13 Februar 2015

Das Grauen in den Dörfern

Ich liebe dünne Bücher, in denen richtig viel Potenzial steckt. Eines dieser Bücher, auf das ich durch Zufall stieß, ist »Der Vampir von Ropraz«, das der französischsprachige Schriftsteller Jacques Chessex aus der Schweiz verfasst hat. Es ist eine Mixtur aus Krimi und historischem Roman, es hat den Charakter einer schrecklichen Schauergeschichte, und es ist zugleich ein Blick in eine düster-dörfliche Welt.

Ende des 19. Jahrhunderts kommt es in den abgelegenen Dörfern des Hohen Jura zu drei schrecklichen Verbrechen: Leichen von jungen Frauen werden aus ihren Särgen gezerrt und verstümmelt. Die abergläubischen Bewohner der kleinen Dörfer und Weiler fürchten sich, das Gerede von einem Vampir macht die Runde, und die Polizei muss einen Täter finden.

Man stellt einen Mann, aufgehetzt durch die Atmosphäre aus Angst und Hass, und zerrt ihn vor Gericht. Er ist ein ideales Opfer, dieser Favez, primitiv und gewalttäig, und so wird er auch verurteilt – nicht zum Tod, sondern zu lebenslanger Haft. Dass er später ausbricht, sich zur französischen Armee durchschlägt und sich dann seine Spur in den Wirren des Ersten Weltkriegs verliert, ist nur eine »Abrundung« der Geschichte.

Chessex kennt die Gegend gut, über die er schreibt. Er ist in den Bergen des Jura großgeworden, er dürfte die Geschichten über den leichenschändenden Vampir alle in seiner Kindheit und Jugend gehört haben. Und mit seiner Romanfassung – streng genommen ist es ja eine Novelle – hat er diesem Mythos aus seiner Jugend ein Denkmal gesetzt.

Der Autor schildert die schrecklichen Geschehnisse in einer Sprache, die ihresgleichen sucht und in hervorragender Weise ins Deutsche übertragen worden ist. Mal ist er analytisch und trocken, dann wieder schwelgt er in Bildern voller Grausamkeit und Düsternis – auch wenn es keinerlei Action gibt und der Roman alle Regeln eines Spannungsromans ignoriert, fand ich das alles unglaublich spannend und faszinierend.

Man kann das Buch in einem Rutsch durchlesen, weil es so dünn ist. Man kann es aber auch genießen, so machte ich es: immer wieder ein Kapitel lesen, dann die Sprache und die Eindrücke auf einen wirken lassen. »Der Vampir von Ropraz« werde ich sicher nicht zum letzten Mal gelesen haben.

(Übrigens hat sich nach dem Buch und dem angeblichen Vampir die ziemlich gute IndieRock-Band Favez benannt. Die Musiker kommen aus Lausanne, also aus der Region, in der das Buch spielt. Und der Sänger hatte bei dem Autor in seiner Jugend tatsächlich Französischunterricht.)

Erschienen ist das Buch bereits 2008, man kann es aber noch im Buchhandel bestellen. Der Verlag ist Nagel & Kimche, auf deren Internet-Seite eine Leseprobe zu finden ist; für die gelungene Übersetzung zeichnet Elisabeth Edl verantwortlich.

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