Meine Mutter und ich saßen in Brecks behaglichem Wohnzimmer auf dem Sofa, wir versackten fast in den Polstern, und wenn ich mich zu sehr bewegte, knarrte das Leder in einer Art und Weise, die mir unangenehm war. Also versuchte ich, so still wie möglich zu sitzen, um verwirrende Geräusche zu verhindern.
»Magst du wirklich keinen Cognac?«, fragte Breck meine Mutter und hob eine Flasche hoch, in der eine braune Flüssigkeit schimmerte.
Sie wehrte ab. »Nein, nein« sagt sie in dem breiten Schwäbisch, das bei uns auf dem Dorf üblich war. »Ich muss heute abend ja noch kochen.«
Breck war ein netter Typ, der in der Firma arbeitete, für die meine Mutter als Putzfrau für saubere Büros sorgte. Seine lockigen Haare fielen ihm in den Nacken, seine gepflegten Hände waren ununterbrochen in Bewegung, und wenn er sprach, klang sein Deutsch geradezu fein im Gegensatz zu unserem groben Dialekt. Nichts deutete darauf hin, dass er aus Jugoslawien kam.
»Magst du noch etwas?«, fragte er mich. Mir hatte er ein Glas mit Apfelsaft angeboten, und daran nippte ich immer mal wieder.
Auch ich winkte ab. Es war mein erster Besuch bei Breck, und ich fühlte mich unsicher. Hinter ihm erhob sich ein weißer Schrank, dessen Regale von oben bis unten mit dicken Büchern vollgestellt waren. Für mich, der am liebsten in der Dorfbücherei stöberte, sah das sehr aufregend aus. Was waren das wohl für Bücher, was stand in ihnen drin?
Eigentlich hätte ich Hausaufgaben für die Schule machen müssen. Nach dem Mittagsunterricht war ich zu der Firma gegangen, wo meine Mutter putzte. Dort war ich herumgesessen, hatte gelesen und darauf gewartet, dass sie Feierabend machte. Meist holte uns dann mein Vater gemeinsam ab, nachdem er aus der Fabrik gekommen war. An diesem späten Nachmittag hatte uns Breck mitgenommen und zu seiner Wohnung gebracht, die am Rand der Stadt lag – dort sollte uns nun mein Vater einsammeln.
Breck erkannte wohl meinen Blick. »Magst du Bücher?«, fragte er.
Ich nickte. Meine Mutter sekundierte: »Der Junge liest ein Buch nach dem anderen. Ich weiß auch nicht, wo er das her hat.«
Breck nickte zu dem Regal hinüber. »Du kannst dich gerne umschauen.«
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Ohne mich um den Blick meiner Mutter zu kümmern, die mein Verhalten vielleicht aufdringlich fand, stand ich auf und eilte um den Tisch herum. Dann stand ich vor dem Regal, staunte über die dicken Bücher und fuhr mit den Fingern an ihrem Rücken entlang. Es waren schöne Hardcover-Bände, teilweise in Leder gebunden, und jedes von ihnen zeigte, dass es teuer war.
»Die sind besser aus als die bei uns in der Dorfbücherei«, sagte ich andächtig.
Auf einmal stand Breck neben mir. »Das sind sie auch«, bestätigte er. »Guck mal hier. Ich habe die Encyclopaedia Britannica abonniert, da kommt jetzt immer wieder ein neues Buch heraus – und das wird eine wertvolle Sammlung von Lexika.« Er zog ein dickleibiges Werk aus dem Regal und reichte es mir.
Die Seiten waren mit einem Goldrand versehen und klebten noch zusammen. Andächtig blätterte ich das Buch durch, löst vorsichtig die Seiten voneinander. Ich war eindeutig der erste Mensch, der es aufblätterte. Es war ein Lexikon, die Einträge waren in englischer Sprache, wofür mein Schulenglisch nicht ausreichte.
»Liest du das?«, fragte meine Mutter, die sitzen geblieben war.
Breck schüttelte den Kopf. »Das ist ja ein Nachschlagewerk. Da gucke ich nach, wenn ich etwas wissen möchte. Es ist das beste Lexikon der Welt, besser als der Brockhaus.«
»Wenn du es nicht liest, ist es doch Geldverschwendung, so etwas zu kaufen«, wollte ich sagen, verkniff es mir aber. Langsam stellte ich das Buch zurück.
Ich blätterte weiter durch die Hardcover-Bände, die das weiße Regal füllten. Dabei stieß ich auf eine Reihe mit historischen Sachbüchern, auch diese in einem eleganten Layout, sehr teuer gestaltet und garantiert noch nie aufgeblättert. Während ich damit begann, eine Seite zu lesen, vergaß ich die Welt um mich.
»Wenn du willst, kannst du dir davon eines ausleihen«, schlug Breck vor.
Ich nickte begeistert. Meine Mutter erhob noch Einwände; ihr war das Buch sichtlich zu teuer, und sie hatte wohl Angst, dass ich es beschädigen könnte. Breck drückte mir das Sachbuch in die Hand, in dem es um die Eroberung Nordamerikas durch englische und französische Kolonisten ging, und ließ sich von meiner Mutter in ein Gespräch über Kollegen verwickeln.
Wie im Traum setzte ich mich in den Sessel und las. Irgendwann klingelte es an der Tür, und mein Vater holte uns ab. Bei der Heimfahrt war meine Mutter auffallend ruhig. Sie schimpfte nicht einmal mit mir, obwohl ich das erwartet hatte – es gehörte sich für einen Jungen ja nicht, sich in den Vordergrund zu spielen –, und ich saß auf dem Rücksitz und las andächtig.
Wann immer ich in den folgenden Monaten zu Breck kam, blätterte ich in einem Band der Encyclopaedia Britannica, wobei ich jedes Mal aufs Neue begeistert war, lieh mir aber dann lieber eines der historischen Bücher aus. Ich hatte kein schlechtes Gewissen dabei: Bereits bei dieser ersten Begegnung hatte ich verstanden, dass Breck die Bücher nicht las; ihm genügte es, sie im Regal stehen zu haben.
Aber ich war gefangen …
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