Es war noch früh am Morgen, zumindest für einen Urlaubstag. Die Straßen waren voll mit Fußgängern, die Straßenbahn ruckelte vorüber. Ich ließ mir meinen Kaffee schmecken, dazu ein Croissant, vielleicht würde ich hinterher noch eine Kleinigkeit essen.
Bei Alain Batt, dem Salon de Thé in der Innenstadt von Nancy, ließ es sich gut aushalten, vor allem an einem der kleinen Tische, die auf dem Gehweg platziert waren. Die Patisserie mit winzigem Lokal machte einen sympathischen Eindruck, das Personal tratschte mit den Kunden, und die Auslagen saßen mit all den Leckereien absolut einladend aus.
Es war warm genug, dass man mit kurzer Hose und T-Shirt auf die Straße gehen konnte; die Hitze des Tages kündigte sich schon langsam an. Ich schaute mir die Straßenkarte an, weil ich mir überlegte, wie ich von Nancy weiterfahren sollte. Aus dem Augenwinkel sah ich zu, welche Leute sich auf der Straße bewegten.
Zwei Punks gingen mit einem großen Hund vorüber, ein altes Ehepaar betrat die Patisserie, und junge Leute trieben sich in kleinen Gruppen auf der Straße herum. Ein Mann im dunklen Anzug, die Krawatte vom Wind gebeutelt, hielt in der einen Hand die Zigarette, während er mit der anderen ein Telefon ans Ohr hielt. Ich empfand die Stimmung als angenehm, fast einlullend.
Die Frau neben mir nahm ich erst wahr, als sie mir ihre Hand vors Gesicht hielt. Die Finger schienen nur aus Haut und Knochen zu bestehen, die Nägel sahen aus wie Ruinen. Mein Blick wanderte über die zerschlissenen Turnschuhe und die pinkfarbene Jogginghose nach oben, vorbei an dem blassblauen Oberteil. Die Frau sagte etwas, das ich nicht verstand, es klang nach Dialekt.
Ich war sprachlos, noch nie hatte ich einen derart dünnen Menschen gesehen. Die fadenscheinige Hose schlotterte um die klapperdürren Beine, die Adern zeichneten sich unter der blassen Haut der Unterarme ab, im Gesicht hielt sich offenbar keine Farbe. Ich saß da, den frisch duftenden Kaffee vor der Nase, und starrte die Frau an; mir fiel nichts ein.
Die Szene dauerte keine Sekunde – dann drehte sich die Frau herum und ging davon, im Neunzig-Grad-Winkel über die Straße, vorbei an der Straßenbahn, die gerade anhalten musste. Auf der anderen Straßenseite sprach sie einen Passanten an, einen rundlichen Mann mit Schnauzer. Der Mann winkte unwillig ab, sie eilte weiter, huschte geradezu über die Straße.
Ich löste mich aus der Erstarrung, starrte auf meinen Kaffee und das Croissant. Mir wurde bewusst, dass die Frau gebettelt hatte, was ich nicht kapiert hatte. Zu spät. Und mir wollte jetzt auf einmal nichts mehr schmecken.
1 Kommentar:
Oh Mann, das ist allerdings ein trauriges Erlebnis! :-(
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