt und mich installiert hast.« Der Fernseher klingt ein wenig weinerlich.

Und wie ich mich erinnere. Verkauft hat ihn mir ein Techniker, der am Wochenende ebenso besoffen wie ich durch die »Kombe« in Karlsruhe stolperte. »Für das Geld kriegst du kein besseres Gerät«, versprach er. Also investierte ich 699 Mark und schleppte abends den superschweren Fernseher in seiner gigantischen Umverpackung allein die Treppe hoch.

»Du hast Umzüge und Baustellen überstanden«, sage ich und seufze. »Und viele Talkshows.«

Nachdem ich 1998 den Fernseher gekauft hatte, ein Stück der altehrwürdigen Firma Schneider, war ich fasziniert von dem, was ich zu sehen bekam. Vor allem, wenn ich nachts von einem Punk-Konzert nach Hause kam, abgerissen und angetrunken, setzte ich mich gern noch mit einem Bier oder zweien oder dreien vor die Glotze und zappte mich durch das Nachtprogramm. So sah ich Wiederholungen von Bärbel-Schäfer- und Hans-Meiser-Sendungen, die mein Weltbild stark erweiterten.

»Und das soll jetzt alles vorüber sein«, klagt der Fernseher. »Wir waren fast Freunde, obwohl du mich so schlecht behandelt hast.«

Er hat recht. Schuldbewusst senke ich den Kopf. Zweimal fiel er herunter, beides Mal auf die Röhre. Die Kunststoffwand riss, die Glasscheibe blieb heil. Es war, als sollten wir ewig zusammen bleiben.

»Ich hab immer zu dir gehalten«, sage ich. »Auch als mich alle verlachten und als altmodischen Mann belächelten.«

»Sie haben dich als geizigen Schwaben belächelt«, korrigiert mir der Fernseher.

»Aber man wirft ja auch nichts weg, wenn es noch gut geht«, protestiere ich. »Warum soll ich mir so einen neumodischen Mist kaufen, so einen Flachbildkram, wenn die olle Röhre noch tut?«

»Aber jetzt willst du es doch tun.«

»Jaaaaa«, sage ich gedehnt. »Weil man mit dir nicht mehr viel machen kann.«

Im Sommer 2017 wurde das Leitungssystem umgestellt, seither kann ein alter Kasten wie der meine keine Signale mehr aus dem Kabelnetz empfangen. Ich brauche einen neuen Fernseher oder einen Adapter, der vielleicht dazu ausreicht, weiterhin mit der alten Kiste zu glotzen. Aber ich weiß selbst, dass ich langsam keine Lust mehr auf das alte Ding habe.

»Es ist doch so«, versuche ich es höflich, »ich will auch mal eine Serie bei Netflix gucken oder einen Film streamen, und ich will die aktuellen Programme in all ihrer Pracht sehen.«

»Alles neumodischer Kram«, behauptet der Fernseher. »Willst du wirklich jeden Pickel im Gesicht eines Talkshow-Politikers sehen, jede Schminkfurche bei einer auffälligen Schauspielerin? Früher hat's doch auch gereicht.«

»Ja, früher.« Ich seufze. »Aber früher ist früher. Und ich will in die neue Zeit gehen. Ich brauche ein Gerät für das neue Jahrzehnt, du bist aus einem anderen Jahrtausend.«

»Du doch auch«, schnappt der Fernseher. »Du bist noch viel älter als ich. Was wirst du sagen, wenn sie dich irgendwann packen und auf die Straße stellen? Wie gehst du damit um, wenn du demnächst aufs Altenteil rollst?«

Darauf kann ich nichts sagen. Das wissen wir beide. Ich stehe auf und schaue nach dem Weinglas auf dem Tisch.

Ein Chardonnay funkelt im Glas, ein Wein aus der Appelation Viré-Clessé. Früher hätte eine Dose Bier dort gestanden, ich hätte nicht einmal gewusst, was eine Appelation ist, und ich hätte denjenigen, der so etwas weiß, aus tiefstem Herzen verachtet.

»Ich kann versuchen, ab und zu mit der Zeit zu gehen«, sage ich, als ich den Raum verlasse. »Du nicht, du bist nur eine Maschine.«

»Aber wenn wir Maschinen die Welt übernehmen, wenn das Internet sieben punkt null oder sonst etwas kommt und wenn ich als Gespenst durch die digitalen Netze spuke – was machst du dann?« Der Fernseher zetert und tobt, und er tut es noch, als ich die Tür hinter mir schließe.

Ich schäme mich ein wenig. Als sich im Bad auf einmal der uralte Föhn mit dem Fernseher solidarisiert, erkenne ich ... Ach, das ist dann doch eine andere Geschichte!

1 Kommentar:

Christina hat gesagt…

Das ist eine so schöne Geschichte, dass ich sie mehrfach gelesen habe. Ganz in der Tradition deines Enpunkt Egozines.