27 November 2025

Großmutter und die Wölfchen

Ganz in der Nähe des Hauses, in dem ich wohne und schlafe, gibt es den Gutenbergplatz. Der sieht richtig badisch-romantisch aus: alte Giebelhäuser ringsum, Kopfsteinpflaster, Straßencafés. Selten sieht Karlsruhe bürgerlicher und gleichzeitig gemütlicher aus als an diesem Platz. Ich mag ihn, auch wenn ich mich dort selten aufhalte; einmal in der Woche besuche ich dort meist den Wochenmarkt, gelegentlich steuere ich den Bücherschrank an.

An diesem Mittwochabend im Spätsommer 2004 war einiges anders: Bei schwülwarmem Wetter, das mir bei jeder Bewegung den Schweiß aus den Poren und ins T-Shirt trieb, bewegte ich meinen Körper zum Gutenbergplatz. Dass sich in meinem Schlepptau eine Reihe von Menschen aufhielt, die ebenso schwitzten, tröstete mich dabei nicht so arg.

Aber Micha hatte die Devise ausgegeben: »Auf dem Gutenbergplatz ist was los, da spielt eine Band, und das ist bestimmt lustig.« Sie musste es wissen, und sie war sehr überzeugend in dem, was sie sagte.

Ich hätte misstrauisch sein sollen: Eine Exil-Pfälzerin, die in einem Dorf außerhalb von Karlsruhe lebt, hat sicher andere Vorstellungen von Lustigkeit als ich ... Aber ich ging mit, und ich hatte die beste Absicht, mich bombig zu amüsieren.

Zwei Viertel pfälzischen Weißherbst, die ich mir schon ins Hirn geballert hatte, sorgten zudem für gute Laune. Bei der Temperatur sorgte auch ein leichter Wein dieser Sorte normalerweise für gute Laune.

Was ich nicht wusste, war die Tatsache, dass eine Bäckerei auf dem Gutenbergplatz ihr zehnjähriges Jubiläum feierte und in einem Anfall von klugem Marketing nicht nur sich selbst feiern wollte, sondern dazu alle Nachbarn einlud. Die Bäckerei mit dem hübschen Titel »Großmudder‘s« hatte es geschafft, den ganzen Platz in eine Party-Zone zu verwandeln.

In eine Party-Zone für fiftysomethings, um es genauer zu sagen. Unsere fröhliche Delegation senkte glatt den Altersdurchschnitt auf dem Gutenbergplatz, zumindest unter den Besuchern, die sich auf Bierbänken breitgemacht hatten oder begeistert jener Band zujubelte, die vor einem bunten Lieferwagen auf einer improvisierten flachen Bühne stand und wie wild rockte.

Die Band nannte sich Peter & The Wolves, und sie bestand aus vier Männern und einer Frau. Im Schnitt waren sie an die fünfzig Jahre alt, durchaus versiert auf ihren Instrumenten, also etwa auf dem Niveau einer durchschnittlichen Schülerband, und unter dem Jubel des Publikums war kaum zu vernehmen, dass viele Einsätze nicht stimmten, das sich Gitarre und Schlagzeug gelegentlich nicht überholten, sondern gegenseitig langsamer machten.

Immerhin schafften die fünf Leute auf der Bühne es, Stücke von den Rolling Stones und von AC/DC in einer Art zu spielen, dass sie von jedem wieder erkannt wurden, wenngleich manchmal arg augenzwinkernd und magenverrenkend. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder schreien sollte, während Manne bei jeder Gelegenheit einen neuen trockenen Spruch absonderte, der sich auf das mangelnde spielerische Können der Band bezog.

Punkrock ist nicht gerade die Musikrichtung, die dafür bekannt ist, filigrane Töne in die Welt zu spucken. Aber da wird eben musikalisches Unvermögen dadurch ausgeglichen, dass die Attitüde stimmt oder die Aussagen die knallige Musik ergänzen. Bei der Band auf der Bühne paarten sich musikalisches Unvermögen mit dem Anspruch, gut zu klingen und irgendwie wichtig zu sein. Zumindest kam es mir an diesem Abend so vor.

Weil ich mit der Musik und dem schunkelnden Publikum meine Probleme hatte, schüttete ich mir ein weiteres Viertel Wein in den Schlund, diesmal einen leichten Italiener, was bei den tropischen Temperaturen einen netten Effekt auslöste: Ich wurde noch alberner, als ich es wegen des bisherigen Trinkens schon gewesen war.

Leider reichte es nicht dazu, so richtigen Unfug zu treiben. Mein soziales Umfeld verschleppte mich tatsächlich ins Innere von »Großmudder's Bäckerei«, wo wir einen Platz am Fenster bekamen, mit gutem Blick auf die Band. Ich war schon angetrunken und hatte große Angst, die Fassung zu verlieren; also legte ich eine drastische Pause ein, blieb bei Apfelschorle und überlegte mir bereits, ob ich den Kopf auf den Tisch legen sollte.

Der Abend wurde noch skurril. Meine Begleiter fielen über den Kuchen her, den es in der Bäckerei gab. Abends um halb elf Uhr verspeisten sie Unmengen von süßem Zeugs und Kuchen, während ich mit schmerzenden Ohren auf den Gutenbergplatz schaute, Peter und seine Wolfbande abwechselnd verfluchte und verspottete und mir klarmachte, dass ich jetzt genau in dem Alter war, in dem man solche Veranstaltungen gefälligst gut zu finden hatte ...



(Der Text wurde im April 2005 in der Ausgabe 42 meines Egozines ENPUNKT veröffentlicht. Für diese Publikation wurde er noch einmal leicht bearbeitet. Mittlerweile bin ich so alt wie die Leute, die damals der Band zujubelten. Ich fände sie wahrscheinlich immer noch doof. Also die Band, nicht die Leute …)

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